September

Sonntag 1ten**
(**Fälschlich »31ten« datiert) - Wie ich R. meinen Traum erzähle und ihm sage, er spielte zu der Zeit, wo er mich nicht geliebt habe, antwortet er: »Du Törin, als ob wir uns jetzt so lieben könnten, wenn wir uns nicht immer geliebt hätten!« - Der Zufall bringt uns auf die sonderbare laxe Art der Katholiken - im Volk - die R. als Ehrlosigkeit bezeichnet, und er gibt mir recht, wie ich ihm sage, daß die Indulgentien[1] daran schuld sind, wenn die Leute es mit nichts ernst nehmen. - R. arbeitet; ich mit den Kindern im Garten. Nachmittags lese ich in der Geschichte der Niederlande von der Mutter und finde sie vortrefflich; wie ich R. mein Verwundern darüber ausspreche, daß W. von Oranien so wenig zum Gegenstand von Tragödien ausgesucht worden ist, antwortet er: »Was willst du, Eckert hat ihn ja komponiert, der ist sein Dichter-Mörder gewesen.« Ich lese nun Schiller über Bürger und muß zu Schiller stehen; es klingt mir eine unlautere Sentimentalität durch Schlegel.*** (***Datierung »Sonntag 1ten« wiederholt) - Der Brief des Vaters kommt noch nicht; die Kinder in der Kirche; R. an der Arbeit, ich mit Fidi im Garten. Nachmittags auch mit den Kindern im Park; sie spielen. R. kommt zu uns zum Spielplatz, bringt einen schönen Brief des Vaters, und wir beschließen unsre Reise. Eiliges Einpacken des Abends.
Montag 2ten
Unter Wehen der Fahnen von Sedan fahren wir 11 Uhr ab; schöner Eindruck der Ernte-Feste bei Liebenstein; Gänsejunge und Schafhirt! Freudenfeuer und Illuminationen - um 9 Uhr in Weimar an! Der Vater wohl und erfreut, schönes Zusammensein im Russischen Hof.
Dienstag 3ten
Den Vater besucht am Morgen, in der hübschen Hofgärtnerei, mit ihm und R. um ein Uhr gespeist, dann leider viel Volk (vor Tisch mit ihm Frau v. Meyendorff besucht); wir trennen uns gegen 5 Uhr, um abends wieder bei ihm mit Loens (die wir am Morgen besucht) und Frau v. M. zusammen zu kommen. Das ist viel für uns Einsiedler — das Schöne war, daß der Vater »am stillen Herd«[2] und »Isolden's Liebestod« mir spielte. Ich bin durch die Seelenmüdigkeit des Vaters furchtbar ergriffen; am Abend, wie er kaum sprach und ich alles mögliche erzählte,
R. mit Bon Loen, um die Stimmung auch seinerseits heiter zu erhalten, sich scherzend stritt über seine (R.'s) angebliche Popularität, ging mir wie die Vision des Lebens Tragik des Vaters auf ich mußte nachts viel weinen! ... (am frühen Morgen hatte der Vater mir Rosen von der Hofgärtnerei zugeschickt). Depesche von den Kindern, daß es ihnen gut geht.
