Juli

Montag 1ten
Ärger über die schlechte Wirtschaft. — Lulu's Zahnschmerzen aber lassen nach. - Gestern abend noch las ich R.'s Brief an M. W.** (**Prinzessin Marie Wittgenstein, s. Anm.[1]), der nun im 5ten Band erscheint, und konnte mich nicht genug wundern - mit R. -, daß ihrerzeit die Fürstin Wittgenstein nichts anderes darin gesehen als ein sich Winden, um den Vater nicht anzuerkennen.
Blöde Welt. - R. liest mit Vergnügen den Darwin, einzig bedauernd, daß er Schopenhauer nicht kenne, was ihm so vieles erleichtern würde. - Hoffnungen auf Pr. N.; Bedauern, daß jetzt das Bedeutendste eigentlich keinen Eindruck, namentlich kein Aufsehen erregt. Ob es je anders war? 
Kant's »Kritik der reinen Vernunft« schiene doch sehr großes Aufsehen erregt zu haben. Über Fürstin Marie Hohenlohe gesprochen; R. erzählt, wie sie sich geäußert habe zu ihm in der Jugend, und sagt, es sei ihm ein Rätsel, wie solche Wesen derlei ganz streichen können aus ihrem Leben, ganz ignorieren. - R. arbeitet und ist zufrieden mit seiner Arbeit. - Abends in Gibbon gelesen. - Nachmittag im Wirtschaftsgarten der Regierungspräsident mit Familie, dazu in einer verdeckten Laube daneben der Herzog mit seiner Frau lauschend!! - R., Fidi und ich in die Schweizerei gegangen, wo uns dann die andren Kinder einholen. Auf der Heimkehr ist Fidi eigensinnig; daß ich ihn dafür züchtigen will (er wollte nur mir die Hand geben) und ihn allein laufen lassen, verstimmt R.; was mich betrübt. Abends sagt R., ich möchte ihm dieses krampfartige Wesen nachsehen; entweder sei er nicht in seiner Arbeitsstimmung, dann sei er betrübt; oder er sei darin, dann könnte er ohne Unterbrechung sein Werk bis zum Schluß vollenden und alles, Essen, Trinken, Schlafen, Sprechen, sei ihm ein Hemmnis, darunter er leide und das ihn reize. - Ach! was mich betrübt, ist lediglich, nicht die Macht zu haben, ihm die Wege vollständig zu ebnen.
Dienstag 2ten
Während ich schlafe, bringt R. seine Photographie auf mein Bett, »sie sollte um Verzeihung bitten«. - Leider ist R. sehr unwohl, und viel wirtschaftlicher Ärger kommt dazu. Wir haben es immer mit »genialen Wirtschaften« zu tun! - Depesche von Marie Muchanoff, sie kommt morgen an. - R. kann nicht arbeiten. Melancholie hierüber; bei Tisch sagt er: »Ja wenn die Kinder nicht wären, ich würde dich fragen, ob du nicht mit mir von dieser Welt ziehen wolltest? Sie sind aber da und somit eine Hoffnung, sonst müßten wir uns gar zu traurig in dieser Welt vorkommen.« - Von Wotan und Siegfried, welcher nun am höchsten steht, Wotan der tragischste, er hat die Schuld des Daseins erkannt und büßt den Schöpfungs-Irrtum. - Spaziergang; Beißerei zwischen Rus und einem andren Hund, R. zieht den riesigen Rus beim Schwanz, was ihn sehr angreift. - Darwin macht ihm Vergnügen, und er gibt ihm darin recht, daß in der Moralität dadurch ein Fortschritt gegen die alte Welt besteht, daß die Tiere jetzt mit darin eingeschlossen sind. - Abends Gibbon (Tod des Theodosius[2]) immer mit Freude, »die rechte Lektüre für vornehme englische Staatsmänner«. R. gibt mir recht darin, daß ich sage, man möchte vermuten, daß Constantin das Christentum angenommen habe, um die untergehende römische Welt durch eine neue Kraft zu verjüngen und die römische Idee der Weltherrschaft zu retten, nachdem römische Charaktere verschwunden. Alles Politik, wie bis zum heutigen Tag, deshalb auch können sie (die Geistlichen) den Gedanken der Weltherrschaft nicht aufgeben. Wir können uns nicht genug wundern, daß Dramatiker sich nicht ihre Stoffe in Gibbon holen, der so vorgearbeitet hat, die Charaktere so individuell nahe gebracht, die Episode des Gregor von Nazianz, dessen Triumph und schließliche Niederlage; Ambrosius und Theodosius, alles mächtig interessante Konflikte um Menschen, »ja die Figuren sind schon da«, sagt R., »aber die Figuriers fehlen«.
Mittwoch 3ten*
(*Fälschlich »4ten« datiert. Von hier an in der Handschrift irrtümlich bis einschließlich Montag 8. Juli) - Bekümmerte Nacht; die Schmähungen des Dr. L. kommen mir wieder in den Sinn, ich habe ein Gefühl der vollständigsten Schutz- und Wehrlosigkeit, und so sehr ich mir bewußt bin, nur in meinen vier Mauern zu leben, um R. und der Kinder zu gedenken, für sie zu atmen, so ist es mir, als ob ein jeder nach Lust mir Schmutz zuwerfen könnte, ein übles Gefühl.- Depesche von Marie M., daß sie morgen ankommt, in Folge dessen heute Kindertisch und großer Umzug, da sie in unsrer Nähe zu wohnen wünscht und wir keine Stuben im Hotel bekommen. Die Kinder ziehen hinunter, zu sechs in einer Stube!... R. ist auch wehmütig gestimmt, doch erzählt er mir, wie er vom Spaziergang heimkommt, daß er durch Johanniswürmchen, die er im Walddunkel habe schwärmen sehen, merkwürdig getröstet worden sei; er habe vor Rührung darüber im Walde geweint.
