Oktober

Sonntag 1ten
Herr und Frau Wesendonck melden die Verlobung ihrer Tochter Myrrha mit einem Herrn von Bissing; was R. insofern unterhält, als ich scherzend davon gesprochen hatte, da eine Heirat mit unsrem Neffen Fritz zu Stande zu bringen. - R. komponiert und schreibt Briefe; ich bin so müde von der beständigen Kinderwache, daß mich R. beinahe zu Bett tragen muß. - Brief von M. Meysenbug, die in München Rheingold und Walküre gesehen!! R. entsendet Siegfried an M. Schleinitz mit folgendem Vers: Nennt ihr Genius die Kraft, die das ächte Werk der Kunst erschafft, nenne ich Lieb und Treu die Huld, die ihm zahlt der Menschheit Schuld.
Montag 2ten
R. ruft mir zu: »Wir sind doch ein glückliches Ehepaar, wenn es draußen so stürmt, denke ich daran, daß unsere Stürme vorbei sind. Deswegen, weil du mich liebst, ist aber die Welt doch nicht die beste, denn liebtest du mich nicht, so wäre sie einfach nicht mehr für mich da.« Brief Claire's. - R. arbeitet so lange, daß wir erst nach zwei Uhr speisen. R. übermäßig lieb und gut, sagt mir: »Du bist die Erfüllung von allem, wovon das Leben mir selbst nicht die Verheißung gegeben!« - Ich fahre zur Stadt; Einkäufe für Wilhelm. Ich bringe einen hübschen Brief von Herwegh, der aber immer in der liberalen Schablone befangen ist. Abends liest mir R. einiges aus der Edda vor. - (Moltke an der Spitze des Protestanten-Vereins!)
Dienstag 3ten
Sehr unruhige Nacht; Fidi kein Auge geschlossen und beständig geplaudert. - Gestern hatte mir R. sehr Rührendes von den Frauen des 17ten, 18ten Jahrhunderts [gesagt], unter andrem der Frau Geßner's;[1]sie haben durch ihre Treue und ihren geweckten Sinn die großen Männer hervorgebracht. Das Ehepaar Geßner, sehr ergreifend, ich frage, ob es der Idyll-Geßner ist, das führt uns auf Bodmer und die Widmung des Nibelungenliedes an Friedrich den Großen und dessen Urteil darüber, R. knüpft daran die Bemerkung, daß große Staatsmänner nicht an historischen Gedanken hängen, sondern im Augenblick das Richtige tun, wie es der Augenblick erfordert; der historische Standpunkt sei für das politische Leben ungefähr das, was die Museen für die Kunst. »Ach! überhaupt, wenn die Musik nicht dazu bestimmt ist, unsre ganze Welt neu zu beleben, ist sie nicht viel mehr wert.« - R. arbeitet und spielt mir dann das herrlich dämonische »helle Wehr« der armen Brünnhilde. Oft, sagt er, kommt es ihn an mit Schaudern, wenn er es plötzlich müde würde, an diesem Werk zu schaffen — »doch«, beruhigt er mich, »jetzt, da ich so weit bin, werde ich es wohl auch fertigmachen«. An Rothschild geschrieben, der mir wiederum mein Geld nicht schickt! - Bin leidend, sehr ermüdet; R. bringt einen Brief von Luise von Bülow, Hansen's Stiefmutter, an Daniella, sie wünscht die zwei ältesten Kinder zu sehen; so schwer mir das Opfer wird, ich entscheide mich sofort, die Kinder morgen nach Weggis zu schicken. R. tadelt mich, sagt, sie könne hier die Kinder besuchen, allein ich mag die Kinder nicht von ihrer Familie trennen, und in Gottes Namen!
Mittwoch 4ten
Abschied von den Kindern und tüchtiges Tuch-Winken vom Dampfschiff und vom Tribschner Ufer. Diese Abwesenheit der Kinder ist mir wehmütig. - R. arbeitet; darauf Kindertisch, mit Wilhelm, weil es dessen Geburtstag ist. Darauf Ausfahrt, später Fidi zu Bett gebracht. Er löscht sein Licht selbst lachend aus und legt sich dann ruhig hin, was R. sehr rührt, er sagt, es sei für ihn das Sinnbild eines edlen, freien, schönen Todes. Abends kommen unsre Neffen heim; ich genieße ihre Gesellschaft nicht ganz wie sonst, weil ich zu müde bin. Vreneli von Weggis zurückgekehrt, bringt mir viele Grüße von Luise von Bülow und sagt, sie habe sich ungeheuer gefreut, die Kinder zu sehen.
