Februar

Donnerstag 1ten
Kaminfeger-Not; Loldi noch zu Bett, doch wohler, Depesche R.'s, daß er, wohl in Bayreuth angekommen, viel vorzubereiten habe. Brief Judith Mendes'. Immer Kindertag, zur Stadt wegen Kleidern und Schuhen. Depesche R.'s, daß er das Grundstück für unser Haus erworben, einen Ball bei Herrn von Lerchenfeld[1] mitgemacht und bei Feustel wohne.
Freitag 2ten
Schrecklicher Tag! Meine Kinder gehen in die Stadt mit Anna, nehmen den Fitzo mit, kehren zurück und sagen weinend, Fitzo sei von der Lokomotive zertreten. Ich laufe dahin und begrabe unser armes Hündchen. Es ist Feiertag, Leute kommen und gehen, die Sonne scheint, und mir ist es, als hätte ich Schuld an diesem Tod. Wie es heute läutete und ich das Bellen nicht hörte, war mir es so öde, ich kann den Gedanken nicht lassen, daß neulich Kos Fitzo gerufen hat; Fitzo hörte das Klopfen und wollte sich zu mir flüchten. Mir ist es, als hätte ich Kos zweimal verloren, und der schreckliche Anblick des armen zerrissenen Tieres wird mich nie verlassen!
Sonnabend 3ten
Traurig zu Bett gegangen; trübselig aufgestanden! Neuer Schneefall, der den armen Fitzo bedeckt. Die Kinder scheinen seiner nicht zu gedenken, ich werde wohl die einzige sein, die dem armen Tier ein Fortleben versichert. - Nachmittags Brief R.'s; er geht nach München; weshalb weiß ich nicht recht. Er hat wirklich in Weimar den Großherzog[2] gesehen. Alles ist ihm in Bayreuth recht, Feustel, Fantaisie, Haus, alles. - Gott gebe seinen Segen. (Brief an Fritz und Judith.)
Sonntag 4ten
Depesche R.'s, daß er morgen zurückkommt, zugleich trifft auch wieder Sonnenschein ein. Es ist Richards-Tag, den ich früher immer feierte; heute hat ihn der Himmel mit einem Nordlicht gefeiert, wie ich nichts Ähnliches gesehen habe; die Gegend sah unbeschreiblich aus, Götterdämmerungs-Nordlicht! - (Brief von Elisabeth Krockow, sie schickt mir einige Zeilen von Gräfin Dönhoff, welcher Hans gesagt hat, daß er noch im Laufe dieses Jahres »Wagner und seine Frau« sehen würde. Pr. Nietzsche schreibt mir, daß Hans ihm für die Zusendung des Buches gedankt und ihm seinen Besuch in Basel für Monat März gemeldet hat.)
Montag 5ten
Rückkehr-Tag! Um 12 erwarte ich R.; er kommt wirklich an! Glück, Freude, Vergnügen, Seligkeit; alles alles für uns in dieser Wiedersehensstunde. R. sagt, daß meine Briefe ihm immer wie eine Stimme vom Ganges erschienen seien, nun sei er wieder am Ganges! Lange Erzählungen; die Wagneriana in Dunst zerronnen, viel Jüdisches erlebt; dagegen Bayreuth »mein größter praktischer Genie-Streich«. Wagneriana hat ihre Zeichnungen zurückgenommen, weil Tausig bei dem Bankett in Berlin die Mitglieder derselben nicht vorstellte, sie also gleichsam verleugnete. Judenempfindlichkeit und Judenrache. Cohn (Treu und Nerglisch!)* (*Schreibweise unzweifelhaft, Bedeutung unklar, nörglig?) unglaublich dreist. R. einen tiefen Ekel vor Berlin. - Der Abend vergeht unter lauter Plaudereien, ich teile ihm alle während der Zeit erhaltenen Briefe [mit]. Unendliche Freude des Wiedersehens, des Wieder-sich-habens.
