März

Mittwoch 1
Schöner Brief von Freund Nuitter, der hoch über allem steht; der gute Pasdeloup aber will die Deutschen hassen und nichts von ihnen aufführen wollen, »cela se calmera«,[1] meint Nuitter. In der großen Oper sind Fragmente vom Tannhäuser immer mit größtem Erfolg - nur unter Protest der Zeitungen mehrmals aufgeführt worden. Ich meine, daß Pasdeloup auch ganz vernünftig sein würde, wenn er nicht vor das Publikum zu treten hätte, da wird jeder Franzose Komödiant; um einen Empfang zu haben, muß er die Deutschen hassen u.s.w., wie auch die Nationalversammler jetzt öffentlich gewiß ganz anders als privatim sich aussprechen. - R. sagt, wie wichtig und anregend die Lektüre von Gibbon gewesen sei, indem sie ihm gezeigt hätte, daß die Idee des römischen Reiches als höchste Staatsweisheit noch immer fortlebe und es sich nur darum handle, wer sie verwirkliche. - Gestern gab R. Richter bei Gelegenheit der Jubelouvertüre einen tüchtigen Verweis, da Richter sich wegwerfend über das Werk geäußert hatte. R. wies ihm nach, wie weihvoll volkstümlich festlich die Ouvertüre sei, der Empfang eines geliebten Königs durch sein Volk, gleichsam als idealer Tanz, als Reigen gedacht; da durfte es keine musikalische Knaupelei für Musikanten-Ohren geben, es mußte volkstümlich im höchsten Grade sein. Mir bedeutete R., wie der Musiker durch eine Idee, ein Bild bestimmt wird, demgemäß seine Musik entwirft, daß aber niemals durch ein Bild erklärt werden soll oder darf. Richter war beschämt, und zum Spaß empfingen wir ihn mit der Hauptmelodie aus der Ouvertüre. Brief von der Mutter, immer unverbesserlich, die Deutschen schmähend! Abends Carlyle.
Donnerstag 2ten
Fidi eine bessere Nacht gehabt, Lulu dagegen sehr mit Husten geplagt. Ich bin noch bang um den Einzug der Truppen in Paris. R. wünscht eigentlich eine Fortsetzung des Krieges, ich doch nicht. -Fürst Pückler ist es gelungen, seine Leiche verbrennen zu lassen, und seine Asche wird in einer Urne aufbewahrt; ich wünsche dies für R. und mich, und schon deshalb will ich zum Protestantismus übergehen, um mit ihm verbrannt und begraben zu werden. Nach Tisch liest uns R. aus der Edda Brunnhilde's letzten Gang (glaube ich), den ich einzig durch den »Ring des Nibelungen« verstehe, dessen letzte Strophe aber ganz überwältigenden Eindrucks ist, »ich aber und Sigurd wir bleiben beisammen!« - Der Tag brachte drei Briefe aus Rußland, der eine von Karl Klindworth, der andre von einem frechen Moskauer, welcher R. seine Pflicht vorhält, über Seroff etwas in den Zeitungen zu schreiben, und seltsamer Weise zugleich einen von der Hofdame der Großfürstin Helene, [2]Frl. v. Rhaden, welche R. dankt für den schönen Brief, welchen er an Seroff's Freund, der ihm den Tod meldete, geschrieben hat. Das bringt R. auf seine Erlebnisse in Rußland zu sprechen. In der Stadt Nachricht von der Annahme des Friedens durch die Versammlung und des ruhigen Einzuges unsrer Truppen in Paris. Zwei Offiziere, denen wir begegnen und die R. erkennen, sagen mit angestrengt lauter Stimme »c'est une paix de dix ans!« -Lusch hustet sehr stark, was mich beängstigt, Fidi ist wohler. Carlyle empört uns geradezu durch seine widerwärtige Darstellungsart. - Abends spazieren wir noch im Mondschein im schönen Tribschen. R. schickt seinen Brief an den König ab und schreibt noch an Fürst Hohenlohe in Wien zur Erlangung von Tantiemen für seine früheren Werke (Lohengrin, Tannhäuser).
