April

1ten Donnerstag
Vom König geträumt, auch von Raubtieren im Kampf mit Rus;[1] sehr wenig Schlaf. R. meldet, daß er auch gar nicht geschlafen habe. Doch macht er sich an die Arbeit, und ich an die Briefe (an J. Gerstenberg, die mich ersucht, dem König ein Bild zu verkaufen; an Claire und an Hermine). Nun gehe ich wahrscheinlich den Kindern bis Romanshorn entgegen. Loldi freut sich und selbst auch Eva. R. hat nun seinen Siegfried bis zur Höhe gebracht! Ich befürchte eine Pause wegen der Einrichtung. - Nach Tisch fahren wir in die Stadt, um Besorgungen zu machen (Evchen's Hut, Loldi's Anzug). Zu Haus Beginn der Unordnung, ich lege mich hin, da ich nicht helfen kann, und lese Lewes. R. heiter, sagt mir, er habe zuweilen ein unbegrenztes Vertrauen in seine Kraft. Die Bösen seien immer da, doch siegten sie eigentlich nie, es müßte nur der Rechte kommen (Beispiel: Odysseus). Er habe oft im Traum das Gefühl gehabt, daß er fliege, und so käme es ihm auch im Wachen an, es sei ihm zuweilen, als ob er nur zu wollen brauche, um hoch über alles zu schweben. Wir würden nicht untergehen. - Er hatte am Morgen einen Brief von der Berliner Intendanz, den er nicht sogleich aufmachen wollte, weil er Unangenehmes in Folge seiner kleinen Note in der Judenbroschüre erwartete. Statt dessen meldet ihm Hülsen sehr artig die Aufführung der MSinger in Berlin und Hannover. Es ist gut so, doch wie elend und erbärmlich sind diese Menschen! - Abends spricht mir R. von der Odyssee und von der Ilias, raucht dazu und trinkt Bier. Da in der Nebenstube vom Schreiner gefirnißt wurde, vermischen sich diese verschiedenartigen Gerüche, und ich verfalle nach und nach einem Schwindel und einem Kopfweh, die mich des Sehens ganz berauben und endlich auch des Hörens. Als ich R. meinen Zustand erklärte, wurde er sehr heftig und sah einen Vorwurf in dem, was nur eine Erklärung war. Er sagte dann manches, was er lieber nicht hätte sagen sollen, und ich hinauf in meine Stube und war bekümmert und weinte. Nun überlege ich, wie ich am besten tue, ob ich seine Heftigkeit sich legen lasse, oder ob ich zu ihm hinunter gehe und ihm noch einmal ruhig die Sache erkläre und ihn besänftige. Kaum hatte ich dies geschrieben, da trat R. herein, um mir Gute Nacht zu sagen. Ich ging dann zu ihm hinunter und beruhigte seinen Wahn.
2ten Freitag
Früher hieß dieser Tag der h. Franciscus für mich, jetzt schwindet er mir dahin wie die andren. Es wird eingerichtet, ich helfe mit die Bücher klopfen und ausstauben. Nach Tisch ruhe ich mich aus und lese in »Goethe's Leben« von Lewes. Dann im Garten mit den Kindern und R., der von der Stadt heimgekehrt. Dort hat er einen hübschen Brief von einem Comite Wagnerien erhalten, welcher ihn um seine Erlaubnis ersucht, der ersten Aufführung des Rienzi beizuwohnen. Spät abends Richter aus München, der manches Unterhaltende, doch auch Unerfreuliches berichtet. Die Hetzereien Lachner's hören nicht auf; und Hans hat um Erlaubnis gebeten, einige Wochen nicht mehr zu dirigieren. Ein elender Zeitungsschreiber beherrscht das Münchner Blatt par excellence und setzt alles herab, was Hans tut. Mich peinigt der Bericht; es war mir eine große Beruhigung, Hans zufrieden zu wissen. Nur, auf Beruhigung hat es das Leben nicht abgesehen.
3ten Samstag
Am Morgen gestickt, während R. mit Richter den jungen Siegfried vornimmt. Kindertafel und dann Spaziergang bei Sommerwetter. Briefe aus Paris: Nuitter meldet, daß die Judenbroschüre große Wut anfacht und daß dieselbe wahrscheinlich dem Rienzi schaden wird.
