Leben und Werk von Hedwig Guggenheimer-Hintze (1884-1942)

»... daß sie statt ihren Mann bei seinen Arbeiten zu unterstützen, lieber eigene Artikel schrieb ... «

Ein Porträt von Hedwig Hintze zu schreiben, die sich 1928 als eine der ersten Frauen überhaupt an einer deutschen Universität habilitierte, stößt auf erhebliche Schwierigkeiten angesichts des völligen Fehlens von persönlichen Zeugnissen. Weder gibt es Briefe noch private Aufzeichnungen, aus denen sich die Lebensgeschichte rekonstruieren ließe. In dieser miserablen Quellenlage - so bedauerlich sie für jede biographische Darstellung auch ist - drückt sich letzten Endes, wenn auch extrem zugespitzt, ein bekanntes Problem aus: die Marginallsierung von Frauen im historischen Bewußtsein. Die vollständige Vernichtung aller privaten Lebenszeugnisse, wie sie im Fall von Hedwig Hintze vorliegt, ist nur die Konsequenz eines Verdrängungsprozesses von Frauen, den wir im Bereich der Wissenschaft stärker noch als in den Bereichen von Kunst und Politik beobachten können.
Wenn hier trotzdem das Wagnis unternommen wird, die verwischten Lebensspuren eines außerordentlichen Frauenschicksals nachzuzeichnen, so ist dies nur möglich, weil Hedwig Hintze ein wissenschaftliches Werk hinterlassen hat, das zwar nicht dem Vergessen, wohl aber - anders als manche Verfasserin selbst - der Vernichtung entkommen ist und heute, mehr denn je, auf Aufmerksamkeit rechnen kann.
Hedwig Hintze gehört zu den profiliertesten Historikern der Weimarer Republik. In diesem Fall ist der Gebrauch der männlichen Form nicht nur sinnvoll sondern sogar notwendig, weil Hedwig Hintze, neben Ermentrude von Ranke, die einzige Frau war, die sich in den sonst ausschließlich von Männern geführten historischen Diskurs mit eigenen Veröffentlichungen aktiv einschaltete und viele ihrer männlichen Kollegen an Originalität, methodischer Offenheit, politischer Risikobereitschaft und Nachdenklichkeit weit übertraf. Sie war also alles andere als eine »Frau im Schatten«. Dazu wurde sie erst im nachhinein gemacht.
Als exponierte Vertreterin einer linksliberalen Geschichtswissenschaft ist sie erstmals 1975 einem engeren Fachpublikum - nach über vierzigjährigem Schweigen über ihr Leben und ihre wissenschaftliche Leistung - vorgestellt worden. Wohl nicht zufällig erschien diese Studie in der DDR, und wohl nicht zufällig dauerte es noch weitere zehn Jahre, bis es endlich auch in der Bundesrepublik Aufmerksamkeit für Hedwig Hintze und ihr Werk gab. Die Neuauflage ihrer Habilitationsschrift von 1928 ist ein Zeichen dafür, daß das tödliche Schweigen, das sich über ihre Person und ihr Werk gelegt hat, endlich durchbrochen wird.
Für dieses Schweigen gibt es mehrere Gründe, die alle mehr oder nünder auf den schwierigen Status von Frauen in den Wissenschaften verweisen, der sich, ungeachtet aller Fortschritte im einzelnen, generell nicht so fundamental verbessert hat, wie Emanzipationseuphoriker uns weismachen wollen. Ein Blick auf die Statistiken genügt. Obwohl heute rund vierzig Prozent aller Geschichtslehrer Frauen sind, ist das Fach Geschichte an den deutschen Hochschulen immer noch fast ausschließlich eine Domäne der Männer. In einer Untersuchung »Zur Situation der Frau in der Geschichtswissenschaft«, die Hans-Jürgen Puhle 1981 verfaßt hat und die den provokanten Obertitel trägt »Warum gibt es so wenige Historikerinnen?«, werden die Zahlen folgendermaßen zusammengefaßt:

  • »Nach der Statistik von 1977 sind im Fach Geschichte an den westdeutschen Wissenschaftlichen Hochschulen nur 16 weibliche (von insgesamt 364) Professoren verbürgt. Das entspricht einem Anteil von 4,4%. Diese Daten dokumentieren nicht nur die bekannte und weltweit verbreitete allgemeine Diskriminierung der Frauen in akademischen Berufen, sie stehen für eine geradezu extreme Situation: Der für 1977 ermittelte Anteil der Frauen am Lehrpersonal in der westdeutschen Historie liegt um etwa die Hälfte niedriger als in vergleichbaren anderen Geistes- und Sozialwissenchaften, und er liegt auch insgesamt deutlich unter dem im Fach Geschichte üblichen Anteil in anderen westeuropäischen Ländern und in Nordamerika.«

Diese extreme Unterrepräsentierung von Frauen in der Geschichtswissenschaft weist zurück auf die beiden Pionierinnen Ermentrude von Ranke und Hedwig Hintze, die sich als erste Frauen im Fach Geschichte habilitierten und als Lehrende an der Universität arbeiteten. Sie gehörten damit zu der ersten Generation von Frauen, die von der Zulassung von Frauen zum Studium profitieren konnten, die sich, zeitlich gestaffelt, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts langsam, aber kontinuierlich im ganzen Deutschen Reich durchsetzte. Vorangegangen war eine erregte öffentliche Debatte über das Frauenstudium, die 1897 mit den »Gutachten hervorragender Universitätsprofessoren über die Befähigung der Frau zum wissenschaftlichen Studium« einen vorläufigen Abschluß fand. Wie tief die Ressentiments gegen studierende Frauen im Wissenschaftsbetrieb verankert waren, zeigt folgende polemische Passage aus einem der Gutachten:

  • »Unsere Zeit ist ernst. Das deutsche Volk hat anderes zu thun, als gewagte Versuche mit Frauenstudium anzustellen. Sorgen wir vor allem, daß unsere Männer Männer bleiben! Es war stets ein Zeichen des Verfalls, wenn die Männlichheit den Männern abhanden kam und ihre Zuflucht zu den Frauen nahm.«