Freitag 3ten
Thiers[3] hat unter Tränen und mit obligater Ohnmacht die Friedensbedingungen vorgelegt!! Dieselben, über welche er so viel Wochen unterhandelt! - Brief von Judith Mendes, mein Brief soll sie verletzt haben, ich weiß nicht wie das kommt. Sie scheinen sehr viel gelitten zu haben. Freund Schure meldet mir, daß er sich definitiv von Deutschland loslöst und Paris als seine Heimat betrachtet, worauf R. mich ersucht, ihm nicht mehr zu schreiben. Besuch bei Gräfin B. Abends Carlyle und beschlossen, nicht mehr darin vorzulesen. - Abends R. und ich -: »Ich und Sigurd wir bleiben beisammen, das soll unsre Grabschrift sein.« Fidi wohler, Lulu unwohl noch.
Samstag 4ten
R. ist nicht wohl, auch klagt er über Geldverlegenheiten, er sagt: »Wir wollen Weihnachten und die Geburtstage für uns aufheben, nur die Kinder sollen immer gefeiert werden, das versteht sich.« Er ist nicht wohl, doch am Morgen ruft er mir zu: »Die schrecklichste Zeit war, wie du nicht meine Frau warst, ich kann sie mir gar nicht vorstellen.« - Brief des Dichters Hartmann. Bon Perfall hat ihm angeboten, sein Stück zu geben, wenn er seine Broschüre zurücknehmen wollte. Acht münchnerisch! Der Dichter antwortet darauf nicht, was uns freut, ich schreibe ihm im Namen R.'s. Auch an Judith schreibe ich. Über den Ausruf »Gott«, spricht R., »der in allen Sprachen bei allen Völkern vorkommt, mit diesem Unterschied, daß sie sich nicht alle den gräßlichen Jehova darunter gedacht haben«. Das bringt uns auf den Eindruck, den dieser Ausruf von Falstaff auf seinem Totenbett macht, und noch dazu von der albernen Hurtig berichtet. Abends die ersten Scenen aus »Caesar«, zu unsrer erneuerten Überwältigung. R. freut sich, daß jetzt die Zeit da ist, wo man nicht so leidenschaftlich mehr Zeitungen lesen wird. - Gespräch über Bayreuth, daß wir drei, R., Richter und ich, alles tun werden, kein Regisseur, kein nichts, bloß ein Cassier.
Sonntag 5
Ob Fidi ein Genie wird, ich sage nein, Genies sind so selten. R. spricht darüber, über Prädestination des Genies, daß eine gewisse Sehnsucht da sein muß und im Genie selbst ein Ungenügen mit dem, was er vorfindet; »das Genie ist die ungeheure Imagination, mit einer großen Kraft sich alles zu assimilieren, was dieser Imagination bedarf, daher heftiges Temperament, dazu nur seine Sache sehen, das Leben nicht beachten, daher unpraktisch für's Leben sein«. - Brief meines Onkels, der Vater hat meinen Wunsch erfüllt. - Kindertisch, wie die Kleinen vom »Sterben« reden und Loldi erklärt, sie wolle nicht sterben, sagt R., »es gibt eine Assekuranz dagegen, ihr werdet französische Generäle oder Kaiser, die sterben, sie erschießen, vergiften sich, werfen sich ins Gewühle der Schlachten, aber kommen nicht um!« - Loldi singt ihr Wiegenlied, »Schlafe Süßliese, Kindlein, die Sonne ist da, die Sterne sind da, schlafe Kindchen, schlafe nur«. Und Eva ihr Lied vom Siegerhauer: »Siegerhauer ist fort, Siegerhauer ist nicht mehr da.« Wer ist Siegerhauer? »Ein Gewehr. « Wir fahren aus, die Loulou bleibt daheim. Bierstunde bei den Kindern; R. schaut Fidi mit Wehmut an, wird er uns bald verlieren? Werden wir ihn noch schützen können, wird er auch leiden müssen wie sein Vater? Freude an den Kindern. - Abends noch den Tod von Fr. Wilh. in Carlyle gelesen; R. meint: Von Friedrich dem Großen könne man in Bezug auf franz. und deutsche Kultur sagen, es ist der Geist, der stets das Böse will und stets das Gute schafft. Herrliches Frühlingswetter. R. beginnt seine Arbeit über die Bestimmung der Oper; abends schaut er ein wenig in die Götterdämmerung (lten Akt) und ich erschrak über die Gewalt dieser Musik. - Am Morgen erzählte mir R., er habe von einem Zahn geträumt, der ihm ausgerissen wurde und furchtbar groß war; böses Anzeichen? Werden wir etwas Übles vom König erfahren?
