November

Mittwoch 1ten
Wie ich heute R. sage, daß Marie Muchanoff ihm durch mich empfehlen ließ, an Roggenbach[1] in Sachen Bayreuth's zu schreiben, empörte sich R.'s Stolz dagegen; er sagte: »Das ist Sache meiner Freunde; nachdem ich meine Sache in der ganzen Welt ausgeschrien habe, kann ich nicht mit Krummbuckeln jedem Einzelnen damit kommen.« - Er macht sich wieder an seinen zweiten Akt. Nach Tisch fahre ich aus mit den Kindern. - Ankunft der Partitur von Tristan und Isolde! Übermäßige Freude. Abends spielt R. mit Vergnügen aus »Templer und Jüdin«, lacht über die Unbehülflichkeit und Seichtigkeit, freut sich aber sehr der schönen dramatischen Stellen. »Das sind so die Deutschen«, sagt er, »unbeholfen und albern, doch fähig in ihrem Dussel, sich zu erhitzen und Gedanken zu haben. Es ist derselbe Boden, aus welchem Beethoven entsprungen, hier bestimmt die Quantität des Genies die Qualität desselben, denn in der Qualität ist es nicht so grundverschieden.«* (* An der Seite dieses Blattes nebeneinander zwei Nachträge: »Oster-Blume schreibt wieder, schickt Photographie! - Modern wildes Haar! Sie sagt R., von Berlin zu fliehen.« / »Große Herzensbangigkeit wie immer, wenn Musik gemacht wird.«)
Donnerstag 2ten
R. arbeitet, ich bei den Kindern; schreibe einige Briefe, Depesche aus Bologna, daß der Lohengrin dort einen ungeheuren Eindruck gemacht hat. Hübscher Brief von Musikdirektor Bratfisch. R. geht aus und besorgt mir meine kleinen Geld-Geschäfte. Er sagt zu Tisch lachend, »wer mir meine Götterdämmerung auskomponieren wollte, dem schenkte ich den Erfolg des Lohengrin in Bologna!« Besuch von Gräfin Bassenheim; abends Ankunft Käthchen's!
Freitag 3ten
Sehr hübscher Brief von Marie M. - Ich versende 10 000 Frank an Banquier J.** (**Joachim) und ersuche L. Bucher, sie ihm recht an den Herzbeutel zu legen. R. arbeitet bis zur Ermüdung. Ich fahre mit den Kindern aus. R. schreibt Briefe an Dr. Standhartner, Herrn Feustel in Bayreuth, kurz lauter Geschäfte. Dann Inschriften für Musikd. Bratfisch: »weil er in der Treue-Butter geschwommen, soll Bratfisch auch den Siegfried bekommen.« - R. bringt von der Stadt die Beethoven-Ausgabe von Hans mit, Cotta[2] habe sie im Auftrage geschickt; wahrscheinlich doch von Hans!
Sonnabend 4
Ich schicke die Kinder in die Stadt, es wird Gotthardsbahn mit Fackelzug u.s.w. gefeiert; eine deutsche Fahne weht, die Ultramontanen illuminieren nicht, es wird die Verbindung zwischen Deutschland und der Schweiz gepriesen, kurz ein kleiner Sieg unsrer Sache. Gott gebe seinen Segen. In Wien sind auch die Tschechen davon, dank Bismarck! —
Sonntag 5ten
Brief von Hans! Er stimmt meinem Wunsche bei, obgleich er alles haßt - wie er meldet -, was deutsch ist. Wehmut. Aus Bayreuth eine sehr erfreuliche Antwort des Herrn Feustel, sie gründen dort auch einen Wagner-Verein! - Zahllose Briefe aus Bologna über den Erfolg des Lohengrin. - R. arbeitet, »immer blutdürstig«, neulich sagte er zu Pr. Nietzsche, »daran, daß ich jetzt nichts wie Blutdurst komponiere, kann man sich abnehmen, ob ich beim Tristan in verliebter Stimmung gewesen bin«. Nun haben wir zu viel zu tun; R. will nach Italien einen öffentlichen Brief schreiben, dazu die Korrekturen des Aufsatzes über Auber und die heillose Korrespondenz. Ich schreibe an Grammann, an Härtel, an A. Frommann und Clemens. Sehr hübscher Brief Fritz Brockhaus' über den ersten Band seines Onkels. Abends Carlyle zum letzten Mal.
