Februar

1ten Februar
Ein guter Morgen, er brachte Nachrichten von den Münchner Kindern. - Richard hat aber Ärger durch Zusendungen aus Italien (Rienzi-Korrekturen). Er sagt: Er möchte es in allen Zeitungen schreiben, daß er nur durch mich lebt, und von nichts mehr dann hören. Ich lasse die Kinder herunterkommen, viel Freude aus ihrer Munterkeit und an ihrem Wohlsein. - Der Tag verschleierte sich aber bald; als ich hinunterging, um nachzusehen, wie es R. gehe, war der arme Freund ganz außer sich. Die schlechten Partituren, die er unaufhörlich von Italien und Paris bekommt, und der dadurch entstehende unsinnige Zeitverlust bringen ihn ganz außer Fassung - auch ist er leidend! Als ich zu Tisch später wieder kam, hatte er sich mit Schopenhauer ein wenig aufgemuntert; er las mir während des Essens einiges daraus vor, unter anderem einen kleinen Exkurs über die alte Kölnische Schule; da mir dieses unbedeutend, ja trivial vorkam, äußerte ich diese meine Empfindung. Zu meinem tiefen Bedauern mißverstand mich R. und wollte in meiner Entgegnung eine üble Laune gegen ihn finden. Er wurde heftig und überließ mich einer vollständigen Verwunderung und Konfusion über seine Auffassung. Ich ging im Garten spazieren und erwog in meiner Seele von neuem, was ich schon so oft erwogen habe: die Bedeutung des Lebens und unsere Aufgabe darin; ich weiß es ganz genau, daß die Entbehrung, die Selbstaufopferung das einzige ist, was unsrem Leben einen Wert und einen Sinn gibt, und gerne will ich jedes Glück und jede Freude fliehen. Wenn ich nicht durch mein Aufgeben von allem und jedem mir völlig den Mord des Geliebten zu Schulden kommen ließe, wie ruhig zöge ich dahin und lebte nur den Kindern. - Niemals habe ich - selbst in den schwersten Stunden der Prüfung - im Ernst daran gedacht, mich von R. zu trennen, weil ich niemanden weiß, der ihn liebt, wie ich ihn liebe. Käme ein Engel und sagte mir, du bist überflüssig, und eröffnete mir für ihn die Aussicht eines schönen Daseins, wie gerne umschlänge ich mein Kreuz, wie ruhig wandelte ich - mein Tagewerk vollbracht - dem Tode entgegen. - Ich bin von dem Glauben durchdrungen, daß der Friede nur in der Selbstaufopferung liegt - und das erschrickt mich manchmal selbst, daß es so aussieht, als hätte ich einem hochmütigen Glücke nachgejagt. Es erscheint wie ein Zwiespalt zwischen meiner Denkungs- und meiner Handlungsweise - und doch weiß ich, daß das, was mich getrieben hat, nichts Selbstsüchtiges war. Allein ich befrage mich oft, und befrage mich, ob ich das Rechte getan. - Dann hilft die Aufgabe eines jeden Tages; ihr zu genügen ist ja die Erfüllung der Pflicht, nach Goethe. - R. liest mir noch aus dem Briefwechsel vor.
2ten Februar
Lichtmesse, keine Sonne und doch Sonne; die Bauern wünschen einen gedeckten Himmel, nun ist er wohl gedeckt, aber ein Sonnenstrahl kommt hervor. Dies bringt unser Gespräch bei Tisch auf die Orakelsprüche und auf die Griechen, besonders die Dorier. Brief Hermi-nen's, der König hat drei Photographien für mich geschickt, es ist mir lieb, weil keine Katastrophe noch da zu sein scheint. R. hat aus Paris die sehr angenehme Nachricht, daß Pasdeloup bankrott, demnach aus Rienzi nichts werden wird. Spaziergang im dunklen im Garten. Die Hunde von der Ferne bellen hören, einzelne Lichter am See flimmern gesehen; Trib-schen selbst ist finster. Nach dem Tee Diktat; mir scheint es, als ob das Jahr 1858 der eigentliche Wendepunkt für R.'s Schicksal gewesen ist, und daß, wenn sich Frau W.* (* Mathilde Wesendonck) damals gut benommen hätte,[1] ihm alle Wirrsale bis zu der Erscheinung des Königs erspart worden wären. Dann wäre meine Beteiligung an seinem Leben auch überflüssig gewesen - wenn wir uns gewiß auch immer innig lieb gewonnen hätten. Diese Empfindung macht mich betrübt. Vor allem aber R.'s Aussehen, das nicht gut ist. Ach! würde er doch wieder ganz wohl. Das weiche ungesunde Wetter mag wohl auch Schuld an seinem üblen Aussehen tragen. Bismarck's protziges Auftreten in der Kammer (»die Reptile und die erbärmlichen dynastischen Interessen«) machte R. wieder vielen Spaß. Er kommt wieder auf seinen Brief an die Gräfin zurück. Warum ich ihn davon abhalte? Es ist gewiß töricht zaghaft von mir. Warum aber ist mir aller Mut verschwunden, bis auf den Mut des Leidens? Könnte ich R. noch einmal ganz glücklich und frei aller Sorgen sehen! Doch die Götter sind unerbittlich, wenn ich dieses Glück um den Preis meiner gänzlichen Vernichtung kaufen wollte, sie würden es mir doch nicht gewähren. Es will alles ausgelitten werden, meine guten armen Kinder!
3ter Februar
Stiller Tag, dessen fröhlicher Gipfelpunkt die Ankunft der Pariser Musikschachtel ist. Loldi und Eva selig - wir denn auch froh. Sonst ist mein Herz voll zurückgedrängter Tränen. Richard ist so sehr leidend - könnte ich helfen! Ach! Wir armen Menschenkinder. Abends Diktat.
4ter Februar
R. wieder wohl, ein Bad hat ihm geholfen. Seine Augen glänzen. Da strahlt mir denn auch wieder mein Stern. In heiterer Laune schreibt er Briefe und arbeitet an seiner Partitur. Nach Tisch machte ich einen langen Spaziergang mit Loldi und sah einem wunderbaren übermütigen Sonnenuntergang zu. Von Feuer glühend hielt der eine Berg mit dem ihm gegenüberstehenden, in Schnee gehüllten, weißstrahlenden, ein erhabenes stummes Zwiegespräch. Licht und Glut, sonnestrahlender Schnee-Gipfel und sonnesprühende Erdmasse sagten sich Dinge, die ich nicht verstand, dann wichen beide der Majestät der Nacht. Am Vormittag hatte ich die ersten Briefe wiedergelesen, die mir R. (von Starnberg aus)[2]geschrieben, und das dazu gehörige Gedicht des Sonnenunterganges und des Sternes. Abends kam R. sehr ergriffen von seinem Nibelungen-Werk zu mir herauf; ich ging auf seine Stimmung kaum ein, denn ich befürchte für seine Gesundheit die Folgen solcher Erregungen. Diktat.