Dienstag 6ten
R. erzählt mir ausführlich die Audienz bei dem Großherzog von Weimar, der ihn als Dichter besonders warm begrüßte und ihm sagte, daß, wenn der Tannhäuser gleichsam ein lokal thüringisches Werk für die Weimaraner sei, die Meistersinger das ächt deutsche Bewußtsein geweckt hätten. Die Berichte über die Judengesellschaft dagegen immer ergetzlicher und unglaublicher. Wie wir heute [uns] selig zum Nachmittag nebeneinander setzen, sagt mir R.: »Ich möchte nur wissen, in welcher Art ich zu Grunde gegangen wäre, wenn ich dich nicht gewonnen hätte! Denn seitdem ich mit dir vertraut worden, hat mir auch nie im entferntesten die Idee vorgeschwebt, daß wir uns trennen könnten, nur über die Form unsrer Vereinigung blieb ich immer im unklaren und wollte es bleiben aus Mitleiden.« - Gestern sprach er viel über Gustav Adolf, den er immer mehr zu verehren lernt; die populäre Sprache des Helden namentlich macht ihm die größte Freude, wie z. B. an die Brandenburger: »Ich werde ihnen dann rechtschaffen in die Wolle greifen.« Aufsätze von Herrn Riehl[3] erscheinen uns sehr erbärmlich, Tücke, es sieht aus, als ob alles nur wegen Bayreuth geschieht; und Stupidität. - Eine Kritik des Herrn Hettner über »Tasso« erfüllt mich auch mit Grauen, die ich gerade in diesen Tagen einen tiefen und sehr bestimmten Eindruck von dieser vollendeten Dichtung [empfangen habe]. - Pr. Nietzsche schickt mir das Buch »Caroline«, wohl das Insipideste, was man sich vorstellen kann. Abends geplaudert; über Riehl, »wie tief muß die Sache liegen, daß solch ein gutmütiger Philister, der seine Verdienste hat, auf einmal so tückisch und schlecht wird«.
Mittwoch 7ten
Gute Nacht. Ich schreibe und R. auch, er wegen 9ter Symphonie, und ich an Lenbach über dessen neueste Skizze, dann an den Vater u.s.w. - R. geht in die Stadt; die Auflösung unseres Hauses macht ihm Sorge. Abends ein wenig in »Caroline« geblättert; sehr erbärmliches Zeug!
Donnerstag 8ten
R. spricht von der üblen Gegenwart, er müsse durchaus auf eine neue Generation rechnen, nun habe er drei erlebt, die seinige, die unter den Weber'schen Eindrücken großgeworden, bis zur Revolution 1830, die von da ab bis 48, die schon, wie Hans, Meyerbeer als Jugend-Eindruck erhalten, die Leute der 49er Goethe-Feier, die nach unsren schmerzlichen Erfahrungen alles gut fanden und Feiern veranstalteten. Jetzt erlebe ich die dritte, und dieses dritte Säculum, daß es ich erlebe, verdanke ich dir; sagt er dann zu mir. Er arbeitet und kann mir zu Mittag den Entwurf des Vorspiels spielen. Ich schreibe an Pr. Nietzsche und gebe den Kindern Unterricht. Nachmittags gehe ich mit R. aus, auf dem Quai erleben wir es, daß ein armer Hund niedergefahren wird; ein Schrei, ein Zusammenkauern, dann ein rasendes Schnellen in die Luft und ein Zurückfallen, um dann bei Seite weggeworfen zu werden. »So ist es Fitzo ergangen«, ruft R. »Gewiß, es ist, als ob es uns gezeigt würde, auch er ist so hingeworfen worden wie ein alter Fetzen.« Da konnte ich nicht mehr schweigen und erzählte ihm, wie es Fitzo ergangen. Wir sind sehr trübgemut; »der Mensch soll gar nicht mitleidig sein«, - sagt R. - »die Natur will es nicht, er soll grausam sein wie die Tiere; der mitleidige Mensch paßt nicht in die Welt«. Ich meine, daß man das Mitleiden nicht aussprechen, nur betätigen müsse. R. ist sehr gedrückt, er kann diesen Sprung in die Luft des sterbenden Tieres nicht vergessen. - Wir lesen in Schopenhauer; dann erzähle ich Richard von den barbarischen Avantagen, von denen Goethe sagt, daß wir mutig auf sie bestehen müßten; »ja«, sagt R., »der >Faust<, die 9te, die Passionsmusik von Bach sind solche barbarischen Werke, d. h. solche, die als Kunstwerk nicht mit einem griechischen Apollon oder einer gr. Tragödie verglichen werden können; den Einzelnen erheben, der Gesamtheit nicht zu eigen werden; diese Empfindung hat mich auf das Kunstwerk der Zukunft gebracht«. - Fidi macht uns viel viel Freude; »ich bin zu glücklich«, sagt R., »ich genieße mein Glück nicht genug. Ich fürchte immer noch, aus der Welt zu gehen, ohne es genossen zu haben«. - Die Skizze von R., die Lenbach zur Ansicht mir geschickt, will mir nicht recht zusagen, und R. sagt: »Ich bin völlig darüber traurig, daß ich nur zu einer karikiert-scharfen Maske oder zu einem ganz philisterhaften Ansehen Veranlassung gebe!« - Frau Wille meldet die Verlobung ihres Sohnes mit einer Comtesse Bismarck.
