Mai

1ten Samstag
R. erzählt von einer Fledermaus, die er gestern aus der Stube gejagt habe; unwillkürliches Bangen vor diesem Anzeichen. - Der Tag ist schön, die Hexen haben ihre Sachen auf dem Brocken gut gemacht, und R. meint, die ganze Natur sähe aus wie eine Bauernbraut mit dem Myrtenkranz. Mit Loulou Geographie studiert, sie muß medizinieren, dann leider die Tapezierer, was mich ermüdet und traurig macht, endlich Loldi wieder unwohl. R. aber arbeitet, nach Tisch spielt er, was er gemacht hat, und ich muß vor wehmütiger Seligkeit vergehen, er steht auf und zeigt mir mein Bild und sagt: Das habe er gesehen! Ach! bliebe das Leben auf diesen Höhen - dieses gibt uns aber nur der Tod. - In die Stadt, Blumen bestellt zu R.'s Geburtstag und leider erfahren, daß das gesuchte Stück seines Vaters nicht mehr aufzutreiben ist. Sehr müde heim, Loldi sehr unwohl, zu Bett sie gebracht, dann Pfeffer und Kampfer für die Wintersachen, nach dem Tee eingeschlafen, lange geschlummert. R. liest am Schluß mir noch einige Fridericianas, immer prachtvolle Züge.
2ten Sonntag
Maienwonne draußen! Früh aufgestanden, Boni mit Hermine zur Kirche geschickt, ich mit den drei andren zu Haus. Der Arzt findet Loldi unwohl und verordnet ihr etwas. Loulou erzähle ich vom h. Ludwig[1] und lese mit ihr die Scene aus »Wilhelm Tell«, wo der Held den Schuß tut. Sie weint und ich mit ihr. Bei Tisch fragt sie R., was ein Held sei, sie weiß es nicht, darauf er: Der, der sich nicht fürchtet. Nach Tisch mit den beiden älteren und der kleinen Am Rhyn in die Stadt zum Jahrmarkt, Karussell, Menagerie, Bergwerke, Panorama! R. hatte einen Brief von seiner Freundin Frl. Meysenbug, dieselbe hat nichts erhalten, weder die Judenbroschüre, noch seinen Brief vom 29ten März. Er antwortet ihr, zu meiner Überraschung ladet er sie ein, auf ganz hierher zu kommen. - R. ist auch nicht ganz wohl, doch geht er mit mir zur Stadt. - Wie ich den Kindern zusehe und mich an ihrer Freude weide, muß ich erkennen, wie töricht es doch ist, in dieser Welt irgend eine persönliche Freude haben zu wollen, sich etwas wünschen wie ein Haus oder Reichtum oder Macht, was weiß ich, das einzige Glück ist der Freudestrahl in dem Auge eines teuren Wesens. - Noch im Bett gestern las ich den »Armen Heinrich«, Goethe soll es nicht gemocht haben, was ich begreife, wenn auch viele Züge darin sehr rührend sind. - »Gekränkte Liebe hat einen Freund im Himmel«, ein schönes Sprichwort, in welchem aller Trost der Entsagung enthalten ist. - In der Menagerie mußten R. und ich sehr lachen, als der Mann von der Hyäne sagte: »Sie mordet nicht bloß aus Hunger, sondern auch aus Wollust.«
3ten Montag
Mein Montag begann mit einem Schwall von Grobheiten, welche eine schlechte davonziehende Magd mir zuwarf, während ich noch zu Bette lag. Indem ich sie reden ließ, überlegte ich mir die verschiedene Welt, in welcher der Heilige und der Weise solche merkwürdige Überraschungen trägt. Sie ging endlich fort, und ich hatte meine Schuld dem bösen Dämon des Tages abbezahlt. Dafür war der Tag auch schön. R. empfing mich heiter; er meinte, ich sei nur Vorsorgen, und da ich keine Sorge mehr um ihn habe und ihn wohl aufbewahrt wußte, so hätte ich keine Gedanken mehr für ihn - und auch er sei zu glücklich, er könne nicht mehr komponieren, alles sei ihm erfüllt, wobei er scherzend hinzufügt: Wenn er jetzt arbeitete, sei es nicht aus Hunger, sondern aus Wollust! - Er arbeitet nun, während ich die Kinder unterrichte. Vor Tisch spielt er mir, was er gemacht - beglückende selige Stunde, vergessen aller Erden Not und Lebensqual! Ich muß stets in Tränen ausbrechen und kann kein Wort finden, wenn ich seine Töne höre. - Mit den älteren Kindern ausgegangen, R. zur Stadt, mich dann eingeholt. Große Mattigkeit, doch erhabene Stimmung.