Donnerstag 4ten
Früh nach der Stadt, nachdem R. aber doch gearbeitet; bei Feustels gespeist, schlimme Nachrichten über Ottilien's Schwiegersohn (v. Berckefeld),[3] der darauf reduziert zu sein scheint, eine Eisenbahnanstellung zu suchen! Um 3 Uhr Ankunft des Herrn v. Gersdorff; viel vom Tristan* (*Eingelegt ein Zettel mit musikalischem Motiv und Aufschrift: »Figur aus Tristan, die ich nicht richtig sang«, s. Anm.), ungeheurer Eindruck auf alle, ein Herr Hillebrand soll gesagt haben: >es seien eleusinische Geheimnisse< Um 9 1/4 Uhr die Freundin; R. besorgt mir Wurst, und ich bringe die Freundin nach Fantaisie. Die große Freude, sie zu sehen, wird bald durch Berichte von dieser Welt getrübt. Sie meldet unter anderem, daß Frau von Meyendorff Klage erhoben habe über den schlechten Empfang, der ihr hier zu Teil geworden! Ja, Herr v. G. hatte davon in Tegernsee gehört u.s.w. - Abend zu vier, unter allerlei Gesprächen.
Freitag 5ten
Während R. arbeitet, bringe ich den Morgen bei der Freundin zu; sie selbst immer vorzüglich, schön und interessant, doch alle Berichte von der Welt erschrecken mich, diese ewigen Lügen! So wollte eine Frau von Dewitz einen Brief von mir an den Buchhändler Stilke gesehen haben, worin ich von dem Briefe R.'s an Tausig und Dr. Lang spräche!! Mir wird wie Erda »wüst und wirr«, wie gerne erführe ich nichts. Spaziergang am Nachmittag; Herr v. Gersdorff teilt mir den Plan eines Aufrufes mit, den Pr. Nietzsche aufsetzen will zum Zwecke einer Sammlung, an welcher sich alle diejenigen beteiligen könnten, welche keine Patronatscheine nehmen könnten und mit einzelnen Beiträgen sich nicht an die Wagner-Vereine anschließen möchten. Unser Abendtisch wird durch einen Herrn Krebs[4] aus Frankfurt a/M erweitert, welcher, artig und wohlgebildet, mit einem seltsamen Anliegen hierher gekommen ist. Er bringt ein Blatt, die griechische Tragödie vom Wagner'schen Genius erweckt, das merkwürdig kindisch entworfen in Riesengröße ausgeführt werden soll (wie das Symposion von Feuerbach!), und dazu will er R.'s Zustimmung haben. R. rät ihm, das Nietzsche'sche Buch zu lesen, und gibt es ihm mit. Er bringt seltsame Reden heraus, daß man Ideen jetzt malen müsse u.s.w. Wie er fort ist, können wir uns über diese seltsame Erscheinung nicht genug wundern und müssen schließlich über alle diese Konfusionen sehr lachen.
Sonnabend 6ten
Ein Spaziergang, den wir noch gestern machten, brachte mir eine Erkältung, infolge welcher mir die Stimme gänzlich versagt. R. arbeitet. Wagenkonfusion; ich fahre allein mit der Freundin und Fidi und Lusch in das Opernhaus, das sie herrlich findet; (Fidi sagt: »Papa Konzert«) und zum Festplatz (Fidi: »Fidi's Haus«). Abends wieder mit den zwei Freunden in verschiedenen Gesprächen. (Vom Kaiser: »Guten Tag Herzog von Strausberg, wollte sagen Banquier von Ujest«, als er den stark kompromittierten Höfling erblickte). - R. spielt uns aus der Götterdämmerung, Hagen's Ruf und die Rheintöchter. (R. arbeitet.)
Sonntag 7ten
Abschied von Herrn von Gersdorff. Die Kinder in der Kirche, R. bei der Arbeit, ich mit Fidi bei der Freundin; immer ohne Stimme. Nachmittag-Besuch bei Svendsens, die allerlei Hübsches von Kassel erzählen. Abends der unglückliche Herr Krebs wieder; seine eigentümliche Obstination auf alles, was man ihm sagt, bringt unsre Freundin auf den Gedanken, er sei gemütskrank. Er entfernt sich bitter.