4ten Sonntag
R. unwohl, wobei mir immer klarer wird, daß die mindeste Veränderung in unsrer Lebensweise und der geringste Kontakt mit der Außenwelt ihm nun physisch wie moralisch unerträglich ist. Die beabsichtigte Münchner Aufführung des Rheingoldes grämt ihn auch tief, keine Mittel sind da, und nun soll es forciert, sein großes Werk zerstückelt werden - es ist ein Jammer, und ich bin in Todesangst, daß das Befassen damit selbst von hier aus, ihm ganz und gar die Laune zur weiteren Arbeit benimmt. - Sein Aussehen ist schlecht und sein ganzes Wesen verändert. - Wiederum Kindertage; nach Tisch bin ich müde und lege mich hin (mit dem »Leben Goethe's« von Lewes), spät abends noch in die Stadt. Dann das Rheingold vorgenommen; allein R. wird ungeduldig und mißmutig. - Ein ultramontanes Blatt lobt die Judenbroschüre und lobt den jungen König, der, wie sein Ahnherr Orlando di Lasso [3] beschützte, den Komponisten des Heldengesangs R. Wagner liebt und ehrt. So ist die Welt.
5ten Montag
Großes Übelbefinden und Einrichtungsnöte. Ich verbringe den Tag auf dem Sofa, höre R. zu, wie er das Rheingold mit Richter vornimmt, und sticke. R. ist selbst sehr unwohl - der Kummer hat uns beide so niedergeschlagen. Ich erkenne es wohl, daß wir einzig füreinander und miteinander leben können, jede Berührung mit der Außenwelt, und sei es durch das freundlichste Medium, ist uns verderblich. Abends ein wenig in »Charmides«[4] gelesen, doch nicht weit gekommen. Um 1 Uhr ist der gute Richter fortgereist.
6ten Dienstag
Ich bin immer unwohl; die Ankunft der Kinder greift mich an. R. schreibt Briefe, ich sticke und lese in Lewes' »Goethe«, ein erbärmliches Buch, doch ein edler Gegenstand. Nachmittags langer Spaziergang, abends badet R., der sehr sehr angegriffen ist. Ich lese ihm vor (Schluß des »Charmides«). Die Kinder kommen nicht morgen, sondern Donnerstag. In den Propyläen[5] lese ich Briefe von Großpapa über des Vaters erste Erfolge, die mich recht rührten.
7ten Mittwoch
Große Angegriffenheit von mir und von R.; selbst der Umgang mit den Kindern wird mir schwer. Ich bekämpfe die Schwäche, so gut ich kann, und beginne den Brief an den König. Zwei Depeschen kommen aus Paris und melden den großen Erfolg des Rienzi (gestern war die erste Aufführung). R. war gerade bei mir, um mir zu sagen, daß es ihm unmöglich sei, jetzt über Berlioz zu schreiben. Gern würde er es getan haben, und die Wirkung eines solchen Aufsatzes würde vielleicht gut sein, doch danach dürfe man nicht fragen. (»B. der Riesenschüler, zu groß, um einen Meister zu finden«). Bei Tisch dritte Depesche, von Pasdeloup nur die Worte: Grand succes! - Besuche gemacht (Fr. Am Rhyn, Gräfin Bassenheim). Hin und zurück mit R. Auf der Post findet er einen hübschen Brief von Pr. Marbach, welcher ihm sagt, daß alle verständigen Menschen sich über die Broschüre freuten, und von der Aufführung des »Hamlet« von Ambroise[6] Thomas im Laube'schen Theater meldet!!! Ich fand einen Brief Claire's, welche Hans' Ritterlichkeit, mir die Kinder zu senden, hoch preist -. Wie gern will ich es ihm danken! Mit den Kleinen Verstecken gespielt und die ersten Veilchen entdeckt. Abends »Ladies« von Platon gelesen, dazwischen eine vierte Depesche; diesmal aus Berlin und von Tausig, sie lautet: »Kolossaler Erfolg des Lohengrin, alle Juden versöhnt, dein dich verehrender Karl.« In dieser Weise bedeuten die Erfolge etwas. - Beim Abendessen besprach R. wiederum die Erinnerung an Berlioz, er dürfe ihn jetzt nur loben und zeigen, daß seine Mißerfolge an der Schlechtigkeit der übrigen Musikdinge gelegen haben; allein es habe auch an ihm, an seiner Anlage gelegen, er sei unfrei gewesen, und die Unfreiheit des Geistes habe nach und nach die Verschlechterung des Charakters nach sich gezogen. - Viel in Lewes gelesen, der Gegenstand fesselt beständig; wie fürchterlich aber, daß die Herzensverhältnisse besprochen werden, wie schrecklich für eine Frau die Berühmtheit! Seltsam erscheint es mir auch, daß Frauen, welche von großen Männern geliebt worden sind, nicht empfinden, daß sie alles durch diese Menschen und durch diese Liebe sind, und sich einbilden, [daß sie] noch außerdem etwas durch sich sind.