Dienstag 4ten
Am frühen Morgen Briefe nach allen Weltgegenden geschickt, weil ich in Sorge um R.'s Geburtstag bin; R. spät auf, er hat eine üble Nacht gehabt. Depesche des Königs, heute vor fünf Jahren traf R. in München ein! Trotz Unwohlseins arbeitet R. etwas. Ich bei den Kindern, Loldi ist wohler, sieht aber auch angegriffen aus. Könnten die guten Wesen nur ahnen, wie ich um sie bekümmert und besorgt bin, ach! möchten sie mich doch finden zur feierlichen Stunde, wie ich jetzt so gern eine Mutter fände. Bei Tisch spricht R., daß beim Schaffen die Schwierigkeit nicht, die Einfälle zu haben, sondern sich zu beschränken - ihm flöge nur zu viel an, die Aufregung und Unruhe käme ihm von dem Ordnen und Wählen. Er geht zur Stadt, die älteren Kinder auch, ich mit Eva und Loldi zu Haus. Schöne laue Luft abends, wahre Maienwonne, Erde und Luft von Blüten bedeckt. - Abends Briefe Friedrich's des Großen und Anekdoten aus seinem Leben. - Nachts im Bett gestickt.
Mittwoch 5ten
Loldi krank! Sie hat sich gestern abend wieder erkältet. Der graue Schleier - wie R. es nennt - umdüstert demnach den Tag. Ich arbeite am Morgen mit den Gesunden und hüte am Nachmittag die Kranke. Gegen Abend ist es ein wenig besser. Loulou nimmt heute ihre erste Klavierstunde mit Marie Bassenheim. Ein Brief Mathilden's, sie hat den meinigen an Herrn Drumont[2] abgeschrieben. Gestern ein Brief Claire's, der Mutter geht es besser.
Donnerstag 6ten
Loldi noch unwohl und Lusch auch unpäßlich, d. h. daß ich sie nicht arbeiten und den Himmelfahrts-Tag im Garten zubringen lasse. Ich sticke so ziemlich den ganzen Tag bei der Kleinen. Mit R. am Morgen und am Abend im Garten spazieren gegangen, herrlicher Anblick der Wiesen und Bäume, er erzählt mir, er habe in der Frühe den Vögeln gelauscht und ihnen etwas nachkomponiert, was ihm sehr schön dünkte, nun habe er es aber als nichts erkannt. Von Boston kam ein Programm; zum großen Musikfest zur Feier des Friedens wird die Tannhäuser-Ouvertüre gemacht (am Schluß der Pilgerchor gesungen!), R. träumt davon und daß ich mit Eva hinzukomme und daß er außer sich gerät, nicht die gehörigen Träume zu meinem Empfang zu haben. - Ein Brief des Verlegers Flaxland mit 3000 frcs vom Rienzi. - Abends wieder Friedrich der Große; indem er d'Argens die Bewegung empfiehlt, sagt er: »La Nature parait nous avoir plutôt destine au metier de postillon qu'ä celui de philosophe.«[3] - Nach Tisch spielte mir R. manches aus den B.'schen* (* Hinfort: Beethoven'schen) Symphonien vor und versprach mir, im Herbst eine vorzudirigieren, sei es in Paris oder Mailand.