Freitag 9ten
R. arbeitet; bei Tisch bitte ich ihn und er verspricht mir, seine Reiseerlebnisse zu diktieren, was denn hier folgt. (Ein Herr Voltz,[4] Weinhändler aus Mainz, will einen Ausweg gefunden haben, um R. noch in den Besitz von Einkünften aus seinen Werken und deren Aufführungen zu bringen.) Schönes Frühlingswetter.

Diktat
Am 24ten Januar über Basel, wo ich mit Nietzsche und Fritz B. einige Stunden verkehrte, mit dem Nachtzug nach Berlin; obwohl ich vor den beiden gute Miene zu behaupten suchte, verriet mir doch N. durch einen mir nachfolgenden Brief von ihm, daß er üble Nötigung zu meiner Reise erkannt hatte und darüber aufrichtigen Kummer empfand. Von Erfurt bis zur Station von Weimar fuhr Herr von Loen mit mir, welchen ich zu einer Unterhaltung auf diesem Wege eingeladen hatte, er konnte mich einigermaßen über den Stand der Dinge beruhigen, da ich ersah, daß ich mich mehr über seine Nachlässigkeit in der Geschäftsführung als über den Erfolg unsrer Angelegenheit im allgemeinen zu beklagen hatte. Am Berliner Bahnhof empfing mich außer dem guten Gersdorff die mysteriöse Hauptperson, über welche mich aufzuklären ich vorzüglich meiner Reise die Richtung gegeben hatte. Herr Bernhard Löser, Gründer der uns alle mit geheimen Hoffnungen erfüllenden Gesellschaft Wagneriana, geleitete mich in ein von ihm ausgewähltes schlechtes Hotel, in welchem er das für mich bestimmte kleine Zimmer zur Feier meiner Ankunft dermaßen mit Gewächsen und Bäumen angefüllt hatte, daß von ihrem Duft mir übel wurde* (*An den Rand geschrieben: »Er träumte, daß er sich übergäbe.«) und ich nach schlafloser Nacht am andren Morgen mich erkrankt fühle. Ehe ich den geheimnisvollen Wohltäter des andren Tags empfing, überraschte mich in bereits gewohnter höchst angenehmer Weise Freund Feustel, welcher mit Neumann, den ich zu mir bestellt hatte, gänzlich unerwartet in mein Zimmer trat. Er war, da sich Differenzen in Betreff der Bau-Anschläge zwischen den Bayreuther Bauräten und Neumann eingestellt hatten, sofort zur Berichtigung derselben hierhergereist und zeigte mir zugleich bei seinem Eintritt, daß er mir vom Schicksale hierher gesandt war, was mir alsbald völlig deutlich wurde, wie ich nachher mit Herrn Löser längere Zeit konferiert hatte. Ich wollte von diesem genau erfahren, was diese Wagneriana, welche unserer Freundin Marie Schleinitz als Engelchor vorschwebte, für eine Bewandtnis habe, weil es mir in den Sinn hatte kommen müssen, diese Gesellschaft, wenn sie wirklich das bedeutende Vermögen besaß, welches ihr schon Tausig zugesprochen hatte, zu meinen Geschäftsführern für die große Bayreuther Angelegenheit einzusetzen. Mit großer Mühe hatte ich dagegen den Auslassungen des Herrn Löser den wahren Bestand zu entnehmen, wonach die Wagneriana sich mir in den gewohnten Judenduft auflöste. Deutlich erkennbar war nur das eine, daß der Gründer dieser namhaften aber unpersönlichen Gesellschaft durch Tausig mit Frau v. Schl, sich in Rapport zu setzen verstanden hätte, außerdem aber jetzt im schmerzlichsten Pathos erlag, da er mir zu gestehen hatte, daß alle meine vorteilhaften Meinungen über ihn unbegründet seien.