8ten April
R. sehr leidend, erhielt die Meldung der Ankunft des Regisseur Hallwachs[7] aus München. Ich schreibe an den König. Um 12 Uhr Mittagessen und dann Abreise mit schwerem Herzen, weil R. elend aussieht. Ich fühle es immer deutlicher, wie die Trennung von nur einer Stunde uns beide ergreift und uns eigentlich unmöglich ist. In Zürich die Kinder getroffen - nachmittags Freude. Sie sind verändert und nicht wohl, wenn auch nicht krank. Heitere Heimfahrt. R. immer angegriffen, doch mit seiner Konferenz sehr zufrieden, der Maschinist Brandt (verständnisvoll erfinderisch). Alles zu Bett. Großer Kummer über die Notiz, die mir Hermine gibt: Hans ist krank, meist aus Ärger über die ewigen Quälereien. Er besucht die Schule und leitet auch das Orchester nicht mehr. - Von Paris sind Nachrichten da, der Erfolg scheint groß gewesen zu sein, auch hat Mme Mendes wieder einen sehr guten Aufsatz geschrieben (Richard Wagner - Liberte).
9ten April
Aufgeregte Nacht, von Vater und Mutter Schlimmes geträumt, das kleine Volk aber wohl; ich fühle, daß ich mich von den Kindern nicht trennen darf. Den Brief an den König fertiggeschrieben. - R. stets unwohl, geht nicht an seine Arbeit. Kindertisch; Boni sehr gescheit, aber etwas affektiert, Loulou wie ängstlich. Eine Depesche bringt die Nachricht von der zweiten Aufführung des »Rienzi« in Paris; tous vos amis heureux, telegraphieren Flaxland und Nuitter.[2] Im Garten mit den Kindern, Veilchen und Schlüsselblumen! Loulou diktiert mir einen Brief an ihren Vater, und ich lege den letzten Brief Clairen's, welche Hans preist, bei. Dann einige Zeilen Mathilden's empfangen, bei welchen ein Aufsatz der Wiener Revue; erzählt, R. sei schuld, daß die Ausstellung nicht stattfinden sollte; nun der K. doch habe nachgeben müssen, würde das Rheingold auch nicht gegeben!! R. schickt dies an Düfflipp und schreibt der Presse. In die Stadt mit den Kindern, zur Post, zum Conditor und heimgefahren. - Mich schmerzt der Anblick der älteren Kinder, erstens sehen sie nicht so wohl aus wie die kleineren, dann sehe ich, daß ihre Entwicklung mich vermißt hat. Eine dunkle Ahnung sagt mir, daß ich an dieser Empfindung scheitern werde.
10ten April
Frisch aufgewacht nach einer guten Nacht; Sonnenschein, Vogelsang, dazu Kindergedanken. Übermächtige Wehmut, dabei aber den festen Entschluß, alles in mir zu verarbeiten und zu überwinden, damit R. nicht darunter leide. - Beim Frühstück las mir R. einen Brief von Hans, den er eben bekommen, und der inmitten der nichtswürdigsten Intrigen vereinsamt dort lebt. Da brach mir das Herz, den ganzen Morgen weinte ich und schluchzte und überlegte. Nachmittags schrieb ich die ganze Mitteilung der Dinge dem König. Um zehn Uhr morgens wurde Loldi gratuliert und ihr beschert. Dann Kindertafel, nach Tisch in dem Bericht des Arztes Friedrich's des Großen gelesen. Herrlicher Eindruck. R. geht mit Loulou zur Stadt, ich bleibe mit den drei andren Kindern und spiele mit ihnen. Eine Centnerlast ist auf meinem Herzen. Von der Stadt bringt R. einen Brief von Mme Flaxland [8]- in sehr alberner Weise teilt sie mit, daß die Judenbroschüre den Erfolg des Rienzi beeinträchtigt. Es gibt keine Menschen mehr - nur »Blätter«! Abends in dem ärztlichen Büchlein weiter gelesen, bei manchen Stellen eine ganz übermächtige Rührung. Mit trübsten Gedanken lege ich mich zu Bett, mir ist, als könnte ich nie wieder froh sein - doch wünsche ich mir den Tod nicht, zu sehr sehe ich, wie ich den Kindern unentbehrlich bin, und vielleicht begnadigt mich das Leben doch noch, so daß ich helfen kann! - Gute Nacht meine Kinder, gute Nacht mein Geliebter, gute Nacht armer Hans, wenn Tränen etwas bei der Gottheit wert sind, so müßt ihr alle noch beruhigt werden, denn ich habe gar schmerzlich um euch geweint.