Mittwoch 4ten
Ich frage beim Vater schriftlich an, ob er etwas ausgeruht - ich bleibe so wehmütig in seinem Betreff gestimmt, daß, wie Frau von Meyend. meinen Besuch erwidert und mich fragt, wie ich ihn finde, ich in Tränen ausbrechen muß, was sie erschreckt. Andere Besuche werden erwidert, dann bei glühendster Hitze in die Erholung mit dem Vater und Dr. Gille.[3] Sehr schöne, heitere und ernste Stimmung! Darauf ich mit dem Vater zu Frau Merian-Genast. Später unsere gute alte Frommann, und abends bei Bonin Meyend., wo der Vater uns das Andante aus dem G dur L. van Beethoven's, die Präludien von Chopin und seinen Mephisto-Walzer auf meine Bitte spielt. Er gedenkt viel der früheren Zeiten, wo wir zusammen auf dem Markt in Berlin Obst kauften - und der alte Zug der Zusammengehörigkeit findet sich ein. R. ist sehr guter Laune* (*Am Rand hinzugefügt: »Die stehende Redensart, wenn ein französisches Wort gebraucht wird: >wie der Lateiner sagt<, wird durch R. eingeführt«), fragt Dr. Gille, ob er mit dem spanischen »Gil mit den grünen Hosen« verwandt sei, was, da der Unglückliche einen flüchtigen Blick auf seine Beinkleider warf, uns sehr lachen macht, ein Lachen, das ich durch meine Naivität noch erhöhte, da ich dem Vater erklärte: >Das spanische Stück sei ein sehr anständiges Stück, es sei ja eine Frau, die die Hosen trüge<.
Donnerstag 5ten**
(**Über die ganze Seite (5./6. September) am Rand hinzugefügt: »Humoristische Klagen R.'s über seinen Mangel an Popularität in Weimar; niemand erkenne ihn. Er geht in [den] >Anker<, behauptet, dort Wanzen wie er leibt und lebt gesehen zu haben, und sagt, dahin müßte man gehen, um sein Volk kennen zu lernen.«)
Ich schreibe an Mar. M. - dann besuchen wir die gute alte Frommann, in deren kleiner Behausung mit Portrait von La Roche Jacquelein (!)[4] wir uns sehr behaglich fühlen. Gegen elf Uhr heim, der Vater holt uns ab; im ersten Augenblick merke ich, daß seine Stimmung verändert sei - er hatte es büßen müssen, daß er gestern seine große Neigung zu mir zeigte! Wir gingen zu ihm, um zu musizieren, aus der Götterdämmerung - und das Musizieren wollte nicht gehen. Er kam zur Baronin Loen, wo wir zu Tisch alle gebeten waren (mit Bojanowskis und Bomn Meyendorff) und war still und abgespannt, Frau v. M. still, aber zufrieden. Nach Tisch gingen wir noch einmal zu Fräulein Frommann und verweilten dort einige Zeit, um dann zum Vater zu kommen. Selbe Stimmung — R. äußerst liebenswürdig, hilft durch Witze aus, »ich möchte deine Augenbrauen haben«, sagt er zum Vater, was uns sehr lachen macht. Der Vater spielt uns das Adagio von 106 - alles aber mit Vorsatz, er sah mich kaum bei Tisch an, sprach nur mit Fr. v. M. - und von dem Projekt, das er gestern ausdrücklich entworfen, uns bis Eisenach zu begleiten, war nicht mehr die Rede.
Freitag 6ten
Um halb vier auf, gegen fünf fort, der Vater frühstückt mit uns und bringt uns zur Bahn; ruhiger Abschied. Ich gehe mit Trauer von dannen, nicht die Trennung schmerzt mich, sondern die Angst, ganz geschieden zu sein. R. bricht in der Eisenbahn in Unmut der Eifersucht gegen den Vater aus, der sich bald aber besänftigt. Glühende Hitze und Staub, R.'s Unwillen gegen die Eisenbahnen, die jede gute Sitte vernichten, macht sich Luft. Um 4 Uhr Ankunft in Bayreuth, frohes Wiedersehen der Kinder, Fidi in violettem Sammet-Anzug. Abends sehr müde um halb acht zu Bett.
Samstag 7ten
R. sehr unwohl. Er macht aber doch das Epitaph von Tausig's Grab,[5] das wunderbar rührend mir dünkt. Ich arbeite im Garten die Bemerkungen über einen Laudaten-Text, den mir der Vater anvertraut, aus. Nachmittags schreibe ich ihm und schicke die Arbeit. R. schickt ihm seine Werke mit einer Widmung »in Hans Sachs' Manier«. In die Schweizerei mit den Kindern, Advokat Käfferlein (Verwaltungsrat) dort angetroffen, der an dem Gelingen des Unternehmens nicht zweifelt. - Loldi, welche seine drei Hunde sieht, sagt: »Der eine gehört ihm, die anderen zwei sind eingeladen!« - R. leidend, wird unwillig, als ich davon spreche, dem Vater meine Schlafstube in der neuen Wohnung zu überlassen. - Die Velleitäten eines partikularistischen Ministeriums in Bayern führten zu nichts.