Montag 6ten
Marie Schleinitz schreibt und meldet, daß Herr Löser 60 Patronatsscheine für die Wagneriana nimmt, und für Bayreuth das Orchesterstellen. Brief der Mutter. Die Kinder unterrichtet, trotz sehr übler Nacht, die ich Fidichen verdanke. Italienischer Lehrer engagiert. R. arbeitet an der Götterd. vormittags, und nachmittags entwirft er seinen schönen Brief an die Italiener.[3] - Wir sprechen von Kunst, Wirklichkeit u.s.w., kommen auf »Kabale und Liebe«, was R. darum so merkwürdig findet, weil es ein ganzes Bild der Zeit gibt; so weit kann es die Wirklichkeit bei uns in der Kunst bringen, »der Deutsche wird sich wohl immer die Idealität als Schlupfwinkel erhalten«, lacht er. Abends lesen wir in Thukydides das herrliche Gespräch zwischen Athener und Melier, »sie waren zu geistvoll, die Kerle«, sagt R., »sie konnten nicht dauern«. - »Die Religion der Heiligen, sie verstehe ich am besten, daß einer sich nicht für Gott gibt, sondern sagt, das ist mein Ideal, dem ich mich aufopfere.« - Von dem Chore im 2ten Akt des Lohengrin, »da wollte ich eigentlich zeigen, wie ein Volkslied entsteht«. - Herr Pecht schickt seine Shakespeare-Blätter, die uns nicht sehr erfreuen. - R. lacht jetzt über seine eigene jetzige Produktivität.
Dienstag 7ten
Die Choristen aus Bologna schreiben an R. ihre Devotion. Ein freundliches Volk! Ach, wer dort seinen Beruf hätte! Mit den Kindern gearbeitet. R. schreibt seinen Brief nach Italien ab und schreibt sonst Briefe. Hübsches Schreiben von Ottilie; nur hat sie immer niemand für die Kinder. Melancholischer Abend, in Schreibereien verbracht! - Mir ist der Monat November schwer zu ertragen.
Mittwoch 8ten
Mme Lucca schreibt, daß die vierte Aufführung auch glänzend vor sich gegangen sei und nun auch der zweite Akt den Leuten zusagte. R. arbeitet, ist erstaunt, keine Korrekturen des zweiten Bandes zu erhalten; ob Strike der Drucker? Ich schreibe dem Maler Herrn Pecht, sage ihm meine Meinung über den verunglückten Hamlet. Brief des Herrn Heckel mit Vorschlägen für die Wagner-Vereine. Wir sind melancholisch gestimmt, R. und ich; R. behauptet, ich führte ein elendes Leben! weil ich den Kindern mich widme!! - Wir nehmen Gibbon wieder vor, dann mit großem Schrecken das neue Buch von Constant. Frantz[4] angesehen; »Unbeholfenheit und Scheelsucht, das sind die Eigenschaften der Deutschen«, sagt R. Das Kapitel über Bismarck ist wirklich empörend. - Die heutige Sensationsnachricht ist der Rücktritt Beust's!
Donnerstag 9ten
Üble Nacht, die mir wiederum Fidi macht; doch heiter aufgestanden. Ich schreibe an Hans. R. arbeitet. Kindertisch. Spaziergang im Garten bei lindem Wetter, wehmütiger Gedanke an unseren einstigen Weggang von hier. Richard bringt mir eine schöne Rose, die letzte. Im Räuberpark ist alles golden, ein herrliches und traurig glänzendes Colorit. Erste italienische Stunde. R. korrigiert die Bogen des Lohengrin und freut sich, an dieser Dichtung kein Wort zu ändern zu finden. Abends beginnen wir den »Staat« von Platon.