11ter Sonntag
Am Morgen ein Pack Zeitungen von Mme Flaxland zugeschickt. Viel Unsinn und viel Jüdisches. R. schreibt an Hans, zeigt mir jedoch seinen Brief nicht. Die Kinder in der Kirche mit Hermine. Nachher Kindertisch zum Kaffee, ein Brief von Hans, der lauter Übles aus München berichtet; und dazu einen Brief von Paul von Fels[9] (ehemals Fürst
Taxis), welcher irgend eine Anstellung wünscht und, um diese zu erobern, lauter Klatschgeschichten mitteilt! Um drei Uhr Kahnfahrt mit den drei Kleinen und R. und bei der Heimkehr einen Baum ganz in Blüte gefunden. Abends mit Friedrich dem Großen uns beschäftigt. Zuvor ein kleines Gespräch mit Hermine, die mir treu und anhänglich erscheint. - Die vier Kinder schlafend betrachtet und gesegnet. Schöne Sternennacht. Die Natur lacht - mein Herz weint - »das Schicksal ist unerbittlich, der Mensch wenig«. - In Paris geht es jetzt darauf ab, den Erfolg des R.* (* Hier: Rienzi) zu leugnen und [zu] vereiteln.
12ten Montag
Früh aufgewacht aus einem hübschen Traume: R. sang mir das Thema, welches er mir vor kurzem mitteilte: »Sangst du mir«, und forderte mich auf, das zweite Thema aus der Liebesscene Siegfried's und Brünnhilde's (»sie ist mir ein und eigen«) dazu zu singen, was ich tat. - Mit den Kindern gearbeitet Vor- und Nachmittag und gegen sechs Uhr mit ihnen in die Stadt, wo uns R. einholt; er sagt, von weitem nehmen wir uns aus wie ein wanderndes Kornfeld, Mohn- und Kornblumen seien die Kinder, ich das Feld. >Was er sei?< frug ich: »Der Glückliche, mein Alles'chen«, sagt er. Auf dem Heimweg treffen wir die Züchtlinge wieder, deren Gesichter - trotz ihrer Artigkeit gegen uns - uns erschrecken; keine Hoffnung ist da, es ist wie eine Prädestination zum Schlechten, und alle mitleidvollen Entschuldigungen und vernünftig gütigen Erwägungen halten nicht Stich gegen den Eindruck einer solchen Physiognomie. - Von der Post bringt R. zwei Briefe mit, wovon einer von Champfleury.[10] Abends »Protagoras« begonnen; trotz R.'s Müdigkeit, welche von den Späßen kommt, die er mit den Kindern unaufhörlich unterwegs gemacht. - Am Morgen hat er auch gearbeitet - zum ersten Mal seit der Unterbrechung.
13ten Dienstag
Ein Tag schöner als der andre, die Natur jubelt und die Kinder erholen sich. Mit ihnen wieder am Morgen gearbeitet, alle viere um mich herum; wüßte ich nur Hans befriedigt, wie glücklich wäre ich jetzt, allein den wolkenlosen Himmel finden wir nur da draußen, nicht in unsrer Seele, und klagen dürfen wir nicht. Als ich heute mit einem Seufzer mein Leben überdachte, sagte ich mir, daß ich nichts daraus entfernen möchte, außer meine Irrtümer. - Den ganzen Tag die Kinder unterrichtet (Leben der h. Elisabeth unter andrem erzählt).[11] R. arbeitet. Abends Protagoras; ich für mich beim Ausruhen Goethe's Sonette und sein Leben. Die Nicht-Beantwortung des Beethoven'schen Briefes kränkt mich, als ob G. ein Bruder oder nächster Freund von mir gewesen wäre. - Von Paris ein Papier-Schnitzel; Beckmann verteidigt Wagner gegen den Vorwurf der Undankbarkeit (König von Sachsen!), den Charnacé erhoben hat. Die Besprechung dieser Groteske bringt R. bald zu großer Erbitterung. - Schöne herrliche Stimmung zwischen R. und mir - ich entsinne mich dabei mancher Camelien-Blüte, die ich habe sich prachtvoll verschließen sehen trotz des bösen Wurmes, der, ein gelb-schwarzer Punkt, in dem Herz mir lag. Dieser schwarz-gelbe Punkt, die Sorge um Hans, er ist eben da und von der Natur gewollt wie das Erblühen der Pflanze! - Die Sachen sind aus München angekommen. - Mich erhebt bei allen Sorgen um die Kinder der Gedanke, daß - wenn auch ihr äußeres Leben vielleicht schwieriger durch mich wird - meine Vereinigung durch R. es mir gestattet, ihre innere Entwicklung ganz anders zu befördern, als es sonst der Fall gewesen wäre; und da wir nur von innen aus uns ein Glück bilden können, so ist dieser Gedanke ein schöner Trost.