Montag 6ten
Lulu immer unwohl; R. an seine »Bestimmung der Oper«, »daß man immer und immer dasselbe wiederkäuen muß!« Brief von Frau Seroff, die mir mitTeilt, daß mein Brief ihrem Mann noch Freude bereitet hätte. Wir machen einen schönen Spaziergang von Winkel aus, kehren aber müde heim. Abends Gibbon wieder aufgenommen. Da ich huste, so schilt mich R. heftig darüber, daß ich kein Halstuch trage.
Dienstag 7ten
Am frühen Morgen kommt R. zu mir, herzt und küßt mich, sagt, >ich könne nicht wissen, wie er mich liebe, wenn er heftig würde, so sei es aus Besorgtheit<. Ich lache, da ich wirklich das Gestrige vergessen hatte, da meinte er, [es] sei alles wieder gut. »Der Schluß von Tristan und Isolde, der sagt dir alles, der deutet dir uns!« Wir geloben uns, uns nicht einen Tag zu trennen. Kinderunwohlsein, Loldi hat sich erkältet; Lulu ist nicht wohl. Sie weinte, daß ihr Papa gar nicht schreibt, was mir sehr weh tat. - Gerüchte von Bismarck's Erschießung, so albern dies ist, so bin ich betroffen, des Lincoln'schen Endes[4] eingedenk. Wir gehen zur Stadt, es löst sich alles in nichts auf. Brief von dem Verleger Peters; Militärmusiker Pr. Wieprecht will den Marsch instrumentieren, allein R. kann sich nicht dazu entschließen, und abends finde ich ihn, wie er seine Orchesterpartitur linilert. Das leidige Geld; ich fürchte, R. kommt nie aus der Verlegenheit heraus - in Gottes Namen! Allerlei Briefe geschrieben. Abends liest mir R. den Beginn seines Vortrags »Über die Bestimmung der Oper« vor. Dann geht er wieder an die Arbeit, und ich schaue mit immer neuem Staunen und Bewunderung die große Passion von Dürer an!
Mittwoch 8ten
Es bekümmert uns, daß die Soldaten so wenig Freude von ihrem Einzug in Paris haben durften; »das beste daran«, sagt R., »ist der Eindruck, den die Pariser davon hatten«. Wir lachen über das lautlose Erscheinen auf den Boulevards; zu Hause können sie nicht bleiben, und Trauerkostüm ist gewiß dabei gewesen; »Zerknirschungs-Hut, Entsagungsjacke, Rachehandschuhe« u.s.w.! — Richter ist in Zürich seit gestern, wir sind wiederum allein bei Tisch, so wird das Gespräch vertrauter. - Von seinem Leben sprechend sagt R.: »Wenn wir uns nicht vereinigt hätten, ich wäre sehr alt geworden und stumpf; dein Vater bemerkte es, wie er mich hier (1866) besuchte; das verschreckte mich.« (»Die verzweifelte Stimmung, in welcher ich war, trieb mich zu den Verschwendungen, die ich so tief bereue.«)* (*Am Rand eingefügt, im Text durch Zeichen angegeben) Lusch immer unwohl, ihre Tränen von gestern fallen mir auf's Herz, doch alles Schwere ist gut! Wir wandern, R. und ich, unter Frühjahrsstürmen zur Stadt, unserer Liebe froh, die Vögel in den Bäumen zu Haufen. Abends kehrt Richter zurück; er erzählt von einem Friedensfest, das die deutschen Studenten in Zürich geben; mich kränkt es, daß sie nicht bei einer solchen Gelegenheit an R. denken; »ich liege weitab, bin Opernkomponist, komme vielleicht ein wenig vor Offenbach«. - Abends Besprechung Bayreuths. Dann liest mir R. den herrlichen Gesang aus dem Nibelungenlied, wo die Meerfrauen Hagen begegnen. R. sagt, was dieser Dichtung das eigentümliche Gepräge gibt, ist die mythische Grundlage.