5ten Februar
Silbermorgen, Nebel, Sonne und Wasser. Ich grüße euch, meine guten Kinder! Der Tag war still und tätig; R. scheint ganz in den Nibelungen vertieft, und unser Tischgespräch war ernst, ja beinahe feierlich. Wir gedachten Schnorr's, des Sängers, und des letzten Males, wo er sang - die »Schmiede-Lieder«,[3] »Fanget an«, »Siegmund's Lenzgesang«, für den König und uns allein. Der unvertilgbare Eindruck wehrt dem Tod und der Zeit. Herrlicher wolkenloser Sonnenuntergang; die zarte rosige Abendröte umschleiert die Schneeberge und spiegelt sich im Wasser ab, während eine goldene Krone wie vom Haupte des Pilatus sich niedersenkt, zwischen diesen zwei Färbungen das reinste Himmelblau. Die dunkle Erde, auf der wir wandeln, gleicht dem Leben, der lichte Himmel aber der Kunst - oder besser der Liebe. Mit einer eigenen feierlichen Stimmung tritt man in das Haus, wenn die Himmelserscheinung verschwunden ist, in andächtiger Sammlung dachte ich, daß das Paradies das ist, was wir nur beschauen, betrachten; das verlorene Paradies dagegen das ist, was wir haben, greifen und fassen wollen, mit einem Wort: das verlorene ist das erreichte. - Von der Stadt brachte mir R. zwei schöne Camelien, o möchten sie blühen! Ich will sie schön pflegen. Und möge der Siegfried auch blühen. Nicht wahr, meine Kinder, wir wollen gern zusammen ein wenig Leid dafür tragen? Meine guten teuren Kinder! - Abends hatten wir ein unterbrochenes Diktat; manches begriff ich nicht und beging die Torheit, es zu sagen, was dann eine anhaltende Störung hervorbrachte, wenn auch durchaus keinen Unfrieden.
6ten Februar
Diese Nacht träumte ich von einer Trennung von R., einer Rückkehr nach München und einem Wiedersehen der Kinder. Boni war sehr ergriffen, Loulou gleichgültig, und ich konnte gar nicht mehr existieren, Tränenströme flössen von meinen Augen, und die gleichgültigsten Menschen frug ich, wie ich nach Paris kommen könnte, wo Richard weilte. -Kinder, Bücher, Partitur, einige Briefe, so ist für R. wie für mich der heutige Tag gefühlt gewesen. Eine Depesche brachte die Nachricht von dem großen Erfolg der Meistersinger in Karlsruhe. Der Brief eines Kölner zeigte die Ankündigung des Dresdner Erfolges in der Kölnischen Zeitung an, was Hiller[4] und seine Genossen würde grün und gelb vor Wut machen, schreibt der Wohlgesinnte, denn dies große Blatt sei förmlich gedungen, die Erfolge Wagner's tot zu schweigen oder zu begeifern. — Wie seltsam und unschön nehmen sich selbst die freundlich gemeinten Notizen von diesen Sphären der Presse, des Theaters, der musikalischen heutigen Welt aus, wie kreischend klingen diese Töne inunsere Einsamkeit. Nichtdie Macht ist es, die den Feind beachtenswürdig mir erscheinen läßt, nur sein innerer Wert. - Spaziergang am Abend, wie freundliche Grüße blinken einer nach dem andren die Sterne über die dürren Stämme mir entgegen.
7ten Februar
Unruhige Nacht und große Kopfschmerzen. - Heute war der h. Richard;[5] in früheren Zeiten hätte ich diesen Tag nicht vorübergehen lassen, ohne den Geliebten an seinen vermeintlichen Schutzpatron durch eine kleine Gabe scherzhaft zu erinnern. Jetzt kann ich es nicht, denn meine geringen Mittel überließ ich alle dem Münchener Haus, und die Freude muß entbehrt werden. - Ach! ich will gern entbehren; mir scheint es so recht eigentlich meine Naturbestimmung gewesen zu sein, von allem zu lassen, nichts zu wollen. Ich könnte mir leicht denken, daß eine andere Zeit mich als religiöse Schwärmerin gesehen hätte - nun hat die Liebe mich erfaßt und ganz erfüllt und weiß ich nichts andres und will ich gern darin und darum leiden. Da es schön war, forderte mich R. auf, mit ihm spazieren zu gehen; ich tat es. Zum ersten Male seit zwei und ein halb Monaten bin ich aus dem Bezirke Tribschens hinausgewandert, ich tat es mit einiger Besorgtheit, man möge mich sehen. Doch ich merkte niemanden. - Am Morgen meldete der Kapellmeister Levi brieflich den Erfolg der Msinger in Karlsruhe. Wie R. zu Tisch bemerkt, scheinen die Leute doch ein wenig bang zu werden, daß sie sich so gegen R. benommen, der mit seinem letzten veröffentlichten Werke zugleich sein populärstes Werk geschaffen hat. - Von Basel wird eine Aufführung des Tann-häuser's für morgen gemeldet. Unsere Leute gehen hin. Wie schwer wäre es mir früher geworden, nicht hinzureisen - ich glaube beinahe unmöglich-, und wie ruhig trage ich jetzt, was mir doch eine große Entbehrung ist. Ich fühle mich sehr matt und möchte doch gern munter sein. Die Kinder sind wohl.
8ten Februar
Ich eröffne den Morgen mit einem kleinen Spaziergang. R. und die Kinder begrüßen mich von den verschiedenen Fenstern. Beim Frühstück teilt mir R. einen enthusiastischen Brief von Mme Viardot[6] über die MSinger mit. Auch einen von Dr. Nohl aus München; dieser sagt, man ersähe es aus allem, daß der König keine Teilnahme für R. und seine Sache habe! Ich erschrecke darüber, daß mir R. bekennt, er habe diesem Herrn Nohl geschrieben, er sei auf einen Bruch mit dem König jeden Augenblick gefaßt. Außer diesen beiden Briefen einen anonymen, lauter Schmähungen enthaltend und die Nachricht, daß die MS* (* Meistersinger) in Karlsruhe durchgefallen seien. Dieser erbärmliche Wisch kommt zur gleichen Zeit mit der A.A.Z., welche einen für Karlsruhe unerhörten Erfolg meldet. -Dieser Tag gehört beinahe ausschließlich den Kindern, da das Haus etwas verringert ist. Speise, Spiel, Spaziergang teile ich mit ihnen, und R. nennt mich die gute Glucke. Er meinte auch am Morgen, das Glück hätten wir vorweg - nur wolle man es uns nicht gönnen. - Abends Diktat.