14ten Mittwoch
Sonne, Knospen, Blüten, zum ersten Male das Kuh-Läuten. Um sechs Uhr aufgestanden, für R. Briefe geschrieben (Champfleury), dann gebadet. Nach dem Frühstück sogleich mit den Kindern im Garten, wo ich gestern schon und heute den Kuckuck hörte. Den ganzen Tag mit den guten Kleinen zugebracht, abends mit ihnen Reif und Springen gespielt. Loulou und Boni sind durchaus gut, willig, fleißig, und auch begabt. Heute bei der Rechenstunde war Lusch sicherer als ich! - Die Post bringt einen Schmähartikel aus Petersburg und eine Schmähbroschüre aus Leipzig. Alles Juden. Abends bin ich sehr matt und angegriffen, und mühselige Gedanken gehen mir durch den Kopf. Wie werde ich es dem Drang meines Herzens jemals recht machen? Wie leicht ist es, für das, was man liebt, zu sterben, wie schwer dafür zu leben! - Ein schöner Augenblick des Tages war der, an welchem - nachdem er die Kinder hatte herumtanzen lassen - R. das Thema: »Freude schöner Götterfunken« spielte. Das, was wir armen Menschen nicht haben, schenkt uns der Genius, indem er es besingt - die Freude. »Alle Weisheit, alles Dichten hört da auf«, - sagt R., - »neben dem Göttlichen dieses naiven Themas, welchem er durch den erhabenen Baß die ganze Wucht der menschlichen Empfindung gibt. Hier hat man das Naive und das Sentimentale vereint.« - »Protagoras« beschließen wir; doch ich bin durch meine mütterlichen Sorgen zerstreut. Ich ging noch einmal die vier Kleinen schlafen sehen. - (In Mannheim sind in Folge der Broschüre [12]die MSinger ausgepfiffen worden).
15ten Donnerstag
Am Morgen einen Brief von Hans für Loulou. Ich mußte wiederum viel weinen. R. kam und meinte, ich würde es wohl nicht ertragen können, das Los. Im Garten dann bei schwülem Wetter die Kinder unterrichtet. Nachmittags langer Besuch der Gräfin Bassenheim, welcher ich R. vorstelle und die sich recht gut dabei benimmt. Vieles durch sie über die bayerischen Zustände erfahren (Erbärmlichkeit des Königs Max,[13] der sich vor dem Bürgermeister fürchtete, und Kammerherrn-Stellen, die für 300 Gulden zu haben wären). Merkwürdig vornehm und würdig sieht R. bei der Unterhaltung aus. - Abends noch mit den Kindern dann mit R. einige Briefe Friedrich's des Großen an d'Argens mit vielem Interesse gelesen. Ein großer Sturmwind hat sich erhoben - am Ende ist unser Frühling vorüber.
16ten Freitag
Die Wehmut wankt und weicht nicht - nachts wache ich jäh auf, und abends denke ich, wie es dem armen Hans jetzt gehen möge. Gar wenig war ich ihm - doch wie schwer fällt es mir, ihm dieses Wenige zu entziehen! - Am Morgen begrüßt mich R. mit den Worten: Er käme herauf, weil er sich eben befragt habe, ob ich nicht eine Legende der Tradition sei, er wolle sich versichern, daß ich wirklich da wäre! Das Wetter ist rauh, wir arbeiten und spielen, die Kinder und ich im Kindersalon. Dann speisen sie - weil sie artig waren - mit uns. Nach Tisch lese ich Lewes aus - und, bezeichnend genug für das erbärmliche Werk, ich muß nachher in einem Lexikon die genannten Daten nachlesen. - Abends diktiert mir Loulou einen hübschen Brief an ihren Vater. - Nach dem Tee wiederum einige Briefe Friedrich's gelesen - und dabei zerstreut, mit Sorge und Kummer an Hans gedacht. Von diesem Druck wird wohl das Herz nie wieder befreit werden, und ich weiß keine Hilfe, als ihn zu tragen und nicht zu klagen, und weder Kinder noch Geliebten es ahnen zu lassen, wie umwölkt bisweilen meine Seele ist. - (Zeitungen. In der Revue des deux Mondes ein großer Aufsatz von Schuré[14] über R. Wagner. Die andren Zeitungen, meist günstig, konstatieren den Erfolg des Rienzi).