Sonntag 8ten
R. immer unwohl und bitter gestimmt; er erinnert sich daran, daß ihn niemand aufnehmen wollte u.s.w.
Montag 16ten
Beim Räumen der neuen Wohnung das Tagebuch wieder aufgenommen; seit Montag 9ten alle Tage um 8 Uhr in die Stadt gefahren, abends gegen 6, selbst 7 Uhr nach Fantaisie zurück; viel Einrichtungsnot, doch gute Laune. R. holt mich immer ab; Sonntag 15ten ganz auf Fantaisie geblieben; R. liest mir seine tags vorher vollendete prachtvolle Arbeit vor. Am ersten Tag der Einrichtung machte mir die Militärmusik auf Fantaisie einen wahrhaft zauberischen Eindruck, als ich heimkam, spielte sie das Meisterlied aus den Msingern - meine Müdigkeit war verschwunden. Auch der Mondschein auf den großen Bäumen hilft mir nur beunruhigt es R., daß ich mich dermaßen daran labe. - Schöner Brief des Vaters (Mittwoch), der seinen Besuch ankündigt. Später einen von Frau v. Meyendorff (ich hatte dem Vater angeboten, ihr zu schreiben), so freundlich als, ich glaube, sie es vermag. In diesen Tagen traf auch ein Ehrenbürgerdiplom aus Bologna für R. ein, was ihn sehr freute und die deutschen Städte wirklich beschämt. R. hat wieder Not mit seinem Architekten Brückwald, auch die Dekorationsangelegenheit geht nicht vorwärts, und wie es mit den Fonds steht, weiß ich nicht, nur so viel, daß Bon Loen nichts einkassiert noch zahlt, nachdem er 70 Patronatsscheine angegeben. Ach, R. hat sich zu viel aufgebürdet! Hübscher Brief von Marie M. - auch von der Mutter, der es nun gut geht. - Große Freude machte mir R. gestern abend, indem er mir aus Görres' Vorrede zu Lohengrin[6] vorlas; Zusammenhang des Grals-Mythus mit anderen Mythen des Altertums, tief anregend und fesselnd. - Auch ein hübsches Gedicht von A. Schlegel (der h. Lucas) liest mir R. vor, er hatte dabei an mich, meine »Passion für die bildenden Künste« gedacht. Heute (Montag) an M. Muchanoff geschrieben; R. holt mich um vier Uhr ab, erzählt mir im Wagen, er habe geheult wie ein Kettenhund, er habe die Zueignung des »Faust« gelesen, und in Folge des Gespräches nehmen wir wiederum den ersten Teil abends vor, und R. liest es mir - wie ich es nie wieder erleben werde. Er suchte sich selbst dabei den Ton zu vergegenwärtigen, in welchem dies gesprochen werden sollte, durchaus einfach natürlich, alles sei verloren, wenn der Schauspieler zu verstehen gäbe, daß er den metaphysischen Gehalt ahne. »Meer und Land, hier ist der ganze Plan gegeben«, - sagt R.
»da flüchtet sich Goethe's Optimismus, er denkt, schließlich sind das Gegebenheiten, die bleiben, trotz allem Hin und Her.« Tief ergriffen und im höchsten Sinne erheitert durch seine Vorlesung und sein Gespräch geh ich zu Bett.