Montag 8ten
Ich bringe die Freundin zum Bahnhof; sie scheint mit ihrem Aufenthalte hier zufrieden, die Kinder benahmen sich sehr gut; gestern unter andrem, wie die Atmosphäre schwül wurde (Herr Krebs!), sagte ich ihnen heiser, etwas zu erzählen, und Lusch und Boni begannen sofort vom kleinen Svendsen, wie der in's Wasser gefallen sei u.s.w. - Wir dagegen haben zwar eine große Freude an dem Besuch gehabt, doch auch einen melancholischen Eindruck davongetragen; das ruhelose und freudlose Leben der großartigen Frau, namentlich aber, was sie von der Welt mitteilt, ist so trübe und trostlos (Tragödie ohne Würde, wie Schopenhauer sagt), daß wir die Blicke mit Ekel immer davon abwenden. Gerührter Abschied von ihr. - R. hat heute nicht arbeiten können, es ist zu viel Zerstreuung um ihn gewesen. Es ist sehr heiß. Abends gehen wir mit den Kindern im Park den Glühwürmchen nach. Begegnung des Herzogs; Beißerei unsrer Hunde, der Herzog aber äußerst freundlich. Am Nachmittag entwarf ich einen Brief an die Bonin Meyendorff, und ich freute mich darüber, daß die Beschäftigung mit der Form - das heißt der Versuch, mich gut auszudrücken - mir gänzlich über den Grund des Schreibens hinweghalf; so ist die geringste Kunstübung eine Erlösung. - R. freut sich sehr über eine kleine Notiz in der Zeitung, daß der Magistrat erlaubt hat, Wurst auf dem Festplatz zu verkaufen. In Bezug auf den Theaterbau sagt R.: »Es geht mir sonderbar hiermit, ich denke eigentlich nie daran, und wenn ich die Leute arbeiten sehe, scheint es mir ganz natürlich; und wenn es nicht zu Stande käme, ich hätte das Gefühl, es kommt etwas andres, Größeres dafür.« - Depesche von Luccas (vorgestern), ob R. im Februar nach Mailand zum Lohengrin kommen könnte, und bieten 9000 fr. R. erwidert, ja, wenn Lohengrin nach seinen Wünschen gegeben wird. - Heute gab sich R. wirklich mit der Lektüre der »Ahnfrau«[5] ab, um sich Kindereindrücke wach zu rufen, er erschrickt nicht über die Monstrositäten der Komposition, wohl aber über die Albernheit der Sprache.
Dienstag 9ten
Ununterzeichnete Zeilen des Herrn Krebs, dessen Schrift wir kennen, »ich habe mit Hamlet den Inhalt der Welt erkannt und finde ihn ekelhaft«, letzteres dreifach unterstrichen! - Brief eines Herrn Bergmann aus New York, sie möchten gern dort Feuerzauber u.s.w. haben, fragt aber an, wo Patronatsscheine zu haben. - R. arbeitet, wenn auch mit Wehmut, weil die Eindrücke gar zu entmutigend sind, und ich kopiere meinen Brief an Frau von M.* (*von Meyendorff); hiermit ist auch die Freude zu Ende, denn nun befürchte ich Antworten u.s.w. und den ganzen Weltunsinn und Trug. - R. geht zur Stadt, er besichtigt unser Grundstück, es rührt ihn sehr, die Arbeit etwas vorgerückt zu sehen. Brief vom Neffen Fritz, den ich mit meiner Cousine Liszt in Wien gern verheiraten möchte.
Mittwoch 10ten
Ein Herr aus Coburg - Dovris glaube ich - schickt Zeichnungen für den König von Bayern, empfiehlt einen »historischen Ofen«, den er gemacht — unsäglicher Unsinn! Gestern schlägt Herr Tappert wiederum einen Verein vor mit Löser zum Zweck, vorerst Bayreuth zu unterstützen, dann die Nibelungen in Berlin aufzuführen!! - Einzige Freude an den Kindern, Fidi stete Hoffnung. R. arbeitet. Nach Tisch in die Stadt. Zu Feustels; in unser Miet-Haus etc. Herrliches Wetter; von der Schweizerei zu Fuß nach Haus, herrlicher Vogelruf, auf welchen R. gleich einen Symphoniesatz baut. Abends etwas in Gibbon gelesen (»Die Religion Christi und Constantin's«, »übernatürliche oder niedrige Gründe«).
Donnerstag 11ten
Minister Schleinitz sendet Lulu eine hübsche Auswahl Siegel, ich danke sogleich und schreibe noch andere Briefe. R. erhält eine nicht eben glückliche Medaille von Schubert. Er arbeitet. Nach Tisch geht R. zu Svendsens, um zu sehen, ob er die Kopie für den König übernehmen könnte. Dann gehen wir spazieren, R. sagt: »Was die Schriftstellerei etwas Angenehmes ist; ist ein Buch da, ordentlich korrigiert und herausgegeben, mag es kritisiert werden wie es will, so ist es da und macht einem Freude, aber eine Partitur, die ist wie gar nicht vorhanden, bis sie aufgeführt wird, und mit diesen meinen Arbeiten wende ich mich an den allergroteskesten Teil des Publikums - das Theater-Publikum!« - Das Weltgetriebe, darin wir wieder einen Einblick gewonnen durch den Besuch der Freundin, ekelt uns in tiefster Seele an, »sich flüchten zu den Gefilden hoher Ahnen,[6] das ist die einzige Rettung davor«, sagt R. Wir nehmen uns ernst vor, so wie wir keine Zeitungen lesen, auch möglichst wenig Menschen, außer unsrer Aufgabe, zu sehen. »Was ist z. B. aus der so gut gemeinten Einladung des Vaters durch R.* (*RW über sich selbst, s. Anm.) geworden? Eine wahre Teufelei! Dies sei uns eine Lehre.« Abends Gibbon. —
Freitag 12ten
Große Hitze, im Garten mit den Kindern gearbeitet, »ein Dichter« wünscht Gedichte mir vorzulesen! - R. arbeitet, »einige Linien« ; nach Tisch zur Stadt, R. muß zum Landgericht wegen eines Chemnitzer Theaterdirektors. Wir besuchen unser Grundstück, daran wacker gearbeitet wird. R. freut sich, es so zu sehen. Wir kehren um fünf Uhr heim und finden Kraußolds zu Hause. - Abends Svendsens; R. hatte gewünscht, daß der Mann ihm die Kopie unternehme, allein, selbst Komponist, zeigt er keine Lust.