Die Entwicklung war jedoch nicht mehr aufzuhalten: 1896 wurde in Berlin die erste Frau offiziell zum Abitur zugelassen. Im selben Jahr wurde die erste historische Dissertation von einer Frau in Heidelberg eingereicht. 1900 wurde die erste Frau in Baden zum Studium zugelassen, 1908 in Preußen. Die erste »ordentliche« Verleihung des Dr. phil. an eine Frau im Jahre 1900 fiel - Ironie der Geschichte - genau in das Jahr, in dem Paul J. Möbius seine polemische Schrift »Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes« veröffentlichte, in der er anhand von zweifelhaften Gehirnmessungen die intellektuelle Unfähigkeit von Frauen nachzuweisen suchte. Mit Ausnahmegenehmigungen hatten Frauen jedoch schon im 18. und 19. Jahrhundert promoviert, ohne daß daraus freilich ein Anspruch auf eine weitere wissenschaftliche Karriere erwachsen wäre. Eine Habilitation als formale Voraussetzung für eine reguläre wissenschaftliche Laufbahn war erst ab 1918 in Deutschland möglich.
1920 bestätigte der preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung auf Anfrage der Philosophin Edith Stein »daß in der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht kein Hindernis gegen die Habilitierung erblickt werden darf. Die Habilitation von Edith Stein scheiterte denn auch nicht an ihrem »Geschlecht«, sondern an ihrer jüdischen Herkunft, die sie mit Hedwig Hintze verband. Die angestrebte Habilitation im Fach Philosophie erreichte Edith Stein weder in Freiburg noch in Göttingen oder Breslau. 1934 wurde sie als Dozentin entlassen, in der holländischen Emigration von den nationalsozialistischen Häschern ergriffen nach Auschwitz deportiert und dort 1942 vergast. Ihr Lebensweg nach 1933 weist viele Parallelen zu dem von Hedwig Hintze auf. Wenn Hedwig Hintze - im Gegensatz zu Edith Stein - sich trotz ihrer jüdischen Herkunft in der Weimarer Republik habilitieren konnte, so hing das mit ihrer besonderen persönlichen Situation zusammen. Als Ehefrau des angesehenen Historikers Otto Hintze genoß sie »arischen Schutz«, der jedoch nach 1933 nicht ihre Vertreibung, Verfolgung und ihr tragisches Ende im holländischen Exil verhindern konnte.
Geboren wurde Hedwig Hintze 1884 als Tochter der reichen assimilierten jüdischen Familie Guggenheimer, die seit langem in München ansässig war. Das kleine Mädchen wurde evangelisch getauft und scheint auch später keine Verbindung zum Judentum gehabt zu haben. Erst durch die antisemitischen Vorurteile, mit denen sie im Verlauf ihrer Karriere konfrontiert wurde, und durch die Verfolgung und Exilierung nach 1933 scheint sie auf ihre jüdische Herkunft gestoßen worden zu sein. Der Vater Moritz Guggenheimer war Bankier und spielte im kommerziellen und politischen Leben der bayerischen Hauptstadt eine herausgehobene Rolle. Er sorgte dafür, daß die Tochter eine ausgezeichnete Ausbildung erhielt. Über die Stadien des Bildungsganges der jungen Hedwig sind wir relativ genau informiert durch zwei ausführliche selbstverfaßte Lebensläufe, die der Promotionsbeziehungsweise Habilitationsakte als Anlagen beiliegen. Danach erhielt Hedwig Guggenheimer zunächst Privatunterricht, wechselte 1895 auf die Höhere Töchterschule in München über und vervollkommnete ihre Fremdspr-achenkenntnisse durch mehrere längere Aufenthalte in Nizza und Brüssel. Die bayerische Staatsprüfung für Lehrerinnen der französischen Sprache, die sie 1901 in München bestand, berechtigte nicht zum Hochschulstudium. Statt sich auf das Gymnasialabitur vorzubereiten, bewarb sie sich 1904 um den Gasthörerstatus an der Münchner Universität. Die Wege wird ihr der dortige Ordinarius Franz Muncker geebnet haben, der schon vorher ihr Privatlehrer gewesen war und der ein Interesse daran hatte, sie als Hilfskraft bei der Herausgabe der großen LessingAusgabe zu beschäftigen. Offensichtlich hat Hedwig Guggenheimer die Tätigkeit an den Registerarbeiten nicht sonderlich behagt. Nach einer intensiven privaten Vorbereitung, vor allem in den alten Sprachen, holte sie 1910 das Abitur nach und immatrikulierte sich im Herbst gleichen Jahres an der Berliner Universität. Endlich war sie da, wovon sie bereits 1903 in einem Artikel »Zur Erziehungsfrage« in der Münchener Allgemeinen Zeitung geschwärmt hatte:

»Wie viel hat die moderne Frau errungen! Die Eroberung der Universität ist ihr geglückt und mit eisernem Wollen voll mutigen Fleißes erklimmt sie allmählich all die Sonnenhöhen menschlicher Wissenschaft.«