Dienstag 17ten
R. korrigiert sein Manuskript und schickt es ab; ich verpacke einiges, sende es zur Stadt und gehe mit den 5 Kindern spazieren; Mittagstisch mit den Kindern, Nachmittag mit R. eine herrliche Wanderung durch Wald, Feld und Dörfer, schöne Herbstluft - gleich zu Anfang Begegnung des Herrn v. Lerchenfeld (»er sieht aus wie ein spanischer Lakai«), der fast Minister geworden ist, jedoch sehr freundlich tut! - Schöner Mondschein, »das ist der heitre«, - sagt R. — »der trübe, das ist der abnehmende, den man völlig erschrickt, plötzlich in der Nacht zu erblicken, und der über Stadt-Türme, durch enge Fensterscheiben zu einem dringt«, - dies bringt ihn wieder auf den »Faust«, »das ist durchaus ein Kultur-Gedicht«, sagt R., »so populär die Figuren sind, ja förmlich auf Kasperl aufgebaut, so abstrakt die Objekte, es ist die ganze Entwickelung der Menschheit«. Die Vorrede zu Lohengrin von Görres fesselt ihn sehr, »wie seltsam«, sagt er, »daß ich gerade jetzt dies wieder treffen und lesen muß, da mich die Gedanken über römische und deutsche Welt so beschäftigen«. Eine große Freude macht ihm der in den Zeitungen ausgesprochene Gedanke eines Königreichs Alemannien mit dem Großherzog von Baden als König; »das wäre das schönste deutsche Land«, sagt R.
Mittwoch 18ten*
(*Über der Seite von der Hand Cosimas: »(noch in Fantaisie)«) - R. hatte leider eine sehr üble Nacht - gestern warf ein Wort von ihm einen völligen Trauerschleier auf meine Stimmung, er sagte, er glaube ein Herzleiden zu haben! Nach dem Spaziergang saßen wir beim Donnweyer (Goldener Pfau in Eckersdorf) und soupierten, ob ihm da etwas schlecht bekommen?... Er korrigiert an seinem Manuskript, ich gehe mit den Kindern durch den Park, wir machen mit Fidi eine Wanderung von beinahe 4 Stunden, die Kinder sehr heiter, Fidi unglaublich munter, ohne jede Müdigkeit, ich nehme in meinem Herzen Abschied von den so lieb gewordenen Bäumen! R. treffen wir leider nicht wohl an, nach Tisch bricht er in Unmut aus. In tiefer Stille fahren wir nach der Stadt, wie wir an dem Kirchhof vorüber kommen, zeigt ihn mir R. mit dem Finger. - Das Haus noch sehr zurück; Stockers haben unsäglich ungeschickt verpackt, die Hälfte - das Notwendigste fehlt. - Dazu hat R. eine recht unangenehme Begegnung mit einem Herrn Kastner,[7] der ihm von Kmeister Larssen aus Weimar als Kopist empfohlen wird, mit welchem wir selbst eine böse Erfahrung gemacht (deren Einzelheiten wir aber vergessen haben), und der R. einen höchst unangenehmen Eindruck macht, trotzdem er größten Enthusiasmus affektiert (lieber hier Kopist als Kmeister anderswo sein will u.s.w.). - Stille Heimfahrt, stiller Abend. Immer Mondschein zu Freud und Leid —
Donnerstag 19ten
R. hatte eine bessere Nacht, doch hat er Kopfschmerzen und ist trübgemut. — »Du bist es einzig, die mich hält, wenn ich dich nicht gefunden hätte, wie hätte ich mehr zu einer Unternehmung Lust gehabt, der Ekel hätte mich übermannt. Die Leute hatten es im Instinkt, daß ich nichts mehr tun würde, und ich im Gefühl. Es ist auch zu erbärmlich, was ich erreicht habe; von keiner Seite werde ich wirklich gehört; wenn ich nur einmal von einer hohen Seite über die Reform des Theaters befragt worden wäre - aber dieses Nichtbeachten! - Alle unsere guten Kräfte gehen dem Maschinenwesen zu, in den Familien werden die Söhne Ingenieure, wandern womöglich nach Amerika aus, aber was zurück bleibt und der Wissenschaft sich widmet, ist geistlos.« Er freut sich aber an Fidi und sagt, er möchte gern wissen, ob er so in der Kindheit gewesen wäre. »Ja, alles muß man sich selbst bereiten, unsren Fidi haben wir uns machen müssen.« Regenwetter, ich schreibe nach »Delikatessen«; R. korrigiert, er weiß, daß alle Großen wie er empfunden haben. »Goethe erhielt sich durch seine wissenschaftlichen Passionen.« (Der Vater schrieb ihm gestern, um für die Widmung in Hans Sachs' Manier zu danken). Er macht sich auf zur Stadt, ich mit den Kindern in die Schweizerei, der Regen überrascht uns. Georg, von der Stadt kommend, holt uns ein, er bringt die Photographien, von Brückwald geschickt, und einen Brief von Marie Schleinitz, welche meldet, daß der Sultan[8] 10 Patronatsscheine nimmt, eine Notiz, welche R. wenig Freude macht, da es den Stolz der deutschen Unternehmung trifft. R. kehrt ziemlich spät heim, doch können wir noch etwas in Görres' Vorrede lesen, die mich - namentlich, da sie mir ganz unbekannt war - äußerst fesselt. - Der Regentag schließt gut mit Mondschein.