9ten Februar  
In der Nacht habe ich den Proteus von Pr. Marbach[7] (Schwager Richard's), den wir vorgestern abend lasen, noch einmal vorgenommen. Es ist ein merkwürdiges Produkt und zeugt - wie alles von Marbach - von einer tiefen Auffassung des Gegenstandes, nur ist der Ausdruck - bei einer sehr gewandten Form - gar zu platt. Ich sagte Richard, Marbach habe das Knochengerüst des Dichters, es fehle ihm aber das Fleisch, während umgekehrt Leuten wie Halm, Geibel etc. etc. gerade der Knochenbau fehlt, bei sonstiger guter Begabung. Seine (Marbach's) Anschauung des Objektes ist tief, und die Gedanken, die ihm dabei einfallen, armselig. Wie merkwürdig! Richard gibt mir recht und sagt, das sei das Merkwürdige bei den Deutschen, daß so viele Ansätze da seien, die alle auf das Allerbedeutendste zielten, aber unvollkommen vereinzelt sich zeigten und daher unfruchtbar blieben. Im Laufe des Vormittags besprechen wir unsere Lage, die nicht lange mehr so bestehen kann, wie sie jetzt ist. Ich sage R., ich möchte Hans schreiben, daß ich auf zwei Monate nach München zu den Kindern käme, um von da mit allen vier hier nach Tribschen Anfangs Mai zurückzukehren, und von da nach Paris. Ich habe die Vermeidung eines Eklats im Auge, der Kinder und des Königs (d. h. Richard's) wegen. Richard aber sieht dabei nur eines: die zweimonatige Trennung, und will davon nichts hören. Tiefe Bekümmernis in meiner Seele; ich glaube doch, dieser Ausweg, da wir im Provisorium sind, wäre der beste. - Nach Tisch zeigt mir R. das Geisterbuch von Daumer; ich lese einige Erzählungen daraus: das stumme Kind, das seine Schwestern an einem Tag zu pflegen vergessen, dem der Geist der Mutter erschien und die Nahrung gab, welches dies den plötzlich besorgten Schwestern selbst erzählte - (das Wunder hatte die Zunge ihm gelöst) und darauf starb. Wir sind ganz erschüttert davon - >ob man mit lieben Geistern in Verkehr sei, darauf käme es an<, sagt Richard, der einen großen Hang [dazu hat] und vielleicht in großer unbewußter Verbindung zu diesen Regionen steht. -Da es Faschingsdienstag ist, geht R. zur Stadt, um mir Pfannkuchen zu holen, doch sind keine mehr da. Kleiner Kummer und große Freude, tiefes Liebes-Versenken. Ich immer in Tränen aufgelöst; und weiß dabei nicht, ob vor Glück oder vor Schmerz. Abends stelle ich R. die Frage, ob unsere Liebe ihm selbst nie als Unrecht erschienen sei; er versteht mich nicht ganz und glaubt, ich habe darunter gemeint, was die Welt als Unrecht daran erkennt: der Freundes-Verrat; dann sagt er: >Er wisse nur eines, daß, seitdem die Welt bestünde, kein Mann in seinem Alter ein Weib so geliebt habe wie er mich.< Das Unrecht, das ich meinte, bezog sich aber nicht auf das, was die Menschen verurteilen, sondern auf das, was nach unserer Erkenntnis des Lebens und der höchsten Tugend uns auszuüben vielleicht zukäme. Von ihm möchte ich die Weisung erhalten. - Wir beschließen den Abend mit Calderon's »Große Zenobia«. Ein wunderbarer erster Akt, eine unvergleichliche Scene im zweiten (Zenobia und Decius auf dem Schlachtfelde) und ein ganz alberner, marionettenartiger dritter Akt geben viel zu denken und zu deuten. Ich möchte, daß Richard sich entschließe, ein Wort über Calderon zu schreiben, denn nichts Erschöpfendes ist über den merkwürdigen, so schwer zu fassenden Dichter gesagt worden. - In tiefem Nachsinnen über meinen »Plan« schlafe ich ein -(»alle Kronen sind Träume«).
1Oten Februar
Im Traum gebar ich einen Sohn. Als ich erwachte und aufstand, fand ich meine Camelie erblüht; da ich sie unwillkürlich mit Siegfried verbunden hatte, bin ich überglücklich. Möchten die Seelen meiner Kinder so hold und still erblühen! Am Morgen die Biographie Winckelmann's [8]gelesen (Homo vagus et inconstans!), mit vieler Ergriffenheit. Wie deutlich spricht sich der germanische Genius in dieser Erscheinung aus; der arme Schuster-Sohn, in einem Land geboren, das zur Zeit beinahe keine Sprache hatte, trägt in seinem Geist das griechische Ideal. - Seine Bekehrung zum Katholizismus ein Akt der ästhetischen Begeisterung, [den]* (statt irrtümlich: »daß«) er leidenschaftlich beschloß, furchtbar schwer ausführte und ewig bereute, niemals aber frivol ansah. - Bei Tisch sagt mir R., er würde in diesem Monat mit der Kopie fertig, dann wolle er den Ritt versuchen ins alte romantische Land. Ich sage ihm: »Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten.« Am Morgen hat er auch den Aufsatz über Devrient begonnen und hat mir ihn vorgelesen. Nach Tisch etwas aus Siegfried gespielt. Er verläßt mich dann, indem er mir sagt, er wisse, jetzt, da ich bei ihm wäre, worum er gelebt hätte, ich sollte nur nicht so viel weinen. - Ich gehe mit Loldi in den Garten und sinne über das, was ich zu tun habe, nach. - Nicht hochmütig bin ich und immer staunend darüber, daß R. meiner bedarf, allein ich glaube es aus vollster Seele, was er mir heute bei Tisch noch einmal sagte: Daß, wenn ich ging, sein Leben und Weben, Dichten und Trachten ein Ende hätten, und darum halte ich selbst nicht an der zweimonatigen Trennung fest. Doch weiß ich nicht, wie ich es anfangen soll, um die Kinder hierher zu bekommen; kein Plan scheint mir der rechte. Viel Trauer darüber. Oben Calderon's »Lautes Geheimnis« wieder gelesen, ohne großen Anteil an dem Meisterwerk, weil ich zu besorgt bin. Abends die verspäteten Pfannkuchen mit Punsch und die Lektüre des Briefes Albrecht Dürer's bei der Nachricht, Luther sei gefangen. Tiefes schmerzliches religiöses Gefühl; wie unterscheidet sich solch ein Wesen von den heiteren lebensfrohen göttlichen italienischen Meistern. Und die wuchtige unbehülfliche Sprache dazu! Wunderbar erschütternd! Gewiß ist keiner romanischen Nation jemals ein solcher Sohn geboren worden. - Gestern erzählte mir R., er sei auf der Reuß-Brücke von einem Pauker angehalten worden, der sich als einer der Musiker der Konzerte R.'s vom Jahre 1859 in Zürich zu erkennen gab; dieser habe erzählt: Das ganze Züricher Orchester sei voll Dankbarkeit gegen R. erfüllt, weil es jetzt das erhalten habe, was R. früher von den Mitgliedern der Musikgesellschaft gefordert hatte, nämlich ein festes Gehalt und ein bestimmt dauerhaft engagiertes Orchester. Sie seien jetzt 32 Mann Sommer und Winter engagiert. R. ließ die Herren vom Comite grüßen und sagen, sie hätten die Maßregel etwas früher treffen können. -
