Januar

Montag 1ten
Kinderstimmen wecken mich, sie singen »heil, heil der Mutter«, und kommen bekränzt an mein Bett; große Rührung über den Gesang, die Gesichter und über R.'s Güte, der ihnen dies einstudiert. Ich muß dann hinunter gehen und es wird aufgebaut, ich werde gerufen, die bekränzten Kinder singen abermals, tragen auf Kissen ihre Gaben, und ich erblicke R.'s Bild von Lenbach und des Vaters Portrait (auch von Lenbach). Unsägliche Freude an den Meisterwerken und der ganzen Bescherung! Doch gleich darauf muß ich bemerken, daß Lulu unwohl war; ich lege sie zu Bett, der Arzt findet sie in großem Fieber; Sorge und Kummer, »die traurige Weise«. Ankunft des »Bericht an den Wagner-Verein«.[1] (Gestern abend lasen wir die Rede J. Grimm's über Schiller; welche mit andren sehr interessanten Sachen aus Uhland's Bibliothek für R. angekommen ist.) - Brief von Alwina Frommann, sehr hübsch.
Dienstag 2ten
Lulu hat eine erträgliche Nacht gehabt. Abschied von unserem Neffen bei schönem Sonnenschein. Brief Richter's. Der Klavierstimmer kommt, R. sammelt sich zu seinem dritten Akt; das macht mich grenzenlos glücklich, ja übermütig, trotz meiner Sorge um Lusch, und da das herrlichste Wetter uns wieder den lang entbehrten Blick auf die strahlenden Berge gewährt, gehen wir aus, ich von Übermut beinahe überwältigt. Wir kehren heim und trinken Tee bei Lulu, die selbst viel Lindenblüte verschlingen muß, »denn wer nicht hören will, muß fühlen, wer erkältet ist, muß schwitzen«, sagt ihr R. - Ich bleibe bei Lulu, verspreche aber R., hinunterzukommen, da ich es jedoch nicht tun kann, weil Lulu's Phantasieren mir Sorge macht, kommt R. zu mir hinauf und ist gekränkt; so gekränkt, daß er mir sein Verlangen unten nach mir, das ich nicht verstanden hätte, vorwirft! Abends phantasiert er wundervoll, und wie ich mich zu Bett lege, kommt er zu mir und will, daß ich ihm die Heftigkeit verzeihe! Ich ihm irgend etwas verzeihen!!!... Er sagt, es sei besser, wenn wir uns nicht so lieb hätten, er würde mich dann nicht so quälen. Über Lieben und verliebt Sein sprachen wir neulich lange, er meinte, letzteres käme öfters vor ohne ersteres, und das sei sehr schlimm, ersteres aber ohne letzteres sei ein Spiel der Phantasie und habe keine Macht, beides vereint müsse dasein, das sei aber das Meerwunder, so selten! (Er schreibt an Dr. Standhartner und Kafka.)
Mittwoch 3ten
R. bittet, nur nicht an gestern zu denken, er habe zu viel Bier getrunken gehabt! Sendung des Buches von Pr. Nietzsche.[2] Sehr hübscher Brief von M. Meysenbug an mich, R. liest ihn, während ich den Doktor empfange, und wie ich herunterkomme, finde ich ihn mit Tränen in den Augen Fidi betrachtend. »Ihr seid mein Sonnenschein«, sagt er, »nun begreife ich auch Lenbach's Portrait, wer so glücklich ist wie ich, der wagt es mit dem Leben und nimmt es auf mit der Welt, macht keine melancholischen Augen und läßt den Kopf nicht hängen; das Schlimme ist aber: ich mag nicht sterben.« - Einen Spruch für die Musiker fand er diesen Morgen für die Musiker, »trinke immer vom frischen Bach, denn treibst du zu viel Gluck, bekommst du leicht Händel«. - Das Bild Lenbach's gefällt mir immer mehr, obgleich ich wohl weiß, daß man R. ganz anders noch geben könnte, wie ich ihn z. B. in Mannheim am Bahnhof wiedersah, leuchtend, verklärt und so süßen Ausdrucks, daß die Züge klein und zart erschienen; hier ist alles scharf und schneidig, unbeugsam; R. ärgert sich scherzend darüber, daß er so garstig sei. Den Vormittag bei Lulu zugebracht; zu Mittag treffe ich R. sehr auf- und angeregt durch Pr. Nietzsche's Buch, er ist glücklich, dies erlebt zu haben; er sagt, nach mir käme N. und dann Lenbach, der sein Bild gemacht, und meint, wie öde sein Leben gewesen wäre, wenn er vor zehn Jahren gestorben wäre; in welchem Welten-Chaos (»in dieses Lokal verlege ich jetzt gern vieles!