Donnerstag 9ten
Loulou hat eine sehr üble Nacht gehabt, sie bleibt zu Bett und ich bei ihr. Kindertisch dadurch etwas getrübt. Hübscher Brief von Frau Wille, welchen R. aber zu nichtssagend findet. »Ich weiß, warum ich dich liebe, mein Schatz«, sagt er, »alle andren Beziehungen haben sich so nichtig erwiesen.« Von Frau Wesendonck sagt er, >daß das schwarze Haar vollends jede Erinnerung verwischt habe<. - Spaziergang mit R., abends Gibbon.
Freitag 10ten
Glaubst du an die »Reversibilite des Merites«?[5] ruft mir R. zu. Ich hatte ihm nämlich erzählt, daß Fürstin Wittgenstein, welche den Tannhäuser immer vom katholischen Standpunkt aus beleuchtet, mit ungemeiner unnachahmlicher Volubilität: »la Reversibilite des Merites«, den Glaubenssatz der kath. Kirche, als Erklärung angab; R. fügt hinzu: »Ich glaube daran, denn ich bin durch deine Verdienste selig geworden.« Ich bin sehr leidend, aus Sorge um Lulu; »Tausend und eine Nacht«, das ich Lulu vorlese, richtet mich ein wenig auf. R. instrumentiert seinen Marsch. Wir fahren aus. Brief von A. Frommann, ziemlich nichtig. Abends erhalten wir die Nachricht, daß Franzosen sich in das Züricher Fest gedrängt haben und dort ein Kampf entstanden ist, welcher mit dem Tod eines fr. Offiziers geendet hat. »Die Gleichheit haben sie errungen, und zwar so, daß an Freiheit gar nicht mehr zu denken ist«, sagt R. -Abends spät weile ich noch an Lulu's Bett, welche sehr stark hustet.
Samstag 11ten
Brief des Dichters Hartmann, welcher an seinem Stück einiges geändert hat, das dem Stücke zugute kommt. R. arbeitet fleißig an dem Kaisermarsch. Besuch von Gräfin B., der Vorfall in Zürich scheint sehr ernster Art gewesen zu sein, Franzosen und Kommunisten haben sich die Hand geboten. Abends Gibbon (Julian,[6] der an Jupiter glaubt, hat uns überrascht).
Sonntag 12ten
Lulu hat eine bessere Nacht gehabt, was für mich eine Erlösung ist! Im übrigen geht [es] auf Tribschen nicht gut, denn R. ist durch die gehetzte Arbeit des »Kaisermarsches« ermüdet und befindet sich nicht wohl. In Zürich ist die Sache doch ernstlicher, als man geglaubt; ich schreibe an Frau Wesendonck, um mich zu erkundigen, wie es ihnen ergangen ist. Brief der Mutter, sie kommt in ungefähr acht Tagen. Abends Gibbon.
Montag 13ten
Ich wache nachts mit großen Halsschmerzen auf, glaube an die Diphtheritis und muß mich selbst am Morgen auslachen, wie ich mich ziemlich erholt finde. Herr Marr schickt einen Aufsatz über »Oper und Drama«. Sonst nur häusliche Ärgerlichkeiten. Fidi's Bonne verläßt uns, und wir erfahren, daß das untere Hausgesinde eigentlich in einem fort gegen uns komplottiert. »Man gehört hier nicht her«, sagt R. - Immer tiefer wächst in mir der Entschluß des Übertrittes zur evangelischen Konfession; mit Bayreuth werde ich es vollziehen. Aber Bayreuth, wann? Der König schweigt. R. erzählt mir, daß er heute wieder einen Traum gehabt, den er lange vor der Begegnung mit dem König von Bayern öfters gehabt; der König von Preußen Fr. Wilh. IV. überhäufte ihn mit »sinniger Huld«, bezeigte ihm die grenzenloseste Liebe, so daß, wie er den König Ludwig zuerst sah, er seinen Traum in Erfüllung gehen zu sehen vermeinte. Wir kommen alle nicht aus; ich erhalte zwei Briefe aus Berlin (Käthchen,[7] Hedwig). R. instrumentiert vier Seiten, ist aber nicht wohl. Abends verplaudern wir die Zeit, Bayreuth besprechend.