Donnerstag 5ten
Die Kinder zurück; trauriger Eindruck, daß Boni ganz besonders ausgelassen dort gewesen sei und, ohngeachtet dort alles in Trauer war, zu wildem förmlichen Jubel sich hat hinreißen lassen. Viel mit unsren Neffen verkehrt, die uns immer näher und näher treten. Ich bin durch Boni in große tiefe Melancholie versetzt, die ich einzig R., dem ich alles anvertraue, mitteilen kann.* (*An die Seite geschrieben: »Mit R. lange Betrachtung eines erstarrenden Schmetterlings, auf einem Baum; ein wunderschöner Admiral.«) Abends mit den vier Kindern und zwei Neffen im Circus. R. bemerkt vom Hanswurst, es sei der Mensch als Tier; habe gar kein Ehrgefühl, sei nur empfindlich gegen physischen Schmerz. Das Orchester betrachtend, das nicht übel spielt, sagt er: Das muß man nur bedenken, daß der Musiker von daher kommt. - Trotzdem der Lärm ihn sehr angreift, ist er außerordentlich heiter, freut sich an der Freude der Kinder...
Freitag 6ten
Während R. arbeitet, großer Spaziergang mit Kindern und Neffen; eine gute deutsche Meile läuft auch Eva mit. R. erhält Briefe von Bon Loen, Dr. Kafka und Herrn Heckel, alle stimmen eigentlich für die Grundsteinlegung. Abends lebende Bilder, welche die Kinder stellen und welche unsren Neffen außerordentlich gefallen.
Sonnabend 7ten
Brief von Herrn Rothschild; er ignoriert, daß er während der Belagerung von Paris mir keine Zahlung gemacht hat, und schickt mir für diesen Oktober nichts, berechnend, daß er mir vom Januar an das ganze Jahr 1871 ausgezahlt habe. Ich reklamiere und will bloß erfahren, ob nach meiner Trauung mit R. der Vater etwa den Befehl erlassen habe, mir nichts auszuzahlen; sonst begreife ich das Versehen von R.* (*Hier: Versehen von Rothschild) nicht. Ich schreibe ihm; außer dieser Unannehmlichkeit kommt noch hinzu, daß R. mir von der Notwendigkeit spricht, in Bayreuth die Leute, die zur Grundsteinlegung kämen, zu empfangen und [zu] bewirten, trotzdem wir eigentlich die Mittel dazu nicht haben und R. noch manche Schuld abzutragen hat; tiefste Sorge hierüber; mit Kummer erkenne ich, daß ich hierin R. heiteren Mutes nicht folgen kann, ich kenne nur Entbehren, und sei es das Bedeutendste, lieber als Schulden; auch habe ich kein Vertrauen in die Einnahmen, die sich R. verspricht. Ich überwinde alle Sorge und schweige; wie hart aber ist das Leben, wie trübe, wer möchte hier noch etwas wollen? Nachmittags unsren Neffen entgegen, die am Morgen nach Flüelen gefahren sind und jetzt nach Basel heimreisen. -Die Kinder im Velocipede-Karussell. - Hermine immer [noch] nicht heim, trotzdem ich sie dringend ersucht habe zurückzukehren. An Frau Tausig geschrieben, immer des Tristan's wegen, von welchem sie auch nichts weiß.
