April

Samstag 1ten
Die Kinder unterhalten sich mit dem [in den]April Schicken; wir sind recht still. R. kopiert >Die Bestimmung der Oper«, ich schreibe einige Briefe. Der schöne gestrige Tag ist durch den allertrübsten ersetzt, dazu immer die bösesten Nachrichten aus Paris. Wir verplaudern die Zeit, doch ist die Stimmung düster. (Lärmender Abschied von der Köchin).
Sonntag 2
Abfahrt der Mutter; R. dankt ihr, gekommen zu sein, ich bin sehr ergriffen, als ich sie zuletzt umarme; die ganze Traurigkeit des Lebens erfaßt mich! Trübe Heimkehr bei trübem Wetter; R. durch einen Scherz meinerseits gekränkt, ich etwas durch seine Empfindlichkeit verletzt; Erkältungen allerseits und übles Befinden; von außen nichts, was so viel als Schlimmes heißt. (Rothschild schickt 1000 fcs. zu viel).
Montag 3ten
R. kommt in der frühesten Frühe an mein Bett, küßt Hände u. Füße, sagt, daß, wenn etwas verschulde, daß ein Schatten zwischen uns käme, es das Übermaß unsrer Vereinigung sei, das uns so empfindsam mache. Tiefes Glück, Traum der Erlösung! - Bei unsrem Frühstück meldet man uns plötzlich Pr. Nietzsche, welcher von Lugano ankommt und hier einige Tage zubringen wird. Er scheint sehr leidend. Kaisermarsch, deutsches Gedicht und endlich Vortrag[1] werden vorgenommen. So verläuft der Tag.
Dienstag 4ten
Ein Brief von Rat Düffl.; die alte Weise! Der König will den Siegfried und ist gekränkt, daß R. so wahrhaftig über die Aufführungen in München geschrieben hat. Doch will er D. schicken, R. gibt Rendezvous in Augsburg, ist aber traurig, denn er ist wieder gar nicht verstanden worden. Gestern erhielt ich einen Brief von Frau Wesendonck, die mit Familie nach Deutschland reist. Ihr Brief ist nichtssagend, doch bin ich immer von allem angezogen, was von dieser Seite kommt, weil sie sich einst gut gegen R. benommen hat. - Brief von Cornelius, ich erhalte mein Gedicht noch nicht. Schöner Aufsatz über den »Beethoven« in einer englischen Zeitung (Academy), der Verfasser ein deutscher (Franz Hüffer),[2] Bekannter von Pr. Nietzsche, ein früherer Gegner R.'s. Ottilie schreibt auch, sie erwartet uns gern. Der Gedanke der Abreise drückt mich; mir ist, als täte ich nicht recht, wenn ich Tribschen verlasse.
Mittwoch 5ten
Pr. N. liest mir aus einer Arbeit vor (Ursprung und Ziel der gr. Tragödie),[3] die er R. widmen will; große Freude daran; man sieht hier einen sehr begabten Menschen von R.'s Gedanken auf eigene Weise durchdrungen. Wir verbringen diese Tage in lebhafter Besprechung unserer Pläne. Dr. Grupe schreibt aus Berlin, daß R. am 28ten dort seinen Vortrag halten kann; Luise Brockhaus meldet ihren Umzug und die Heirat ihrer Enkelin mit Arnold Frege, was mich lächeln macht, kaum aus dieser Familie geschieden, bin ich wieder mit ihr durch R.'s Verwandte verbunden. Die Welt ist gar klein. (Spaziergang nach Winkel).
Donnerstag 6ten
Fortsetzung der Vorlesung; Brief von Gräfin Krok-kow, die mich durchaus sehen will und nach Berlin kommen wird. Auch Rat Düffl. schreibt mir, er hat die Kostüme abgesendet, nur der gute Cornelius läßt mich im Stich. Der Vater schreibt an Loulou und hofft uns alle bald zu sehen! Abends Siegfried (il. Akt) vorgenommen.