Dienstag 14ten
R. entwirft zu seinem Marsch ein Volkslied, von der Armee zu singen. Er arbeitet emsig, was ihn aber angreift, denn er ist nicht mehr dafür gemacht, für bestimmte Termine etwas fertig bringen zu müssen. Lulu immer unwohl, Fidi und Loldi heiser. Briefe von Franz Lenbach, der im Mai zu uns kommen will. Freude an den Staren, die einen »Heidenlärm« in den Bäumen machen.
Mittwoch 15ten
Frau Wesendonck schreibt von dem pöbelhaften Auftritt in Zürich, der sie gezwungen hat, ihre Villa auf zwei Nächte zu verlassen, und der sie vielleicht bewegen wird, die Stadt auf immer aufzugeben. R. beendigt seinen Kaisermarsch und schickt ihn nach Berlin. Ich schreibe an die Mutter und an Frl. v. Meysenbug. Die Kinder alle unwohl, dazu trübes Wetter. Brief von Judith Mendes, sie ist gut und freundlich und erkennt ihr Unrecht an. Abends Gibbon.
Donnerstag 16ten
R. erzählt mir, er sei nachts mit Tränen aufgewacht, er habe von der Zeit geträumt, wo wir uns getrennt hatten und er mich besuchte und ich ihm wie ein abgeschiedener Geist vorkam; »das waren die traurigsten Zeiten«. Jakob Sulzer erklärt in seinem Bericht die Züricher Vorgänge als durch den Deutschenhaß veranlaßt. Brief Constantin Frantz', welcher R. vorwirft, den »National-liberalen« anzugehören, und der nicht mit dem deutschen Kaiserreich »mitmachen« will! So die Deutschen, jeder hat seinen Kopf. Kindertisch, Lusch immer nicht dabei. Die ganze Gegend mit Schnee bedeckt, die armen Stare müssen verhungern! Wir gehen nicht aus, R. entwirft sein Gedicht, er dachte anfangs noch, vom Verleger 500 Frs. dafür zu gewinnen, um 2000 Frs. zur Reise zu haben (Marsch 1500). Doch will er nicht, daß es addiert wird; sein Stolz wäre, daß es als Volkslied gelte, darum muß es ganz kunstlos sein. Ich treffe ihn bei dem Entwurf, er ändert nach der Melodie und sagt: »Wer zuerst ein gutes Gedicht und darauf seine Melodie macht, wird nie etwas Rechtes hervorbringen. Hier sehe ich, wie die griechischen Chöre in ihrer Unregelmäßigkeit entstanden sind, ich habe auch gewußt, was ich tat, wie ich meinen Nibelungenvers aufbaute, ich wußte, daß der der Musik sich anbequemen würde.« - In Bezug auf das Volkslied sage ich ihm, daß wir aus nichts Geld schlagen können. Bei Tisch hatte er sich auch überlegt, ob er der Londoner Ausstellung vielleicht seinen Marsch mit der Umänderung von »God save« anstatt »ein feste Burg« schicken könnte. »Das wären 50 Pfd., allein das würde den Marsch schänden.« - Abends Gibbon; das Ende Julians erinnert mich an die lächerliche Art, wie mir in der Schule dieses Leben gelehrt worden sei (»du siegst Galiläa«,[8] so sei er gestorben!). Auch wundre ich mich, daß kein Dichter ihn zum Helden einer Tragödie gemacht.