Freitag 7ten
Depesche Pasdeloup's, daß ich endlich die Zeichnung zu den Friedensboten erhalten werde; herrliches Wetter, das »grüne Goldne« des Frühlings prangt. Die Kinder draußen, ich bei Loldi stickend, sie ist wohler, wenn auch nicht hergestellt. Vreneli kommt zu mir und meldet eine zweite Schwangerschaft und daß sie und ihr Mann zum Herbst die Geschäfte eröffnen wollen. Dies wird eine große Verlegenheit im Hause bereiten. Nach Tisch holt mir R. mein Arbeitskörbchen, sieht Loldi und wird darüber sehr wehmütig. Diese Wehmut wird heftig und selbst hart, weil ich ihn frug, ob er übler Laune sei. Ich schweige zu allem, was kann ich sagen? Bei dem Kinde gewesen und um sieben etwas im Garten einsam gewandelt. Tiefe Trauer, soll ich nicht alles dahingeben und nur den Kindern leben? Abends von der Stadt heimkehrend erzählt mir R., er habe sich gesagt, er wolle an sein Glück noch glauben, wenn ich ihm entgegen käme, nun sähe er ein, er habe gefrevelt, denn ich sei nicht gekommen. Darauf teilt er mir noch mit, wie Loldi's Blick und ihr exzentrisches Wesen ihn beängstigt habe. Ich höre ihm ruhig zu; nachher liest er mir noch einige Züge Friedrich's II. vor. Nachts im Bett gestickt. (Lusch diktierte mir ihren Brief an ihren Vater).
Sonnabend 8ten, Sonntag 9ten, Montag l0ten, Dienstag 11ten
Vier Tage nichts geschrieben, ich hatte kaum die Kraft dazu und auch nicht die Zeit, denn ich wollte gern mit meiner Stickerei vorwärts kommen. Allerlei üble Anzeichen  kamen, am Morgen des Sonntag sah R. eine große Spinne, Vreneli hatte eine Fensterscheibe durch eine Nacht-Tour zerschlagen, Hermine träumte von Perlen - auch hat der Kummer nicht gefehlt. Am Sonntag hatte Loldi einen Rückfall, und sie liegt noch und sieht jammervoll aus! - Samstag bespreche ich nochmals mit Vreneli ihre Angelegenheit und komme zu dem Schluß, daß sie noch ein paar Jahre hierbleibt. - Am Sonntag früh der Gr. Bassenheim, vielerlei Münchnerisches besprochen. Abends mit R. ein trübes Gespräch über mein Wochenbett. Ich will es fern von hier und geheim halten, der älteren Kinder wegen, er sieht darin eine Demütigung für sich und ist sehr erbittert. Ich begreife ihn wohl und fühle schmerzlich mit ihm - und doch ist es mir, als sei hier eine Pflicht zu erfüllen, vor welcher die andren Empfindungen schweigen müssen. - Am Montag früh in die Stadt, um die Friedensboten-Anzüge zu bestellen. Den Nachmittag an Loldi's Bett in tiefer Trübsal. Abends ein Brief Nuitter's, daß die Leute aus Paris kommen. Am Dienstag den älteren Kindern ihre Stunden gegeben und gestickt, dazu Loldchen behütet, die immer noch krank ist. Nach Tisch geht R. spazieren, ich verspreche ihm, ihm entgegen zu kommen, und tue es auch; da ich von einem Gärtner eine Adresse haben möchte wegen Friedens-Palmen, sage ich R., ich müßte in die Stadt; dies wundert ihn, weil ich sonst mich so schwer bewege, und er mißversteht den Grund dieser Ausnahme. Großer Gewitterregen. Abends bespricht er noch einmal das trübe Thema von neulich, ich bin unfähig zu antworten und kann nur weinen; o Stern der Liebe leuchte mir, erhelle mir die schweren dunklen Pfade. Von außen einen hübschen Aufsatz in dem »Réveil«[4] von Mme Vallier und die Anzeige von der Ehrenmitgliedschaft in der Berliner Akademie. Tausig telegraphiert es und bittet es nicht abzuschlagen, »der guten Sache wegen«. Was nennt Tausig eine gute Sache?
Mittwoch 12ten
Die ganze Nacht aufgewesen, um meine Stickerei vorwärts zu bringen, auch weil ich zu erregt bin, um schlafen zu können. Um vier Uhr den ersten Vogel gehört und den Sonnenaufgang betrachtet, dann einen Gruß an R. aufgeschrieben und ihm in die Stube gebracht. Um 5 Uhr zu Bett, um 7 kommt R., schreibt mir etwas und weckt mich; schöner Morgen, herrlicher Tag. Loldi wohler. Von Hans einen Brief an Loulou, der mich tief niederdrückt. Nach Tisch mit ihr zur Gräfin Bassenheim wegen der Klavierstunde von Loulou. Abends liest mir R. die Apel'sche Novelle »Der Freischütz«. Sehr ergriffen davon und aufgeregt. R. fürchtet sich, die Lampen auszulöschen. Ich schlafe tief ein.