«) wäre sein Andenken geblieben. Mich nennt er seine Priesterin des Apollon, ich sei das apollinische, er das dionysische Element, wir hätten aber unseren Bund geschlossen, unseren Vertrag, daraus sei Fidi entsprungen! Alberner Brief von Pr. Werder an Alw. Frommann, die Erzählung der Begegnung in Berlin nach dem Fliegenden Holländer berichtigend; als ob es sich hier um etwas anderes handelte als um den Eindruck, den R. erhalten! - R. hat heute seinen dritten Akt begonnen; dreifach gesegneter Tag. - Aber meine Lulu ist immer krank, und ich weile bei ihr, die andren Kinder kaum sehend! - Brief von Marie Schl., ich selbst fertige allerlei Geschäfte am Morgen ab, unter andrem Herr v. Rothsch., der mir wiederum kein Geld schickt! - Bei Gelegenheit des »Christus« meines Vaters, den er jetzt in Wien aufführen läßt, worüber Marie Much. in Sorge ist der schlechten Dirigenten (Rubinstein) wegen, sagt R.: »Wie sonderbar dein Vater; er läßt die schauderhaftesten Aufführungen durchgehen, lächelnd, wenn ich von Musteraufführungen spreche, und will seine Sachen doch vor einem Publikum vorgeführt haben, von welchem er meint, es sei alles gut genug für es. Es kommt alles nur auf den Schein an, dahin resümiert sich die Kenntnis der Welt, und unsereiner wird als Bauer betrachtet, wenn er lieber nichts vornimmt als Unächtes.« - Abends lesen wir in der Nietzsche'schen Schrift, die wirklich herrlich ist, R. gedenkt der Leute, die jetzt das große Wort in Deutschland führen, und fragt sich, welches Schicksal dieses Buch nun haben wird, hofft in Bayreuth eine Revue zu gründen, deren Redakteur Pr. Nietzsche sein würde.
Donnerstag 4ten
Lusch wohler, ruhige Nacht. Morgens bei ihr seiend schreibe ich an Mama und Lenbach (Dank für herrliche Bilder). R. arbeitet und singt mir der Rheintöchter anmutigsten Gesang. Das Glück seines Schaffens ist wieder hier eingekehrt, Gott erhalte es mir! In die Stadt gefahren, mit R. heim, Nebel, Nacht und Schnee, der Zeiten gedacht, wo ich aus aller Regel hier wie eine Traumgestalt war, und wo diese Landschaft so gut dazu paßte. (Brief von Marie Schl gestern, aber sonst immer keine positiven Notizen über den materiellen Stand der Dinge). In der Zeitung lesen wir, daß Bon Perfall zur »Exzellenz« avanciert ist; jedes Mal, daß es für die Leute den Anschein hat, als ob R. von ihm begünstigt würde, beeilt sich der König, es in dieser Weise gut zu machen; seltsames unbegreifliches Wesen! - Abends wieder in der Nietzsche'schen Schrift gelesen, von der R. immer befriedigter ist, wir fragen uns aber, welches Publikum hierfür sich finden wird. - R. beschließt den Tag, indem er mir sagt, »ich liebe dich dionysisch und apollinisch«. Gestern erzählte er mir von einer Feier, der er in Heiligenstadt bei Wien beigewohnt habe, wo man auf dem Hause, das Beethoven bewohnte, eine Tafel eingesetzt mit [der] Bemerkung, daß B. hier die Pastorale komponiert, »nun«, sagt R., »muß man diesen Ort sehen, diese dürftige Natur, um zu erkennen, wie es mit der Produktion des Genies und den Lebenserfahrungen steht«.