Samstag 17ter
»Je ne [me] plains plus de la fortune par ennui.« »pour connaitre mes secrets il iaut commencer par me corrompre, et cela n'est pas facile.« - Fr. der Große. Am Morgen großer Pack Zeitungen (Julius Lang, J. J. Weber). Wie gewöhnlich mit den Kindern. Nach Tisch gehen sie zu der Gr. Bassenheim, ich schreibe an Mathilde und empfange dann von Claire die Nachricht, daß die Mutter in der Irrenanstalt eingesperrt sei! - Ein schwerer Monat, dieser. - Das Wetter ist trübe, die Bäume grünen bei grauem Himmel, es ist wie Kinder-Kummer.
Sonntag 18ten
Sehr leidend, doch immer mit den Kindern; Lusch Globus-Unterricht gegeben. Kindertisch - heiter und hübsch. Nachher Kasperl-Theater und später Laterna Magica. Loldi spielt Kasperl, und sie und Eva jubeln bei den Lichtbildern. Abends mit R. ein wenig Schubert (ohne Genuß) und ein wenig Platon. Allein er ist müde und muß bald aufhören. - Seltsame Nachricht, daß Hiller seine Stellung als Alles in Köln aufgibt; Judentum in der Musik? Von Constantin Frantz[15] hatte R. einen sehr hübschen Brief; er sagt, die Broschüre »wäre ein rechtes Wort zur rechten Zeit«. Prof. Eckert in seiner Vorlesung über R. Wagner in Berlin bezeichnete die Broschüre als beklagenswert!
Montag 19ten
Immer Kinderleben; R. arbeitet etwas, trotzdem er sehr leidend ist. Keine Briefe, eine Pariser Zeitung mit Karikatur und - sehr enthusiastischem Artikel. R. geht in dem sehr schlechten Wetter aus und kommt sehr leidend zurück. Er geht früh zu Bett und ist sehr angegriffen. Ich schreibe an Claire. Den Kindern las ich vor, wie die verschiedenen Vögel ihre Nester bauen, und ich erzählte dies R. Er meinte: Wenn ein Mensch mit der Sicherheit der Wahrhaftigkeit verführe, nicht links noch rechts sähe, so könnte man ihm eigentlich nichts anhaben, und er wäre so sicher vor den Menschen wie das Vogelnest vor dem stärksten Sturmwind. Das Wort Christus': »Sorget euch nicht, der Vater, der die Lilien bekleidet, die Haare auf eurem Haupte zählet, den Sperling auf dem Dache beschützt, wird auch für euch sorgen«, sei schwer zu verstehen, aber von tiefer Wahrheit; der Mensch, der wahrhaftig nur seiner einen Bestimmung lebt, hat sich um nichts zu sorgen. In der Siegfried-Sage und in dem kleinen Däumling-Märchen habe das Volk den Typus eines solchen sicheren Menschen ausgeprägt. - Wie ich heute in der Bibliothek mir ein Buch suchte, kam R. in die Nebenstube herein, und ich hörte ihn für sich sagen: »Es ist ganz herrlich.« Später frug ich ihn, was denn ganz herrlich sei, er sagte, der Kinder Jubel oben, den er eben vernommen hatte.
20ten Dienstag
Ich träume von Rheingold und einer wunderschönen Inscenierung desselben in München, R. sieht mich dagegen auf der Totenbahre, von den Kindern umgeben. Es wundert mich dies insofern, als ich gestern abend durch R.'s leidenden Zustand ergriffen in wehmütige Todesgedanken versank. Kindertag wie immer. Bei Tisch bespricht R. mit mir die soziale Frage und sagt, er gebe gern seine ganze Kunst auf ein Jahrhundert daran, um es zu erleben, daß die unteren Volksschichten eine Läuterung und Reinigung der Zustände herbeiführten. Die Kinder in der Stadt, ich mit meiner Stickerei zu Hause, R. liest mir das Kapitel Schopenhauers: »Über das Absichtliche in dem Schicksal des Einzelnen«.[16] - Ein Brief Nuitter's spricht von der sechsten Vorstellung des Rienzi, »welcher nun drei Mal die Woche dort gegeben wird und wahrscheinlich jetzt in die Provinz dringen wird«. - (Le bien et le mal que l'on prevoit n'arrive point - Friedrich der Große. Ein erschreckendes oder beruhigendes Wort, je nachdem.) - Vom vielen Weinen ist mir ein Ohrensausen geblieben, das mich peinigt und auch etwas beängstigt. R. hatte Einrichtungs-Ärger ; ich kann mich immer nicht genug wundern, wie er solche allerdings sehr ärgerliche Dinge so heftig nimmt und doch immer wieder sich mit ihnen abgibt.