Freitag 7 Karfreitag
Die Kinder kommen nicht zur Kirche, ihr Husten dauert noch und ist stark. Letzte Vorlesung des Aufsatzes. Brief meiner Freundin Hedwig, auch die Wohnungsangelegenheit in Berlin ist in Ordnung. Somit ist alles bereit, und wir fahren nächste Woche fort Abends wird aus Tristan vorgespielt.
Samstag 8ten
Pr. N. verabschiedet sich, nachdem er die Kinder mit einer grünen Schlange beglückt hat. Schöne, aber etwas ermüdende Frühlingsluft. Ich schreibe Briefe; R. entwirft die Zeilen zur VerTeilung an die Patrone unsrer Unternehmung. Große Müdigkeit - warum ich mich derart vor dieser Reise fürchte?
Sonntag 9ten
Ostereier; die Kinder suchen und finden und sind glücklich. Fidi findet auch ein Ei; sein »Papa« macht schon R. viel Freude. - In der Welt Döllinger und Commune;[4] wie ich mit R. spazierte, sagte er: »Ich möchte allen Weltverbesser[er]n sagen, die menschliche Natur studieren und erkennen, daß es ein wahres Wunder ist, daß wir uns alle nicht aufgefressen haben, daß es noch so geht wie es geht, und demnach alle solche Erscheinungen wie die erbliche Monarchie als göttliche Offenbarungen anzubeten, anstatt das Absurde davon hervorzuheben; denn von Rechts wegen, wie der Mensch ist, sollten wir uns längst aufgezehrt haben.« - Bei der Bierstunde besprechen wir unsre Aussichten; gar schwer wird es mir um's Herz; Gott weiß, was uns jetzt bevorsteht! Mir bleibt nur, R.'s würdig zu sein und niemals ihm gegenüber mich kleinmütig zu zeigen. Heute fiel ich ihm um den Hals und mußte weinen; der König wird den Siegfried fordern, und was dann? Abends endlich wieder Gibbon aufgenommen.
Montag 10ten
Loldi's Geburtstag. Gratulationen. - Zwanzig Jesuiten in Paris erschossen, »nicht das Rechte«, sagt R., »einzig durch die Macht des Staates sollten diese Menschen vernichtet werden, d. h. vertrieben, als Weltverderber«! Brief Claire's. Ich schreibe der Mutter, welche auf die baldige Herstellung der Ruhe in Paris wartet (Genf). Zur Gräfin B., es geht das Gerücht, Döllinger würde zum Kultusminister ernannt, was R. vortrefflich findet, wir begreifen nur nicht, wie unser junger Herr zu dieser Haltung kommt. - In der Musik. Zeitung steht ein Aufsatz über Gluck,[5] der R. sehr frappiert; Gluck wird darin zitiert, wie er über die Aufführung seiner Werke spricht und behauptet, die Seele fehle der Aufführung, wenn der Tonsetzer nicht zugegen sei. R. meldet mir, daß Richter uns verlassen wird (weil er seiner Mutter in Wien beistehen will), und bittet mich, aus der Sparkasse ihm tausend frcs. zu borgen, damit er Richter ein kleines Geschenk machen könne. Ich tue es gern, doch mit schwerem Herzen, es ist mir, als ob niemals wir irgend etwas bei Seite tun könnten, in Gottes Namen! Meine Stimmung in Bezug auf unsere Reise ist immer trüber, mir erscheint es wie ein Frevel, daß ich noch einmal mit der Welt in Berührung trete. Fidi leidend.
Dienstag 11ten
Große Wärme. Vorbereitungen zur Abreise. Fidi sehr unwohl; große Sorge; R. trübe. Das Antlitz eines kranken Kindes kaum zu ertragen. Abends liest R. in Frau W.'s* (* Wesendoncks) »Friedrich« und bezeichnet das Ganze mit »Niaiserie«.[6] Brief von M. Meysenbug, voller Ekel gegen die fr. Wirtschaft.