Sonnabend 10ten
Hier unterbrach sich R. und meinte, ich wisse ja alles genau und würde es besser erzählen als wie er, was ich denn unternehmen will. Wir lesen in Schopenhauer, über den Tod.[5] - Heute früh weckt mich R. mit der seligen Morgentraumdeutweise. Dann schmäht er seinen Beruf, der ihn zwingt zu komponieren, anstatt mit uns ruhig und glücklich leben zu können, »so bin ich immer im Krampf, immer zerstreut«. - Er arbeitet, ich schreibe Briefe (an Judith) und unterrichte die Kinder. Es ist herrliches Wetter, ich gehe mit den Kindern in [den] Garten, R. aber kommt wiederum nicht aus, was ihm übel bekommt. Abends Schopenhauer.
Sonntag 11ten
»Was ist Gott, gibt es einen Gott? Die Antwort ist: eine feste Burg das ist Gott; und Unsterblichkeit Isolden's Verklärung. Was ist Glaube? Der Pilgerchor aus Tannhäuser.« Er arbeitet, ist aber nicht wohl; das Kaminfeuer ist ihm unangenehm. Der Kohlendunst bekommt ihm übel. Nachmittags besorgt er Korrekturen, abends lese ich ihm in Schopenhauer vor. Von »Oper und Drama«, das er korrigiert, sagt er: »Ich weiß, was Nietzsche darin nicht paßte, das ist auch das, was Kossak[6] aufnahm und Schopenhauer gegen mich aufbrachte, was ich über das Wort sagte; damals wagte ich noch nicht zu sagen, daß die Musik das Drama produziert habe, obgleich ich es in mir wu&te.«
Montag 12ten
Hübscher Brief von Marie M.; R. arbeitet, ich mit den Kindern; R. hat den Gesang der Rheintöchter nun in Tinte gebracht; die Kinder singen ihn im Garten; und R. sagt: »Wenn ich dazu ein Publikum von Italienern und Franzosen hätte, würde bei dieser ersten Scene der Teufel losgehen, gut, daß ich auf deutsche Stöcke rechnen kann, um die Einheit des Eindrucks zu retten.« Wie ich ihn frug, ob er eine Scene des Sardou'schen[7] Stücks, das in der Gegenwart zitiert wird, gelesen, »nein«, sagt er, »ich dachte, es sei etwas Deutsches, da sah ich gleich weg«. Freude an Bismarck, der seinen Kampf mit den Ultramontanen eingeht, »der tut genug, der braucht nicht an das Kunstwerk der Zukunft zu denken«. R. macht Korrekturen. Es kommt ein Brief von Misses Lang mit einem unterzeichneten Patronatsschein aus Massachusetts. Auch der Roman von Eliza Wille, »Johannes Olaf«, kommt an, und ich lese daraus R. vor, er gefällt uns.
Dienstag 13ten Fastnacht
Ich habe eine sehr üble Nacht und schlafe erst am Morgen ein, R. weckt mich durch den Rheintöchtergesang; vor einigen Tagen sagte er mir, daß das Schönste vielleicht in diesem Akt das Orchestervorspiel sein würde nach Siegfried's Tod; wenn sein Thema ganz erklungen hätte, käme Gutrune heraus, meinend, sie habe sein Horn gehört. - Wie wir gestern von Island lasen, »öde schaurige Gegenden«, sagt R., »ich sehe sie zuweilen in Träumen, eine Erinnerung an meine damalige Fahrt«. - Der Nebel ist wieder da, es ist grau und düster draußen, »so sieht mir die Welt aus«, sagt R. Er arbeitet aber doch; wir gehen spazieren bis Seeburg, beide schweigsam - - so viel steht bevor, so viel liegt hinter uns. Brief aus Chicago, die wollen dort eingedenk des »ehrt eure deutschen Meister« sein und haben die Chöre aus den MSingern aufgeführt. Brief von Herrn Heckel; in Berlin will Herr Löser, der unnützeste pathetischste Jude, eine Verlosung veranstalten nach dem Muster der Kölner Dom-Lotterie; R. legt Protest ein. Abends weiter im Roman von Frau Wille gelesen; er ist ein wenig breit. - Punsch und Pfannkuchen für die Kinder.