21ten Mittwoch
Gute Nacht am Morgen, weil wir gestern keinen Abschied nahmen. Schönes Wetter, doch nicht so warm, daß man im Garten sitzen kann. Ich enthebe die Kinder ihrer Stunden, damit sie recht viel herumlaufen. Mir fehlt die jetzt gewohnte Beschäftigung; dafür Briefe geschrieben, Vorbereitungen zu R.'s Geburtstag. Hierzu viel Einrichtungsgeschichten und ein neues Mädchen. Nachmittags Depesche von Claire, »einige Hoffnung, Mutter wohler«, hernach der Brief, welcher anzeigt, daß die Mutter in Todesgefahr gewesen. - Schwer drücken die Gedanken. - Die Kinder sind gut. Abends »[ ]«* (*Gelesen: »Kleinias«, muß wohl »Kritias«[17] heißen) von Platon beendigt, viel Freude daran. R. hat auch ein Weniges am Morgen trotz der großen Unruhe im Hause gearbeitet.
22 Donnerstag
Herrlicher Tag, draußen Aufbrechen der Blüten, aber Loldi krank; für mich also Kummertag. Claire schreibt, daß die Mutter etwas besser, doch nicht außer Gefahr. R. arbeitet einiges. Abends Briefe Friedrich's II., am Tage mit der Kranken und Loulou. Brief an ihren Vater aufgeschrieben. Dieser hat in Regensburg ein Konzert für den Papst gegeben; der Vater wohnte demselben bei!
23 Freitag
Üble Tage bei herrlichem Wetter. Die Berichte über die Mutter fahren fort, ungewiß und ängstlich zu sein (ich schreibe an Claire), und zu Loldi gesellt sich Lulu und ist krank. Dazu manche Kränkung von gleichgiltiger Seite wie von der einzigen Seite. Hans' Mutter hat allerhand alberne Vorkehrungen betreffs der Kinder getroffen, als ob ich etwa nicht für sie sorgte und als ob sie etwa ihre eigenen Kinder moralisch und physisch gut gepflegt hätte. Wie Hermine mir einiges mitteilte, wollte ich mich an Hans wenden und das Beleidigende von mir weisen, doch indem ich mir es überlegte, fand ich heraus, daß, wenn ich auch die Kränkung in dieser Form nicht verdient habe, ich für manchen Schmerz, den ich vielleicht verursache - auch wenn er unlauter ist -, sie willig tragen muß. Daß R. heute gar übel mit mir verfuhr, indem er mir gleichsam vorwarf, Eva nicht zu lieben, weil ich das Kind auf den späten Spaziergang nicht mitnehmen konnte, war wohl hart, und obgleich viele Stunden vorüber sind, so muß ich doch bitterlich weinen, indem ich es niederschreibe, doch ist gewiß auch dieses verdient. - Am Ende des Tages ist Loldi etwas wohler, da mache ich mich etwas auf mit Boni und Lusch. Herrlicher Blick auf die Berge. - Von außen ein Brief des Dr. Lang, viel Nichts enthaltend. Nun möge alles ruhen im Hause, die guten Kinderchen und der arme Freund - ich will mein Herz besänftigen, das heftig pocht. - Die Mutter glaubt selbst an ihren Tod und will niemanden sehen.
24ten Samstag
Den Arzt befragt wegen der Mutter und von ihm Beruhigung erhalten, welche abends ein Brief Claire's bestätigt. Die Kinder wohler. R. bespricht mit mir das gestrige Vorkommnis und meint, er habe doch seine törichte Heftigkeit genug damit gebüßt, daß er nicht mit mir spazieren ging. Dann schreibt er Briefe, unter andrem an Semper, um ihm die Wahrheit über die Münchner Festbau-Angelegenheit zu melden. - Ankunft einer Broschüre, »R.W. - l'homme et le musicien«[18] - viel Schönes und viel Elendes, immer die alten Geschichten von der Undankbarkeit etc. Loulou Geographie-Unterricht gegeben und ihr dann an einem Haselstrauch das Entstehen der Blüten und Früchte gezeigt. Gewitter-Abend. R. kommt von der Stadt zurück, von einem Hund gebissen! Entsetzlicher Schreck. Der Arzt erklärt dies aber für nicht bedeutend. Briefe von Mathilde, Schure (hübsch männlich) und Heim, welcher all die Ehren erzählt, die nun Semper zu Teil werden. Als erster Baurat zum Dom-Bau in Berlin berufen, dann vom Kaiser von Österreich als »berühmter Meister« mit dem Ausbau der Hofburg und andren Gebäuden beauftragt! R. empfindet die Schmach für den König von Bayern tief. Er sagt, er könne sich vorstellen, in welch sonderbarem Licht er den Leuten vorkäme, da er der einzige sei, gegen welchen der König sich gut benähme. Ihm müßte dies widerfahren, daß eine königliche Begeisterung als Monomanie ausfiele.