Freitag 20ten
Letzte Wanderung durch Fantaisie mit den Kindern, Fidi immer mit; es wird melancholisch hier, alle die kleinen Habseligkeiten werden eingepackt, »ich wende mich gern von dem Vergangenen ab, zu dem, was Zukunft hat« - auch hören wir, was unsre Stimmung trübt, von einem großen Brand in der Stadt, der gerade unsren Tapezierer diesen Morgen betroffen, er soll argen Verlust erlitten haben und sein Sohn soll selbst verunglückt sein! (Von A. Röckel erfährt R. durch dessen Sohn, der sich als Chorist meldet, daß er ganz verkommen sei! Das veranlaßt einen Überblick aller Beziehungen - ach! wie jammervoll verlief fast alles.)
Dienstag 24ten
im neuen Hause[9] in der Stadt; Sonnabend Aus- und Einzug; Mittag in der »Sonne«, viel Mühseligkeit; keine Köchin, auch keine Hausmagd! Sonntag; Frühstücksnot, die vornehme Hülfskochfrau macht keinen Kaffee, verbraucht das Wasser, endlich gegen 10 ist der Kaffee gemacht, und unser Wachtmeister schüttet ihn aus, was allerdings den Mißmut in helles Lachen verwandelt. Nachmittag Ankunft unsres Neffen Fritz Brockhaus - nicht ganz gelegen, weil alles sehr unordentlich noch und R. leider sehr unwohl.
Montag. Der Tag läßt sich besser an; Besorgungen, Fritz zur Bahn begleitet, mit den fünf Kindern; zu Hause auf das Geratewohl zu Mittag gegessen, R. immer unwohl; abends einige Beethoven'sche Sonaten durchgegangen. (Besuch von Herrn Feustel; der uns mancherlei über die Mißhelligkeit zwischen Preußen und Bayern mitteilt; der König verletzte den Kronprinzen, indem er ihm keines seiner leeren Schlösser zur Bewohnung, nachdem dieser seinen Besuch in Bayern angemeldet, anbot; der Kronprinz hierauf kränkt den König, indem er einfach meldet: Ich werde die Armee inspicieren, was nach dem Versailler Vertrag nur im Übereinkommen mit der bayerischen Regierung geschehen darf, worauf der König Herrn v. Gasser Befehl erteilen läßt, ihm ein Ministerium zu Stande zu bringen, das seine Rechte wahrt; das Ministerium scheitert daran, daß der König Herrn v. Gasser gar nicht empfängt! Gott weiß wie dies noch endet!) - Dieser Tag beginnt freundlich; nur die Mittagsstunde, die wir im Hotel zubringen müssen, ist peinlich; R. immer nicht wohl, wird sehr unwillig — was ich, ach Gott! ihm nicht verdenken kann, die Lage ist zu ungemütlich; es ist kalt, es fehlt an Bedienung, die Sachen nur zur Hälfte da, der Tapezierer abgebrannt, dabei unsägliche Ausgaben - Herr Hoffmann, der Dekorationsmaler, hat aber endlich geschrieben, und es wird zu einer Konferenz kommen. (R. meldet Feustels die Patronatsscheine des Sultans und sagt: Nun müsse man auch für einen Harem sorgen). - R. noch rührend gut und freundlich, sich immer entschuldigend, während ich immer nur im Kummer über seine Not und Unwohlsein bin! - Er liest mir abends im »Hieron« von Xenophon - mit Erstaunen und Entsetzen wiederum wahrgenommen, wie fremd diese Welt uns ist. Die Griechen haben aber einen Vorzug über uns, den der fast tierischen Naivität und Wahrhaftigkeit. Zu Bett!