Mittwoch 14ten Aschermittwoch
Nebel dazu. R. arbeitet; ich schreibe nach Chicago. Brief von Hamburg an R., sie fragen nach seinen Bedingungen, um ein Konzert dort zu dirigieren! - Brief von Alwina Fr., das ganze Berliner Elend aufdeckend. In der A.A.Z. erregen Aufsätze über K. Hauser[8] unser Grauen, wie leicht wird das große Publikum getäuscht — hier ist alles dem Verbrecher vollständig gelungen. Abends in Frau Wille's Buch mit Vergnügen gelesen.
Donnerstag 15ten
Brief von Pr. Nietzsche. R. bei der Arbeit, ich bei den Kindern; Kindertisch; Fidi sehr übermütig und stark. R. geht aus, ist aber nicht wohl; wir lesen abends zusammen. - Ich habe vergessen zu notieren, daß R. unterwegs sich sehr mit Gustav Adolf beschäftigt hat, den er immer mehr zu verehren lernt; wie ich ihm sage, daß er mich an Dietrich von Bern[9] gemahnt, gibt er mir recht. Ein Wort von ihm, den Brandenburgern gesagt, macht ihm seines populären Tones wegen viel Freude: »Ich werde ihnen rechtschaffen in die Wolle greifen.« - In Preußen spricht man jetzt gar von dem Fall Bismarck's! - (Die Post bezahlt mir 50 Francs für den verlorenen Wechsel).
Freitag 16ten
R. hatte leider eine sehr üble Nacht; Schnee und Nebel kommen dazu. Er denkt auch an Fitzo's Tod (heute vor 14 Tagen!). »Alles stirbt«, sagt er, »man bleibt allein.« Ich bin sehr betrübt, unsägliche Angst um sein Leben befällt mich; wie düster alles, wenn er nicht wohl ist! - Abends lese ich ihm in dem Roman vor; ein Zitat aus Dante bringt R. auf das herrliche Genie dieses Dichters, »das ganze Mittelalter hat er uns gegeben«.
Sonnabend 17ten
Schönes Föhn-Wetter; Eva's Geburtstag; R. an die Arbeit, nachdem er den Vortrag Döllinger's über die griechische Kirche gelesen. Nachmittag Spaziergang; abends bin ich sehr unwohl. Große Kopfschmerzen; R. liest mir in Frau Wille's Buch vor.
Sonntag 18ten
Eva hat uns den Frühling gebracht; es ist herrliches Wetter; ich bin etwas wohler, R. arbeitet, wir können nach Tisch spazieren fahren. Wie wir heimgekommen sind, werden wir durch den Besuch von Pr. Nietzsche überrascht, dem dann R. seine Reise-Erlebnisse mitteilt. - (Brief von Clemens Brockhaus, meinen Übertritt betreffend.)
Montag 19ten
R., der eine gute Nacht gehabt, spielt am Morgen nach dem Frühstück unserem Freunde die erste Scene vor, und das bekommt ihm so schlecht, daß er den Tag über nichts genießen kann und sehr angegriffen ist. Trotzdem wird die Reform der Bildungs-Anstalten viel besprochen, auch das deutsche Wesen, »vorläufig«, sagt R., »sind wir groß in der Wehr gewesen, das Zurückwerfen des Fremden, daß wir uns nicht assimilieren können; der Teutoburger Wald[10] ist eine Abwehr der Römischen gewesen, die Reformation auch eine Abwehr, unsere große Literatur auch eine Abwehr gegen den französischen Einfluß; Positives haben wir bis jetzt nur unsre Musik - Beethoven«. »Der >Faust<«, frage ich. »Es ist doch eine Art Skizze«, sagt R., »die Goethe selbst mit Verwunderung betrachtet, als ein sonderbares Produkt, als vollendetes Kunstwerk gab er es nicht aus.« - Der Dekan von Bayreuth schickt sein Buch »Pax Vobis« (zur Versöhnung der Protestanten und Katholiken) mit sehr freundlichen Worten für mich.