Mittwoch 12ten
R. beschließt, ein Konzert in Berlin[7] für die Invalidenstiftung zu dirigieren, und ich schreibe an Karl Tausig, um dies zu melden und ihn die nötigen Vorbereitungen treffen zu lassen. (Große Unterbrechung, ich beginne mein Tagebuch wieder in Berlin am 26ten und muß nun sehen, wie ich die Tage wieder herstelle).
Donnerstag 13ten**
(**Ab hier ist die Handschrift nachgezogen, einzelne Buchstaben deuten auf die Hand Richard Wagners)
Mein Augenübel beschwert mich so sehr, daß ich ernstlich an Blindheit denke; wie diese zu tragen sei, nicht nur zu tragen, sondern lieb zu gewinnen als Buße, beschäftigt mich die Nacht über. Wie ich erwache, wird Fidi in meine Stube gebracht, sein Antlitz ist leichenblaß, furchtbarer Schreck. Gestern war er in kalte Tücher eingewickelt worden (die Füße), war von seinem Mädchen verlassen worden, war aufgewacht, schrie, einzig hört ihn R., eilt zu ihm und fand ihn stehend, einer Erkältung preisgegeben. R. gänzlich fassungslos, glaubt, sein Aussehen sei die Folge dieser Erkältung. Der Arzt beruhigt uns, wir hatten unsre Reise schon aufgegeben, nehmen sie wieder auf.
Freitag 14ten
Tag des Packens und des Abschiedes, Kindertisch und viele Tränen!
Samstag 15ten
Um 5 Uhr den Kindern (schlafend) einen Kuß gegeben, dann fort, Grauen im Herzen. (Vorstellung der Ermordung R.'s durch einen Berliner Juden). Halt in Zürich, den Kindern telegraphiert und geschrieben. Abends weder Düfflipp noch Cornelius auf dem Bahnhof, was uns verwundert, Mißverständnisse, man findet sich in den Drei Mohren, wo man die Mohren weiß zu waschen versucht. Düfflipp nicht schwierig, gibt uns die trostlose Nachricht, daß der König daran gedacht habe, die zwei Akte von Siegfried zu geben, da der dritte nicht fertig sei. R. wird sehr ernst und sagt, er würde seinen Siegfried verbrennen, eher als so hingeben, und dann betteln.
Sonntag 16ten
Mit Cornelius in das Museum gegangen, während R. mit D. sich bespricht; schöne Werke, ein Moretto[8] von großem Stil, ein sehr schöner Holbein, und vor allem ein Kopf von da Vinci, der unsäglich auf mich wirkt. Um 1 Uhr fort nach Nürnberg. Hübsche Ankunft dort; unterwegs einen bayerischen Offizier, der den Feldzug mitgemacht und den wir mit förmlicher Verehrung betrachten.
Montag 17ten
Gute Nacht in Nürnberg; früher Ausgang bei Regenwetter, Freude an allem, was wir dort sehen, überwältigende Rührung aber vor Dürer's Christus, Tränen der Ergriffenheit, dies ist das deutsche Wesen in seiner* Güte, (*Ende der nachgezogenen Handschrift, nur noch einzelne Wörter in den nächsten Zeilen) in seiner rein (menschlichen ruhigen Erhabenheit, es) hat nichts gemein mit der spanischen (Extase,) noch der Askese, es ist rührender als diese, die uns zuweilen grausam, ja kalt erscheinen (kann). Um ein Uhr fort, um fünf Uhr in Bayreuth. Lieblicher Eindruck der Stadt.