Donnerstag 13ten
Gut und früh aufgewacht; Gewitterluft draußen, den Kindern ihre Stunden gegeben und bei Loldi geblieben, die immer noch nicht ausgehen darf. Hans' Stimmung lastet auf meine Seele. Mein Seelenglück ist aber, wenn R. arbeitet. Von Briefen einen Richter's, welchen ich zum Geburtstag kommen lasse, dann einen sehr lächerlichen von Leon Leroy[5] an mich (Freund des verstorbenen Gasperini's). Er bietet der Wagner'schen Sache in Paris ein Winkeljournal - la France musicale - an, welches der König von Bayern kaufen soll. All diesen Leuten begreiflich zu machen, daß man mit all dem Zeug nichts zu tun hat. An R. der Brief eines »Deutschen«, welcher von der Judenbroschüre begeistert, ihm ein dem König vorzulegendes Bankprojekt mitteilt (Pronothon). Dann eine Empfehlung des Genelli'schen Nachlasses, R. schreibt dafür zwei Worte an Düfflipp. Hans sagt, an Lulu, daß er große Lust spüre fortzugehen. Langer Besuch der Gr. Bassenheim, die mir einen Brief von Marie Muchanoff mitteilt, dieselbe will im August herkommen! Wir können niemanden brauchen. Die Kinder, die Kunst und das Lächeln eines Mai-Morgens.
Freitag 14ten
Da mir keine Zeit am Tag übriggeblieben war, stickte ich nachts und morgens bis um vier Uhr. Ich bin dann auch sehr müde. Loulou diktiert mir einen Brief an ihren Vater. Sie gehen dann ihre Friedensboten-Anzüge probieren. R. arbeitet, sagt aber scherzend, er wolle keine tragischen Sachen mehr komponieren. Er ist besorgt um mich und meint, ich greife mich an und zerstöre mich selbst. Wie er abends Klavier spielt, bin ich so ergriffen, daß ich schluchzen muß und beten. Ein Gebet für denjenigen, dem ich nichts sein kann und dessen Elend ich so tief bemitleide, und für meine guten Kinder, die vielleicht nie ahnen werden, was ich um sie gelitten habe. - R. ist verstimmt gegen meine Stickerei, er glaubt, sie greife mich an - am Ende muß ich sie beiseite tun! Brief Heim's aus Zürich, Semper hat sich über R.'s Brief gefreut. Brief Pasdeloup's, der nun an den Lohengrin gehen will. »Apres cela j' aurai rendu Service à mon pays, en lui prouvant la connaissance Mme des etres privilegies qui fônt la gloire de l'humanite.«[6] - Loldchen immer angegriffen.
Samstag 15ten
Ein Bad genommen, dann Lusch Klavierunterricht gegeben, R. kommt dazu und ist über alles gütig liebevoll. Er hat einen hübschen Brief von Frau Wille[7] aus Hamburg, welche den Tannhäuser gesehen hat. Mit Boni zur Stadt, den Friedensanzug zu probieren, heimgekehrt höre ich R. zu. Einen ungeschickten Brief Marie Muchanoff's an mich (»On m'a inquiete sur votre compte, Dieu veille sur vous.« - !!). Einzige Freude R.'s Schaffen. Lusch zur Klavierstunde geführt. Um 5 Uhr heim, R. begegnet, Freude an der Maien-Wonne. Ankunft der Pariser Bronze zu seinem Geburtstage. Lusch schreibt an ihren Vater. Er ist das einzige Wesen, um welches ich mich gräme.
Sonntag 16ten Pfingsttag
Loldi wohler, wir halten Kindertisch. Nachher Besuch des alten Fürsten Wallerstein,[8] der mir viel Belehrendes über Bayern (unter drei Königen) mitteilt. Am Morgen mit Lusch Geographie studiert. Abends spielt R. aus der »Euryanthe«. - Die Nacht aufgeblieben, um meine Stickerei vorwärts zu bringen.