Freitag 5ten*
(*Fälschlich »6ten« datiert)
Über den König viel gesprochen; was werden wir noch erleben? Eine Dame aus Siebenbürgen schreibt R. ihren Dank und Segen für die Eindrücke, die sie ihm verdankt (Amalie von Könyvas-Töth, in Torda, Siebenbürgen). - R. arbeitet und lacht, daß ich darüber so glücklich bin, er sagt: Ja ja, ich bin nur Komponier-Maschine. R. läßt mich rufen und singt mir die zweite Strophe der Rheintöchter, er korrigiert etwas, das ihm zu »altenburgisch«[3] klang, »denn das Kühnste muß natürlich erscheinen«. - Zu Tisch wird er ganz übermütig heiter und sagt, es sei zu schön, daß wir uns geheiratet haben, daß das so da ist, die Kinder und du, jetzt spreche ich gern vom früheren Leben, denn »nessun maggior piacer, che ricordarsi del tempo infelice nella gloria«. Er geht zur Stadt und kehrt mit der Nachricht zurück, daß seine Schwester Luise gestorben sei! Wir hatten gar nicht erfahren, daß sie krank sei.
Sonnabend 6ten
Ernst gestimmt lasen wir noch gestern in dem neuen Buch** (**Von Nietzsche) und immer mit wachsender Freude. - Zwei Probleme beschäftigten uns noch, der Bau des Theaters, wie ein Theater eigentlich sein sollte; die Zeichnung Semper's betrachtend, und nicht befriedigt mit der Lösung nach außen, sagt R., am Ende sei es ein Glück gewesen, daß es nicht zur
Ausführung kam! Ich frage R., warum nicht mit einer Kuppel, kirchenartig, daß der Bühnen-Teil nicht so abstünde?... - Dann sagt er mir, er wolle noch meine Bitte mir erfüllen und die große Messe von Beethoven aufführen, nur habe er seinen eignen Gedanken hierüber, er wolle das Orchester in der Mitte des Saales aufstellen und den Chor ringsherum circusartig, alles müsse mitsingen (den lateinischen Text aber kaum hörbar), denn diese Musik sei nicht zum Zuhören, den eigentlichen Eindruck habe nur, wer mit rase, er habe das bei der 9ten Symphonie in Dresden erfahren; überhaupt sei alle Musik für die Ausübenden gemacht, die Sonate für den Spieler, das Trio dito, die Fürsten haben die Musiker ausgehalten, aber die Musiker haben ihr Schnippchen gemacht und für sich Musiker geschrieben. - R. hatte leider eine üble Nacht und kann wenig arbeiten. Lulu wohler; ich immer bei ihr, schreibe Briefe an M. Meysenb. und an Marie Schl. Tau-Wetter, Föhn. - Das Buch von Pr. Nietzsche abends vollendet; »das ist das Buch, was ich mir ersehnt habe«, sagt R. - er hat ein schönes Gedicht anonym aus Heidelberg empfangen.
Sonntag 7ten
Brief des Königs in den üblichen Ausdrücken. R. arbeitet; ich schreibe an den Vater und Alwina Frommann. Gestern abend Mappen eingeräumt. Es kommt an R. ein Brief, »Herrn R. W. Theaterdirektor in Bayreuth«, R. sagt: »Laube hat es doch wenigstens bis zum Theaterdirektor in Wien gebracht.« Über Laube sprechend sagt R., »diesen hat der Begriff der Modernität zu Grunde gerichtet; alles Moderne ist das Beste«. Abends beginnen wir die »Oresteia«;[4] mächtigster Eindruck; viel über das Nietzsche'sche Buch gesprochen. (Wir lesen in der Zeitung Bösartiges über den »Christus« des Vaters, R. darüber sehr empört, will zur Bedingung in Wien machen, daß, wenn er dort ein Konzert dirigiert, keine Rezensenten hinein dürfen.)
Montag 8ten
Hans' Geburtstag! - R. hatte leider keine gute Nacht. Es melden sich plötzlich Banquier Feustel und der Bürgermeister von Bayreuth! Sie kommen wirklich; verbringen den Tag bei uns und gefallen mir sehr. Sie bieten ein andres Grundstück für das Theater, was noch besser ist als das früher gewählte, und wir bestimmen unsren Wohnort für den Sommer. (Brief von Herr v. Loen und Rat Düfflipp). Abends Beendigung des »Agamemnon«.[5] Wie ich R. sage, daß neben der ungeheuren Naivität mich auch die ungeheure Meisterschaft so ergriff, sagt R., »nicht nur Meisterschaft, sondern Meißelschaft, es ist wie in Stein gehauen«.