Dienstag 18ten
Furchtbare Nacht in Angst und Sorge, R. wacht plötzlich mit Fieberfrost auf; ich schicke zum Arzt, dieser bedenklich, will sehen wie es wird, doch kann nicht umhin zu lachen und zu sagen: »Was einem alles passieren kann! Wer mir gesagt hätte, daß ich noch diese Nacht R. Wagner's Bekanntschaft machen würde.« Als er hereinkam, frug er: »Sind Sie der Richard Wagner, ich meine den gewissen R. Wagner«, worauf R.: »Sie meinen den, der so hübsche Sachen geschrieben hat, ja, der bin ich.« - R. wird wohler, muß aber zu Bett bleiben, ich lese ihm aus der »Italienischen Reise«[9] vor und empfange den Besuch von Frau Raila, deren Gatte Hauptmann ist und bei Sedan verwundet wurde.
Mittwoch 19ten
R. wäre ganz gesund, wenn nicht ein unerhörter Lärm im Hotel die ganze Nacht uns verwüstet hätte. Kavaliere gaben ein Fest und benahmen sich dabei wie die rohesten Kutscher. Wir fahren in's Theater, ein reizendes Monument, das uns viel über die Produktivität der deutschen Kunst im 18ten Jahrhundert [sagt]. In den Schnörkeln, Muscheln etc. des achtzehnten Jahrhunderts findet man, freilich sehr entstellt, den phantastischen Geist, der die deutschen Arbeiten des 16ten beseelte. Allein das Theater paßt für uns gar nicht; also bauen, und um so besser. Nun ein Haus finden, mit dem Schloßverwalter fahren wir überall herum, nichts konveniert ganz, also auch für uns bauen. Schöne Spazierfahrt zur »Eremitage«, der alte Verwalter dort freut sich R. zu sehen und sagt, nur die Pfaffen hätten R. vom König [ge]trennt, das Volk liebe ihn. Abends ist R. sehr müde. Die Bayreuther Bevölkerung in Aufruhr über sein Hiersein.
Donnerstag 20ten
Um 1 Uhr fort; am Bahnhof ein alter Volksdichter, der seine Gedichte (unter andren über Richard) feil bietet; dies die eigentliche Bestimmung unsres Peter.* (* Peter Cornelius) Ein andrer, ein Krüppel, furchtbar aussehend, rührt uns tief, wie schneidig kommt man sich da vor; wie dies sühnen? Grenzenlose Güte, innigstes Mitgefühl. R. gibt dem Mann eine Kleinigkeit, und da die Leute roh die Türe nie zuschließen, ersuche ich den Mann, das Amt des Türschließers zu übernehmen, was der Arme mit größter Gewissenhaftigkeit ausführte. Um 10 Uhr in Leipzig, wo Pfarrer Clemens am Bahnhof ist. Einzug im Hotel de Prusse, Lorbeeren, Gedichte, Transparente und so weiter; Wohnung im Königzimmer. Abend mit Hermann Brockhaus und Ottilie sehr angenehm zugebracht.
Freitag 21ten
Am Morgen Kmeister Schmidt, die Probe um 12. Richard mit Tusch empfangen, alles schön und gut, aber das Orchester; R. nimmt vor Verzweiflung den Stab in die Hand, allein nichts will klingen, ein fürchterlicher Verfall! R. davon so erschrocken, daß er an Tausig, der ihm mitgeteilt hatte, daß alles in Berlin auf Kaisers Befehl zu seiner Verfügung sei, schreibt, er wolle das Konzert nicht dirigieren. Diner mit Brockhausens und einem Pr. Danz aus Jena.[10] R. macht viel Scherz, namentlich über den Direktor Haase und dessen Regisseur v. Strantz, dessen unnachahmliche Würde und Haltung ihn förmlich gespenstisch angeweht hat. Er sagt, dies sei das, was W. Meister erstrebte; wir lachen sehr über die Durchführung des Scherzes. Unvergleichlich angenehm bleibt uns Hermann. - Abends zu Clemens in die Pfarrei; sehr gemütliches Zusammensein; in Hermann erkennen wir eine höchst originelle anmutige Natur, deren Feinheit die Tiefe verbirgt, »eine angenehme, geistvoll sprechende, schweigende Natur«, wie R. sagt.