Freitag 17ten
Voller Schnee! R. an »Die Bestimmung der Oper«. Die fünf Kinder hustend, ich bei ihnen. Großer Kummer darüber, daß Lulu den Brief, den ihr einst R. geschrieben, sorglos verloren hat; ich verweise die Unordnung und Mißachtung heftig, was ich dann bereue. Abends wandle ich hinauf, um zu horchen, ob sie schläft oder hustet. Sie hustet nicht. Dankgefühl gegen Gott; Bekenntnis, daß mein Glück jedes meiner etwaigen Verdienste weit weit überflügelt, überschwengliche Aneignung eines jeden Schmerzes als Buße. R. trifft mich so und fragt, >ob ich Stimmungen habe, denen der Freund fremd sei<. - Kriegerische Lieder sind gestern angekommen, wir dachten, sie stammten von einem Soldaten, und fanden sie nicht gut; nun aber fand sich's, daß sie von Heinr. Dorn waren, und die ganze Abgeschmacktheit ekelte uns an; wenn der Volkston nachgemacht wird, ist es gleich Kladderadatsch; »ja, sie fälschen jetzt alles«, sagt R. - Abends wieder Bayreuth besprochen. - Bei Tisch sagt R.: »Der Dichter muß Seher und Sänger sein.« -
Samstag 18ten
R. erzählt mir, daß er diese Nacht mit mir getanzt habe; d. h. den Kindern etwas vorgemacht. »Ob das ein schlechtes Zeichen«, fragt R. - Wir besprechen Bayreuth und Berlin, ich frage ihn, ob es nicht besser wäre, wenn er keinen Vortrag hielt und nur suchte, seine Subskription zu Stande zu bringen; mir graut vor jedem persönlichen Eingreifen. R. meint, so wie es schaden könne, könne es aber sehr nützen, und verteidigt seinen Gedanken. Mir ist bang zu Mute, ich möchte, wir brächten die Sache zu Stande, ohne Berlin zu berühren... Wir hören nichts vom König, und doch ist seine Zustimmung die wichtigste. Ich bin etwas in Sorge, daß durch meine Bitte um die Militärmusik ich etwas verdorben habe, obgleich ich mir nicht vorstellen kann, welchen Einfluß das haben soll. - R. macht Korrekturen und erfährt durch den lateinischen Drucker in Basel,[9] daß der Setzer ein Hindu ist! Zur Stadt gefahren, um Einkäufe zu Boni's Geburtstag zu besorgen. R. schreibt seinem Freund Nuitter wegen der Lebensversicherung der Kinder. Wir haben jetzt Geldmangel, und ich wage nicht recht, mit R. dieses Kapitel zu erörtern. - Abends liest uns R. aus der Grammatik von Hahn einiges Altdeutsche vor (Zaubersprüche, dann das Lied von Hildebrand). Große Freude an dem schönen Klang der Sprache und den schönen Konstruktionen.
Sonntag 19ten
Ich habe den schweren Entschluß gefaßt, den Arzt zu wechseln, da Dr. Seuther bereits die 8te Flasche Medizin verordnet hat und keine andre Wirkung als Magenverderbnis davon sich zeigt. Loulou immer krank. - Fidi von den Zähnen gequält, doch heiter, »meine Lebensversicherungsanstalt nach rückwärts und vorwärts«, nennt ihn R. -Brief von der Mutter, sie kommt nächsten Donnerstag. Endlich wieder Quartett; unsre drei Leute kommen von Zürich und spielen mit Richter das a moll, das uns sehr ergreift. Darauf op. 95 und 74, etwas »kalte Musik«, wie R. sagt, mit wunderbaren Zügen. R. meint, Beethoven habe zur Zeit, wo sein großer Ruf ihm viele Bestellungen brachte, frühere Arbeiten hervorgezogen, etwas verändert und herausgegeben. - Ankunft von Len-bach's Skizze (Eva!). R. erkennt sie nicht, ich doch. - Mir geht es bei der Musik immer tiefer auf, wie ich R. liebe; das Leben erscheint mir wie eine Trennung, sterben möchte ich, um »ewig einig ungetrennt«! [10]Wir flüchten uns, R. und ich, in meine Stube, ich sage ihm, wie mir ist, seine Jugend und seine Seele nennt er mich. - Fidi »der Regenbogen«. — Marie Bassenheim war bei den Kindern, sie macht uns allen einen peinlichen Eindruck.