Sonnabend 13ten
Immer wieder kommt R. auf das Glück der Schriftstellerei zurück: »Daß Lessing, Schiller, Goethe melancholisch waren, wäre unbegreiflich, wenn man nicht wüßte, daß in ihnen ein großer Kunsttrieb war, der in ihrer Zeit sich gar nicht entwickeln konnte, das macht sie tragisch; sonst ist das Schriftstellern eine reine Freude.« Mit den Kindern gearbeitet; nachmittags und abends Feustels, dazu J. Rubinstein, von München kommend. Das Klavierspiel des letzteren freut uns sehr, eine Fuge von Bach namentlich (aus dem Wohltemperierten Klavier Des dur) stimmt uns ganz extatisch, »es ist, als ob erst jetzt Musik wirklich ertönt hätte«, sagt R. Wie ich R. sage, daß, merkwürdigerweise, dieses Scherzando mich mit ungeheurer Wehmut erfüllte, sagt R.: »Ich begreife es, es ist wie ein rastloses Weiterschreiten, als ob er sagte, hier habt ihr alles, womit ihr später arbeiten werdet, wo ihr ruhen und weilen werdet, ich weiß das alles, mich treibt es weiter. Eine Sphinx, aber das ist deutsch. Wie flach und konventionell erscheint die Sonatenform dagegen, dieses italienische Produkt; nur dadurch, daß er das Beiwerk dieser Form so ungeheuer belebte, näherte sich Beethoven wieder Bach. Die Klage der Natur (Tiere und Pflanzen) hört man da.« Mir ist es noch eher die unorganische Welt, Steine und Berge, die ich rufen höre. - (Briefe von Marie M. und Malw. M.).
Sonntag 14ten
In die kleine Kirche, mit vieler Rührung gemeinschaftlich mit den Hummelbauern Choräle gesungen; aus solcher Gemeinsamkeit entspringt die Andacht, denn was man empfindet, indem man die armen Leute sieht, und was mir der singende Gottesdienst eingab, ist Gebet; als wir sangen »wir haben einen Gott, der uns hilft«, mußt ich der Zeiten gedenken, wo die Protestanten, dies rufend, ihr Leib und Leben ließen für ihren Glauben. Luther's gedachte ich und seines Riesenkampfes; und die schmucklose Kirche, die stehende, nicht kniende Gemeinde, das gesungene Gebet, stimmten mich gottesfürchtig. Wie gerne bin ich mit der Welt in dieser Weise in Zusammenhang, wie verstehe ich da ihre Gefühle und ihre Gesichter! Leider war die Predigt des »Hofrates« gar nicht im Einklang mit der Stimmung, er unterschied zwischen berechtigtem Sorgen und unberechtigtem Sorgen für sein Leben, sprach viel vom Satan, wie gerne würde ich Geistlicher bei Bauern sein, und wie anders
würde ich zu ihnen sprechen! - R. arbeitet. Kindertisch. Ich bin immer nicht wohl; mit den Kleinen (Loldi wegen entzündeten Augen zu Haus) im Park. Niemals hat der Vogelgesang mich so ergriffen wie jetzt; mir ist es, als ob ich ihn anders hörte und verstünde als früher; wie ein seltsamer Ruf. Nichts Übles möchte ich mehr empfinden und dann dem Ruf folgen. Ich dachte gestern, daß jedes Kunstwerk zu uns sprechen soll wie der Vogelgesang, unfaßlich, unerwiderbar, und doch sogleich verstanden und lautlos beantwortet. Mir ist die Kunst beinahe verleidet, weil man ihretwegen so viel mit Menschen - und nicht den Guten - in Verkehr kommt. Nichts aber verleidet mir den Vogelgesang, den Schatten der Bäume, das Blühen der Blumen, und nahe verwandt fühle ich mich den armen Leuten, die dieses mit Schweiß und Mühe hier pflegen. Der Herzog ist menschenfreundlich und menschenscheu, dahin bringt das Leben die guten Menschen. - Nachmittags kommt Herr R.* (*Josef Rubinstein) und musiziert mit R. - alles ist hier sehr aus dem Rohen zu entwickeln. (Abends an Marie M. geschrieben).
Montag 15ten
Vor kurzem schickte Herr Heckel eine Zeitungsnotiz, nach welcher davon die Rede sei, daß Hans nach Mannheim käme; da wir dies durchaus nicht verstehen, vermeiden wir es, davon zu sprechen; gebe der Himmel, es sei von keiner üblen Bedeutung für Hans. Im Garten mit den Kindern (Loldi ihrer Augen wegen zu Haus). R. arbeitet. Nachmittag Herr R., der auf unserem Klaviere spielt, während wir zur Schweizerei mit den Kindern. Schöne Stimmung nach einem Gewitterregen; wir betrachten einen Salamander, der mühsam seinen Weg die Wiese hinan sucht, Vogelgeplauder dazu, Kirchenläuten! Fidi fragt plötzlich bei einem Stein, »Mama, was steht hier geschrieben«. Was uns viel lachen macht. R. sagt, der Anblick seines Kopfes sei ihm eine reine Wonne, er verstünde, was die Griechen an der männlichen Schönheit so erfreute, Kraft und Intelligenz, die sich darin ausspreche, während in der weiblichen Schönheit nur Sehnsucht sich ausdrücke. Abends den dritten Akt von Siegfried mit Herrn R. vorgenommen, seltsamer Weise scheint Siegfried, selbst unter den Wagnerianern, völlig unbekannt und unverstanden; während ich geglaubt hatte, daß der Eindruck ein ganz populärer sein mußte. (An Fritz geschrieben).