Freitag 10ten
Schiller's und Luther's Geburtstag. Herrlicher Herbsttag, Sonnenschein und Gold. R. arbeitet emsig, er will bald mit dem 2ten Akte fertig werden. Brief von Carl v. G.* (*Gersdorff) über die Konstituierung des Wagner-Vereins in Berlin. Bei Tisch erzählt mir R. von einem bedeutenden Buchbinder in Leipzig, den sein Onkel ihm empfohlen hatte und der die Bücher las, die er einband, man sie also nicht von ihm herausbekommen konnte; »eine Art Hans Sachs war er«, sagte R., »der meine Jugend sehr fasziniert hat«. - R. behauptet, ich würde immer schöner (ich finde mich schon sehr alt), und sagt, er ärgere sich schändlich, wenn er mich sehe, nicht 15 Jahre jünger zu sein. - An Marie M. geschrieben. Viel im Freien; abends mit R. den Katalog von Uhland's Bibliothek durchgesehen; [5]wie wir zu Luther kommen, sagt R., »der Kerl war wie ich, er hatte die Schreibwut, was hat er alles geschmiert«. Als ich ihn bei Tisch bat, ein wenig auszugehen und sich der Natur zu freuen, antwortet er lachend: »So ein Komponist der ist [ ]* (* [ ] Am Schluß der Seite zwei Zeilen nicht beschrieben; Ausspruch offenbar nicht mehr erinnert und Ergänzung vergessen)
Sonnabend 11ten
Immer Italien, der Lohengrin scheint in Bologna alles nach sich zu ziehen. Ob dies noch von Folgen sein könnte? R. arbeitet sehr emsig; ich unterrichte die Kinder und schreibe für R. an Luccas. Nachmittags kommt ein Bote des Herrn Bruckmann[6] aus München und bringt eine neue Photographie R.'s nach einer Zeichnung des Herrn Jaeger, nicht gerade schlecht gemacht und doch schrecklich. Man sieht, es ist wieder nach allerhand Bildern zusammengestellt. R. geht zur Stadt und bringt Korrekturen des zweiten Bandes; für uns kommt der Student (Dolder), der sich als der Sohn eines ehemaligen Züricher Bekannten R.'s ergibt; er ist ganz artig und unterrichtet gut. Abends spielt R. seinen zweiten Akt. - Wir sprechen über den Vater, ob der Briefverkehr zu Ende ist?? - Da mein Banquier schweigt, bin ich ängstlich und frage, ob er denn den Wechsel erhalten.
Sonntag 12
Brief von Malwida Meysenbug aus Florenz. Ich schreibe an Fritz Br. Ottilie meldet mir, daß sie jemanden für die Kinder engagiert. R. arbeitet etwas, ist aber nicht ganz wohl. Besuch der kleinen Bassenheim. - R. korrigiert die »Wibelungen«; er sagt, er denke eigentlich doch immer noch an Friedrich Barbarossa, um diesen einen Zug besonders zu betonen, den [der] großartigen, barbarischen, erhabenen, ja göttlichen Unwissenheit. »Und wie merkwürdig«, fügt R. hinzu, »daß dieses deutsche Reich, das Unfaßlichste was es gab, doch wahrscheinlich das ist, was die Monarchien alle überleben wird.« - »Ich freue mich«, sagt er, »den Blick für diesen Zusammenhang der Sage mit der Geschichte gehabt zu haben. Cäsar hing mit Ilion zusammen für das Volk, und Gregorius von Tours[7] spricht von dem fränkischen Pharamund, der von Priamus abstamme. Mit Friedrich I. beginnt das Sammeln der Nibelungensage, die man kaum mehr verstand. Aber mit der Geschichte ist nicht zu spaßen, der Geschichtsschreiber kann auf derlei nicht eingehen, das kann nur der Dichter und der Philosoph.« - In den Signalen steht wieder eine jener gewohnten Notizen über R., es heißt darin, er habe an Napoleon geschrieben, um die Aufführung des Tannhäuser sich zu erbitten und dabei »den jugendlichen Alfanzereien« abgeschworen. R. erwidert. - Abends Der Staat.