Montag 20ten
Boni's Geburtstag nach Möglichkeit gefeiert. - R. und ich leiden an Kopfschmerzen, die mindeste Veränderung unsrer Lebensweise greift uns an. R. sagte gestern: »Man ist doch in diesem Leben wie auf einem Jahrmarkt, fremd überall, man gehört nirgends hin. Wir zehren immer an uns selbst, das, was uns beglückt, [sind] unsre Liebe, unsre Kinder; daher die Luft von außen ist feindselig, nirgends versteht man uns. Alles, was wir wollen, ist ihnen Wahnsinn.« - Der König schweigt, auch Fürst Hohenlohe, der uns recht verpflichten könnte. Ich gehe mit Boni zur Graf. Bassenheim, finde dort die artige Frau des Erzherzogs Heinrich. Der Graf, Teilte ich meine Besorgnis über ihre Tochter mit und sage ihr, wie ich es mit aller Gewalt durchgesetzt habe, daß meine Kinder nie etwas von meinen Trübsalen gemerkt, so daß ihnen ihre kindliche Heiterkeit erhalten worden ist. Früh zu Bett, wegen großer Kopfschmerzen.
Dienstag 21ten
R. liest mir seine begonnene Arbeit vor; es ist wunderschön, und mir erscheint es gleichgültig, ob es in Berlin Eindruck macht, die Hauptsache ist, daß es gesagt sei. - Wenn Bayreuth uns abgeschlagen wird, denken wir an Straßburg; und sogleich lesen wir in der illustrirten Zeitung, daß der Herr Cerf [11](der Name sagt alles) vom deutschen Kaiser die Erlaubnis erhalten hat, in Str. ein Theater zu errichten. Peters schickt die 1500 Frs. Sonst nichts als Kinderspiel und Kinderarbeit, wobei R. bemerkt, daß ich dem physisch nicht gewachsen sei, ich glaube aber, daß ich es durchsetzen kann, und möchte es. »Robinson« nun zum zweiten Mal (jetzt mit Boni) durchgenommen. - Abends lesen wir den »Bauern als Millionär« von Raimund; einer der frühesten Jugendeindrücke R.'s. Es gefällt uns sehr.
Mittwoch 22ten
Frühjahr. R. arbeitet und sagt: »Unter deinem Schutz gedeiht und gelingt alles.« Von der Post bringe ich den Kindern einen Brief und eine Sendung von ihrer Großmama. Die alten Zeiten erstehen vor mir, mit Wehmut gedenke ich Hans'; auch der alten Frau, der ich, glaube ich, das Leben etwas erleichterte. Warum mußte es gerade so kommen, frage ich mich, in das Haus tretend; Tristan-Klänge erwidern mir, Richter spielt den 3ten Akt, und alles verstehe ich! (Gesundheit des Kaisers getrunken.)* *() Randbemerkung zu Mittwoch
Donnerstag 23ten
Der Tag geht in Vorbereitungen zum Empfang der Mutter vorbei. Ich ordne Papiere und lese alte Briefe vom Vater, die mir wiederum klar zeigen, daß ich weder Vater noch Mutter gehabt. Alles ist mir R. gewesen, er einzig hat mich geliebt. - In Paris herrschen die Insurgenten; sie fordern Geld von der Bank und Rothschild und erhalten es! Erschießen Generäle, und man verhandelt mit ihnen. Man vermutet Napoleonische Intrigen. Ich lehre den Kindern das Kaiserlied, das sie sehr nett singen. R. überlegt sich lang, wie er es der Partitur beilegen soll, weil er durchaus nicht will, daß Gesangsvereine und Liedertafeln es singen. Viel an Straßburg gedacht.
Freitag 24ten
Nichts von München, dafür eine abschlägige Antwort des Fürsten Hohenlohe; »das ist aus den Adligen geworden, sie sind alle Bureaukraten«. - Der Zustand in Paris wird immer unglaublicher. - Um 1 Uhr zum Bahnhof, die Mutter zu erwarten. Sie kommt nicht, was die Empfangsfeierlichkeit etwas trübt. Um 6 Uhr aber kommt sie an, und wir verplaudern den Abend. Sie ist wohl und munter trotz des Erlebten und Bevorstehenden.