Samstag 22ten
Familienvormittag, um ein Uhr fort nach Dresden, den Leipziger Meistersingern, die für heute angesetzt sind, aus dem Wege. Am Bahnhof Hofrat Pusinelli, der uns herrlich im Turm (Hotel Weber) einlogiert hat. Reizender Eindruck von Dresden, das Haus gesehen, wo R. den Tannhäuser komponierte. Zur Schwester Luise; freundlich wehmütiger Empfang, sie hat Enkel und Schwiegersohn im Krieg verloren. Den Abend bei Pusinellis zugebracht, große Familiengemütlichkeit, »seid umschlungen Millionen«, denn die Kinder sind zahllos.
Sonntag 23ten
Gräfin Krockow wiedergesehen, viel Freude daran. Mit ihr spazieren gegangen, die Brühl'sche Terrasse, Wesendoncks etc. Um zwei Uhr zu Mittag bei Luise, sie freut sich ihres Bruders, findet ihn milder, »väterlich« geworden, dankt mir für meinen Mut, mein Mut ist mein Glück. Abends in's Theater, die Holzbaracke mißfällt R. nicht, sie faßt viel Menschen; er beobachtet alles in Bezug auf Bayreuth. Die Schauspieler unter jeder Kritik, Roheit, Dummheit, etc. etc. sind jetzt auf dem deutschen Theater zu Haus. Trauriger Eindruck.
Montag 24ten
Am Morgen klopft es an der Tür, wer ist da? Ich. Wer? Karl Pusinelli. Ein prächtiger Junge, den ich als Freund für Fidi erwähle. Um 10 Uhr in die Galerie gegangen, um R. vor allem den »Zinsgroschen«[11] zu zeigen. Zuerst ist er förmlich gestört durch das Individuelle des Antlitzes Christus', dann aber offenbart sich ihm das ganze Wunderwerk, das »nicht ohne Beimischung von aristokratischer Überlegenheit ist«. Meine Lieblings-Madonna von Tizian gefällt auch R., sehr zu meiner Freude. Nach ihr zeige ich ihm beinahe die ganze Galerie, um mit der Andacht vor der Sixtina zu schließen. Der größte technische Maler ist [er], seine Bilder töten Veroneses, van Dycks, Rubens, nur nicht Raphael, die Leda von M. A.* (* Michelangelo) und Holbein. Um 4 zu Mittag bei Pusinellis. R. klettert auf den höchsten Baum des Gartens. Nach Tisch sind wir beide sehr müde; eine unendliche Melancholie bemächtigt sich meiner; während meine Freunde alle der Vorstellung der Meisters, beiwohnen, durchwandern wir abends die Straßen Dresdens; wann endlich für uns der Tod? Sind wir inmitten der Kinder, empfinden wir die Pflicht zu leben, kommen wir aber unter Menschen, so tritt uns die Sehnsucht des Todes mit beinahe unbesieglicher Macht entgegen. Ich sehe den Laden, wo R. Schiller's Gedichte verkaufte, um Windbeutel sich zu gewinnen; und wo er einem Invaliden Geld gab, was sein Vater von dem Haus gegenüber bemerkte. Die grauenhafte Stille Musik sah ich auch, und erzählte mir R., wie die Terrasse, die Frauenkirche u.s.w. auf seine Jugend eingewirkt habe. Wir nahen uns dem Theater, ich will horchen, wie weit die Leute in den Meistersingern sind, in der Ferne klingt es uns entgegen, in der Nähe vernehmen wir nichts, plötzlich dringt ein Lauf der Klarinette zu uns, es klingt wie Tristan und Isolde! Wir kehren heim, es ist kalt draußen, und ich muß weinen.