Montag 13ten
R. hatte eine üble Nacht; beim Frühstück sagt er mir: »Weißt du, was mir in solchen üblen Nächten durch den Sinn dann kommt und mich ängstigt, daß ich nächstens eine Reise ohne dich machen muß und einige Tage von dir getrennt sein soll.« - Der Winter ist da, Schnee, Wind und Kälte, R. sagt: »Ich möchte ein geistvolles Buch über das Tellurische und Solarische lesen, über diese Wirkungen.« Dann zitiert er Semper, der ihm von der Madonna von Michelangelo in Florenz gesagt habe, sie sei tellurisch. - Der Banquier meldet nichts; wahre Sorge! Mit den Kindern gearbeitet. R. an seinem Akt; kann aber nicht viel arbeiten. Abends den »Staat« von Platon gelesen. -
Dienstag
R. sagt bei Gelegenheit des Buchs von Constantin Frantz: »Wenn er von Bismarck sagt, so sähe sich Deutschland von Pommern aus, so könne ihm Bismarck antworten, er wisse nun auch, wie sich Deutschland von der Ritterstraße aus sähe.« »So ist der Deutsche, wenn es ihm schlecht geht, scheelsüchtig unbeholfen; geht es ihm gut, dann wird er Jude, elegant gleichgültig!« - R. ist leider nicht wohl und kann nicht viel arbeiten. Ich mit den Kindern; Lulu auch wieder unwohl. Ich fahre aus, Weihnachtsarbeiten zu besorgen, besuche auch Gräfin B. - Abends »Der Staat« von Platon, mit vieler Freude R. vorgelesen. - Vorher las R. in dem Buch von Freytag[8] über die Zeit der Freiheitskriege, immer wieder sich erfreuend an dem deutschen Volk, immer wieder erschreckend über die Schlechtigkeit der deutschen Fürsten.
Mittwoch
Mein Banquier schweigt; große Sorge — Freude an Fidi, in der schlaflosen Nacht hat R. an seinen Beruf gedacht und ist immer mehr für die Chirurgie eingenommen, »die ihn durch Mitleid gegen Weichlichkeit abhärten wird«. - R. unwohl, kann nicht arbeiten. Viel an unser Haus in Bayreuth gedacht, die Notiz, daß in Berlin die Schillerfeier durch schlechte Witze ge[unleserlich] worden ist, veranlaßt R. auszurufen: »Niemals nach Berlin noch in irgendeine Stadt; nirgends ist der kleinste Boden für meinen Samen, ich muß das Contraire schaffen, was dann die Strahlen anzieht.« - Gegen Abend ruft er mir zu: »Bist du nun unterwegs?« Vor drei Jahren verließ ich München. Gott verzeih das Üble, das ich getan, segne das Gute, das ich gewollt! R. zeigt mir in Freytag, daß er adelich schreibt, also gar nicht die Endung lich von der ig unterscheidet; R. sagt, wenn ich nur meine Bayreuther Blätter habe! -
Donnerstag 16ten
R. begrüßt mich »die einzige, beste, Schönste«, dankt mir, daß ich kam,[9] und sagt, sich nur irgend etwas auf der Welt oder gar die Welt selbst denken ohne mich! - Mit den Kindern arbeitend erhalte ich vom Banquier die trostlose Nachricht, daß er den Wechsel nicht erhalten. Wie dies ertragen? Erste Überwindung, R. es nicht mitteilen, während er bei der Arbeit; zweite, den Kindern möglichst wenig merken lassen. Alle kleinen Ersparnisse nun wahrscheinlich dahin - ich muß sehr weinen, obgleich ich wohl weiß, daß viele von solchem Unglück betroffen werden! - Bei Tisch bemerkt R., daß Jakob nicht serviert, ich muß ihm mitteilen, daß ich ihn zur Post des verlorenen Wechsels wegen geschickt. R. erschrickt heftig. Jakob kommt heim, bringt den Schein. Hat nun die preußische Post oder gar der Banquier veruntreut? Der Name Joachim war ominös! - Zu diesem Unglück noch das, daß Grane scheu wurde und ein Kind in der Stadt umgerannt, schwer beschädigt hat. Entschädigungsnöte. Dazu die Haussorgen, die ich geahnt, und, für mich schlimmstes von allem, Lulu wieder unwohl, von Kopfschmerzen sehr gepeinigt! - Hans Herrig schickt Aufsätze über Schopenhauer, sehr grün. - Der Erfolg des Lohengrin steigert sich immer in Bologna. Über alles aber unsre Liebe!