Samstag 25ten
Stürmischer Tag, mit der Mutter Vergangenheit und Zukunft durchgesprochen. Es gefällt ihr hier. Ich fühle mich ihr sehr fremd, doch ist sie angenehm durch ihre große Bildung. Es wird viel und von allem geplaudert, die Zustände in Paris sind Schrecken erregend.
Sonntag 26ten
Brief von Pr. Nietzsche aus Lugano. Kindertisch; die Mutter findet die Kinder sehr artig und wohlerzogen, aber sie erscheinen ihr blaß, woran wohl der Husten, der sie alle befallen hat, schuld ist. Nachmittags Quartett; die Musiker sind jedoch nicht so wohl aufgelegt wie gewöhnlich. - Richter erhält einen Brief aus München. Dort erzählt man sich von einem Einvernehmen zwischen Tribschen, dem König und dem Kaiser, um in Bayreuth die Nibelungen aufzuführen. Wir halten diese Notiz mit dem Schweigen gegen uns zusammen und fragen uns, wie dies zu verstehen sei; ist Böswilligkeit im Spiel?... Ich fürchte. (Rothschild schickt »Frau Wagner« den Wechsel).
Montag 27ten
Briefe an Hedwig Neumann in Berlin wegen Besorgung einer Wohnung; auch an Käthchen. Die Tausend frs. zur Sparkasse geschickt, ich habe jetzt für die Kinder 8141 frs. bei Seite. Besuch vom Graf. Bassenheim, welcher mir einen traurigen Nachmittag zuführt, weil ich ihn nicht zu entfernen verstand und R. nicht gern allein mit der Mutter bleibt; er sagt, er kann nur mit mir, zu mir reden, von mir hänge es ab, ob er fliege oder krieche. Die Mutter läßt sich von Richter vieles aus R.'s Werken vorspielen und scheint von dieser ihr ganz neuen Welt überwältigt. - Alles früh zu Bett.
Dienstag 28ten
Eine schlesische Zeitung bringt einen Aufsatz über »Beethoven«; die absichtliche Fälschung bringt R. auf die Idee einer »Exekution«, und er will die Fälschung nachweisen, ich aber bitte ihn, diese Sendung zu ignorieren. - Neulich erfuhren wir auch, daß in Leipzig der Walküren-Ritt gedruckt und verkauft worden ist; R. sehr empört, schreibt an Kmeister Eckert und seinen Verleger Schott, damit letzterer gegen diese Indiskretion die nötigen Schritte tue. Übles Wetter, wir fahren zur Gräfin B., welche sehr freundlich, jedoch ein wenig aufgeregt. Abends mit der Mutter geplaudert.
Mittwoch 29ten
Wir erfahren, daß die Lebensversicherung nicht zu verkaufen ist, ich schreibe dem Notar in Paris, der mir auch unter den jetzigen Umständen nichts schicken kann. Arbeit mit den Kindern, welche der Mutter sehr gefallen. Nachmittags Besuch von Graf. Bassenheim (ruhiger). Spaziergang mit der Mutter beim schönen Sonnenuntergang, abends liest R. den ersten Akt von Tristan, welcher mir den Eindruck höchster Vollendung macht und mich unsäglich ergreift.
Donnerstag 30ten
Briefe von Elisabeth Krockow, Claire u.s.w. Dazu abscheuliches Wetter und heillose Nachrichten von Paris. Ich beantworte alsbald alles und arbeite mit den Kindern. R. schreibt seine »Bestimmung der Oper« ab; immer nichts vom König. Viele Wirren in Kirche und Staat, der Pfarrer Egli in Luzern, der das Dogma nicht anerkennt, und der Nun-tius, den Bern abschafft. Nur auf Tribschen Glück. »Deine Liebe ist mein Weltuntergang«, sagt R., »wenn du mich liebst, geht mir die Außenwelt unter, wenn du mich nicht liebst, vergehen mir beide Welten.« - Abends W.'sche Musik, das Gebet aus dem Lohengrin bringt die Mutter zum Weinen.
Freitag 31ten
Schönes Wetter wieder, schöner Winkler Spaziergang, abends Musik aus dem Tannhäuser, im übrigen Wiederholung aller Nöte mit der Mutter. Mir ist R.'s Liebe der einzige Hort, ich weiß nichts andres!