Sie belegte Vorlesungen und Seminare in Germanischer Philologie, Geschichte und Nationalökonomie. Schicksalhaft sollten die Veranstaltungen werden, die sie bei dem renommierten Otto Hintze belegte, der seit 1902 einen Lehrstuhl für Verfassungs-, Verwaltungs-, Wirtschaftsgeschichte und Politik in Berlin innehatte. Als Bearbeiter der »Acta Borussica« und als Mitherausgeber der »Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte« gehörte er zu den einflußreichsten Ehstorikem seiner Zeit. Noch heute genießt er ein hohes Ansehen in der bundesrepublikanischen Forschung, wie ein repräsentativer Gedenkband von 1983 zeigt. Trotz seiner konservativen Grundeinstellung war er alles andere als borniert. Seine weitgefächerten Interessen und die Aufgeschlossenheit für sozialwissenschaftliche Fragestellungen, die ihn wohltuend von der provinziellen Enge vieler seiner Fachkollegen abhoben, müssen auf die Studentin Hedwig Guggenheimer einen unwiderstehlichen Reiz ausgeübt haben. Auch Otto Hintze zeigte sich beeindruckt von seiner begabten Schülerin und beteiligte sie naxh kurzer Zeit als Hilfskraft und Assistentin an eigenen Forschungsprojekten. Aus der Arbeitsbeziehung entwickelte sich rasch eine persönliche Neigung zwischen dem damals einundfünfzigjährigen Otto Hintze und der achtundzwanzigjährigen Hedwig Guggenheimer. Nach Otto Hintzes Worten war es »eine tiefe Leidenschaft von beiden Seiten«. Bereits im November 1912, also nach knapp zweijähriger Bekanntschaft, kam es zur Eheschließung, die wohl nicht nur wegen des Altersunterschieds und der jüdischen Herkunft von Hedwig Guggenheimer von den Fachkollegen mit äußerstem Mißbehagen zur Kenntnis genommen wurde. Vor allem als sich abzeichnete, daß Hedwig Hintze keineswegs vorhatte, sich mit dem Status der Krankenpflegerin und wissenschaftlichen Hilfskraft zu bescheiden, war die Entrüstung groß, obwohl sie zeitlebens couragiert für ihren Mann sorgte und ihre eigenen Arbeiten immer wieder zurückstellte, um ihn zu pflegen. Vergeblich versuchten die Freunde von Otto Hintze über Mittelspersonen wie Julie Braun-Vogelstein, die zu der Zeit gerade auf einen Lehrauftrag verzichtet hatte, um ihren Mann zu unterstützen, Hedwig Hintze dazu zu bewegen, »ihrem leidenden Mann bei dessen bedeutenden Forschungen zu helfen, statt auf ihre eigenen Werke und die eigene Laufbahn bedacht zu seine. Auch wenn einige engere Freunde nicht umhin konnten anzuerkennen, daß das gemeinsame Leben vor allem dem kränklichen Otto Hintze guttat und »ihm vielleicht das Leben gerettet hat«, wie sein Schüler Friedrich Meinecke konzedieiie, so überwog doch das Mißbehagen an einer Beziehung, die so gar nicht mit den traditionellen Mustern übereinstimmte. Noch 1940 äußerte sich ein Schüler anklagend:

  • »Hintzes Freunde und Schüler haben ihr nie verziehen, daß sie statt ihren Mann bei seinen Arbeiten zu unterstützen, lieber eigene Artikel schrieb ... Er selbst hat aber nie ein Wort darüber fallen lassen.«

Auch den Äußerungen von Friedrich Meinecke merkt man noch in der Rückschau von 1941 das Erstaunen an über die unkonventionelle Art, mit der Hedwig und Otto Hintze ihre Ehe führten:

  • »Eine Ehe eigener Art, wie sie wohl nur im modernen Gelehrtenleben möglich wird und von Hintze nun mit ritterlicher Würde durchgeührt wurde. Die Ehe blieb kinderlos, und die elegante Wohnung am Kurfürstendamm beherbergte fortan zwei Arbeitszimmer, in denen harmonisch nebeneinander gearbeitet wurde.«

Die Wahrnehmung vom »ritterlichen« Otto Hintze, der den Karrieregelüsten seiner jungen, dynamischen Frau hilflos ausgeliefert war, fand Nahrung vor allem in der Art und Weise, wie Hedwig Hintze - trotz teilweise schwierigster Arbeitsbedingungen an der Seite ihres kränkelnden Mannes - ihren »Lieblingswunsch«, sich eine akademische Laufbahn zu eröffnen systematisch verfolgte. Öffentlich reihte sich Otto Hintze zwar nie in die Reihe der Kritiker seiner Frau ein, privat konnte er seine Verbitterung aber nicht immer verhehlen:

  • »Ich dachte, ich hätte eine Unterstützung, dabei hat sie ihren eigenen Laden aufgemacht.«

Später scheint er sich mit der Selbständigkeit seiner Frau jedoch abgefunden und sie sogar für ihre Leistungskraft bewundert zu haben, wie ein schwärmerisches Sonett aus dem Jahre 1929 zeigt:

  • »Bist Du daheim und lebst,
    wie's Dir gefällt, in Arbeitslust
    wie gern schau ich Dir zu!
    Mir bist des Kosmos Offenbarung Du!«

1923 reichte Hedwig Hintze ihre Dissertation über »Das Problem des Föderalismus in der Frühzeit der Französischen Revolution« ein. Die beiden Gutachten waren außerordentlich positiv. Wie weit hierbei auch Rücksichtnahme auf den »verehrten Kollegen« Otto Hintze eine Rolle gespielt haben mag, ist schwierig zu beantworten. Das Beispiel von Ermentrude von Ranke, einer Nachfahrin des berühmten Leopold von Ranke, zeigt ebenso wie der Lebensweg von Hedwig Hintze, daß Frauen in der Anfangszeit der wissenschaftlichen Emanzipation nicht nur massive persönliche Unterstützung von Männern brauchten, sondern darüber hinaus in die männlichen Hierarchien direkt eingebunden sein mußten, um überhaupt reüssieren zu können. Das Scheitern der akademischen Laufbahn von Edith Stein ist sicherlich auch ein Ausdruck dafür, daß ihr eben diese familiäre Einbindung gefehlt hat.
Gerade für ihr Forschungsgebiet »Französische Revolution« war Hedwig Hintze auf den Schutz durch etablierte Fachkollegen existentiell angewiesen, gehörte doch die Beschäftigung mit der Französischen Revolution zu den Themen, die politisch in der Weimarer Republik keineswegs angesagt waren und bei denen sie auf keinerlei abgesicherte Traditionen in der vorherrschend nationalistisch orientierten historischen Forschung der damaligen Zeit zurückgreifen konnte. Aber auch als »Gattin« des verehrten Otto Hintze sollte Hedwig Hintze bald spüren, daß sie mit ihrem Interesse für die Französische Revolution in Tabuzonen der Zunft vorstieß. Ihre Einleitung zu der deutschen Übersetzung von Aulards betont demokratisch-republikanisch orientierter »Geschichte der Französischen Revolution« (1924) ging offensiv mit dem »Erbe« der Französischen Revolution um. In einem Zeitungsartikel von 1926 bestimmte sie ihre Funktion als Herausgeberin von Aulard folgendermaßen:

»In einer Zeit, in der unsere junge deutsche Republik noch um Form und Festigheit ringt, erschien es mir als eine im besten Sinne nationale Aufgabe, meinen Landsleuten ein berühmtes Vorbild republikanisch-demokratischer Kämpfe und Erfolge näherzubringen.«

Aber nicht nur ihre Begeisterung für die von der konservativen Historikerzunft verpönten »Ideen von 1789« und ihr Bekenntnis zur demokratischen Verfassung der Weimarer Republik, sondern auch ihr engagiertes Wissenschaftsverständnis, das tagespolitische Stellungnahmen nicht ausschloß, stellte eine große Provokation dar. Entsprechend heftig war die öffentliche Reaktion. Während sich liberale Rezensenten durchweg positiv äußerten, war die Rezeption auf konservativer Seite äußerst negativ. Heinrich Ritter von Srbik, der selbst mit Forschungen zur Metternichschen Restaurationszeit hervorgetreten war, bemängelte vor allem, daß Hedwig Hintze sich vorbehaltlos der angeblichen Jakobinerverehrung Aulards angeschlossen habe:

»Und schließlich, so weit ist es mit uns Deutschen am Ende denn doch wohl noch nicht gekommmen, daß wir ohne Einschränkung mit Aulard die Französische Revolution als >politisches und soziales, vernunftmäßiges Ideal< ansehen müssen ...«