Sonntag 8ten
Traurigste Erfahrung an Blandine; es wird mir erzählt, daß neulich sie aus einem Buch las: »Es gab einmal eine garstige Mama, die hat den Papa verlassen und hat einen andren geheiratet, das war sehr garstig, ich werde das nie tun.« Und das vor zwei Mägden, die es wiedererzählen. Mir bleibt nichts übrig, als dieses Kind zu pflegen, wie ich es bisher getan, und auf dessen Liebe zu verzichten — Gott wird helfen. Zuerst wollte ich den Fall gänzlich ignorieren, allein mein Mutterherz erträgt es nicht, die Sache als verzweifelt anzusehen, und so wähle ich den Schluß des Kindertisches, um den Kindern und R. zu erzählen, was Boni getan. Großer Eindruck; hoffentlich geht er nicht verloren. Im Laufe des Tages überzeuge ich mich durch verschiedene Berichte, daß Hermine einen verderblichen Einfluß auf die Kinder geübt, und trotz der augenblicklichen Not, in welche ich versetzt bin, schreibe ich ihr, nicht zurück zu kommen. Auch den Knecht müssen wir fortschicken, da er den armen Grane förmlich peinigt. R. aber arbeitet beständig trotz dieser Hauswirren. Abends lesen wir noch in Carlyle einige Seiten. R. schreibt an Ottilie nach einer Kindermagd, und ich an Käthchen.
Montag 9ten
Regenwetter; die Fünfe beständig um mich. R. arbeitet, gegen Mittag höre ich ihn rufen: »Und wenn Cosima mich fußfällig drum bitten würde, nicht eine Note komponiere ich heute mehr.« Alles nun schwebend: Grundsteinlegung; Hauswesen, Verhältnis zum Vater, Rothschild, Tristan-Manuskript u.s.w. - R. schreibt an Schwager Avenarius, der seinen Sohn Max verloren hat. Abends Carlyle.
Dienstag 10ten
Heute vor 18 Jahren sah ich R. zum ersten Mal.[2] Es war in Paris, er las uns die Götterdämmerung vor, »die ich nun erst fertig mache; ohne dich hätte es nie gedämmert«, sagt er! - Ich hatte keine gute Nacht, da Fidi öfters kam. Gegen Mittag ruft mich R., um mir das »an wen?« von Brünnhilde zu Hagen vorzulesen, welches im »Duett« vorkommt und darin man sieht, daß die wilde Felsenfrau nur Wehmut ist. Nachmittags empfangen wir zwei Süddeutsche Pressen mit Schmähungen über Rheingold und Walküre. R. außer sich über den Schimpf und die Schande, die er über sich ergehen lassen muß! - Besuch R. Pohl's in der Bayreuther Ausstellungs-Angelegenheit. - R. telegraphiert an Herrn Bratfisch wegen Tristan, mit Antwort bezahlt, es kommt aber keine Antwort. - Rothschild meldet, daß er mich nicht bezahlen kann!
Mittwoch 11ten
Ich schreibe an Eduard Liszt in der Rothschild'schen Angelegenheit; an Marie Schleinitz - welche geschrieben - und an Hofrat D.* (*Düfflipp), ihm die Schmäh-Aufsätze zusendend, mit der fußfälligen Bitte an den König, jetzt endlich doch Rheingold und Walküre zurückzunehmen. - R. arbeitet und spielt mir, was er gemacht. R. Pohl zu Tisch, und dann Spaziergang mit ihm und den Kindern. Abends liest R. aus der Biographie vor und spielt aus Tristan und Siegfried. Wehmütige Stimmung R.'s und mir; für mich ist namentlich das Aufhören der Musik wie der Todesstoß, der mich dem Leben wiedergibt!
Donnerstag 12ten
Loulou's Geburtstag, der wie immer herzlich gefeiert wird, R. Pohl verläßt uns. Die Kinder spielen, R. arbeitet, ich schreibe an Herrn von Gersdorff, um ihm die Tristan-Angelegenheit anzuvertrauen. Herminen's Schwester schreibt mir Schmähungen; R. übernimmt diese Angelegenheit und schickt ihr 100 Gulden. Immer [noch] von nirgends Nachrichten von Bonnen. Während die Kinder mit Vreneli beim Kasperl sind, unterhalte ich mich mit R. über den Vater und dessen Wirkung auf die Leute mit solchen Sachen wie »Norma«, »Somnambula«[3] etc., »er ist der Illustrator einer untergehenden Welt gewesen«, sagt R., »so z. B. die >Zigeunerweisen<, die keinen Anspruch auf dauernde Kunst machen können; Mittelpunkt dieses Wesens war das nun verschwundene Paris«. Abends Carlyle, nachdem ich den Kindern die Laterna Magica vorgemacht.