Dienstag 20ten
R. immer sehr angegriffen. (In der Illustrirten Zeitung ein hübsches Bild und ein Aufsatz über Bayreuth und das Nibelungen-Spiel).- R. kommt immer wieder auf die kleinen Städte, denn, sagt er, »wir haben keine wirklichen großen Städte, es ist immer z. B. in Berlin, als ob sie sich zur großen Stadt maskierten«.- »Die Menschen werden sich wohl teilen in die, die Evoe, Evoe, und die, die Kohe, Kohe (aus dem unterbrochenen Opfer-Feste) rufen.« - R. arbeitet, ist aber immer nicht wohl, was mich wieder jeder Kraft benimmt. Abends wieder in dem sehr seichten Buch von Fr. Wille gelesen.
Mittwoch 21ten
R. hatte eine gute Nacht; hoffentlich geht es besser.- Ach! zu viel steht bevor! - R. redigiert den 8ten Band seiner Schriften und freut sich, darin ein Bild seines Münchner Wirkens und seiner Prüfungen zu geben; mit dem Aufsatze über Staat und Religion[11] fängt es an,
um sich in den Hiller'schen Sand zu verlieren!    R. arbeitet und beendet die Antwort Siegfried's an die Rheintöchter, indem er die zwei Verse streicht, die zu reflektiert sind; »Siegfried ist nur Aktion - dabei kennt er doch das Schicksal, das er über sich nimmt.« Er spielt mir, was er eben vollendet - höchste tragische Wirkung! - Nebel und Frühlingsregen; wir
fahren aus, R. und ich, er kehrt zu Fuß allein heim. Abends lesen wir in »Staat und Religion«, um 10 Uhr aber werden wir unterbrochen, Jakob meldet, daß Vreneli's Stunde gekommen ist, ich bleibe bei ihr bis drei Uhr, wo sie ein Mädchen zur Welt bringt; Leiden und Mitleiden!
Donnerstag 22ten
Brief des Herrn De Gubernatis, der allerlei schickt, erzählt, daß er meinen Brief in die Zeitung gebracht, und daß er großen Beifall gefunden hat, was R. und mich sehr unterhält, »ja was die französische Sprache betrifft, da steh ich meine Frau, meinen Mann wollt ich sagen«. - R. arbeitet; ich bei den Kindern. Im h. Paulus gelesen; sonst viel geruht, weil ich sehr müde bin. Konfusionen von außen; keiner von den Musikern hat R. verstanden! Abends beendigen wir »Staat und Religion«. Der dritte Band der gesammelten Schriften ist angekommen.- »Wie ich mich neulich in meine Dichtung versenkte, dachte ich, Cosima wird wohl eifersüchtig sein, daß ich so emsig an anderes als sie denke, und doch tue ich alles dies nur mit ihr, durch ihren Besitz fühle ich mich dazu frei.« »Wäre es uns früher besser gegangen, wir hätten das Elend der Trennung noch ärger empfunden, wir hatten aber immer so viel Not, daß wir nur das Glück empfanden, uns wiederzusehen.« - Er erzählt von Gustav Adolf, daß, wie dieser Schweden verließ und seine Leute ermahnte, er mit den ergreifenden Worten schloß, »was mich betrifft, so weiß ich, daß ich auf keine Ruhe mehr zu hoffen habe als auf die ewige Ruhe«. - Riehl und Hiller[12] werden abgefertigt, »und dabei kann ich es nicht vergessen«, sagt R., »daß ich von Hiller zum ersten Male die 33 Variationen von Beethoven gehört.«
Freitag 23ten
R. ist wohl und arbeitet; zu Mittag sprechen wir von der Rheintöchter-Scene; er zeigt mir, wie die Mädchen zu Siegfried ganz nahe kommen, dann wieder untertauchen, jubelnd und lachend ihn dem Verderben weihen, mit der ganzen kindlichen Grausamkeit der Natur, die nur die Motive zeigt und gleichgültig das Individuum preisgibt; und darin wiederum die größte Weisheit zeigt, die nur durch die Weisheit des Heiligen überboten wird.- Wir fahren aus, R. kehrt zu Fuß heim, ich besuche den Pfarrer Tschudi, der sehr freundlich ist; spät nach Hause erfahre ich, daß unser früherer Weinhändler Voltz, der durchaus R. zu Tantiemen von seinen Opern verhelfen will, sich angemeldet hat. Er kommt auch mit einem Advokaten,[13] und Geschäfte werden besprochen. - R. hat eine Depesche von Hellmesberger, der ihm elf Mann zur 9ten stellt. Ich habe Briefe von M. Meysenbug, Math. M. etc.