Montag 17ten
Um vier zu Bett, um acht Uhr auf, ziemlich frisch, den Kindern ihre Stunden gegeben. R. hat einen Brief D.'s.* (* Düfflipps) Es sollen die üblen Dinge in München geordnet sein, Gott weiß! Der König wünscht, R. zu seinem Geburtstag zu sehen, allein dieser will hierbleiben. Zu Tisch ein Philologe Professor Nietzsche**, (** Cosima schreibt hier und noch gelegentlich Nitsche oder auch Nietsche)[9]welchen R. bei Brockhausens hat kennen gelernt und welcher R.'s Werke gründlich kennt und selbst aus »Oper und Drama« in seinen Vorlesungen zitiert. Ein ruhiger angenehmer Besuch, um vier fahren wir bei leichtem Regen in die Stadt. R. ist absorbiert, weil er mit seiner Arbeit des Morgens nicht zufrieden ist. Abends sage ich ihm, daß ich mein Wochenbett gern am fremden Ort halten möchte. Große Ermüdung, von acht Uhr an eingeschlafen. Loldi macht uns Sorge wegen ihrer übermäßigen exklusiven Anhänglichkeit an mir.
Dienstag 18ten
Früh aufgestanden, Marie Muchanoff geschrieben, ihre Teilnahme abwehrend. R. traurig noch von dem gestrigen Gespräch, ich sage, daß ich tun will, was ihm recht ist. Er schreibt an den König und sagt, daß er nicht zum Geburtstag kommt. Ich sticke und arbeite mit den Kindern. Nach Tisch gehen sie zur Gr. Bassenheim, Eva und Loldi nur bleiben bei mir. Abends bringt mir R. einen Brief des Maler Lenbach; da daraus hervorgeht, daß er mein Portrait nicht schickt, ist R. sehr betrübt. Abends mehrere Intermezzi von Cervantes.
Mittwoch 19ten
Spät auf, sehr müde und besorgt, wie gewöhnlich mit den Kindern und der Stickerei verbracht. Vor Tisch spielt mir R., was er gearbeitet hat, und freut sich, daß mehrere Themen, welche in der »Starnberger Zeit« entstanden und die wir scherzend zu Quartetten und Symphonien bestimmt haben, jetzt ihre Bestimmung finden (»Ewig war ich, ewig bin ich«).[10] Große freudige Erhebung an dieser Zusammenfassung des Lebens und der Kunst. Die Kinder aus zur Anprobierung ihrer Friedensboten-Anzüge. Ich allein zu Hause erkenne mit Kummer, daß meine Arbeit zum Geburtstage nicht fertig. R. kommt spät vom Spaziergang heim. Abends wiederum die Frage der Geburt des neuen Kindes und der Anwesenheit der älteren erörtert; ich stelle die Rücksicht auf Hans voran, R. die meiner Ruhe und meines Wohlbefindens. Auch über unsren Diener Jakob sprechen wir, von welchem R. befürchtet, daß er in den Händen der Pfaffen stäke.
Donnerstag 20ten
Krämpfe am Morgen nach einer ruhigen Nacht. R. beginnt wieder das ernste Gespräch, er hat die Nacht über sich meiner Ansicht genähert, wir kommen darüber ein, die ältesten Kinder nach Versailles zu Claire zu schicken. R. ist nicht wohl, arbeitet aber doch. Von außen die Notiz, daß der König der Vorstellung des Tannhäuser beigewohnt hat. Außer dem klagte Düfflipp über seine Zurückgezogenheit vom öffentlichen Leben. An Herrn Leroy geschrieben, um ihm zu beweisen, daß die W.'sche Sache keines Winkeljournals bedürfe! Dann den Professor Nietzsche zu R.'s Geburtstag eingeladen. Nachher in die Stadt und mit R. schöner Maientag. Ein Brief Clairen's auf der Post gefunden, sie hat die Mutter gesehen, traurige Schilderung, doch ist der Wahnsinn beseitigt. Viel Freude an den Kindern bei der Heimkehr; Lusch habe ich Volkslieder gelernt, und sie singt sie hübsch. Abends beginnen wir, R. und ich, den Don Quixote.