Dienstag 9ten
R. hatte immer keine gute Nacht, der Brief des Rat D. macht ihm wenig Freude, »ich muß aber immer mehr und mehr die Urlage verehren und bewundern, die den König dazu anhält, mir doch meine Wünsche zu erfüllen«. Der Rat schrieb, der König habe eigentlich mit den 25 000 Thalern auf Patronatsscheine reflektiert gehabt, um dort Leute hinzuschicken (vielleicht Herr v. Perfall?). - R. konnte gestern nicht arbeiten, setzt sich aber heute wieder an den Webstuhl. Er fühlt sich leider nicht wohl. Wir fahren zusammen raus; ein schöner Sonnenmorgen hat sich in einen wilden Schneenachmittag verwandelt. Abends »Die Grabspenderinnen«[6] zu tiefster Erschütterung gelesen.
Mittwoch 10ten
R. hat wiederum keine gute Nacht gehabt! Beim Frühstück besprechen wir wiederum die Musikaufführungen, wie dieselben stattfinden sollten, so daß gleichsam das Publikum mit tätig - nicht bloß zuhörend - dabei wäre. Gestern eröffnete mir R. die Absicht, mit der Grundsteinlegung eine musikalische Aufführung zu verbinden, ich mußt vor Freude tanzen, weil ich den Gedanken gehabt und ihn auszusprechen mich scheute, aus Besorgnis, R. eine neue Aufregung zuzumuten und auch ihm gleichsam damit zu sagen, daß die Grundsteinlegungs-Feier mir nicht genüge. Ich bitte um die 9te Symphonie. Und R. will einen Aufruf in den Zeitungen erlassen, daß er die Symphonie in Bayreuth aufführen wolle, daß er Reise und Aufenthaltskosten geben wolle, und daß er nun die Musiker auffordere zu kommen, er brauche 300 Sänger und 100 Orchesterleute, er stelle nur die Bedingung, daß sie schon einmal die Symphonie aufgeführt. Er sagt, er würde dann sehen, wie weit weit seine Macht reiche gegen Kapellmeister, Intendanten, Gesangsinstitute u.s.w. »Kaum hat der Hund die Prügel weg, will er schon wieder naschen!« Der Teure arbeitet! Erzeigt mir wieder die letzte Anrede von Brünnhilde und sagt, er wolle etwas von der neuen Strophe aufnehmen, ich bitte ihn nur, Wunschheim und Wahnheim zu verändern, das mir etwas künstlich dünkt. R. geht zur Stadt und besorgt meine Geschäfte, ich habe nun für die Kinder 12 000 francs beim Banquier und 182 francs bei der Sparkasse beiseite, und da R. darauf besteht, daß ich die 3000 andern Franken dazu rechne, wären es 15 000. Pr. Nietzsche schreibt, daß er krank sei, worauf ihm R. einen herzlich rührenden Brief schreibt. Abends »Die Eumeniden«[7] gelesen.
Donnerstag 11ten
R. schläft immer schlecht! Arbeitet aber nichtsdestoweniger; doch ist er verstimmt über dieses beständige Unwohlsein. Kindertisch. R. freut sich noch über einen gestern erhaltenen Brief Karl Klindworth's, der sehr schön über den Kaisermarsch (und zwar als Musiker) spricht. Abends geplaudert, R. ist sehr leidend und sieht angegriffen aus; er beschäftigte sich viel mit unsrem Hause.
Freitag 12ten
R. wiederum nicht geschlafen; Brief von unsrem Schneider Chaillou-Ghezzi in Mailand, der durchaus für R. arbeiten will; hübscher italienischer Ehrgeiz. R. arbeitet; ich bin sehr unwohl, gebe aber doch den Kindern ihren Unterricht. Nachmittags Ankunft der Photographien aus München; sie sagen mir nicht sehr zu, R. ist aber mit ihnen zufrieden. R. arbeitet beständig an dem Plan unseres Hauses, plötzlich sagt er: »Und wenn der König stirbt, ist alles dahin.« - Unsägliches Gefühl meiner Liebe zu R. - R. sagt: »Ich sage nichts, fühle mich nur glücklich, weiß nicht, ob ich dich liebe, weiß nur, daß ich meine göttliche Freude an dir habe, und ärgere mich nur, so viel vorzuhaben, mein Glück nicht ganz genießen zu können.« - Abends viel über Aischylos gesprochen; »das Eigentümliche bei diesem ganz großen Wesen ist, daß man das Procede so gar nicht merkt, es sieht aus, als wäre es gar keine Kunst, weil es eben etwas noch viel Höheres ist, die Improvisation. Bei Schiller kann man sich denken, wie ihm der Gegenstand angekommen sei und er darüber nachgedacht, sich seiner zu bemächtigen; bei Shakespeare und Aischylos nicht«. »Ich möchte in dir sterben«, sage ich zu R.; armer Ausdruck meiner Empfindung! meiner Sehnsucht, gar nichts mehr außer ihm zu sein.