11ten Februar
Katzenjammer, Kriegsgerüchte und grauer Himmel. Ersteres bedrückt R., das zweite verdüstert die Zeitung, letzteres besorgt mich. Die Kinder munter; Loldi, der ich einen Pfannkuchen geben will, sagt, sie habe schon einen gehabt: bei näherer Untersuchung stellt es sich heraus, daß sie von einem Pfannkuchen geträumt hat. - R. ist unwohl, doch arbeitet er weiter, wenn auch mit immer sich steigerndem Ekel, an dem Devrient-Aufsatz. Ich verbringe den ganzen Vormittag mit den Kindern und kann dabei doch Winckelmann's Leben vollenden. In Bezug auf mein Verhalten gegen erstere sagt R., ich habe eigentlich meine Bestimmung als barmherzige Schwester verfehlt. Er meint auch, ich sei zu gut; doch sollte er wissen, daß alles Gute, das er an mir sieht, nur der Widerschein seiner Liebe ist. Die Besprechung des Dürer'schen Bildes bringt uns auf Luther; er möchte gern noch einmal dazu kommen, die Komödie zu schreiben, deren Luther der Held[9] sein würde, und er sagt, er lebe förmlich immer mit ihm in Gedanken, er fühle sich in manchen Stücken mit ihm verwandt. Nachmittags Spaziergang im Garten mit R. und den Kindern, die Sonne kommt (»mehr zu lauschen als zu scheinen«), und ein schöner Regenbogen zeigt sich uns. Viel über Calderon gesprochen, R. hebt hervor, wie in den Stücken, nachdem die Leidenschaftlichen sich förmlich ausgerast haben, der Moment der plötzlichen Umkehr des Willens eintritt und eine große Resignation die heftigen Charaktere von den Irrwegen abbringt und sie großartig und edel erscheinen läßt. So Flerida im »Lauten Geheimnis« und fast durchgängig der König.— Abends Diktat.
12ten Februar
Beständiges Frühjahrswetter, eine Schlüsselblume ist bereits erschienen. Das ist gar ängstlich, wie werden April und Mai nur sein? Richard arbeitet an seinem Devrient-Aufsatz, ich bringe die Zeit mit Winckelmann und den Kindern zu. Italienische Zeitungen melden den Erfolg der Tannhäuser-Ouvertüre in Mailand. Bei Tisch verläßt unser Gespräch fast nicht das Devrient'sche Buch - wohin R.'s Aufsatz bringen? Im Garten mit den Kindern, dann ein Brief Claire's,***188-2-10*** der mir rät, so viel als möglich alles zu schonen! - Calderon's Lustspiel »Die Verwicklungen des Zufalls« gelesen; in diesen Komödien, meint R., vertritt der Zufall die Stelle des Schicksals in den Tragödien. Abends liest mir R. die Fortsetzung seines Aufsatzes, viel Heiterkeit hierüber. Doch bin ich leidend und muß mit Fieber bald zu Bett gehen.
13ten Februar
R. erzählt mir am Morgen, wie er das Fenster seines Ankleide-Zimmers offen gefunden habe, habe er zürnend gesagt: »Wie soll ich da alt werden? Ich bleibe am Ende immer jung!« Worauf Jakob: »Ja! Sie blibe immer jung.« Um zwei Uhr nachts kam er zu mir - wie er sagt -, um zu sehen, wie es mir ging, und da ich ruhig schlief, ging er befriedigt zu Bett. - Gestern kam eine Partitur an, die uns sehr rührte, ein 74jähriger Musiker (Claudius),[11] der früher R. ermutigt hatte (im Jahre 1845), hat sein Werk »Der Gang nach dem Eisenhammer« neugearbeitet und schickt es nun, damit R. seine Meinung sage. Die Hand ist ganz zitternd; und das, was R. daraus spielt, eigentlich schön. 24 Jahre sind es, seitdem R. den guten Menschen gesehen. Ich frug R. bei dieser Gelegenheit, ob es ihm gehe wie mir, daß das ganze vorige Leben mir förmlich unglaubwürdig vorkäme - er sagt, alle Wesen, die er gekannt, kämen ihm wie Schemen, wie Phantome vor, höchstens schäme er sich einzelner Beziehungen. - Mein Morgen gehörte wiederum Winckelmann und den Kindern (auch), R. ist bei seinem Aufsatz, den er unerwartet ernst und großartig vernichtend beschließt. Es zeigt sich wiederum hier, wie ihm alles zu Herzen geht und wie er niemals einer Sache nicht ihre ganze, wenn noch so schreckliche und dabei niemandem auffallende Bedeutung geben kann. Ich bin förmlich erschrocken, als er mir das vorliest. Nach Tisch sagt er mir, er habe einen Brief vom König am Morgen bekommen, denselben aber nicht gleich gelesen noch mitteilen wollen, weil er den Vormittag der Arbeit zu erhalten wünschte. Nun las er ihn vor - derselbe alte Stil der Begeisterung und Liebe. Auch ein Brief des Sekretär Düfflipp war dabei, ich wollte denselben vorlesen, nichts Arges vermutend. - R. hatte um einen von seinem Gehalt regelmäßig abzuziehenden Vorschuß zur Tilgung einiger Verpflichtungen gebeten. Nun wird von Rat D. ihm gesagt, Sempera Forderung (welche jetzt befriedigt sei) und der Aufsatz Über Oper und Drama haben den König unwillig gemacht, und er habe nichts von R.'s Anliegen hören wollen. Ich sage zu R., daß vielleicht gar Fr.'s* (Fröbels.) Aufsatz bestellt worden sei, um den König unwillig zu machen, damit er R. den Gefallen nicht täte und die Leute dort das Vergnügen hätten, ihn in einer Verlegenheit zu wissen. Dieses bringt R. so sehr auf, daß er ganz heftig gegen mich wird. Ich hätte wohl empfinden sollen, daß dieser Gegenstand für R. unerfreulich sei, und ihn weiter nicht besprechen, ich erschrak nun sehr über die Folgen meiner Ungeschicklichkeit, denn ich hatte nichts Arges im Sinn. Die Kinder, die wir hatten kommen lassen, wurden unruhig, und dieses verstimmte mich tief, weil ich es vor allem zu vermeiden suche, daß die Kinder unter den Sorgen der Eltern leiden. Heftig entfernte sich R., ich ging schweigend - wie ich die ganze Zeit geblieben - zu mir herauf. Die Kinder helfen über die traurigen Gedanken hinweg. Wie sie zu Bett sind, kommt R. herauf und klagt über große Müdigkeit. Wir lesen zusammen ein Kapitel aus Winckelmann, dann bespricht er den heutigen Vorfall und sagt, ich möchte alles, was er gesagt habe, nur als im Fieber gesprochen betrachten. Ich kann ihm nur schweigend die Hand drücken; wie würde ich es mir jeweils anmaßen, ihm zu verzeihen? Ich bleibe lange auf, und die Tränen gewaltsam zurückhaltend erkenne ich, daß kein Leiden und keine Prüfung uns von der Erfüllung der Pflicht enthebt, und daß es meine Pflicht sei, gegen R. gut und freundlich zu sein, wie auch die Stunden kommen und schlagen. Über das Verdienst sinne ich auch nach; ohne es zu wollen, habe ich doch manchem weh getan, Hans mußte ich kränken, und meine Kinder entbehren mich. - Wie könnte ich da jemals über erlittenes Weh klagen? - Zu Bett überfällt mich ein schrecklicher Gedanke - daß Hans am Ende wahnsinnig wird. In den Signalen hatte ich am Morgen gelesen, er habe in Hannover nur Rubinstein'sche Kompositionen gespielt, das schien mir ganz unbegreiflich.