Sonnabend 24ten
Das Gerede ist R. sehr schlecht bekommen; er hatte eine böse Nacht, und nun muß er noch diesen Morgen darangeben, um eine Vollmacht diesen zwei Leuten auszustellen! Ich bin hierüber trostlos und frage mich, wie es noch werden soll! Geschäftstag also, die zwei Herrn speisen bei uns und gehen mit R. zum Gericht. - Brief von Friedrich Feustel, Bon Cohn will nicht einkassieren, und Bon Loen schreibt nichts. Viel Ärger und Trübsal. »Die einzige Schönheit in meinem Leben warst du, das übrige war ziemlich häßlich!« Abends Schopenhauer, mit großer
Freude daran. Wir sind wenigstens wieder bei uns und mit uns; unsägliches Gefühl der Liebe zu R.
Sonntag 25ten
R. hatte eine gute Nacht und kann arbeiten, er hat die erste Scene nun vollends zu Tinte gebracht; »Siegfried habe ich einen Schrei gegeben! Der Kerl schreit wie eine wilde Gans«. Ich schreibe Briefe (an Malwida und Fritz). Die Cohn'sche Nichtsnutzigkeit beschäftigt R.; ach! wird er ungestört seine Arbeit vollenden können. - Man spricht von einem intendierten Attentat auf Fürst Bismarck. Ein Pole und Jesuit.- Bei Tisch führt uns das Gespräch auf Calderon'sche Lustspiele, und R. rühmt darin, daß er seine Helden alle ziemlich gleich gemacht habe, der liebende, der eifersüchtige, um nur den Verwickelungen des Zufalls möglichsten Spielraum zu lassen. Sonst fällt man in die jetzige Manier, wo einer ein Sprichwort beständig wiederholt, ein anderer niest, u.s.w. - Sturm; R. geht aber doch aus. Abends arbeitet er an der Vorrede zu den (Riehl-, Hiller- etc.) Aufsätzen.[14] Wir sehen einen schwarzen kleinen Hund, Fitzo ähnlich, auf der Wiese während des Sturmwindes umherirren, wir wollen ihn haschen, er verschwindet aber im Räuberpark. Aus Karlsruhe kommt die Notiz, daß beinahe das ganze Orchester mitspielen will; die Aufführung der 9ten Symphonie wäre demnach gesichert; wie aber steht es mit dem übrigen? - Vreneli, die ich besuchte, machte mir durch eine Äußerung große Freude, sie sagte, daß R. so viel sanfter und ruhiger geworden wäre, daß sein jetziges Wesen gar nicht zu vergleichen wäre mit seiner Münchner Art.- Abends lesen wir in Schopenhauer, und da ich R. um einige Erklärungen bitte, gibt er sie mir so lebhaft, daß ich ihm sage: er erinnere mich an den Philosophie-Professor in Moliere's Stück, der schließlich um sich schlägt, was ihn sehr unterhält.- »Wie der Wille sich manchmal hilft, zeigt sich an mir«, sagt R., »er hat seine Absicht mit mir, und da ich sonst gar nicht mehr mitgemacht haben würde, hat er uns auch in diesem Leben zusammengebracht, ganz abgesehen davon, daß wir außer Zeit und Raum ewig einander angehören, und da habe ich wieder mitgemacht. Wie der Lohngeber den Lohn erhöht, wenn er sieht, daß seine Arbeiter ihm davongehen.«
Montag 26ten