Sonnabend 13ten
Mein Gewand für die Grundsteinlegung entworfen; R. denkt an seine Rede und sagt, er wird sich dabei die Luther'sche Regel merken: »Tritt frisch auf, tu's Maul auf, hör bald auf.« Er arbeitet und geht nachmittags in die Stadt, von wo er einen kindlichen Brief des Herrn De Gubernatis bringt mit Sendung von König Nala (dramatisches Gedicht)[8] und Bitte, dieses zu komponieren! Abends »Die Bakchen« von Euripides gelesen, sehr unerquicklicher Eindruck, dagegen ruft mir eine Scene aus der »Iphigenia in Aulis« (Abschied von Achilles und Clytem-nestra) die ganze griechische Schönheit zurück. - R. beendigt den Plan unsres Hauses.
Sonntag 14ten
R. arbeitet, ich schreibe Briefe; es sind wieder Lohengrin-Süßigkeiten aus Italien und Konfitüren von den Mendes gekommen. Auch die Statuten des Wagner-Vereines in Brüssel kommen und die Meldung, daß in Köln sich auch ein solcher Verein gebildet hat. Marie Schleinitz schreibt an R., doch nichts Positives, hoffentlich wird Cohn[9] bald sagen, wie es steht. Viele Rechnungen, die R. ärgern. Er geht in die Stadt Geschäfte halber. Abends wieder Schopenhauer vorgenommen. Erklärung des Namen Bayreuth - beim Reuth. Herzschwere, nur die Liebe hilft, in jedem Augenblick nur Lieben! — Die Kinder sehr munter und lustig, werden alle recht hübsch. Brief des Dr. Kafka, daß der Wagner-Verein in Wien sehr tätig ist.
Montag 15ten
Brief Richter's, daß Hans in Pest gewesen, sehr wohl ausgesehen habe, sehr liebenswürdig gewesen sei und sein Spiel vielleicht noch großartiger als früher. - Wie wir gestern im Schopenhauer gelesen hatten, sagt R.: »So eine Bach'sche Fuge, das ist ein Kristall in der Schußbewegung, bis es auf dem Orgelpunkt erstarrt.« Dann sagte er von Beethoven und Mozart: »Was die Fuge betrifft, so sollen diese Herrn sich verstecken gegen Bach, sie haben mit dieser Form gespielt, haben zeigen wollen, daß sie es auch konnten, er aber hat die Seele der Fuge gezeigt, er hat nicht anders gekonnt als in Fugen schreiben.« - Ankunft des Manuskriptes der 9ten Symphonie; unendliche Freude hierüber; das von Schotts so gut erhaltene Manuskript ist nun über 40 Jahre alt und kommt jetzt in meine Hände, R. sagt scherzend: »So hast du mein ganzes Leben um mich aufgespeichert, ohne dich wüßte ich von meinem Leben nichts.« -R. arbeitet; er habe wieder, sagt er, Schicksals-Geschichten zu machen, die er nicht ausstehen könne; solche Sachen wie das Lohengrin-Vorspiel, den Brautzug etc. mache er gern. - Das Violinarrangement der fünf Gedichte kommt auch. R. sagt: »Es ist mir mit meinen sogenannten Liebschaften gerade so gegangen wie mit meiner Heirat; Minna hat mich geheiratet, als ich in einer sehr elenden Lage war, selbst als Dirigent angefochten, durchaus ohne Glanz, und sie war hübsch und sehr gefeiert, und doch bin ich ohne jeglichen Einfluß auf sie geblieben; so ist es mit den anderen Beziehungen gewesen, es gehörte alles woanders hin, und das einzige Unbegreifliche ist die augenblickliche Macht, die ich ausübte, so daß Minna z. B. mich heiratete.« - Er fügt noch hinzu: »Übrigens hätte niemand zu mir besser gepaßt oder besser gehört; du warst die einzige, die mich vervollständigte; überall sonst hielt ich Monologe.« Abends lesen wir in Schopenhauer, zu großer Erhebung. (Ich überziehe die Skizzen zu Siegfried's 3tem Akt.)* (*( ) An die Seite geschrieben)