Freitag 13ten
R. arbeitet fleißig, obgleich er eine böse Nacht hatte. Ich nichts als Kinderei; einige Zeilen doch an Claire geschrieben. Mannheim schickt Geld für den Rienzi, was gleich für Hermine verwendet wird. Brief des Vaters, welcher durch den meinigen, wie es scheint, erfreut worden ist. Abends mit den Kindern Lieder gesungen, Fidi brüllt mit, so daß wir alle laut lachen müssen. Die Mutter schickt eine Nummer der Revue positive, worin der bedeutende Gelehrte Littré[4] über Deutschland dieselben Niaiserien sagt wie jeder gewöhnliche Franzose.
Sonnabend 14ten
Clemens Br. schreibt sehr hübsch an Loulou. R. arbeitet; wie ich ihn gegen Mittag begrüße, ruft er aus: »Du und ich, wir tun eigentlich dasselbe, widmen uns wie wahnsinnig einem einzigen Zweck, und das ist doch ein Unsinn!« Käthchen schreibt, daß sie vor fünf Wochen nicht kommen kann, was R. außer sich bringt. Er schreibt an Hedwig Neumann und will die Sache durch sie in Ordnung gebracht haben. Gott weiß. Ich bin sehr müde und bedaure, für R. so wenig sein zu können. Feuer in den Stuben.
Sonntag 15ten
Brief von der Mutter; auch von R. Pohl, der Schwierigkeiten macht. - Die erstarrenden Mücken und Fliegen erregen R.'s Mitgefühl, er entsinnt sich nicht, daß Dichter dies besungen, sie sprechen gewöhnlich nur von den welkenden Blumen. Viel mit den Kindern gelaufen. Fidi herrlich, macht mir viel Freude. Ein Engländer, Mr. Sweet, bietet seine Kräfte an für das Bayreuther Unternehmen. R. arbeitet, ist aber sehr aufgeregt, weil er so viel zu tun hat (Korrekturen).
Montag 16ten
Richard bringt den Morgen mit Korrekturen zu, zu meinem Kummer, da ich ihn immer lieber bei der Dämmerung wüßte. Diese beschäftigt ihn aber immer, selbst an den dritten Akt denkt er und lief gestern wieder hinauf, wie er sich schon unterbrochen hatte, weil ihm »das Rechte eingefallen«. Brief von Marie Schleinitz, welche sehr für die Grundsteinlegung ist. Keine Nachrichten aber von Brandt, keine von Käthchen, nichts, was einem Bestimmtheit bringen könnte. Ich bin beständig mit den Kindern, was mich recht ermüdet. Abends immer ein wenig Carlyle.
Dienstag 17ten
Sendung der Großmama an Loulou; was mir immer bittere Gedanken macht, die ich aber wohl verwehre und zu zerstreuen suche. Hier gilt es seine Pflicht erfüllen und nichts weiter; Gott wird helfen! Sehr schöner Brief von Cl. Brockhaus, der von Tribschen, wie es scheint, einen tiefen Eindruck erhalten hat. R. arbeitet, ich Kinderbonne, so daß ich nur mit Mühe und Not in dieses Buch jetzt etwas einschreibe. Gestern in Eile an die Mutter noch geschrieben. Die Kinder kommen plötzlich mit einem kleinen Hunde, der unsern Hof nicht verlassen will, den Loldi zuerst entdeckt hat und der eine merkwürdige Ähnlichkeit mit unserem armen Kos hat. Die Kinder freuen sich ungemein hierüber. Abends ist R. müde, er hat Briefe geschrieben (an den Engländer), und ich gratuliere dem Vater zu seinem Geburtstage.