Freitag 17ten
Brief des Vaters; er verläßt Rom. Zwei sehr niaise Briefe, der eine von P. Cornelius, der andre von einem Herrn Barth. Grün aus Pest, welcher R. ersucht, auch die anderen Gebiete der Kunst zu beschreiten, eine Louis-XVI.-Symphonie zu schreiben u.s.w. - R. hatte eine schlechte Nacht, arbeitet aber doch. Er sagt mir, wie er nicht schlafen konnte, sei ihm wieder Sol und Tellus, dazu Genius und Liebe eingefallen. - Nach Tisch erhalten wir die Nachricht, daß der Banquier in Frankfurt den Wechsel nicht bezahlt hat, folglich meine Angelegenheit gerettet ist. Dies ist nun gut; schlimm aber läßt sich die Sache mit dem Pferde an; das Kind ist am Sterben, und die Leute benutzen die Tragik, um ihren Vorteil zu ziehen, betrachten den Fall als »ein Glück«. - Abends Platon; dann wir, immer wir, R. und ich, die wir uns nicht genug sagen können, wie wir uns alles sind; R. sagt: »Wenn ich nur ein Milliönchen der Empfindung je gegen ein andres Wesen gefühlt hätte; ach! man muß das Ächte nur einmal finden, um zu sehen, was das Unechte, selbst das begabteste, einem war; gar nichts.« »Du bist mir Eva-Maria«. - »Der grobe Genius wacht bei dir«, Fidi, der sehr kernig wird.
Sonnabend 18ten
Die Stadträte Badens wollen R. ersuchen, sein Theater in Baden zu errichten; so schreibt wenigstens R. Pohl. R. arbeitet. Ich danke Frau Dr. Standhartner, welche mich sehr freundlich eingeladen hat, wenn wir nach Wien kommen, bei ihr abzusteigen. - Zur Stadt, um Einkäufe zu besorgen. Abends »Der Staat«. - Zeitungen aus Italien, Erfolg weiter statuierend. - Die Mutter des verwundeten Kindes [kommt] und erschreckt uns durch den Zynismus der Lieblosigkeit gegen den Knaben; nur der Schadenersatz liegt ihr am Herzen; jede Teilnahme bleibt ihr unverständlich. Depesche aus Mannheim; Herr Heckel meldet, daß in den Zeitungen stünde, das Darmstädter Theater sei R. zur Verfügung gestellt worden.
Sonntag 19ten
Richard bringt zu Mittag den 2ten Akt beendigt und sagt: »Nun habe ich dir doch jedes Jahr einen Akt geschrieben.« Große Freude! - Der Schnee liegt dick vor uns, aber die Sonne scheint, man kann also spazieren gehen. Weihnachten bedacht. Abends sagt mir R. plötzlich halb scherzend: »Ich möchte gern noch einen Zauberer kennenlernen, mir ist nämlich das Zaubern begreiflich, es ist mir manchmal, als könnte ich es, wie z.B. unter gewissen Umständen über einen großen Raum springen. Und mein Musik-Machen ist eigentlich ein Zaubern, denn mechanisch und ruhig kann ich gar nicht musizieren, da stört mich selbst der Sopran-Schlüssel in einer fünfstimmigen Sache Bach's, ich möchte es mir umsetzen, während ich in der Extase die tollsten Stimmführungen ohne eine Spur von Schwanken ausführe, es kommt wie aus einer Maschine so sicher heraus; ruhig aber kann ich nichts.« Er sagt, er möchte jetzt am liebsten gleich seinen Aufsatz über Weber's Ausspruch über Beethoven schreiben; »neulich las ich, daß Hanslick von der Naivität Beethoven's gesprochen, solch ein Esel hat natürlich gar keine Ahnung der Besonnenheit des Genies, die allerdings blitzartig ist, aber die höchste, die es gibt; naiv kann man eher Mozart nennen, weil er mit Formen umging, die er nicht geschaffen, nur das, was er darin sagte, war sein eigen. Natürlich ist die Besonnenheit des Genies ganz spontan, nicht reflektiert. Aber was wissen diese Leute von diesem entzückten Zustand des produktiven Künstlers«. - Abends Platon.
Montag 20ten
Hans schickt eine italienische Grammatik für die Kinder. Der Brief R.'s erscheint italienisch. Brief eines Mitgliedes des Orchesters von Bologna. Beständig anschwellender Erfolg des Lohengrin. Der italienische Brief erscheint, sehr verwässert und geschwächt, was R. auf Betrachtungen über das italienische Volk bringt. Weihnachtswanderungen, auch zur Gräfin B. deshalb. Ein Graf Spee ist mit 70 000 Franken durchgegangen - wir hielten ihn für den ehrlichsten Menschen. In der A.A.Z. die Notiz, daß W. sich den Darmstädtern angeboten hätte; wieder ganz acht. R. schneidet diese Notiz und die des Mannheimer Blatts ab, schickt sie an Rat Düfflipp, denn vermutlich ist die Sache auf den König gemünzt. - R. spielt mir am Vormittag seinen zweiten Akt, der furchtbar erhaben ist! - Abends den »Staat«.