Mittwoch 25ten
Immer räumen und ordnen, immer keine Köchin, was uns zwingt, in's Hotel zu gehen; die geringschätzige Behandlung [in] der Sonne gestern (weil wir ein einfaches Mahl bestellt) führt uns zum Reichsadler, wo wir unter der frechen Sitte der Leute, einen mit Lorgnette ununterbrochen zu begucken, zu leiden haben. Endlich ist heute der Rest der Bibliothek R.'s angekommen, so daß nun seine Stube in Angriff genommen werden kann; große Unruhe und Unmut R.'s, er kann nichts tun, ist immer nicht wohl, und was von außen kommt, ist nicht gerade herzstärkend - gegen mich aber ist er nur Liebe und Güte und weint: ich täte ihm leid! (Brief von H. v. Gersdorff).
Donnerstag 26ten
Immer weiter in Urväter-Hausrat gearbeitet, und immer keine Hülfe; die »Sonne« kommt vorjammern, daß wir im Reichsadler speisten, doch bleiben wir dabei für heute; R. ist aber so unwohl, daß wir uns entschließen, um keinen Preis morgen noch in [den] Gasthof zu gehen, ich wandre wieder zu der Frau, die Dienstboten dingt, und heute schimmert einige Hoffnung - die Kinder sind wohl, wäre R. nicht so leidend (er hat wieder eine üble Nacht gehabt!), ich könnte froh und heiter sein, trotz aller Nöte - so aber kommt die Sorge zu den Lasten! - Er erzählte mir, daß er die Nacht allerlei »eitle Träume« gehabt, u.a. daß wir mit dem König von Bayern gefahren wären, der uns in der ostensibelsten Weise seine Huld bezeigt hätte; dann wäre er mit Meyerbeer Arm in Arm in Paris gewesen, und M. ebnete ihm die Bahnen des Ruhmes, dann aber auch ein regelmäßig wiederkehrender Traum - daß ein Wechsel fällig ist und nicht einkassiert wird, und er seine Wohnung nicht zahlen könnte. Wir sprechen über diese regelmäßig wiederkehrenden Träume, die er hat, u. a. ist ein Freundschaftsverhältnis mit dem verstorbenen König von Preußen ganz stehend, der König überhäuft R .mit Liebesbezeigungen, spricht vor Rührung nur mit Tränen in den Augen u.s.w.
Freitag 27ten
Mein Namenstag; R. entschuldigt sich lieb, ihn vergessen zu haben, das sei ihm zu katholisch - ich denke an unsren Abschied von Fantaisie, R. dankte mir, die fünf Monate dort »so gut und freundlich« gewesen zu sein, wie mußte ich ihm aber danken, diesen Punkt gewählt zu haben, wo die Kinder so froh und gesund waren, Tribschen in nichts vermißten - auch hier sorgt er für sie, gedenkt stets ihrer, mehr noch als ich - Brief des Vaters, der sich für Ende nächster Woche ankündigt. Auch ist eine Aushülfe-Köchin da, so daß wir heute wieder zu Hause recht gemütlich mit den Kindern speisen. Nachmittag ein etwas ungeschickt freundlicher Brief von Frau v. Helldorf,[10] einer früheren Beziehung, die sich wiederum nähert. Abends der gute J. Rubinstein zum Abschied - R. wirft mir vor, ihn zu kalt entlassen zu haben, was ich sehr
bereue. - (R. ordnete heute die Bibliothek mit Lusch und »schimpfte« auf die »Vielschreiber«, Lateiner etc.). Gestern lasen wir in »Hanswursts Hochzeit« und in den Paralipomenen des »Faust«, wo der Vers »wer hören muß, wird endlich matt« uns bis zu Tränen lachen macht. - »Frisch zerronnen halb gewonnen« - (Richard).