Hedwig Hintzes öffentliche Antwort »Die Kampfesweise des Ritters von Srbik« deckte mutig die denunziatorischen Strategien ihres Gegners auf, zeigte zugleich aber auch, wie sehr sie bereits politisch in die Isolierung geraten war. Das scheint sie aber zu der Zeit noch wenig bekümmert zu haben. In prononcierten Aufsätzen über den liberalen Verfassungsrechtler Hugo Preuß -  einen der »Väter« der Weimarer Verfassung, und zu den demokratischen Traditionen in der deutschen Geschichte (»Der deutsche Einheitsstaat und die Geschichte«, 1928) entwickelte Hedwig Hintze ihren linksliberalen Kurs weiter und legte ein offenes Bekenntnis zur Weimarer Republik ab, auf die die etablierte Forschung nur mit fassungslosem Schweigen reagieren konnte.
Ihr Habilitationsantrag, im Jahre 1928 war unter diesen Umständen sehr gewagt und hatte Chancen wohl nur deshalb, weil die Gutachter nicht wagten, ihren der Linksabweichung gewiß unverdächtigen Kollegen Otto Hintze zu desavouieren. Dem linksliberalen jüdischen Historiker Gustav Meyer, der über eine vergleichbare Protektion nicht verfügte, gelang die Habilitation jedenfalls nicht.
Aber auch im Falle von Hedwig Hintze stand der Erfolg des Habilitationsverfahrens auf Messers Schneide. Zwar war wissenschaftlich gegen ihre Arbeit über »Staatseinheit und Föderalismus im alten Frankreich und in der Revolution« nichts einzuwenden, aber ihr linksliberales Image löste bei den Gutachtern doch große Skrupel aus. Einer der Gutachter, immerhin ein Schüler und Verehrer Otto Hintzes, schrieb:

  • »Hätte ich nur über die Habilitationsschrift zu urteilen, so würde ich ohne Bedenken für die Zulassung zu den weiteren Leistungen stimmen. In manchen der anderen Schriften aber, vor allem in den Einleitungen zu der deutschen Übersetzung von Aulards Revolutionsgeschichte wie zu den verfassungspolitischen Entwicklungen von Hugo Preuß scheint mir Frau Hintze ihre wissenschaftliche Aufgabe zu gunsten einer halb persönlichen halb politischen Stimmungsmache verkannt zu haben. Sie tritt darin mit unkritischer Einseitigkeit für die beiden Männer und ihre Arbeiten ein, ohne auch nur den Versuch zu machen, sie in den Zusammenhang der Geschichte ihrer Wissenschaften einzureihen und ihre historische Bedingtheit - die Aulard und Preuß ebenso besitzen wie ihre Gegner - zu schildern. Ich glaube, daß die politische Sympathie hier die Kritik unterdrückt hat.. . Ich sehe der künftigen akademischen Wirksamkeit der Habilitandin nicht ganz ohne Sorgen entgegen...«

Trotz solcher Bedenken wurde Hedwig Hintze jedoch nach einem Probevortrag über »Der nationale und der humanitäre Gedanke im Zeitalter der Renaissance« und einer Antrittsvorlesung über »Epochen der französischen Revolutionsgeschichtsschreibung (Taine-Aulard-Jaurès-Mathiez)« noch im Jahre 1928 habilitiert. Beigetragen zu dem erfolgreichen und raschen Abschluß des Verfahrens hat wohl nicht nur die Rücksichtnahme auf Otto Hintze, sondern auch die außergewöhnlich hohe Qualität der eingereichten Habilitationsschrift, die, wie ein Gutachter schrieb, weit über dem Niveau sonstiger Habilitationsarbeiten lag.
Otto Hintze selbst hat, sosehr er in der politischen Gesamtrichtung wie auch in Einzelfragen von Hedwig Hintze differiert haben mag, sich nie öffentlich von seiner Frau distanziert, sosehr dies seine Schüler und Freunde auch wünschten. Der wiederholt unternommene Versuch, einen Keil zwischen ihn und seine Frau zu treiben, mißlang. Nach Otto Hintzes Tod, als dieser sich nicht mehr dagegen verwahren konnte, versuchten Schüler und Freunde wenigstens im nachhinein tiefgehende politische und menschliche Kontroversen zwischen den Ehepartnern zu konstruieren, um auf diese Weise ihren ehemaligen Lehrer politisch zu entlasten:

  • »Ich glaube, daß er die Anbeterin von Aulard nie geheiratet haben würde. Aber sie hat sich zunächst mit der Anpassungsfähigkeit ihrer Rasse ganz als hingebende Schülerin gezeigt und seine Ideen aufgenommen; auch hat wohl weniger er sie als vielmehr sie ihn geheiratet. Ihr Gedanke war dabei wohl, eine Rolle in Hintzes gelehrtem >Salon< zu spielen, den sie mit offenen Nachmittagen groß und elegant aufzog. Als Hintze krank wurde, ist sie dann geistig ihre eigenen Wege gegangen zu Aulard und Henri Sée, politisch ganz zur Demokratie und zum Pazifismus. Er ist, als er sich seit 1922 wieder allmählich erholte und auf sich selbst besann, diesen Weg nicht mitgegangen und hat gelegentlich in ihrer Gegenwart sich sehr ablehnend zu ihren Ideen geäußert.«

Richtig daran ist, wenn man einmal von den rassistischen und sexistischen Ausfällen absieht, daß Otto Hentze im Gegensatz zu seiner Frau kein Linksliberaler war. Der wissenschaftliche Werdegang des Ehepaares in den zwanziger Jahren zeigt dennoch durchaus Berührungspunkte. Dabei drehte sich - auch wenn Otto Hentze dies nicht immer bemerkte und sich seiner Frau bis zum Schluß wissenschaftlich überlegen gefühlt hat - das ursprüngliche Lehrer-Schülerin-Verhältnis um: Otto Hentze begann von seiner Frau zu profitieren. Sein Interesse für den historischen Materialismus, dem er freilich immer skeptisch gegenüber blieb, seine Europa-Orientierung und seine zunehmende Betonung von wirtschaftlichen Faktoren sind ohne den Einfluß von Hedwig Hintze nicht denkbar.
Die politische Entwicklung Ende der zwanziger Jahre der sich verschärfende Antisemitismus und der blindwütige Haß gegen alles, was marxismusverdächtig war - verhinderte es, daß Hedwig Hintze die >Sonnenhöhen< der Wissenschaft, von denen sie als Siebzehnjährige naiv geschwärmt hatte, erklimmen konnte. Zwar war sie als nichtbeamtete und nichtbesoldete Privatdozentin tätig und hielt Lehrveranstaltungen ab, das politische Klima verschlechterte sich aber so rapide, daß ihre Chancen, einen Ruf auf eine ordentliche Professur zu bekommen, gleich Null waren.
Die Machtübernahme durch die Faschisten 1933 setzte der wissenschaftlichen Karriere dann auch formal ein Ende. Im September 1933 wurde sie aufgrund des Paragraph 3 des »Gesetzes über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« aus dem Dienst entlassen. Sie war nicht die einzige. In einer offiziellen Verlautbarung der Berliner Universität vom 1. April 1935 wurde stolz bilanziert, daß seit 1933 »234 nichtarische und jüdisch versippte Professoren und Dozenten entlassen oder gestrichen wurden oder ihnen die Lehrbefugnis entzogen wurde«. Das waren immerhin 6,25 Prozent der planmäßigen und 10 Prozent der nicht planmäßigen Dozenten.
Bereits vor ihrer Entlassung aus dem akademischen Amt war Hedwig Hintze als Mitarbeiterin des Rezensententeils der »Historischen Zeitschrift« ausgebootet worden. Otto Hintze legte daraufhin sofort seinen Sitz im Gremium der Mitherausgeber nieder. Im übrigen zeigte sich aber, wie gering inzwischen seine Macht war. Zwar weigerte er sich standhaft, sich von seiner Frau zu trennen, und nahm auch persönliche Diffamierung und Verfolgung wegen seiner »jüdischen Versippung« auf sich, helfen konnte er seiner Frau aber nicht.