14ten Februar
Schöner strahlender Sonntag, ich wache wehmütig, doch friedlich freundlich auf. R. meldet leider, daß er schlecht geschlafen habe, das schmerzt immer am tiefsten. Ein liebes Buch von Frl. von Meysenbug,[12] das R. gestern empfangen, habe ich mit großer Teilnahme begonnen. - Nur von den Kindern habe ich wiederum so lange keine Nachricht. Das ist traurig! Aber der Frühling ist da; gestern war es windig und trübe, heute glänzt alles, die Vögel schwirren, die Bäume treiben, Berge, Himmel und See sind verklärt, es ist wunderschön und man genießt es; doch ist es zu früh, wie werden die armen Keime geopfert werden und die Vögel vertrieben! Eine Hauptfreude bereitet mir die Pflege meiner Camelien, es entwickelt sich ein förmliches Verhältnis zwischen diesen beiden Wesen und mir, und ich möchte nicht viele Blumen um mich haben. Manche Träne haben diese Knospen heute empfangen! Das ist nun töricht, denn das, was mich leiden macht, ist nur die Folge meiner Lage — wer die Grenzen überschreitet, muß gewärtig sein, daß er dafür bestraft werde, und habe er es noch so gut gemeint, und habe er es noch so schwer vollbracht. Auch sollte ich froh sein, wenn mein Glück mich flieht - doch der Mensch ist schwach und er wendet sich gerne der Freude zu, wie die Blumen dem Licht. - Nach Tisch fuhren wir aus gegen Hergeschwyl, mit Loldi. Es wurde auf einmal Zeit, doch der Sonnenuntergang war prächtig, und schlank und zart zeigte sich die Mondsichel über dem Pilatus. Abends arbeitete R. an seinem Aufsatz, ich beendigte das Buch von Frl. Meysenbug. - Bei Tisch sagte mir R., er wolle mich bitten, den Gedanken auszuführen, den ich ihm bei Gelegenheit Weber's und Mendelssohn's ausgesprochen habe. Er bemerkte nämlich, daß, als er die Asche Weber's nach Dresden kommen ließ, bloß achtzehn Jahre seit dem Tode des Meisters vergangen waren, während jetzt es 22 Jahre sind, daß Mendelssohn gestorben, und doch schien es ihm damals, als sei eine Ewigkeit vergangen seit der Trauer-Nachricht, während es ihm vorkäme, als ob M.'s Abscheiden ihm gestern erst gemeldet worden sei. - Ich meinte, daß, abgesehen von dem Unterschiede, [den] sein eigenes Alter in der Empfindung gemacht haben möchte, mir es vorkäme, als ob ein Genius wie Weber gar bald den Nimbus und die Aureole der Vergangenheit erhält, während eine Erscheinung wie die Mendelssohn's sich im Gedächtnis nur dadurch erhält, daß sehr viele Menschen noch leben, die ihr begegnet sind* (* In diesen Satz ist hier folgendes nachträglich eingefügt: »auch trägt das Weh, das die Menschheit bei dem Verlust eines Genies empfindet, zu der Täuschung bei. Jedesmal, daß daran gedacht wird, geschieht es mit Schmerz, und das verdoppelt und verdreifacht die Zeit. Das flüchtige >Schade<, das ein Verlust wie der Verlust Mendelssohn's uns eingibt, gräbt die Idee seines Todes nicht ein, und man muß sich fragen, wann er denn eigentlich starb.«) und die die persönliche Erinnerung wach halten. Solch ein Schatten wächst nicht, er kann nur verschwinden; das Genie aber muß gleich nach seinem Tode zur Legende werden; man glaubt kaum, daß man es gekannt habe. Die Ewigkeit der Werke drückt sich hierin auch der persönlichen Erscheinung auf, daß es einem vorkommt, als ob Leben und Tod eigentlich keine Macht über Menschen wie Weber, wie Beethoven und Mozart haben, und daß sie von jeher waren und um uns als Geister waren, wie sie jetzt sind. Bei untergeordnet begabten Menschen ist das Leben alles, und sie können nur vergessen werden, nicht aber im Reiche der Schatten herrschen. Solange Menschen noch leben, die sie gekannt haben, ist ihr Irdisches frisch, während das Geistige verblaßt, ohne Ehrfurcht gedenkt man ihrer und bespricht sie; bei den wirklich genialen Wesen ist es umgekehrt, immer lebendiger wird der Geist, und die Form, in der er wandelt, wird alsbald zur Schatten-Erscheinung. -
15ten Februar
Kos wird fortgebracht nach Zürich; er ist krank. Ich habe einen Brief von den Kindern, es ist nicht gut dort, Hans' Mutter [13] treibt Unfug. Beim Frühstück bespreche ich wieder mit R., was zu tun sei, wir können immer zu keinem Schluß kommen. Gott gebe mir Kraft, wie er die Leiden gab. - Als mir R. gestern sagte, ich könne gar nicht wissen, wie er mich liebe, und als er heute bemerkte, er sei mir zu schwer und zu viele Opfer bürde mir meine Liebe zu ihm auf, dachte ich, mein Herz würde zerspringen. Eines fühle ich, daß ich mutig bleiben muß und freudig, was da kommen möge, damit ich ihm in Wahrheit helfe. Ein Tag des Friedens wird dann auch für mich kommen und die Kinder werden mich doch segnen. - Die Vorsätze des Menschen sind jammervoll, ein Windhauch vereitelt sie, und er befindet sich immer auf offenem Meer - den Winden und Stürmen Steuer-, ruderlos! preisgegeben, wie Homer's Held; glücklich der, dem eine hilfreiche Gottheit in dem düsteren Strudel mild erscheint. - Die Liebe ist diese göttliche gütige Leukothea, euere Mutter grämt sich heute, meine Kinder, sie bleibt euch aber treu und ihrer Liebe. Wenn sie dahin ist, gedenkt ihrer und segnet ihre Ruhe.