Freitag 21ten
Föhnwind, große Schwüle, mit den Kindern im Garten. Lusch schreibt ihrem Vater. R. arbeitet. Der Nachmittag geht im Trouble der Vorbereitungen vorüber. Richter und das Pariser Quartett angekommen. Ich im Hotel du Lac, um alles zu besprechen. Not um R. zu Haus zu behalten. Die Kinder werden frisiert, R. plötzlich herein, sieht lauter »Stechpalmen«, läuft davon, ich erzähle, der König sei da und käme morgen auf Tribschen. R. weiß nicht, ob es Ernst oder Scherz ist. - Doch hat mich die Unterredung mit Richter traurig gemacht; heimkehrend im Schiff bei stürmischem Wetter erkenne ich, daß, wenn der Tod mir jetzt nahte, ich mich nicht grämen würde. Daß ich Hans verlassen mußte, dünkt mich grausam, ich muß mir dann sagen, wem diese Grausamkeit galt. Auch empfinde ich es deutlich, wie eine Gottheit in mir waltet, die mich bestimmt hat, und daß ich nicht gewollt und gewählt habe. Aber ich verdenke es keinem Menschen, der nicht sieht, wie ich sehe, und nicht den Glauben hat, den ich habe, und der mich verdammt. Gern und leicht will ich den Abscheu der Welt tragen - Hans' Leiden aber benimmt mir jede Freude. Gute Nacht, meine guten Kinder!
Samstag 22ten
Nachts R.'s Büste aufgebaut inmitten Blumen. Am frühen Morgen bläst Richter die Siegfried-Weise. Dann werden die Kinder als Friedensboten aufgestellt, endlich um 10 1/2 Uhr das Pariser Quartett. R. sehr überrascht und erfreut. Sie spielen im Laufe des Tages das h moll und das a moll und das cis moll Quartett. Ich möchte nur weinen. Depeschen vom König und von Ungarn. Wie ein Traum vergeht dieser Tag.
Sonntag 23ten
Schure-Tag; den ganzen Tag Schures, d. h. Unterbrechung meines gewohnten Lebens, R. sehr angegriffen, ich wie abwesend immer. Ich kann gar nicht mehr sprechen außer mit den Kindern. R. hatte Gratulations-Briefe von Nohl, Lang (welcher meldet, daß die Muchanoff vollständig in Berlin die Wirkung der Judenbroschüre desavouiert habe!), vom Philologen Nietzsche (sehr schöner Brief) und vom Postmeister Wickerle aus Schwerin. Alle sonstigen Freunde und Verwandten haben geschwiegen. Wie unschön. Abends bin ich sehr wehmütig gestimmt. Die Einsamkeit ist das einzige, was uns not tut.
Montag 24ten
Große Müdigkeit, R. unwohl, dazu viel Tapezierer-Nöte. Hübscher Brief seiner Schwester Luise,[11] welche aber über die Judenbroschüre traurig ist. Mit den Kindern gespielt und gearbeitet, Lulu's Übungen am Klavier überwacht. R. schreibt an Mathilde und an den Ungarn, die ihm telegraphiert haben. Abends Brief von Marie Muchanoff, sie hat ihren öffentlichen Brief zurückgenommen und schreibt vernünftig. Sie hatte gehört, ich sei mit dem Vater und Hans entzweit. - Wie ich R. abends erzähle, daß ich manche Nacht durchgewacht, um meine Stickerei fertig zu machen, ist er sehr betrübt und wirft mir diese Rücksichtslosigkeit gegen mich selbst ernstlich vor.
Dienstag 25ten
Sehr hübscher Brief der beiden Schures. R. unwohl und ich etwas wehmütig gestimmt. Den Grund davon, den ich R. auch sage, ist meine Sorge um die Kinder und die Befürchtung, daß R. durch seine Unfähigkeit, sich zu beschränken, nicht wird für sie sorgen können. Ich muß mich noch mit den Tapezierern abgeben, doch komme ich dennoch dazu, mit den Kindern zu arbeiten. Nachmittags mit R. in die Stadt einen alten Schrank besehen. Abends im Don Quichote gelesen.