Dienstag 21ten
R. ist nicht wohl und sehr unwillig über die Kopie, die er für den König machen muß. Er sagt, es mache ihm doch keine Freude. - Herr Heckel schickt seinen Organisationsplan für alle Wagner-Vereine und ihre Tätigkeit nach der Aufführung des Ringes. - Ich muß beim Banquier 75 Francs für den verlorenen Wechsel zahlen! - Lohengrin kommt jetzt nach Florenz als Bologneser Gastvorstellung. Schöner Mittagsspaziergang mit R.; Fontaine de Soif fließt. Die Kinder sind wohlauf, Gott sei Dank. Abends mit R. unsere Haus-Einrichtung in Bayreuth besprochen.
Mittwoch 22ten
Die Signale bringen die Antwort R.'s auf die »Alfanzereien seiner Jugend«. Ich schreibe an M. Schleinitz. Kinderunterricht. Spaziergang mit R. - Keine Nachricht von meinem Wechsel, ich soll aber 75 Fr. hier dem Banquier zahlen. R. telegraphiert nach Kopisten für den König. Er verspricht Herrn Heckel, das Konzert in Mannheim zu dirigieren, Ende Dezember, »um dir eine Geburtstags-Symphonie zu machen«. (Letzte Wespe heute beim Ofen gefunden).
Donnerstag 23ten
R. findet, daß ihm 100 Seiten zum fünften Band fehlen, und sucht nach Material; denkt viel an Weber. Ich arbeite den ganzen Tag für Weihnachten, werde davon unwohl. Abends Platon. Brief der Stadträte aus Baden.
Freitag 24ten
R. erhält von seinem Verleger Lucca einen sehr hübschen Brief, dieser erklärt sich durch den Lohengrin »felice e superbo«; Brief von Richter und Boito. Ankunft des Herrn Spiegel[10] zur Kopie der Skizze für den König; keine angenehme Bereicherung unseres Hauswesens. Nachmittag Gräfin B. zur Verfertigung der Mappe für Hans. Abends »Der Staat«.
Sonnabend 25ten
R. entwirft für den 5ten Band der Schriften die Geschichte des Nibelungenringes.[11] Er träumt jetzt beständig, daß er bei der Abreise sei, ich ihn begleiten sollte, eigentlich nicht wollte, »sehr wehmütig«, sagt er. Er schickt Herrn Wesendonck und Frau Wille seine Schriften. Ich nichts wie Weihnachtsarbeiten treibend. Abends Platon. - Nichts von meinem Wechsel.
Sonntag 26ten
Pr. N. empfiehlt einen armen Musiker, das ist nun zu spät; freilich hätten wir den armen Schlucker lieber als den glatten Spiegel. Dem ist nun nicht zu helfen. Ich schreibe Briefe (Mutter, Claire, von Gersdorff). Kindertisch mit Spiegel. Darauf Laterna Magica, abends den »Staat« beendigt.
Montag 27ten
Immer Bolognesisches, und immer hübscher. Ich immer Weihnächtliches besorgend; Kummer von Lulu und Boni (Lüge, Unordnung), es ergreift mich tief; R. meint, ich solle es nicht ernst nehmen, »Jugend habe nicht Tugend«. - Frau Wesendonck schickt ein Trauerspiel »Edith«, welches ich auch gleich lese; R. wünscht, ich solle Brief und Stück ignorieren, er behauptet, das kompromittiere ihn. Mit R. zur Stadt; allein heimgefahren. Brief von Brandt, er entschuldigt sich wegen der Zeitungsnotiz und sagt, daß erst 74 die Maschinerien fertig werden können. R. antwortet. Alle Zeitungen haben den Aufruf des Herrn Heckel an die Wagner-Vereine, ausgenommen die A.A.Z., die auch nichts aus Baden-Baden noch aus Bologna meldet. Abends Schopenhauer. Einen Blick am Tag in die erbärmlichen gesammelten Gedichte geworfen.[12] Richter schreibt vom Tristan-Vorspiel, daß es unerhörten Jubel in Pest hervorgebracht.