Üble Traumnacht, ich suche Hülfe bei R., der, seltsam genug, gerade davon träumte, daß mir etwas geschehen sei. - Er arbeitet, ich werde mit dem 3ten Akt von Siegfried fertig. Nach Tisch beim Kaffee sagt R. nach einer kleinen Pause: »Wo war ich eben jetzt, ich machte den Weg nach Possendorf[15] — den ich so oft in dumpfer Stimmung gemacht, doch das sind die produktiven einsamen Wanderungen gewesen, und sonderbarer Weise heften sich gewisse Punkte in der Erinnerung an die Motive, die dort entstanden; z. B. bei >ich flehe um sein Heil<, im Tannhäuser seh ich immer ein Gehege kurz vor dem großen Garten in [ ]*, (*Hier steht irrtümlich das Wort »Garten« statt Dresden) wo mir dieses Thema einfiel.« - Ich: »Du hast mir auch gesagt, daß ein Thema aus der Walküre mit einem bestimmten Spaziergang in Zürich zusammenhing.« »Ja; seltsam genug, denn diese äußeren Dinge haben doch damit nichts zu tun, und die Lebenseindrücke sind für die Produktion ungefähr das, was die Ohrfeige war, welche in früheren Zeiten dem Jüngsten der Gemeinde bei Feststellung des Marksteines gegeben wurde, damit er sich den Punkt merke.« - Abends Tanzstunde. Und später Schopenhauer.
Dienstag 27
Regen und Schnee; »wir wollen uns auf die Krücken des Tages begeben«, sagt R. - Nichts von Wichtigkeit, außer daß R. arbeitet. Abends Schopenhauer; Entsagungslehre.
Mittwoch 28ten
R. singt etwas aus der »Zauberflöte« und sagt mir: »Siehst du, der Sarastro, das ist deutsch; diese milde Weihe der Humanität, die einem in der Albernheit des Operngenres entgegenweht.«- Gestern las er mir seinen Vorbericht zu den Aufsätzen, trauriger Rückblick auf die Münchner Zeiten. Er träumt in drei Abteilungen von einer großen Gesellschaft, die ich ohne sein Wissen gegeben. - Fidi schickt Rus vom Kamin fort, er hat sich gemerkt, daß wir das nicht leiden, R. sagt ihm: »Du wirst ein Doktor, so gescheit bist du.« »Nei Kaiser«, antwortet Fidi.- R. arbeitet, ist aber nicht wohl und klagt über seinen kränklichen Zustand, der ihn daran verhindere, sein Glück zu genießen. Brief von Carl von Gersdorff, es scheint, daß Bon Cohn doch einkassiert. Spaziergang, Graf. B., Tanzstunde. Abends Schopenhauer. (Nürnberger Theaterdirektor meldet sich. Erfolg von Batz und Voltz.)
Donnerstag 29ten
Sehr schöner Brief eines Architekten aus Berlin, der einen allgemeinen deutschen Studenten-Verein bilden will (für Bayreuth). Auch mir schreibt ein Heidelberger Student in Bayreuther Dingen, und ein Wiener, Herr August Hahn,[16] rezensiert vortrefflich die Wiener Aufführung des Lohengrin; nach und nach wirkt man doch, sagt R., ich muß nur Zeit haben. Vielerlei Briefe in Bayreuther Dingen geschrieben. R. arbeitet und ist zufrieden; er befindet sich wohler. -  Kindertisch; Spaziergang nach Tisch, wir sprechen über das Thema des Marsches des »Sommernachtstraum«, welches beginnt als eine Rückkehr in das Thema, das [in] C dur sich allerdings sehr überraschend mache; das ganze aber eigentlich absurd als Marsch-Motiv und auf einen Witz aufgebaut, wobei er Mendelssohn immer zufrieden lächeln sähe. - Wie ich gestern das Kapitel in Schopenhauer las, wo er das Wesen des Genies beschreibt, war es mir, als hätte er es auf R. geschrieben. R. schreibt dem Herrn Coerper; abends in Schopenhauer gelesen. Trauriges Gefühl meines Unwertes; wie nur R.'s wert sein; das Glück seiner Liebe verdienen; seine Güte und seine Größe gehen mir immer tiefer auf, wie nur ihm vergelten, daß er meiner bedurfte?