Dienstag 16ten
Pr. N. schickt die Prachtexemplare. Wir überlegen, wie das Buch vor Totschweigen zu bewahren ist. R. arbeitet und ist sehr aufgeregt, wie er zu Mittag herunter kommt. Ich überziehe und gebe den Kindern Unterricht. Nachmittags geht R. in die Stadt, dann beginnt er die Vorrede zum fünften und sechsten Band seiner gesammelten Schriften. Ich lese den Kleinen »Die vier Haymon's Kinder«,[10] bei dem Tode des Rosses Beyart aber muß ich mich unterbrechen; wir sprechen über diesen Zug, R. erklärt ihn als erhabene Tötung des Willens, ich sage, daß von da zu Peter Arbues, der sich um Klagen und Tränen nicht kümmert, nur ein Schritt ist, und daß nach meiner Empfindung die Haymon's Kinder samt dem Roß hätten untergehen sollen; was bedeutet Buße und heiliges Leben nach einer solchen Tat. - R. gibt mir recht und sagt: »Eigentlich ist die Aufopferung des Beyart eine Verruchtheit; dieser Zug ist den Hindus fremd und auch Christus, er ist spezifisch katholisch.« Abends viel in Schopenhauer gelesen und bis ein Uhr nachts philosophiert.
Mittwoch 17ten
Wir besprechen die Aufführung der 9ten in Bayreuth, wie sie zu bewerkstelligen sei. Wie wir von der Symphonie selbst sprechen, sagt R.: »Wie das Quintenthema in der Mitte des ersten Satzes wieder vorkommt, das ist mir immer wie ein Macbeth'scher Hexenkessel vorgekommen, wo alles Unheil gebraut wird, es brodelt förmlich.« Richard arbeitet, ich unterrichte und überziehe. Nachmittags gehen wir zusammen bei schönstem Wetter spazieren. R. beendigt abends die Einleitung zum fünften und sechsten Band. Später lesen wir wieder in Schopenhauer. (R. bringt mir morgens 2. Band der »Renaissance«).[11]
Donnerstag 18ten
Herr Heckel schickte gestern seine photographierte Alpenflora. Ich schreibe an Pr. Nietzsche, während R. arbeitet; dann gehe ich mit den Kindern spazieren; später Kindertisch. Brief von Clemens, das Nietzsche'sche Buch ist dort nicht verstanden worden; R. antwortet ihm ausführlich, was er von dem Buche und seinem Autor hält. Fidi singt »Heil Mutter, unsre Mama, Hort Tugendlehre, beste Frauen«, beinahe das ganze Lied! R. sagt, daß es ihn an sein zweites Jahr erinnere, wo er auf dem Boden »Wilhelm Tell« sah und Ell Ell sagte, man rühmte ihn, daß er den Namen wisse, während er im Gefühl froh war, darum zu kommen. Abends Schopenhauer.
Freitag I9ten
R. arbeitet viel, ist aber böse gegen sein »Komponieren« , von welchem er behauptete, daß es ihn daran verhindere, sein Glück zu genießen. Er sehne sich so nach dem Umgang mit den Kindern, von denen ein jedes Wort Gold sei. Ich gehe mit den Kindern bei herrlichem Sonnenschein aus. Brief von Marie Schleinitz; doch immer nichts von Bon Cohn; Gott weiß wie es steht; kein Mensch weiß etwas von dem Geschäftsgang. R. sehr unmutig darüber. R. wird zum Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde ernannt. Ein Artikel von Herrn Schelle aus Wien über »Hans von Bülow« wird mir zugeschickt. Es macht keinen angenehmen Eindruck. - Eine Palme, die mir R. vor zwei Jahren geschenkt, ist gestorben, ich hatte mich auf die Leute verlassen, und nun sieht mich der Baum so vorwurfsvoll an, daß es mir durch's Herz geht. - R. kommt verstimmt vom Spaziergang heim, es erheitert ihn eine Erzählung aus dem »Pantchatantra«,[12] die er uns vorliest und die uns alle entzückt. Abends Schopenhauer.