16ten Februar
Als ich gestern R. gute Nacht gesagt hatte, verfiel ich in ein langes Sinnen, aus welchem ich mich träumend erhob und hinunterging, um ihm noch einmal gute Ruhe zu wünschen. Als ich aber die Stube erreichte, erschrak ich sehr über die Unbesonnenheit, es war mir, als wäre ich im Schlafe gewandelt und als wachte ich plötzlich auf. Sehr verlegen führte ich denn meine Gute Nacht aus. - Vreneli gestern abend von Zürich zurückgekommen, erzählte von Kos, er ist sehr krank, Gott weiß, ob er heilen wird. Da träumte ich diese Nacht, daß er sehr freundlich gegen den Herrn der Anstalt tat und daß dieser ihm dafür Stöße gab. Jäh und traurig wachte ich auf, da blickte ein Stern förmlich zu meinem Fenster herein und machte mir Freude. - R. ist mit seinem Aufsatz [14] fertig, er las mir ihn noch gestern abend vor. Der Tag gehört Winckelmann und den Kindern; Loldi sehr gesprächig, denkt an Boni und an den Teich in München, spielt Komödie mit mir im Badehäuschen und macht mir viel Freude. R. fertigt den Pariser Rienzi ab, indem er erklärt, nur in dem Fall etwas mit der Aufführung zu tun haben zu wollen, als er sie verhindern kann und muß. Bei Tisch freut er sich über die Einrichtung, die Bücher, die Bilder, die Schmetterlinge, und sagt, wir seien doch viel abhängiger von dem Geist als von der Natur; über die Naturschönheit ginge die Schönheit der Kunst, welche das ausspricht, was die Natur will, beschränkter sei sie zwar, doch darum drücke sich ihr Wille um so energischer aus. - Mit Wehmut gedenke ich unsres armen kleinen Kos! - Abends meldet mir R. ganz vergnügt, er habe beim Antiquar eine vollständige Ausgabe der Hören, Vasari und den Atlas zu Winckelmann's Werken gefunden. Wir gedenken viel der Stunden vor zwei Jahren.
17ten Februar
Von Blandine geträumt. Beim Erwachen höre ich die Klänge des Meisterliedvon vor 20 Jahren: Affäre mit Jessie Laussot 1850 in Bordeaux, vgl. 23. Jan. -Briefwechsel Goethe und Knebel: Goethes Briefwechsel mit dem weimarischen »Urfreund« Karl Ludwig von K. (1744-1834), Übersetzer und Hofmeister des Prinzen Konstantin.
es, die Weise, die Eva zur Welt brachte und mit welcher mich R. bei meinem Geburtstag (1866)[15] begrüßte. Dann bringt R. mir zu meinem Bett das schöne Kind, sie strahlt und glänzt, unsere kleine Eva! Der Frühling prangt da draußen; wie im Traum und wie ein abgeschiedener Geist höre und sehe ich alles, mir ist, als ob jedes persönliche Leben für mich aufgehört habe und ich nur noch in ihm und den Kindern sei. - R. erhält von seinem Verleger die Korrektur-Bogen des Juden-Aufsatzes, was ihn sehr freut, weil er schon befürchtete, Weber sei Angst gemacht worden. Kinder-Bescherung, Kinder-Tafel, viel Jubel. Wie Evchen's Gesundheit ausgebracht wird, ist sie ganz toll vor Freude, trotzdem sie selbst nichts zu trinken hat. Da sagt ich, sie solle zu Bett gehen, R. sehr betroffen davon, sagt, es sei der katholische Moment meiner Natur, diese Strenge, und daß ich in der höchsten Freude stets das Aufgeben derselben gegenwärtig habe. Er früge sich immer, wie es ihm dereinst ergehen müsse, wenn ich auch über ihn abschlösse! Hierüber müssen wir lachen. Nachmittags Spaziergang mit den Kindern, bei der Dämmerung Feuerwerk im Salon. Aber Evchen wird übel davon, sie taumelt, und ich erschrecke sehr, doch erholt sie sich. Abends sprechen wir mit R. von den früheren Zeiten, wie wir immer wie Schatten an uns vorüber gegangen wären, uns kaum angeredet und uns doch so seltsam nah immer gewesen wären. Dann liest er mir »Coriolan« in seiner einzigen Weise vor. - R. gab mir Blumen.