Mittwoch 18ten
Keine Hülfe, Antworten, welche keine sind, Brandt telegraphiert, er habe auf R.'s Antwort gewartet! Und Ottilie schreibt, sie habe die rechte Person für unsre Kinder gefunden, allein dieselbe sei bereits engagiert! - R. ist sehr angegriffen, arbeitet nicht, denkt aber stets an seine Arbeit, das Thema der Rheintöchter im dritten Akt hat er, jedoch müßte er, wie er sagt, eine Änderung des Textes vornehmen, das tut er nicht gern. Bei Tisch erzähle ich von einer Einkleidung, der ich beigewohnt, das brachte uns auf die Orden, und R. sagte, sie sind von dem Gefühle eingegeben gewesen, daß die Kirche der Politik diene und daß fromme Menschen sich schweigend abseits von ihr flüchten sollten. »Die Heiligen«, fuhr R. fort, »sind eigentlich vor Christus dagewesen, wie das Zeitwort vor dem Hauptwort*, (*Stern mit Hinweis auf das Ende der Tageseintragung, wo folgender Vergleich dem Satz hinzugefügt ist: »(und wie der Dichter vor dem Dichten da ist, d. h. die Art des Sehens, der Anschauung, vor der Tätigkeit)« d.h. der extatische Zustand der Seele, der dem Leben entsagen will, ist genetisch früher da gewesen und hat sich dann den unschuldig Geopferten als Symbol ge[bildet?]; übrigens ist es töricht, derlei secieren zu wollen, das man nicht erfassen kann.« - Jakob hat den kleinen Hund heute nach dem Markte mitgenommen, denkend, er wird dann den Weg zu seinem etwaigen Herrn finden, aber der Hund folgt ihm auf Schritt und Tritt und kehrt mit ihm heim. Wir finden immer mehr Ähnlichkeit mit Kos, und wir kommen auf den Gedanken, es sei ein Sohn unsres Hündchen, da diese Race sonst in Luzern gar nicht vorhanden ist. Dieser Gedanke rührt und freut uns alle sehr, Vito nennen wir den Zugelaufenen und hoffen ihn zu behalten. - In Bayern hat der Minister Lutz[5] eine energische Erklärung der Ultramontanen abgegeben; das läßt annehmen, daß Bismarck ernst macht. - Es steht in vielen Zeitungen, daß das Bayreuther Unternehmen gesichert sei. - Onkel Eduard antwortet nicht. (**) (**) Einfügung s.o.) - Abends in Carlyle gelesen.
Donnerstag 19ten
Vor 15 Jahren die Aufführung der Tannhäuser-Ouvertüre und meine Verlobung mit Hans. Heute den Entschluß gefaßt, mich an ihn direkt zu wenden wegen der Übertretung der Kinder. - R. wohler - begibt sich an die Arbeit; heute früh sagt er mir: Deinetwegen möchte ich sehr reich sein; alles übrige haben wir, alles Glück, nur ein wenig leichter solltest du es haben! - Nachmittags Besuch der Graf. Bass.; R. geht zur Stadt und bringt Briefe mit; Architekt Neumann meint, daß man im Winter keinen Bau, erst im März beginnen könne. Seine Frau will Käth. hierher treiben; Marie M. schreibt mir aus Heidelberg, daß wahrscheinlich Gräfin Dönhoff [6]die Partitur von Tristan von Tausig erhalten habe! Anfrage deshalb an El. Krockow; immer keine Antwort vom Vetter Eduard! - Abends Carlyle.
Freitag 20ten
Ich sah mich diese Nacht im Traume Quadrille tanzen, was R. nicht gefällt. Er arbeitet, und ich tue das Meinige, immer ohne Nachricht von äußerer Hülfe. Bei Tische erzählte mir R., er habe einen Jesuiten in Ornat gesehen: »Ja dieses Gesicht! Da muß der Maler eintreten, um das wiederzugeben, denn weder der Dichter noch der Musiker vermögen hier etwas; kalter glatter Haß könnte man wohl den Hauptausdruck dieses Gesichtes [nennen], das mich so fremd, so undeutsch ansah. Niemals habe ich das freundliche blaue Auge bei einem Jesuiten gesehen.« Nachmittags Brief von Herrn von Gersd., dem ich sogleich antworte (in Sachen des Manuskriptes). Abends macht uns die Episode Maupertuis[7] im Carlyle viel Vergnügen, und wir kommen darüber ein, daß C. ein sehr guter Darsteller, wenn auch ein schlechter Schriftsteller sei.