Dienstag 25ten
Eingepackt mit Hülfe von Gräfin Krockow; mit R. Frau von Marenholtz einen Besuch gemacht, wehmütiges Wiedersehen. Schwester Luise zu uns, bis zur Abfahrt auf dem Bahnhof die Orchestermitglieder: »Wenn wir nur einmal wieder unter Ihrem Stab spielen könnten!« - Fort nach Berlin, ich bin wie innerlich verschlossen, Gott weiß es, ich gehöre nicht mehr unter Menschen. Um 10 Uhr angekommen; Blumenempfang, ins Hotel. Marie Schleinitz sehr freundlich und warm, alles, was Wagner verlangt hat (3 Proben, so und so viele Geigen etc.), ist bewilligt. Wagner sehr erfreut durch die freundliche Frau.
Mittwoch 26ten
Viel Trouble, Besuch im Hausministerium, Ankündigung von Festessen und Huldigungen, die R. erschrecken, Furcht vor dem Konzert, abends bei Kmeister Eckert, alles gute Leute, aber, wie es scheint, schlechte Musikanten.
Donnerstag 27ten
Viele Besuche, Diner bei Frau von Schleinitz, Tausig so verändert, daß wir ihn kaum erkennen; Erstaunen meinerseits über den Ton, in welchem man über Bismarck spricht, »mehr Glück als Verstand, kein Charakter«. Lothar Bucher wiedergesehen, viel Freude. Familie, Johanna[12] jetzt sentimentale Nichte, nachdem sie in ihrer Glanzzeit sich gar übel benommen. Hotel du Parc, unsre Wohnung, sehr bestürmt und lärmend. Nach dem Ministerdiner Wanderung durch Berlin, wir wollen unsre alte Frommann im Schloß besuchen; Schildwachen schließen gerade die Gitter, öffnen sie wieder für uns, Wanderung durch die Höfe, keine akademische Künstlerin zu finden, Schloßapotheke befragt, wiederum Irrgänge, endlich gefunden, wir klingeln: langes Schweigen, endlich: »Wer ist da?« (mit kläglicher Stimme). Antwort: »Wagner«. Schweigen, dann jämmerlich: »Ach Gott!« Ich: »Können wir herein?« »Ach! Nein, ich bin im Bett.« »Wollen Sie morgen mit uns speisen?« »Gern«. »Um 2 Uhr?« »Da bin ich ja im Palais.« »Um 3?« »Da kommen ja die Leute zu Ihnen«. - Dies alles durch die Briefkasten-Klinge, als ob es aus dem Keller käme, R. und ich denken an den alten Moor und wollen uns schütteln vor dieser gespenstischen Erscheinung. Vorher bereits war uns etwas Unglaubliches, ungleich Unheimlicheres geschehen; als wir von Frau v. Schleinitz kommen, schmerzt mich der Fuß, R. ruft einer Droschke, hinter ihm mit mächtiger Stimme schreit es: »Kutscher«, er dreht sich um, Dr. Julius Lang steht da! Es wird uns grauenhaft zu Mute, da wir ihn in Pest wußten; kommt er wieder, um R. hier zu kompromittieren wie in München, was soll das heißen? - Grauenhafte Nacht erwächst mir daraus, ich sehe nichts als Jesuitenintrigen um R. gesponnen, alles scheint mir dahin zu konvergieren, ich will ihn wecken, ihn bitten, morgen abzureisen, davon hält mich die Einsicht ab: ein Augenblick Schlaf ist mehr wert als Jahrhunderte der Erkenntnis. Seltsame Nachtgespinste endlich befreit mich der Morgen.