Dienstag 16ten
Loldi immer unwohl, dazu übles Wetter; den Morgen zu Haus. Richard arbeitet. Nachmittags entwirft er für Wilhelmj seinen Orchesterplan. In die Schweizerei mit den Kindern; R. kommt mir mit Herrn Rub. entgegen. Abends Svendsens und - erster Akt von Siegfried. Herr R. zeigt sich sehr verständnisvoll, und seine Handschrift für die Kopie ist vortrefflich.
Mittwoch 17ten
Brief von Freund Lenbach, er wird R.'s Portrait nun machen.- Ein Gymnasium-Rektor aus Eisleben schickt R. eine Abhandlung über die Poesie des Mittelalters, mit einem - wie es scheint sehr hübschen - Kapitel über Tannhäuser. R. arbeitet, ich mit den Kindern im Garten (immer mit Ausnahme Loldi's, deren Auge immer entzündet). Nachmittags Brief von Pr. Nietzsche und Frau von Meyendorff, letzterer nichtssagend, scheint die Absicht zu bezeigen, ein gutes Verhältnis zu erhalten. Mit J. Rubinstein spazieren; R. befragt ihn über sein Studium Schopenhauer's, was bald das Gespräch sehr tief führt. Ich höre mit Andacht R.'s Lehren zu; wen erfüllt er nicht, der Durst nach Erlösung? - Abends spielt Herr R. aus Tristan. Die Tempi scheinen allen diesen Musikern schwer zu treffen zu sein.
Donnerstag 18ten
R. erhält den Kontrakt unseres Hauses zu unterzeichnen; neulich träumte er von seinem Begräbnis unter den Kastanien unsrer Allee, die schon sehr groß waren, so daß er meinte, daß er noch lange leben werde, da wir erst jetzt unsre Kastanien gepflanzt haben. Er liest jetzt im Leben Garrick's (französisch) und meint, daß das eine gute Mischung war, französischer Protestant und Angelsachse. Auch kommt er zu dem Schluß, daß ein wirklich großer Mime wohl ebenso selten sei als der große Dichter. - Zu Tisch sagt er, um sich einen Begriff der Römer des Vten Jahrhunderts zu machen, kann man die jetzigen Franzosen nehmen und sich vorstellen, wenn die von den Amerikanern geschlagen, deren Invasion bei sich aufgenommen und mit ihnen amalgamiert, was daraus entstehen würde, müßte doch höchst merkwürdig sein. - Kindertisch. R. geht dann spazieren, ich bleibe bei Loldi. Herr R. kommt, spielt Chopin.[7] In dem Tagblatt die merkwürdige Notiz, daß v. Perfall Oberstceremonienmeister wird und Bülow Generalintendant!
Freitag 19ten
Der 5te Band kommt an. Brief von H. v. Gersdorff. -R. arbeitet. Nach Tisch fahren wir in die Stadt; R. wieder zum Landgericht wegen des Chemnitzer Theaterdirektors, dann zu Feustels und in die Kirche, um dem Teil eines wunderlichen Orgelkonzertes beizuwohnen. Darauf zum Festplatz (vorher zu unsrem Haus). Furchtbare Grabungsarbeiten; R. sagt mir: »Die Leute müssen denken, ob der wahnsinnig ist, uns so tief unten hier arbeiten zu lassen, damit er da oben sein Stück aufführt.« Heiteres Abendessen, R., Lusch und ich, in der Sonne; R. sucht in >Über Land und Meer<[8] eine Novelle auf, die er schon vor 14 Tagen bemerkt und darin Moltke, Bismarck, Keudell, ja der alte Staatsrat Klindworth auftreten und vortrefflich charakterisiert, auch die Begebenheiten scharf und richtig dargestellt sind. »Es gibt mir eine solche Ruhe, wenn ich so etwas aufgedeckt sehe, denn dann denke ich, Bismarck muß dies alles noch viel besser wissen. Das war Röckel's Schwäche, daß er meinte, immer alles allein zu wissen.« - Lulu zeigt mir das Bild ihres Vaters, dazu eine biographische Notiz mit einer Bemerkung über mich, die mich anfangs tief verletzt, die ich aber bei tieferem ruhigen Nachsinnen gern hinnehme, als Sühne des Glückes wie des Leidens. - Nächtliche Heimfahrt; rotgold glänzt der Mond durch den Schatten des Waldes, darin die Leuchtkäfer schwärmen; wir gedenken des »Faust«, »o, sähst du, voller Mondschein« — »daß Goethe den >Faust< vollendet hat, ist doch herrlich«, sagt R., »in der Jugend und im Greisenalter hat er sich als Dichter gefühlt, das Leben dazwischen war wie eine Zerstreutheit. Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten, wie herrlich ist das! Da sieht man auch das freundliche Wesen seiner Jugend begrüßt; ich habe keine schwankenden Gestalten, ich wüßte nicht ein Wesen, das ich in Verbindung mit einem Werke nennen könnte, - dafür fand ich dich, habe ich jetzt Cosima«. - Tiefe Rührung der Heimfahrt, schöne Ankunft zu Haus.
Sonnabend 20ten
R. meint, nun müsse [er] sein Weltuntergangscouplet komponieren, er arbeitet auch anhaltend. Ich mit den Kindern im Garten. Loldi immer nicht geheilt. Brief von der Mutter, sie ist wieder soweit erholt, daß sie mir schreiben kann. Die Medaille kommt aus Wien, sie ist sehr gut. Abends Herr R. und Svendsens; R. singt die erste Scene des III. Aktes von Tristan, verbietet sich aber sonst irgend etwas von ihm selbst, da er zu sehr durch den Entwurf der letzten Scene in Anspruch genommen ist. R. erzählt einige nordische Sagen.