Samstag 20ten
R. sagt mir, er habe von mir geträumt und meiner Standhaftigkeit; dann aber sei ihm beständig Perihelium[13] und Aphelium durch den Sinn gegangen. Er arbeitet; ich unterrichte die Kinder und gehe dann mit Fidi spazieren. Lusch zur Klavierstunde; nachmittags, wie wir, ich mit den Kindern, R. an den Korrekturen, arbeiten, überrascht uns Pr. Nietzsche, dessen Besuch uns sehr erfreut. Viel durchgesprochen; Pläne für künftige Zeiten, Reform der Schule u.s.w.; er spielt uns seine Komposition sehr schön vor.
Sonntag 21ten
Immer schönes Wetter; wir machen zu 6 eine Morgenpromenade; nachmittags den 2ten Akt der Götterdämmerung vorgenommen. Abends die Werder'sche Episode[14] besprochen. Unser Freund ist uns sehr wert.
Montag 22ten
Feustel meldet, daß er die Etage in Fantaisie gemietet hat, meldet auch von einem tags vorher abgesandten Brief, den wir nicht erhalten haben. R. arbeitet bis gegen zwei, da kommt der Brief an, welcher meldet, daß Cohn noch nichts geschickt und daß man den Credit für den ganzen Bau haben müßte, bevor man beginnen könne. Zugleich erhält R. einen Brief von Bon Cohn, dieser zeigt eine Unterzeichnung an von 20 000 Thaler! Und Bon Loen hatte von 50 000 gesprochen und gemeldet, daß er allein für 28 000 Thaler Zeichnungen in seinem Portefeuille habe, und Bon C. hat er nur für 12 000 angegeben! R. sehr erschreckt durch diese Notiz; wir gehen schweigend zur Stadt und kehren heim; R. faßt den Gedanken der Reise, um sich mit der Wagneriana in Einvernehmen zu setzen. Wäre es möglich, diesen Kelch an sich vorüber ziehen zu lassen? An Heckel telegraphiert, ob er gleich als Bevollmächtigter R.'s sich aufmachen könnte! Vielleicht bleibt [ihm die] Reise erspart. Einzig labend eine Spinne, die bei Lampenschein auf dem Cohn'schen Brief unablässig wandert. Stiller schwerer Abend!
Dienstag 23ten
R. glaubt doch reisen zu müssen — dahin nun die Arbeitslaune, o wie traurig, wie traurig, mich trifft es wie Vernichtung. Telegraphische Antwort von Herrn Heckel, er kann nicht auf längere Zeit sein Geschäft verlassen und bittet um Angabe von Zeit und Ort; R. sagt: »Das war eine Frage an das Schicksal, es wäre ja ein Wunder gewesen, wenn man gleich auf den Rechten getroffen wäre, der sofort sich zur Verfügung gestellt hätte.« Er setzt seinen Plan und eine Übersicht der Lage auf. Taucht unter, Rheintöchter, ach! und auf wie lange? - Nachmittags Brief von Lenbach, daß er noch ein Portrait R.'s bald fertig habe. - R. in Vorbereitungen begriffen; Kinder weinend über die Abreise, ich wie vernichtet. Dazu ein Hamburger Enthusiast, der um einen Brief bittet. Kindische Freundschaften gegen überlegte Feindschaft. - Bülow ist jetzt in Berlin, was auch ein erschwerender Umstand ist.
Mittwoch 24ten
Heute Abreise; Bernhard Löser ist in Berlin; dies die Hauptaktion; dann Cohn und Loen, an welche R. geschrieben. R. führt mich noch ans Klavier und spielt mir die letzte Seite der ersten Scene; »ja«, sagt er, »wenn's dem Esel zu wohl ist, geht er auf's Eis tanzen; ich klagte über das Komponieren, jetzt ist dafür gesorgt, daß es nicht anhält; doch das greift nicht an den Nerv, der ist in Sicherheit; du bist der Trieb und Keim zu allem und ich habe dich; jetzt gehe ich, es ist aber besser, als wenn du gingst«. Wie er die Kinder bei Tisch betrachtete, sagt er: »Nur der Traum hilft!« Um ein Uhr zur Bahn. »Ich bleibe in deinem Schutz«, sagt er mir noch, »ich bin glücklich, sieh mich nur an, ich alter Mann, was ich für eine schöne Frau bekommen habe.« Winken und Grüßen, und Abfahrt! - Ich gehe nicht gern nach Hause, mache Besorgungen. Um 5 Uhr zurück; Kinderleben und -weben, abends oben, Wehmut! (Briefe von E. Krockow und Marie Muchanoff. Mappen geordnet; gegen Mitternacht zu Bett. An R. Brief begonnen.)