Sonntag 25ten
Brief Richter's mit allerlei aus München - stets Unerfreuliches. Die Kinder sind gesund, R.'s Biß heilt, doch geht er schwer. Ich bin angegriffen, weil ich lang in der Nacht gestickt habe. Mit den Kindern bis zu Tisch, Lulu eine Grimm'sche[19] Legende vorgelesen und gedeutet. Nach Tisch ausgeruht, mit R. meine Seele ausgeschüttet. Nachmittags Brief Nuitter's, welcher mir die Zusage des Quartetts ankündigt, viel Freude darüber, R. verwundert darüber, daß ich mit seinem Freunde in Briefwechsel bin. Scherz und Ernst. Dann Laterna Magica, endlich einiges aus dem 7jährigen Krieg. -
Montag 26ten
Aus Zeitungen ersehen, daß Hans das letzte Odeonskonzert nicht dirigiert hat. Also steht es schlimm dort! - R. ein wenig gearbeitet. Ich mit den Kindern am Vormittag, nachmittags bei Bassenheims. Abends »Polyidos« von Apel[20] mit R. gelesen. Nachts bis halb zwei einen Brief über Richard geschrieben. - R.'s Biß ist schlimmer geworden, und ich leide an Ohrensausen und Rückenschmerzen.
Dienstag 27ten
Herrlicher Tag, die Kinder munter, R. arbeitet etwas, wir beschließen die Partie nach Flüelen für morgen. Nachmittag Besuch des Grafen Bassenheim. Vorher liest mir R. die Beschreibung von Katte's Tod,[21] im unglaublichsten Stile geschrieben, und nebendem die Bestimmungen, welche Fried. Wilh. I. über sein Begräbnis getroffen hatte. - Es war heute ein Durcheinander-Tag, von Nuitter hatte ich einen üblen Brief, die Herren dort wollen gerne prellen und verlangen 2000 francs! Dies kann ich nun nicht und bin betrübt, dazu habe ich große Schmerzen. Gute Nacht, Kinder - Die Menschen wollen nicht sterben, das ist ihre Schwäche, und als höchste Errungenschaft meiner Seele muß ich es betrachten, daß ich nicht mehr sterben will. (An Mathilde den Brief zum Abschreiben geschickt).
28 und 29ten  Mittwoch
trotz üblen Prophezeiungen in Bezug auf das Wetter, nach Brunnen gefahren, dort einen Kahn nach dem Grütli genommen und dann nach Flüelen gekommen. Eine drollig unruhige Nacht durch den Nachtwächter, dann Boni's Sturz aus dem Bett und Loldi's Verlangen zu mir, endlich Kos' Bellen nach dem Wächter. Am Donnerstagmorgen nach Bürklen gefahren, herrliches Wetter, idyllische Stunden. In Flüelen am Abend hatte R. mir bereits gesagt, wie glücklich er sei; in diesem Morgen unter Blüten-Kronen bei reinstem Himmel und übermächtigem Gesang der Vögel fühlten wir wohl beide, wie wir uns angehören. Über die Axenstraße nach Brunnen, dann im Dampfschiff heim. Hier viel Not mit der Einrichtung, nur zu sehr erfüllt, was ich befürchtete, die Unruhe ist viel größer, als R. erwartete, er ist verdrießlich darüber. - Brief Claire's, Mama ging es besser, doch der Gemütszustand bleibt wütend. - Von München viel mit R. gesprochen, die Elendigkeit der politischen Zustände dort ist zu groß. Das Schulgesetz ist abgelehnt worden (vom Reichsrat), und Prinz Otto,[22] der zum ersten Male stimmfähig war, hat dagegen gestimmt! - Ich bin unruhig, daß Hans seinen Kindern nicht schreibt. Letzte Nacht träumte mir, ich sei nach M. gegangen, um ihm zu helfen!
30ten Freitag
Ein Brief von Hans an Loulou, er ist unwohl gewesen. Auch von der Krockow, sie will mich besuchen. Lusch schreibt an ihren Vater. Ich bin bei ihr und sticke. R. kommt herein und drückt mir feurig die Hand, er ist bei der Arbeit: (Heil der Mutter, die mich gebar).[23] - Der Arzt kommt wegen Lulu, ich bin mit ihrem Aussehen nicht zufrieden; sie und Boni sehen wie leblos neben Loldi und Eva aus. Nach Tisch schicke ich sie zur Stadt, dann arbeite ich mit Lusch, ein wenig biblische Geschichte, dann Naturgeschichte, und zeige ihr die Schmetterlinge (Segelfalter, Aurora, Pfauenauge), die gestern vor uns geflogen sind. Dann alles zu Bett und R. mir wiederum einige Briefe Friedrich's des Großen vorgelesen