Sonntag 21ten
Schönes Wetter; die Kinder in der Kirche, ich Briefe schreibend. R. wird leider zuerst durch Herrn Wölfel, unsren Architekten, am Morgen gestört, doch sammelt er sich wieder zur Arbeit, er kommt bis zum Schluß der Handlung, ist aber sehr aufgeregt durch die übrig bleibende Aufgabe. Ich sage ihm, wie ich in früheren Zeiten mir ausgedacht hätte, wie ich die Vollendung der Nibelungen feiern wollte, nun könnte ich nichts; »also das genügt dir nicht«, sagt R., »daß einzig du mir die Kraft zur Vollendung gegeben, du sie mir einzig ermöglicht; es muß noch etwas für die Welt da sein. Die Frauen sind doch eitel!« -Einige Bücher, die er erhalten, machen R. viel Freude, unter andrem eines über die h. Berge, woraus hervorgeht, daß die Isländer von den alten Sachsen abstammen und die nordischen Sagen sächsischen Ursprungs sind. - R. sehr aufgeregt durch seine Arbeit; wir gehen zusammen spazieren. Schöner Mondschein. Abends liest mir R. ein Kapitel aus Darwin (über den sozialen Instinkt).
Montag 22ten
»Das Haus und Fidi, das sind die positiven Freuden; ach! ich sage jetzt: es kommt die Zeit, wo man in Ruhe was Gutes genießen will, und der Teufel ist es, der mir zuruft, das Streben deiner ganzen Kraft ist es, das du gelobt, denn wenn ich in das Haus einziehen werde, da wird der Teufel erst recht losgehn!« - Viel Scherz über Homunculus' altklugen Ausruf beim Anblick des Faust, »bedeutend«. - Ankunft des V. Bandes der Gesammelten Schriften; dabei Sorge um den guten Verleger Fritzsch, der hier krank erschien; »ich komme mir wie ein Gott oder wie ein Gespenst vor«, sagt R., »was starb und schwand mir alles!« - Mir fehlt die Kraft, um die Ergriffenheit zu schildern, die sich meiner bemächtigt, als R. mich rief, um mir zu melden, daß er die Skizze beendigt habe. Er spielt mir den Schluß vor, und ich weiß nicht, ob ich von den erhabenen Tönen oder von der erhabenen Tat tiefer erschüttert bin. Mir ist es, als ob mein Ziel erreicht sei und ich nun die Augen schließen könnte. Ich melde meine Stimmung Marie Muchanoff, weil sie R. [als] eine treue hilfreiche Freundin sich bewiesen. - R. ist leider abends nicht ganz wohl, und die Anwesenheit des guten Rubinstein's stört ihn und greift ihn an. Bei Gelegenheit der fehlerhaften Aussprache die Walküre ereifert sich R. und sagt, woher denn die Leute ihre Kenntnisse der Dinge hernähmen, »zur Wal kor ich mir« u.s.w. ließ er Brünnhilde sagen, und dabei sprechen die Leute alle das Wort französisch aus. Ein Werk des Herrn Svendsen gibt R. Veranlassung, über die neue Art der Musiker gleich in's Ungeheuerliche zu gehen; Grimassen, Fratzen, kein ruhiges Menschenantlitz mehr; durch seltsame Rhythmen wird ein drastisch aussehendes Motiv hervorgebracht, dessen Melodie sich einem aber doch nicht einprägt. Auch geht alles über die Instrumental-Musik hinaus, denn man fragt sich doch nach Sujet und Situation, um all den Mord und Totschlag zu verstehen. - Abends sprachen wir über Opern, und R. rühmte vor allem »Joseph« von Méhul.[9] (Brief von Fritz, der nach Kiel versetzt wird).
Dienstag 23ten
R. hatte leider keine gute Nacht, er arbeitet aber die »Figurationen« aus, so daß er heute erst wirklich fertig ist; »es gibt keinen Schluß für die Musik«, sagt er, »sie ist wie die Genesis der Dinge, sie kann immer von vorne wieder anfangen, in das Gegenteil übergehen, aber fertig ist sie eigentlich nie. Entsinnst du dich, wie beim Schluß des ersten Aktes der Meistersinger ich unschlüssig war? Ich bin froh, daß ich Sieglinden's Lob-Thema auf Brünnhilde mir reserviert habe, gleichsam als Chorgesang auf die Helden«. - Nachmittags macht er Korrekturen von der Biographie und trifft mich dann im Park auf dem »Sappho-Sofa«, eine schöne steinerne Bank, die prächtig beim Teich angebracht ist. - Abends lese ich den Brief über die Goethe-Stiftung vor; ich vertrete die bildenden Künste! (Brief von Marie Schl. und aus Philadelphia Bestellung einer Messe!)