Donnerstag 25ten
Depesche R.'s, daß er guten Mutes sei! Ich schreibe, überziehe, unterrichte, gehe mit den Kindern spazieren und denke möglichst wenig. Pr. N. schreibt teilnehmend aus Basel, er hat R. gesehen. Ich schreibe an Marie M. und bin abends allein im oberen Salon.
Freitag 26ten
Herrliches Wetter und gute Depesche, daß gute und leichte Ordnung zu hoffen sei! Ich schreibe an R. und fühle mich wohler. Spaziergang im Garten, Frühjahrssonne und Luft. Herrlicher Mondschein abends. Große, doch weiche, ja holde Wehmut des Lebens. (In »Beethoven« gelesen.)
Sonnabend 27ten
Keine Depesche, bange Stimmung; blasse Sonne, und kalte Luft. Brief des Vaters Berichte über Hans' große Erfolge in Wien und Pest. Er schickt das Textbuch seines »Christus«. Gegen Abend Depesche R.'s, daß er ruhebedürftig, in der Angelegenheit klar sehe und über Weimar, Dessau, Bayreuth heimkehre. - Abends im »Tasso« gelesen, zu großer Freude.
Sonntag 28ten
Alles verschwunden, Berge, Sonne, blauer Himmel; Nebel, Schnee und Frost! Ich überziehe die Bleistift-Skizzen. Lusch schreibt an ihre Großmama und empfängt einen Brief von ihr mit guten Nachrichten von Hans aus Berlin. Zur Stadt mit Fidi gefahren; Kuchen eingekauft für die Abendgesellschaft! Meine vier Kinder zu mir zum Tee gebeten. Viel Spaß der Kleinen, die sich äußerst elegant gemacht haben. Wir müssen aber die Freude bald beschließen, weil Loldi unwohl ist. Gegen 11 1/2 Uhr, wie ich, nachdem ich »Tasso« beendigt, mich zu Bett legen will, höre ich ein starkes Klopfen, und Fitzo bellt; ich rufe Käthchen, die hatte schon das Geräusch (Klopfen) vernommen und war auf; wir sehen uns um, nichts zu sehen noch zu finden; große Angst. Ich lasse meine Matratze auf den Boden in Käthchen's Stube legen und schlafe oder wache so.
Montag 29ten
Depesche R.'s von Berlin, er reist soeben (8 Uhr morgens) nach Weimar ab; »Geschäft besorgt«, also galt ihm die Mahnung nicht! - Loldi ernstlich unwohl; ich bringe sie zu Bett und bleibe bei ihr. Abends Brief R.'s, es scheint alles leidlich, wenn auch nicht gerade glänzend; unsere Eroberung ist Feustel, der R. zum drittenmal überraschte, in seine Stube trat und an allem helfend teilnimmt. Abends schreibe ich an R. - auch an Frau Wesendonck und Pohl.
Dienstag 30ten
Loldi etwas wohler; bei ihr den ganzen Tag. Dann gen Abend in die Stadt gegangen, mich nach dem Tanzunterricht der Kinder zu erkundigen. Wehmütige Stimmung; hier gehört man nicht hin, wo aber in diesem Leben gehört man hin; Gefühl des Fremdseins in der ganzen Welt! Depesche R.'s aus Weimar, er ist wohl, reist morgen nach Bayreuth. Ich schreibe noch am Abend. Unwillen gegen diese trockene Depeschen-Korrespondenz. - (Vor einer Woche las ich mit Rührung die Nachricht vom Tod Mgr Bucquet's, meines ersten Beichtvaters; der beste Priester, den es wohl geben kann, der Freund meiner Kindheit; er hatte Daniel und Blandine auch gekannt und uns drei sehr lieb). - Nachts wieder seltsames Klopfen.
Mittwoch 31ten
Loldi viel wohler. Brief von der Mutter. Bei Loldi den Morgen; Nachmittag zu Stadt. Brief R.'s aus Berlin, kurz aber doch gut. Abends in dem Nietzsche'schen Buche gelesen. (R. schickt Kaviar aus Leipzig.)