26ten Mittwoch
Hermine zu ihren Eltern auf Besuch. Ich am Morgen mit R. ein ernstes Gespräch über das, was mit den ältern Kindern zu tun sei in der nächsten Zeit. Entschlossen, sie bei mir zu behalten und lieber ernste Vorwürfe zu ertragen, als ihre Pflege jetzt zu unterbrechen und sie der Unstetigkeit preisgeben. R. kniet vor mir und sagt, er habe nichts andres im Sinn, als sich meiner würdig zu machen! Morgen und Nachmittag die Kinder unterrichtet, auch zur Klavierstunde mit ihnen, dabei Gr. B.* (*Graf Bassenheim) und den alten Fürsten Wallerstein gesehen, die Wahlen in Bayern besprochen, sie sind ultramontan ausgefallen und die Partei ist äußerst übermütig. Der König dankt ihr durch ein Schreiben für die loyale Gesinnung, die sie bewiesen! Es ist entschieden der Untergang Bayerns, der sich vorbereitet, und es geht dies auf eine Allianz zwischen Österreich, Frankreich und Süddeutschland gegen Preußen durch Vermittelung der Pfaffen [hinaus]. Recht sehr erbärmlich. Die Wahlen in Paris sind ganz radikal ausgefallen. - Heimkehrend mit den Kindern treffe ich R., welcher an den König geschrieben hat. Die Meldung der Danksagung des Königs betrübt ihn tief, es ist zu schmachvoll. Abends Don Quixote. Ich sehr müde um 9 Uhr zu Bett, bei den Kindern.
27ten Donnerstag Fronleichnam
Kanonenschüsse sagen es an. Die Kinder munter und lustig, wollen gern die Prozession sehen, ich schicke sie hin, spare mir aber den Anblick. R. kommt leidend zu mir und spricht sich schroff gegen den Ausgang der Kinder [aus]. Ich schweige und erwidere ihm nur später, daß ich am Tag vorher ihn gleichsam um seine Ansicht gebeten, indem ich ihm sagte: Die Kleinen wollen gerne die Prozession sehen. R. geht nun weiter und wirft mir vor, daß ich in der Kindererziehung förmlich untergehe, ich sei nur noch Mutter, er verliere mich ganz. Er habe sich gefreut, daß ich die Stube neben der seinigen beziehen werde, nun ging ich bei den Kindern schlafen. Vorwürfe könne er mir darüber nicht machen, nur empfinde er es schmerzlich. Tief erschüttert von den Worten weiß ich nicht, was ich sagen soll; wenn er sich nicht wohl bei mir fühlt, so verdiene ich die Vorwürfe, und mir ist doch, als könnte ich nicht anders handeln; doch müßte ich suchen, daß alles ineinander ging und niemand etwas vermisse. R. sagt freilich später, er sei sehr unwohl und dieser sein Zustand habe seine Stimmung erzeugt. Ich schreibe an Claire und an Mme Lucca. Die Kinder sehr vergnügt heim. R. legt sich zu Bett, ich lese ihm seines Onkels Adolph[12] Broschüre »Theater und Publikum« vor. Sehr bedeutendes Schriftchen. Um 4 Uhr gespeist; Besuch des Grafen Bassenheim, ein wenig lästig. Ankunft von Blumen, vom König gesendet. Abends einige Scenen aus dem »Kaufmann von Venedig«. R. sagte mir auch am Morgen, es sähe aus, als ob ich meinen Tod erwarte und nun mich nur nach allen Seiten hinopfern wollte.
28ten Freitag
Mein Augenmerk darauf gerichtet, die doppelte Aufgabe freundlich zu lösen. Ich hoffe, es ist mir geglückt. Die Kinder arbeiten lassen, während R. komponiert. Auch an Marie Muchanoff geschrieben. Nach Tisch mit R. musiziert, Haydn'sche Symphonien[13] gespielt. Dann ihm mit den Kindern entgegen, wie er von der Stadt zurückkommt, nachdem Lusch den Brief an ihren Vater mir diktiert hat. Abends spielt er mir die göttliche Skizze vor; die ewigen Werke werden euch antworten, meine Kinder, wenn ihr euch fragt: Was hat Mama geliebt, wem hat sie gelebt? Große Schwüle draußen und Gewitter, mir tut es beinahe wohl; wenn das Herz in Sorgen schlägt, ist die Unruhe draußen nichts Unwillkommenes. Um Mitternacht hinauf, da ruft mich Jakob, sein Söhnchen ist krank und schreit. Ich gehe hinein und lege die Hand auf ihn, und es beruhigt sich das Kind. Jakob sagt es R. und dieser meint: Er kenne meine Hand und wisse, daß ich vom Tode einen in's Leben wieder rufen könnte durch meine Berührung. Nachts schlaflos, weil alles unruhig, Loldi fürchtet sich, Kos heult und schnarcht, dazu Sturmwind und Mondschein.