Dienstag 28ten
Depesche aus Bremen; dazu Bolognesisches, in Bremen sind die Meistersinger gegeben worden und haben großen Jubel erregt. - R. träumt immer von trüber Abreise. Heute vor 8 Jahren sagte er mir seine Liebe, es war an einem Sonnabend; gleich darauf schied er, und ich dachte nichts, ward aber traurig bis in den Tod; ich bin es heute auch, Leben fällt mir schwer; ich will aber nicht undankbar sein und nur bitten, daß die Kinder gut werden - werden? Sie müssen es sein, von Urewigkeiten so bestimmt, was hilft alle Pflege? - R. spielt oben das Idyll, ich schreibe an Frau W. über die »Edith«, freundlich, aber aufrichtig. Ein Harfenist aus München bietet sich R. für Bayreuth an. Lulu schreibt an Marie Bassenheim, die bösartig über sie geredet hat. - Abends Schopenhauer. - Der Minister Lutz zeichnet sich im Reichstag aus; wütend entgegnet ihm der Bischof Ketteler,[13] die Süddeutschen seien Revolutionäre.
Mittwoch 29ten
Brief Marie Muchanoffs, sie rät sehr zur Annahme des Vorschlages der Baden'schen Stadträte. Lange Besprechung mit R. über unser mit solchen Mühen zu gründendes Heim, ist das Leben alle diese Plackereien wert? - R. umarmt mich und sagt, ich solle doch nicht glauben, daß seine Liebe zu mir nicht die höchste tiefste Not sei! - Ich antworte Marie M. und schicke Herrn Pecht ein Autograph R.'s. - R. geht spazieren, ich bleibe bei den Kindern. Wie er heimkehrt, sagt mir R.: »Das Wort des Prometheus, >und ich nahm dem Menschen das Wissen< ist mir in den Sinn gekommen und hat mich einen tiefen Blick machen lassen; das Wissen, Voraussehen ist doch göttliches Attribut, mit diesem göttlichen Attribut aber ist der Mensch elend, gleicht Brahma, bevor die Maja den Schleier des Nichtwissens, der Täuschung vor ihm ausbreitet; das göttliche Vorrecht das allertraurigste.« - Wir leben jetzt in der Theorie, grau nebelig ist alles um uns herum. Abends klebt R. seinen »Auber« zusammen, macht eine Broschüre, das mahnt uns an das Weihnachten, wo wir hier die Bilder gemeinschaftlich machten.
Donnerstag 30ten
Hauswirren und Nöte, anknüpfend an die B.'sche* (*Gräfin Bassenheim, Loulou betreffend) Geschichte; mit Kummer frage ich mich nachts, ob ich auch alles für die Kinder wirklich getan, ob ich ihnen gewisse Berührungen nicht hätte ersparen können, ob der Einfluß nicht schlimm gewesen, ich überdenke meine Lage, glaube das Mögliche getan zu haben, und mache mir doch Vorwürfe. R., der meine Präoccupation am Morgen bemerkt, sage ich einen Teil des Kummers, er tröstet und erhebt mich wie immer; Gott gebe uns seinen Segen, wir haben manches Schwierige zu ertragen und zu überwinden, wenn die Liebe aber nicht wankt, dann bleibt auch die Kraft. - Graf Gergente, der Bourbone, hat sich hier umgebracht, man vertuscht es, um ihn in der geweihten Erde zu begraben. - Loulou rührt mich sehr, indem sie mir erzählt, daß sie mich diese Nacht sehr schön geputzt hätte tanzen sehen, und zwar mit Herrn Spiegel, worüber lachend sie aufgewacht sei. Es muß das mit dem Augenblick zusammengefallen sein, wo ich in Gedanken an die Kinder, ihre Charakter-Anlage, Entwickelung und Zukunft heftig weinte. R. wandelt zur Stadt, ich begleite ihn. Sehr gute Laune R.'s beim Mittag. Abends bringt ein Wort des Herrn Spiegel R. auf das Kapitel der Deutschen; sehr lebhaft, ja heftig wird R., und zu unserer großen Verwunderung ist unser Kopist ganz ergriffen davon und sagt, er sähe jetzt, wie sehr W. Deutschland liebe, daß er so heftig über die Gebrechen und die üblen öffentlichen Zustände der Nation sich ereifern könne. Mit eiskalten Händen drückt er R., der davon ergriffen, die Hände. - Abends Schopenhauer; erhabene Freude daran, »ein goldenes Buch«, sagt R. Mit den Worten »wir sind doch glücklich« trennen wir uns.