Mittwoch 24ten
Fidi wie gewöhnlich bei uns zum Frühstück; »werde witzig und gütig, dann will ich zufrieden sein«, - sagt R. - »ob du ein großes Genie gleich werden wirst, wollen wir nicht fragen«. »Nun hätte ich doch dieses ganze Gedicht durchkomponiert; ich habe es früher nie geglaubt, nicht nur der Unmöglichkeit der Aufführung wegen, sondern der Unfähigkeit, so anhaltend in der Stimmung zu bleiben; und darin bin ich geblieben; bis zum letzten Vers bin ich gerührt gewesen wie beim ersten Wort.« »Ich habe mir überlegt, ob ich nicht hier Kantor werden soll, Orgel lernen und sie spielen, um den Leuten hier nützlich zu sein. Denn von hier ist es, von den Freunden, die ich mir hier erworben, daß ich alles erwarte; nicht von dem, was mir von außen etwa arrangiert wird.« Ich gehe in [den] Garten, die Kinder voran, Fidi mit mir, sein großes Buch tragend, R. ruft vom Balkon: »Die Pythia mit dem Priesterlehrling, der die Prohezeiung trägt.« -R. sagte mir zu Tisch: »Weiß Gott, wenn es mir gut geht, es dauert nicht zu lang und ich beginne den Parzival.« - Er hat Korrekturen von seiner Biographie gemacht; wie ich ihm sage, daß ich Franziska Ritter[10] geschrieben, so ist er förmlich darüber erschrocken, denn er sagt, er habe gerade an sie und die Familie R. gedacht und gewünscht, daß sie erführe, daß er die Götterdämmerung vollendet; »wir brauchen gar nicht mehr miteinander zu sprechen, du weißt alles und errätst alles«. - Ich habe immer im seligen Nachsinnen über die Vollendung der Götterdämmerung die »Zueignung« von Goethe und dann die zwei Prologe gelesen; wie ich R. meine entzückte Empfindung davon mitteile, sagt er: »Ja, das ganze Kunstwerk der Zukunft knüpft eigentlich an den Theaterprolog an, da ist alles angegeben.« Ich gehe zu meiner Bank: »Am Morgen Pythia, am Abend Sappho«, sagt R., der mich dort besucht und, da Herr Rubinstein den Ring des Nibelungen mit hat, die Scene zwischen Wotan und Brünnhilde am Schluß der Walküre vorliest. — Die »Nibelungen« von Hebbel und von Jordan, die R. sich bestellt, sind angekommen und entsetzen uns; sie könnten einem den Gegenstand ganz verleiden, sag ich zu R. »Ja«, sagt er, »wie die >Hugenotten< die feste Burg zur Fratze machten.«
Donnerstag 25ten
R. korrigiert immer an den Korrekturen der Biographie, er muß lachen, daß er sich nun sehnt, wieder zu komponieren, während er es so verschworen hat! Nachmittag fahren wir mit sämtlichen Kindern zum Riedelsberg, bei Feustels; R. knüpft ein Gespräch über Philologie mit den Professoren Fries und Nägelsbach[11] an und ist sehr zufrieden mit der Art, wie sie darauf eingehen. Gegen 10 Uhr heim.
Freitag 26ten
Wir freuen uns noch heute, wie Fidi sich gestern gut benommen hat. R. arbeitet an seinen Korrekturen; unmäßige Hitze, Loldi's Auge immer [noch] nicht besser. R. besorgt auch Geschäfte (an Voltz u.s.w.). Herr Rubinstein am Abend; doch wird keine Musik gemacht. -Ich habe heute die drei Lenbach'schen Bilder eingepackt und mußte lachend R. bemerken, daß die nackte Wand für mich beruhigend sei; alles, was wirklich Kunst ist, ergreift mich so mächtig, daß ich mich zuweilen beinahe fürchte, damit in Kontakt zu treten; und diese drei Bilder sind wirkliche Kunstwerke.
Sonnabend 27ten
Große Schwüle und Hitze; ich aber doch mit den Kindern im Garten gearbeitet. Am Nachmittag fahre ich fort im >Faust< zu lesen, und einen Vers, den ich nicht verstehe, versteht R. drolliger Weise auch nicht (»wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen, dann heißt das Bess're Trug und Wahn«). Das Programm eines Konzertes, darin ein Mendelssohn'scher Chor aus »Oedipus in Kolonos« aufgeführt wurde, bringt uns den Text dieses Chores wieder zu Augen, und wir können uns nicht genugsam wundern über die Stupidität der M.'schen Musik; »gewiß«, sagt R., »hat Sophokles dazu eine Volksmelodie, die er verwertet und nach seinem Bedürfnis verändert hat«. - Die Zeitungen bringen wiederum Lebenszeichen des Akademischen Wagner-Vereines, Herr Dr. Lang ist Mitglied und schreibt eine Biographie Wagner's in dem Blatt, das dieser Verein herausgibt! - Pr. Nietzsche schreibt R., daß er nach München zur Universitätsfeier (d. h. zum Tristan) geht. Ankunft des Herrn Diener, welcher R. gut gefällt. Abends einen Teil des Rheingoldes mit Herrn Rubinstein vorgenommen.
Sonntag 28ten
Die Kinder in der Kirche; ich im Garten mit Fidi und Eva, Briefe schreibend (Lucca, Claire, Fritz). R. korrigiert immer an seiner Biographie und freut sich des Buches über die Berge, woraus er u. a. entnimmt, daß Hermann[12] nicht in römischen Diensten war. Gewitterluft; ich mit den Kindern im Park; abends der Tenorist und der Pianist; Rheingold beendet; Herr Diener singt aus den fünf Gedichten. In der Zeitung liest R. mit großem Schrecken, daß der Nachkömmling Beethoven's, den er der Gnade des Königs empfohlen, wegen falscher Wechsel verhaftet sei; »ich habe kein Glück mit meinen Empfehlungen gehabt. Der Gesangslehrer Schmitt, Mme Schnorr, Hallwachs, Fröbel, Bon Perfall, jetzt Beethoven!« - Viel Freude an Fidi; Loldi aber immer augenkrank. - Brief der Agenten, daß Herr Fürstner aus Berlin das Meser'sche Geschäft gekauft habe; R. damit sehr zufrieden, möchte ganz von Schott abkommen. Brief von A. Frommann an mich, sie hat Berlin verlassen und von der Kaiserin ihren Abschied gefordert. - Vom Vater nichts; Frau v. M. hat demnach ihren Zweck erreicht.