Sonnabend 28ten
R. hatte eine bessere Nacht, er arbeitet an seiner Bibliothek, und ich räume die Papiere! Um ein Uhr [zu] Tisch, immer mit den Kindern; nach Tisch erhält R. eine Depesche, R. sagt, sie sei von Lenbach, und er teilt mir mit, er habe diesem meines Bildes wegen telegraphiert, was eine melancholische Stimmung hervorbringt, da ich ihn sehr bat, doch den Künstler nicht zu drängen, es ist mir peinlich, ein Geschenk angenommen zu haben, wo ich nichts erwidern kann, und namentlich etwas zu fordern, was mir geschenkt wurde. R. aber kann den Gedanken nicht ertragen, daß mein Bild dort im Atelier stehe. - Am Abend der von Richter empfohlene Oberkopist[11] aus Pest; gestern den aufgeregten Israeliten, heute den schweigsamen Magyaren! - R. ist aber mit meinen Hausanordnungen zufrieden, was mich beglückt. Er bleibt spät auf und wird mit der Aufstellung der Bücher fertig. (Viele Brände um Bayreuth, doch die Stadt und ihre Lage gefällt R. immer mehr).
Sonntag 29ten
Immer gewirtschaftet, R. sehr weich in Folge meiner Empfindung von gestern. Er schreibt an den türkischen Gesandten. Besuch des Bürgermeisters mit Frau. Nachmittags gehen wir spazieren, R. gedenkt, wie lange er keiner Stadt angehört habe, und welch behagliches Gefühl über ihn komme, mit mir verheiratet und nun Mensch mit Menschen[12] zu sein. Wir nehmen uns vor, die nächste Umgebung der Stadt kennen zu lernen. Der Regen beginnt; wie wir zum Grünen Baum einkehren, erkennt eine Frau R. und verlangt einen Schirm »für Herrn Richard Wagner«. Ich schreibe an M. Schleinitz; abends beginnen wir »Signor Formica« von Hoffmann, dessen R. sich zu Mittag erinnerte und der uns sehr gefällt! (Brief von Misses Svendsen).
Montag 30ten
Endlich kommt der Genelli wieder an, den wir wegen Reparatur so lang entbehrten, R. nennt es das Schönste, was wir haben, und ich freue mich, daß es mir, wie er die Msinger vollendete, gelang, dieses schöne Blatt zu acquirieren und ihm zu Füßen zu legen. Ich mache Besorgungen am Morgen, R. ordnet, nach Tisch gehen wir spazieren und gelangen durch Umwege, mit immer gesteigerter Freude an der Lage und Gegend, bis zu unsrem Theaterbau. Bunter vulkanischer Anblick, die Erde grün und rosa, »da ist ja schon der Venusberg«, sagt R. In der Dunkelheit, in bester Stimmung aber, heim. Ich schreibe noch an den Vater, zum Abendtisch zwei Holländer (Musiker), sehr eigentümlich und angenehm, die nach Bayreuth gekommen sind, um R. zu sehen. »Sie haben uns den Weg in der Pilgerfahrt zu Beethoven[13] [gezeigt]«, sagen sie. R. bemerkt, daß die eigentümlich ächt deutsche Art sich vielleicht besser entwickelt in der Provinz als im deutschen Lande selbst. R. entläßt sie früh, und wir beendigen mit großem Vergnügen den »Signor Formica«.