Freitag 28ten
Immer tiefer in die Weltleiden! R. sagt: »Man muß nur etwas wollen, da ist man preisgegeben.« Alles bis jetzt aber freundlich. Mittag zu Haus Besuch von Alwina Frommann, der uns große Freude macht, sie ist durchaus Ancien Regime, und gut aufgelegt, was wir [nach] der »alten Moor«-Situation nicht erwartet. Wir gehen mit ihr spazieren. Um 6 holt Dr. Grupe R. ab zum Vortrag in die Akademie. Gegen 9 Uhr kommt R. heim; er lacht und sagt, das ganze Vorhaben sei wahnsinnig gewesen, er habe an große öffentliche Sitzungen, wie sie in Paris stattfinden, geglaubt, nun ist selbst die Akademie der Wissenschaft nicht dabei, und an dem grünen Tisch liest R. vor Musikern, Bildhauern und Malern seine Sache vor. Er wurde vorgestellt, einzeln, kam an Joachim,[13] welcher sagte: »Ich habe Sie sehr lange nicht gesehen.« »Allerdings sehr lange«, erwiderte R.; bei Dorn sagte R.: »Ich hätte nicht erwartet, Sie hier zu sehen«, worauf der Unverschämte: »Alles von dir interessiert mich immer.« U.s.w. Abends erhielten wir Besuch, und R. erzählte dies vor Dohm, Heigel, Tausig und dem jungen Herwig, der ein wenig grün und vorlaut ist.
Samstag 29ten
Wir erhalten uns diesen Vormittag frei, um das Aquarium zu besuchen; großer Eindruck: hier wird man zum Philosophen, hier begreift man, wie der Mensch auch nichts anders ist als ein begehrendes Tier, hier versteht man, daß nur die Entsagung dieser furchtbaren Daseinshölle ein Ende gebieten kann; die haschenden Pflanzen grauenhaft anzusehen! Das Menschenantlitz finden wir überall, überall stupide Ruh oder scheußliche Begehrlichkeit. Mich drängt es hier, R. zu sagen, wie ich ihn liebe, während er stets, überall, vor allen sagt, daß ich einzig wußte, wie ihm zu helfen war, daß er in mir förmlich ertränkt sei, daß er nichts wolle ohne mich. Zu Hause gefrühstückt, abends bei Frau von Schleinitz; R. liest ihr und der Fürstin Liechtenstein Parzival vor; unbeschreibliche Ergriffenheit; wenn auch nicht ein Ton, nicht ein Vers davon geschrieben wird, so ist dieser Entwurf ewig und vielleicht das Höchste, was R. erschaut. - Eckert holt R. ab zum Festessen, während dem besucht mich Legationsrat Bucher und Teilt manches Interessante über seinen Aufenthalt in Versailles mit. Das seltsamste ist wohl, was wir neulich durch Alwine hörten, daß alle Leitenden des Kriegs uneinig gewesen seien. Gegen 2 Uhr nachts kommt R. zurück. Es soll das Bankett ganz ordentlich gewesen sein, ein hübscher Toast (von Herrn Tappert)[14] soll ihm gebracht worden sein, worauf er eingehend geantwortet und seine Idee dargestellt hat.
Sonntag 30ten
Um 12 Uhr holt uns der alte Freund Weitzmann zur Singakademie ab, wo R. empfangen werden soll; es geschieht auch in freundlichster Weise; das Orchester, aus lauter armen Musikern bestehend, spielt die Faustouvertüre und den Tannhäusermarsch, gar nicht übel, so hübsch selbst, daß R. sich geneigt fühlt, einiges zu sagen und den Stab zu ergreifen und die Ouvertüre noch einmal unter großem Jubel zu dirigieren. Der Prolog von Dohm (von Nichte Johanna gesprochen) war sehr hübsch. R. wurde wirklich ergriffen, und alles war über Erwartung gut. Doch ist R. dann sehr müde, wir gehen nach Hause, er legt sich hin, dann strengt ihn eine Unterredung mit Prinz Georg ungeheuer an, da dieser trotz großem Wohlwollen eigentlich gar nicht weiß, worum es sich handelt, und es zu wissen kaum fähig ist. Abend in Wallner's Theater[15] mit den guten bescheidenen Freunden Neumanns.