Samstag 21ten
Herrliches leuchtendes Wetter, Veilchenduft, goldene Färbung; lange im Garten mit Fidi, schöne Schmetterlinge betrachtet, wehmütige Empfindung; bin auch sehr müde, da ich kein Auge die Nacht geschlossen. Brief von Pr. Nietzsche, er wünscht sein Buch bei Fritzsch herauszugeben. R. arbeitet lange, ist aber sehr angegriffen. Ich hole mit den Kindern Lulu von der Klavierstunde ab, sie erzählt mir von einem Traum, den sie gehabt, sie habe ihren Vater sterbend gesehen, der meine und ihre Briefe in sein Grab gewünscht habe und mit den Worten liebe Cosima gestorben sei, nachdem er erklärt habe, Onkel Richard wird nun dein Vater. Das rührt mich sehr. - Abends Carlyle, nachdem R. an Fritzsch das Manuskript von Pr. Nietzsche warm empfohlen hat. (Lulu ist nicht wohl.) Von Voltaire sagt R.: »Während man die Schriften kaum mehr ansieht, interessiert einen vor allem die Persönlichkeit. Während bei wirklichen großen Genies man alles in ihren Werken sucht.« - Brief vom alten Weitzmann aus Berlin.[8]
Sonntag 22ten
Des Vaters Geburtstag, ich schicke die Kinder in die Kirche. R. ist leider sehr unwohl und kann nicht arbeiten. Ich schreibe an Marie Schleinitz und Clemens. Kindertisch. Brief von Frau Neumann, daß Käthchen in sieben Tagen kommt. Nun gebe Gott seinen Segen! Viele
Vorbereitungen in Bologna; ich befürchte aber eine Katastrophe. - Lulu unwohl, früh zu Bett gebracht. Abends liest mir R. einige Seiten aus einem Buch Freytag's[9] über Friedr. den Großen und fügt hinzu, das Bedeutende an ihm ist gewesen, daß er den deutschen Patriotismus, der seit dem Habsburgischen Hause gänzlich untergegangen war, wieder belebt hat; Luther, Gustav Adolf, Friedrich, das sind die Menschen, die dem Deutschen geholfen haben, und jetzt dazu Bismarck. Die Pest dieses Volkes sind die Habsburger, die hoffe ich noch einmal verjagt zu sehen; deshalb war Bismarck's Instinkt ganz richtig, nur alles gegen Österreich, und hoffentlich ist der franz. Krieg nur die Zwischen-Episode zur gänzlichen Zerstörung dieses schändlichen Hauses. Friedrich hatte es auch im Instinkt, alles gegen Österreich.
Montag 23ten
Lusch mediziniert, ich lese ihr vor, erhalte einen Brief von Karl v. Gersdorff; Papa Tausig will in der Manuskript-Angelegenheit nichts mehr tun, und gerichtlich, heißt es, könne nicht vorgegangen werden, so wäre denn wohl diese Sache schlimm beigelegt! Ich verlange wenigstens den öffentlichen Aufruf. - Zu Tisch sagt mir R.: »Während ich komponierte, ging mir Friedrich's des Großen Wesen so auf, wie mein Beethoven mir aufgegangen ist, von innen, als Wille zum Leben; was der Künstler als sehender, das ist ein solcher als seiender; als Individuum ist er kaum zu fassen und zu verstehen. Aus welchem individuellen Trieb machte wohl einer solche Mühsale durch wie den Siebenjährigen Krieg. Und dieses so schrecklich leidende, stets begeisterte, opferbereite Volk, Teilhaftig an einer Idee, an einem großen Wesen, von da kommt der Stolz, ein Preuße zu sein, wer könnte darauf stolz sein, ein Württemberger, oder ein Bayer, oder ein Sachse, ein Preuße aber ja!« - Brief eines Türken, Prinzen Caradja, bittet um ein Autograph, bekommt dazu einen Patronatsschein. Abends große Müdigkeit; R. traurig, daß ich mich so abmühe. (An Luccas und Mariani in Bologna[10] für R. geschrieben, daß dieser wohl zu den Proben gekommen sein würde, nimmer aber zur Ovation der 2ten Aufführung, zu welcher sie ihn einladen!)* (*( )An der Seite hinzugefügt)