Montag 29ten
Sturm in der Nacht, dazu viel Bauerngesang; zum Frühstück gedenken wir einer gestrigen drolligen Scene; Herr Rubinstein wollte uns ein Lied von sich singen und begann, »ich möchte meine Seele tauchen in [den] Kelch der Lilie hinein«, sein kindlicher Vortrag, der Text, endlich das Umschlagen seiner Stimme bringt uns alle vier in solch unbändiges Lachen, daß es gar nicht mehr möglich ist, in dieser Produktion fortzufahren. - Brief des vortrefflichen Verlegers Fritzsch, der meldet, daß die Gesammelten Schriften sehr guten Absatz finden, was R. um so mehr freut, als die andren Verleger immer machten, als ob gar nichts von diesen Sachen ginge. R. korrigiert immer die Biographie; nachmittags nimmt er Herrn Diener vor, läßt ihn langsam und leise Wolfram's Gesang[13] vornehmen und ist sehr zufrieden mit der Art, wie er sich dabei benimmt; weniger mit Herrn Rubinstein, dessen Vortrag sehr ungeschult noch ist. Die Walküre wird vorgenommen; ungeheuerer Eindruck, als ob ich sie gar nicht kenne. Am Morgen hatte R. die Ausgabe des »Ringes« für Herrn Fritzsch hergerichtet und die letzten Verse hinzugedichtet. - Abends ist er ein wenig ärgerlich, immer mit unfertigen Menschen, mit welchen ganz von vorn anzufangen ist, zu tun zu haben.
Dienstag 30ten
Viel viel Not mit Loldi's Augen; sie sind sehr entzündet, gestern und heute ging ich in die Anstalt mit ihr - R. schreibt an Herrn Hoffmann,[14] Dekorationsmaler in Wien, der, wie es scheint, gern die Aufträge für Bayreuth übernehmen würde. - Heute erwidert er für die
Fritzsch'sche Zeitung den Unrichtigkeiten der Biographie des Herrn Lang. - Er bereitet seinen Aufsatz über Schauspieler und Sänger vor. - Zu Tisch spricht er von dem Kaisermarsch und sagt, daß er auf der ersten Seite (nach den vier ersten Takten) die Stelle, wo die Akkorde sich wiederholen, anders instrumentieren möchte; zuerst einige kräftige Instrumente und nach und nach das ganze Orchester eintreten lassen, jetzt klänge es monoton. - Er macht den dritten Band fertig und lacht darüber, daß er mit der Wiedervereinigung mit Minna in Zürich beginnt und mit der Wiedervereinigung in Paris aufhört; »diese Vergeudung der Lebens-und Seelenkräfte!« ruft er aus, »dieser Unsinn aller Beziehungen; ich muß wirklich glauben, daß ich meiner Mission zu leben habe, denn z. B. in Paris, da ist doch für mich positiv nichts herausgekommen, ich habe mir nichts gewonnen; ich bin nur immer schroffer und schroffer geworden. - Ich korrigierte heute an der Zeit des III. Aktes des Tristan und dachte, wenn nun der Großherzog von Baden mir damals ein Asyl geboten hätte, nun, ich war zu anderem bestimmt, es mußte bei mir alles anders als auf einfachem Weg kommen. Du bist mein Element«, - schließt er -, »meine Atmosphäre, in dir und den Kindern nur bin ich«. - Wie aber alles gebüßt werden muß, so will es ein böses Schicksal, daß mit der expansivsten Stimmung R. den Aufsatz des Dr. Lang holt, um mir einiges daraus zu lesen, und daß ich bitte, mir nichts davon mitzuteilen; R. ist davon gekränkt, versteht nicht, daß die bloße Erwähnung des Namens mich verletzt und so ist denn gebüßt. Auf dem Sappho-Sofa mit den Kindern; dann mit R. die Milch in der Schweizerei getrunken. Abends zwei Scenen aus der Walküre. (Brief von Malwida Meysenbug). Großes Gewitter.
Mittwoch 31ten
R. ist etwas unwillig darüber, mit unfertigen (»dummen«) Menschen zu tun zu haben; »die einzige Freude, die ich von meinen Sachen habe, ist, wenn ich die Skizze geschrieben, es dir vorzusingen - dann ist aber auch alles aus«. Loldi immer leidend; R. und ich, wir nehmen die Biographie wieder auf, bei regnerischem Morgen. - Zu Tisch sprechen wir von der Unfähigkeit, sich durch die Sprache verständlich zu machen, die Sprache eine Konvention; nur die Liebe, die sich selbst aufgibt, versteht den anderen, und der durch die Kunst Hingerissene; »dein Vater und die Fürstin W. haben mich ebenso wenig verstanden als ganz dumme Menschen«. - Gestern abend erzählte Herr Diener, daß Rubinstein ein eigenes Theater erbauen wollte, um fünf Bibelstücke darin aufzuführen. »Nicht ganz original«, lacht R., »aber daß die guten Menschen immer alles von außen aus beginnen wollen; ich hatte zuerst mein Werk gemacht, dann habe ich über die Mittel gesonnen, es zur Aufführung zu bringen.« Wir erfahren, daß während der Abwesenheit von Joachim der
Akademische Wagner-Verein die Erlaubnis erhalten hatte, seine Sitzungen auf der Treppe der Akademie zu affigieren; wie Joachim heimkehrte, wurde dies verboten! - Nachmittags Besuch des Herrn Krauße,[15] Historienmaler aus Leipzig, welcher meldet, daß in Leipzig der Wagnerianismus ganz enorm geworden sei. - Abends die letzte Scene des zweiten Aktes der Walküre.