Samstag 29ten
Sehr müde des Morgens. Loulou's Klavierübungen bewacht, dann mich etwas hingelegt. Nachmittags gingen die Kinder zur Klavierstunde, ich mußte Boni bestrafen und zu Hause behalten, das gab R. zu einigen Bemerkungen Anlaß; da ich ihm betrübt zuhörte, sagte er: Ich sollte doch wissen, daß alles von mir ihm hoch und heilig sei und daß, wenn er sich zuweilen so äußerte, dies wie die Saturnalien wäre, wo es erlaubt war, mit den Göttlichen zu scherzen. Für ihn schwebte ich schon im Empyreum.[14] - Ich mußte furchtbar weinen, wie er mir dies sagte, und ich suchte nur abzulenken, weil ich es gar nicht fassen und ertragen kann, daß er mir einen Wert beilegt. Nach Tisch Mozart'sche Symphonien vierhändig gespielt. Große Schwüle draußen. Mit R. den oberen Salon ein wenig geordnet. Am Morgen kam ein Brief von Hans an seine Tochter, er klagt über seine Gesundheit und die wenig angenehmen Beschäftigungen. Mit den Kindern und R. spät noch in die Stadt, sie kaufen sich Orangen. Abends einen Aufsatz des »großen« Herrn Riehl über die neue Oper Rheinberger's. Auffallende Dummheit. Nuitter'scher Brief, daß die Tantiemen des Rienzi gering sein werden.
Sonntag 30ten
Bange Nacht, ich vermeinte schon, meine Stunde sei gekommen. Das Gewitter mag mich so beunruhigt haben. Ruhiger schöner Tag, mit Lulu Geographie und Klavier geübt. Kindertisch, nachdem R. gearbeitet hat. Mozart'sche Symphonien mit R. vierhändig gespielt, dann, während er Briefe schreibt, den Kindern Grimm'sche Märchen vorgelesen, Lotto und Domino mit ihnen gespielt und endlich ihnen die Laterna Magica gezeigt. Wie ich mich über manchen guten Zug des Charakters freue und zu R. sage, man müsse nur viele andre Kinder sehen, um das freundliche Naturell der meinigen zu schätzen, sagt er: Nicht die gute Art, sondern die gute Erziehung hätte hier aufzufallen, und jeder, der mich mit den Kindern sähe, müsse Ehrfurcht bekommen. Wie wohl tat mir dieses Wort!! - Vom König meint R., es sei förmlich providentiell, daß er sich benähme wie er es tut; wäre er nur um ein Haar kühner auf alles eingegangen, wäre er wohl gar nicht mehr König. - Am Morgen fanden die Kinder zwei Vögelchen, die sie tot glaubten; bald sahen wir, daß die Kleinen noch lebten und wahrscheinlich durch irgend einen andren Vogel aus ihrem Nest geworfen sind. Nun liegen sie in Watte und werden von uns genährt, ob wir sie aber durchbringen, weiß Gott. Es sind Rotkehlchen.
Montag 31ten
Eingeschlossener Tag, es regnet. Mit R. in der oberen Wohnung gefrühstückt. Dann mit den Kindern gearbeitet. R. geht an seine Skizzen. Nach Tisch bringt die Illustrirte Zeitung eine Biographie Hans' mit dessen Portrait, es erschüttert mich letzteres tief. Den übrigen Tag mit R. und den Kindern, wir sind alle zusammen fleißig und munter. Aber unsere Vögelchen werden von der Katze getötet! Abends Don Quixote von R. vorgelesen. - Viel Freude mit R. an Boni's Charakter-Entwicklung. Es ist, als ob meine Entfernung ihr einen furchtbaren Eindruck gemacht hat. Alles Hämische, selbst Boshafte, was mich früher an ihr betrübt hat, hat einer großen Sanftmut und Bescheidenheit Platz gemacht. Dabei ist sie sehr munter und gesund und fühlt sich sehr wohl.