Dienstag 24ten
Brief von Clemens mit Einlage von den Herren Feustel[11] und Kolb in Bayreuth, welche von der besten Gesinnung der dortigen Leute zeugen. Die Enthüllungen von Benedetti mit Erwiderung des Reichsanzeigers machen mir viel Vergnügen. R. arbeitet, sagt mir zu Tisch, er habe einen Einfall gehabt, Siegfried soll in das Horn zur Hochzeit blasen. Loulou ist unwohl, ich lese ihr die zwei ersten Akte von Siegfried vor. Vorher fahre ich zur Stadt mit den vieren und erfahre, daß Marie M.** (** Muchanoff) morgen ankommt. Brief von Bon Loen; 25 000 Thaler ungefähr sind da, er zweifelt nicht an dem Gelingen. - Ich schreibe an Hedwig N., um noch Sicherheit von Käthchen zu erlangen. Immer in Carlyle gelesen, wobei R. bemerkt, wie unermeßlich der Einfluß Friedrich's gewesen sei, daß ohne ihn die ganze Literatur nicht gewesen sein würde, er habe Mut und Kühnheit eingehaucht; man [wäre], ohne ihn, viel mehr seiner literarischen Tendenz - Nachahmung des Französischen - gefolgt; originell würde man sich nicht gewagt haben zu sein.
Mittwoch 25ten
Hübscher Brief von Claire und von Alwine Frommann, welche letztere für die Zusendung der Schriften dankt. Diese machen R. große Freude, er ist so froh, dies in Ordnung gebracht, und zwar gut, zu haben. Er freut sich, daß seine Schriften ihm etwas einbringen -»vom Siegfried, was habe ich da, wenn er erschienen ist, da beginnt erst recht die Not, während die Schriften ganz vollständig fertig da sind; und du wirst sehen, wir erleben die zweite Auflage. Ich muß nur leben. Wenn ich aber vor 10 Jahren gestorben wäre, dann hätte ich nicht viel vom Leben gehabt, nicht so viel, als es der Mühe wert gewesen wäre, deshalb gelebt zuhaben«. Alwine schickt Gedichte von Pr. Werder[12] (ungedruckte), R. sagt darüber, »alle diese Lyriker machen Glossen um etwas, was nicht da ist; der Dichter zeigt sich darin, daß er Gestalten schafft; einen Faust, einen Egmont etc.« - R. hat heute die Bleistift-Skizze seines zweiten Aktes vollendet; alle alle Götter und guten Geister seien gesegnet und bedankt: Der »Weihstein« ist ihm heute angekommen, zu welchem der Hochzeitszug abgeht und sie gleichsam Brünnhilde abholen. Brünnhilde's Blick!! — Immer mit den fünf Kindern, im Garten und in der Stube; Lusch aber macht mir Sorge. »Oh dieses Menschenleben!«... Aber das Glück, R. angehört zu haben, überstrahlt alles. Er sagte gestern zu mir scherzend: »Wenn du jetzt erführest, es ist nichts mit Bayreuth, wir können für uns weiter ruhig leben, wie wärst du da glücklich, denn du hast eine kleine latente Philistrosität!« Ich lache und weiß nicht, ob ich bejahen oder verneinen soll; die Sache ist, ich fürchte alles. - Die Bilder Kaulbach's werden angezeigt; wie ich R. sage, daß ich diesem Menschen alles abspreche, Witz, Talent etc., sagt er: »Es ist auch nicht eine Spur von Wahrhaftigkeit in so einem Wesen, Heine hatte z. B. wirklichen Witz, und der Unterschied zwischen beiden ist: Kaulbach bringt es zu etwas, Heine brachte es zu nichts.« - Abends Carlyle. R. ist angegriffen, doch immer unsäglich gütig gegen mich.