Hedwig Hintze scheint den Ernst der Lage klarer als ihr Mann gesehen und sich nicht darauf verlassen zu haben, daß sie durch die »Mischehe« vor Verfolgung sicher war. Bereits Ende 1933 ging sie nach Paris, wo sie für eine Zeitlang eine Anstellung als Maître de Recherches beim Centre de Documentation Internationale Contemporaine erhielt, was einen Kollegen von Otto Hintze zu der bösartigen Bemerkung veranlaßte, daß »Frau Hintze besser täte, ihren Mann zu pflegen, statt in Paris die Rolle der politischen Märtyrerin zu spielen«. Ihre Lage in Deutschland wurde immer unerträglicher, ihr Versuch, zwischen Deutschland und Frankreich hin und herzupende1n immer gefährlicher. Buchstäblich im letzten Moment, im August 1939, gelang ihr die Emigration nach Holland. Sie scheint Holland und nicht das ihr vertraute Frankreich gewählt zu haben, weil Holland als besserer Ausgangspunkt für die weitere Flucht nach Nord- und Südamerika galt. Offensichtlich - und die spätere Entwicklung sollte ihr recht geben - fühlte sie sich in Europa ihres Lebens nicht mehr sicher. Otto Hintze war für eine Emigration, zumal in ein außereuropäisches Land, zu alt und unflexibel. Mit einer Haushälterin, die ihm Hedwig Hintze noch kurz vor ihrer endgültigen Emigration besorgt hatte, verlebte er seine letzten Lebensjahre in zunehmender politischer Isolierung. Über den Ernst der Lage und die Lebensgefahr, in der seine Frau schwebte, war er sich bis zum Schluß nicht klar, wie die Postkarten zeigen, die er vom August 1939 bis zum April 1940 an seine Frau fast täglich schickte. Diese Postkarten sind rührende Dokumente der Anhänglichkeit des alternden Mannes an seine Frau, sie sind aber zugleich auch bedrückende Dokumente eines hilflosen Antifaschismus. Hedwig Hintze hat diese Karten, die sie in ihrer letztwilligen Verfügung als das »Kostbarste, was ich hinterlasse« bezeichnete, sorgfältig aufgehoben. Sie sind erhalten geblieben, nicht aber die Briefe, die Hedwig Hintze an ihren Mann in Berlin geschrieben hat. Nach Otto Hintzes Tod im April 1940 haben seine Verwandten alle persönlichen Unterlagen von Hedwig Hintze vernichtet, um die Erinnerung an die »widerliche Jüdin«, wie sie der Historiker Adalbert Wahl bezeichnet hat, vollständig auszulöschen. Zugleich haben sie ihr die Herausgabe der Manuskripte ihres Mannes verweigert. Die Familie von Hedwig Hintze stand solchen Schurkereien übrigens in nichts nach. Die Schwester, die ebenfalls in einer sogenannten »Mischehe« lebte, wollte bis zum Schluß nicht begreifen, warum Hedwig Hintze ins Exil gegangen war und vernichtete die an sie gelangten Tagebücher aus Haß, Neid, Angst und Unverständnis.
Das Ende von Hedwig Hintze ist schnell erzählt. Ihre Situation im holländischen Exil war desolat. Wovon sie gelebt hat, ist unklar. Zwar versuchte sie, weiter wissenschaftlich zu arbeiten, aber die finanzielle Not war so groß, daß sie zumindest zeitweise gezwungen war, sich durch Tätigkeiten als Haushaltshilfe über Wasser zu halten. Immerhin war sie damals selbst bereits über fünfzig Jahre und durch die Anspannung der vorangegangenen Jahre nervlich und körperlich zerrüttet. Umstritten ist, ob sie 1941 einen Ruf als Associate Professor of History an die New School for Research in New York bekam, und wenn ja, warum sie diesen nicht annahm. Ob sie nicht mehr rechtzeitig den Absprung aus Holland schaffte oder ob sie innerlich bereits so zermürbt war, daß ihr die Kraft zu diesem Sprung fehlte, liegt im dunkeln. Verbürgt ist jedoch, daß sie sich am 19. Juli 1942 in einer Klinik in Utrecht das Leben genommen hat. Auf dem Totenschein findet sich der Vermerk: »Endogene Depression«.