18ten Februar
Nette Träume von Jesuiten und der Fürstin Wittgenstein, sehr schlimme Nacht. Briefe geschrieben - an Loulou und Mathilde. Große Müdigkeit. Nach Tisch spielt R. aus der Walküre (Schluß) und ich muß förmlich vergehen. Gott! Dieses Werk! - Der Eindruck bemeistert den ganzen Tag, was ich im übrigen tue und treibe, geschieht wie im Traume, einzig wach sind in mir die Klänge und die Worte. - Wem ein tiefer Glauben zu eigen wird, dem wird auch als Lohn dieses Glaubens eine schöne Hoffnung. Als ich mir heute so tief inne wurde, wie ich an R. glaube, an seine Sendung, an seinen Genius, an seine Güte, an seine Liebe, so stieg allmählich aus der glühenden und durch das unsägliche Leiden doch düsteren unerschütterlichen Empfindung ein leises Gefühl, so blaß und zart wie eine Mondsichel bei glühendem Sonnenuntergang. Nicht von Glück, nicht von Erfolg, sagte sie, auch nicht von Ruhe und Freude, unbestimmt und schweigsam entsprang sie als holdester Lohn meinem höchsten Gefühl, die liebliche Hoffnung.
19ten Februar
Guter blasser Tag; R. an seine Partitur, ich bei den Kindern. Nach Tisch aus dem »Sommernachtstraum«[16] einige Scenen mit R. vorgenommen. Mit Loldi im Garten zwei Stunden gespielt, ihre zwei Puppen tauft sie Pikasoki und Pulvia, erstere ist unartig, sie »schießt sie in den Himmel« - all' das in der Form einer Erzählung. Abends »Coriolanus« beendigt.
20ten Februar
Als beim ersten Morgengrauen die Last der Gedanken und Sorgen, der ertragenen und der erwarteten Leiden mir eine tiefe Todessehnsucht eingab, stand es plötzlich vor mir, wie glücklich ich jetzt sein würde, wenn ich eine Mutter hätte![17] Eine Mutter, die alles verstünde, meine Liebe ermißte, meine mütterlichen Sorgen erkennte und mir einen Rat geben könnte - die mir sagte, »gib mir deine Kinder, ich will sie pflegen und beglücken«. Und meine Sehnsucht verstummte; wenn dereinst für euch die schweren Stunden schlagen, dann sollt' ihr mich finden, meine Kinder! - Den heutigen Vormittag verschlief ich. Bei Tisch gab mir R. einen Brief der Mme Judith Mendes, welche diesen Sommer eine Reihe höchst bedeutender Aufsätze über ihn  in  der französischen »Presse« geschrieben hat. Der Brief ist auch recht hübsch und freimütig begeistert. Das macht uns Vergnügen. Am Morgen grüßt mich R. von unten mit den Tönen des Lenzes-Lied aus der Walküre - ich schlich mich ins Eßzimmer und hörte ungesehen zu. Nachmittags mit den Kindern - Klavier gespielt. Brief Claire's empfangen, sie rät mir nach München zu gehen - viel Wehmut. R. liest mir das Rheingold vor. - Am Tage einige Sonette von Petrarca gelesen und viel Freude an einem Zitat von Goethe gehabt: (»Derjenige, der Gutes zu wirken hat, muß wie ein Plagegeist sein«,) welches mir das rechte Motto für R. zu sein scheint. Er ist der Plagegeist der Elendigkeit und Mittelmäßigkeit. -
21ten Februar
R. meldet einen Brief des Dr. Lang. Durch seine Stellung im Staatsministerium ist es ihm möglich gewesen, durch verschiedene Bureau-Instanzen einen Befehl des Grafen Bismarck, daß Wagner'sche Aufsätze in der N. A. Zeitung [18] aufgenommen werden, zu erlangen. Der Aufsatz über das Devrient'sche Buch wird den Anfang machen. Diese Nachricht ist recht angenehm, da R. bis jetzt nie wußte, wohin er seine Sachen unterbringen konnte. Am Vormittag setze ich im Namen R.'s einen Brief an Mme Mendes auf, in welchem ich die Gründe seines Nichtkommens zum Rienzi in Paris angegeben habe. R. ist mit diesem Brief zufrieden. Grauer Tag, alles in Nebel gehüllt, R. geht nicht in die Stadt, wir wandern zusammen durch den Garten. Abends »Julius Caesar«. Wunderbar liest ihn R. mir vor, mich erschüttert es so sehr, daß ich ganz krank zu Bett gehe.
22ten Februar
Nachrichten von Kos, von welchem das ganze Haus geträumt hat; die andren freundlich, ich traurig, so daß die Orakel-Ehre jedenfalls gerettet ist. Ich bin immer leidend; eine Knospe der Camelia ist abgefallen. - Ich bin immer unwohl, und ob ich es mir auch mit Gewalt verbergen will, ich muß nachgeben. Heute am Vormittag konnte ich nur ein wenig mich mit den Kindern abgeben. Ich empfinde sie recht jetzt, die berühmte Gedankenblässe! Zuweilen ist es mir, als ob ich förmlich bleich zu werden fühlte vor dem Schwarm der Sorgen, die sich über mich niederlassen. Nachmittags, wie R. schlief, gedachte ich des letzten Briefes des Vaters, worin er mir sagt: »Die Leidenschaft vergeht, die Gewissensbisse aber bleiben.« Wie leichtfertig ist das beurteilt. Als ob mein Kommen zu R. ein Akt der Leidenschaftlichkeit gewesen wäre, und als ob hierüber jemals mir Gewissensbisse ankommen könnten! Wie wenig hat mich der Vater doch gekannt! - So willig begäbe ich mich einer jeden Freude, wüßte ich nur ein Wesen, dem ich das vereinsamte Leben R.'s anvertrauen könnte. »Das Glück zu tragen ist auch eine Buße«, schreibt kühn Bettina [19]an Goethe; wie empfinde ich dies nach, jetzt, wo ich so viele schwere Gedanken auf mich lade. Entsagung lehren Dichter und Weise, Entsagung lehrt uns auch das Leben, Entsagung ruft das eigene Herz mir zu-ich könnte sie aber nicht vollbringen ohne Gewissensbisse, mir ist es, als ob ich des eigenen Seelenschlummers zuliebe [mir] den Todesstoß versetzen würde. Schwer wiegt auf mich die tägliche Betrachtung; doch merkt sie R. nicht. Er arbeitet viel und froh. - Einzig schmerzlich ist es mir, daß er mir manches nicht mitteilt, was er schreibt und empfängt, aus Furcht, mich zu betrüben. Mir scheint es dagegen, daß durch die Mitteilung alle Dinge zum Spiel werden. - Abends beendigen wir »J. Caesar«. Wer könnte sich dem ergreifenden Eindruck entziehen, welchen die Darstellung der Schwermut, die das Unternehmen großer Menschen vereitelt, hervorbringt? Brutus und Cassius fühlen, daß sie die letzten Römer sind, und dieses trostlose Gefühl enthält den Keim des Todes ihrer Sache. Es gebiert den Wahn; bevor noch daß die Schlacht verloren ist, glauben sie sie verloren. - Ungefähr diese Empfindung habe ich gehabt bei allen Unternehmungen R.'s, ich weiß, die Welt gehört andren Mächten an. - »O wüßte jemand doch das Ende dieses Tagwerks, eh es kommt! Allein es genügt, enden wird der Tag, dann wissen wir sein Ende.« -