Donnerstag 26ten
Brief meines Onkels Eduard, der nun, mein Recht erkennend, an Rothschild geschrieben hat; ob es etwas nützt, werden wir sehen. - R. liest mir eine Veränderung, die er in Brünnhilde's letzten Worten gemacht hat; ich bitte ihn, das frühere zu lassen, und er gibt mir recht, sagt, das neuere nähere sich dem Literaturdrama. - Er arbeitet. Lulu immer noch unwohl. Nachmittag Besuch von Marie M., vieles mit ihr durchgesprochen. R. kommt hinzu, bringt den ersten Band seiner Werke und die Nachricht, daß das Darmstädter Theater abgebrannt sei;
dämonisch, unser Brandt wird nun nicht Zeit haben, für uns zu arbeiten. R. wußte es seit dem Morgen, hatte mir aber nichts gesagt, »über Fidi und Loldi« vergessen; »es ist eben eine Kalamität, wie sie mir immer begegnen, wenn ich einen Menschen finde«.
Freitag 27ten
Brief von Hans an mich, über die Kinder, was er für sie tun will! (Lulu's Traum fällt mit dem Tag zusammen, an welchem er schrieb!...)* C*() Nachträglich eingefügt) Depesche Bratfisch's, daß er das Manuskript von Tristan hat und es uns zurückstellt. - Wunderbarer Tag! - R. sagt mir, ich habe so viel an deinen Vater gedacht; daß er dein Vater ist, macht mich alles vergessen. Nachmittags überrascht uns Pr. Nietzsche aus Basel; er nennt den Titel seines Buches, das »Die Entstehung der Tragödie aus der Musik« heißen wird.[13] Marie M. und Caroline B. besuchen uns. Abends liest uns R. seinen heute begonnenen Aufsatz über Auber vor.
Sonnabend 28ten
Brief Rothschilds, der mir wirklich endlich meine 1000 fr. schickt. Mit Pr. N. Marie M. besucht; große Bewunderung dieser Freundin, welche den Abend auch mit Gräfin B. bei uns zubringt. R. arbeitet immer an Auber. Ich viel Not immer mit Kindersorge und Freundespflichten. - Marie M. erzählt, die Kaiserin von Deutschland möge den Kaisermarsch nicht!!
Sonntag 29ten
Ich schreibe an Hans lang und eingehend, bitte um die Erlaubnis, die Kinder protestantisch machen zu dürfen. Kindertisch und Kinderspiel bis zum Besuch von Marie M. Wie sie fort ist, lese ich den Kindern den blonden Eckbert von Tieck vor, der mir selbst einen großen Eindruck macht. Spät abends Carlyle.
Montag 30ten
Seltsamer anonymer Brief aus Graz: die älteste Tochter des Paradieses bestellt eine Messe des h. Grals, welche seiner Zeit gefordert werden wird, »gehorche, schweig oder Du stirbst«, unterzeichnet Oster-Blume. Adressiert dem Meistersinger R. Wagner in Berlin, aus dem neuen Oster-Reich. - Ich besuche Marie M. und treffe dort Frau von Loe, die mir keinen besondren Eindruck macht. Abends kommt die Freundin zu uns; es wird vom König von Bayern gesprochen, es heißt, er dürfe nicht mehr reiten; er habe einen Bruch, und viele üble Dinge, die mich sehr erschrecken. Gott weiß! - R. erzählt, in der Musikalischen Zeitung habe gestanden, ein Beweis dafür, daß er (R.) kein wirklicher Musiker sei, das sei, daß er sich nie auf das Gebiet der Symphonie gewagt habe; »nun«, sagt R., »möchte ich wissen, wer eine Symphonie geschrieben hat, außer Beethoven! Wie albern, aus der eigensten Individualität eines Menschen einen Gattungsbegriff zu machen, als ob jeder so eine Symphonie schreiben müßte«. - Er spielt uns aus der Götterdämmerung die Nornenscene und Siegfried's Erscheinen, zu unsrer namenlosen Erschütterung.
Dienstag 31ten
Unsre Freundin auf den Bahnhof gebracht, mit Wehmut und Ergriffenheit von dieser außerordentlichen Frau Abschied genommen. R. erzählt mir zu Hause die Niederlage des böhmischen Ministeriums in Österreich. - Abends liest er mir seinen prächtigen Aufsatz über Auber vor. - Er nahm es mir übel, daß ich in meinem Brief an Hans bloß von 10 000 fr. gesprochen, die ich bei Seite getan; ich nähme also an, daß die 3000 fr., die ich ihm geliehen, verloren seien!!