23ten Februar
R. hat mich den Aufsatz von H. Franck [20] über den Tannhäuser (geschrieben 45, ungefähr 12 Tage nach der ersten Aufführung) abschreiben lassen. Er ist vortrefflich, ja vielleicht das Bedeutendste, was über den Tannhäuser geschrieben worden ist. R. spricht viel von einem »Kasperl«, das er Lust hätte zu dichten und zu komponieren. Kasperl und Wagner sind die Hauptfiguren, Faust im Hintergrund. - Nachts dachte ich, daß es vielleicht besser und heilsamer für mich und andere wäre, wenn ich ein wenig grausam wäre - mir fehlt allzusehr die Kraft, Kummer zu verursachen, und so verzehre ich mich selbst. - Gegen Mittag bringt mir R. das Manuskript der zwei Akte von »Siegfried«. Unbeschreibliche Freude! Wie ich ihm danke, sagt er: »Dir gehört ja alles, selbst bevor ich es mache.« -Bei Tisch aber ist er betrübt, ja verstimmt; ich hatte ihm den Brief Claire's zu lesen gegeben, und dieser hat ihm einen üblen Eindruck gemacht. Doch ist er bald wieder erheitert. Nach Tisch im Garten mit den Kindern. Abends schreibt R. Briefe, und ich ordne die Papiere und stelle ein Adreßbuch her. Nach dem Tee »Was ihr wollt«. Sehr heitre Stimmung.
24ten Februar
Gute Nacht, schöner, tiefer, seit langem nicht mehr gekannter Schlaf. - Gestern besprachen wir mit R., wie es uns zuweilen drängt, uns einem Menschen anzuvertrauen. Dann sagte er, er glaube, es würde sich noch günstig für uns fügen, wir müßten unsren Stern haben. Im übrigen müßte man wägen und sehen, welches Leiden man sich erwählte. R. schreibt an den König[21] (16 Seiten), und ich überziehe zwei Seiten der Partitur, wie heilige Runen betrachte ich die Zeichen, die sich unter meiner Hand färben. Nach Tisch phantasiert R. etwas. Dann erzählt er mir, ein böser Traum habe ihn nachts veranlaßt, an Dr. Lang zu telegraphieren, von seinen Mitteilungen keinen Gebrauch zu machen. Mein Schreck hierüber läßt R. bereuen, mir dieses gesagt zu haben. Wie er fort ist, schreibe ich ihm, warum mir an den Mitteilungen liegt. - Sein Phantasieren - er ging von dem Lohengrin-Vorspiel zu Motiven aus dem Nibelungenring über - hat wiederum meine ganze Seele gebannt. Meine Seele ist wie eine Knospe, die nur unter den Strahlen seiner Musik erblühen kann. - Abends Schluß von »Was ihr wollt«. - Abends langes Überlegen unsrer Lage, und wie wir sie durchführen wollen.
25ten Februar
Richard träumte, wir seien verheiratet, ich wandelte im weißen Atlasgewande (nach Terburg)[22] in unsrem geräumigen wohlbehaglichen Hause und zeigte ihm Eva in einer Ecke. Mich betrifft dabei, daß ich nachts wieder Todesgedanken hatte. Doch bin ich heiter, das weitere Überziehen der Partitur macht mir Freude - ihm so nachzufolgen! - Mittags aber erfahre ich, daß er leidend sei, und er sieht nicht wohl aus. Da heißt es denn, alle Kräfte der Seele anspannen, um ihn milde zu zerstreuen. Er geht nicht nach der Stadt, wir spazieren mit den Kindern im Garten. - Dann läßt er die Kinder tanzen. Gott gebe ihm eine gute Nacht, dies erflehe ich nun auf Knien und fühle es, daß ich mich von ihm nie trennen könnte. Er sagt heute: Er glaubte, wir würden noch glücklich werden; er fühle es, daß er eigentlich bis jetzt verwöhnt gewesen sei, denn nichts, was er erfahren, sei ihm an [den] Nerv des Lebens gegangen. Eine Trennung von mir aber wäre der Tod. - O möge er jetzt sanft ruhen. Nachmittags, wie ich halb schlummerte, sah ich die Kinder wieder und weinte heftig. - Heute sagte ich R., daß ich sein Lohengrin-Vorspiel eigentlich nie gehört habe, weil mich eine solche Verzückung gleich bei den ersten Tönen stets ergriffen habe, daß ich niemals dieses Wunder wie andre Musik gehört, sondern immer wie eine Vision erlebt habe.
26ten Februar
Briefe von den Kindern und der guten teilnehmenden Marenholtz.[23] Bei den Kindern die Partitur überzogen; nachmittags einsamer Spaziergang. Abends mit den Kindern und an Boni geschrieben. Nach dem Tee mit R. nach Papieren gesucht.
27ten Februar
Brief von Eckert,[24] sie wollen in Berlin an die Meistersinger gehen, und Herr von Hülsen macht, als ob er mit R. noch in keinen Unterhandlungen gewesen. Nachmittags Brief von Hans über die Tannhäuser-Vorstellung in München, mit einem des Königs eingeschlossen, der zwar der Vorstellung nicht beigewohnt hat, doch aber voller Begeisterung schreibt. Ich den ganzen Tag beinahe mit den Kindern, R. froh über die Briefe, sagt, er sähe uns noch alle hier vereinigt und versammelt, der Vater, Hans, usw. Gäbe es der Himmel - ich kann es nicht glauben. Hans Richter meldet seinen Besuch für Ostern, vielleicht kann ich es dazu bringen, daß die Kinder mich mit ihm auch besuchen, R. hat mir den Gibbon (englisch) geschenkt. - Richard meinte, ich sei Loldi's Tochter, wegen der Lebhaftigkeit meiner Empfindungen. Dieses gemahnt mich an die furchtbare Sorge, die ich tags vorher hatte, wo Loldi nach einer kleinen Reprimande ein solches Herzklopfen und mit glühendem Kopf in solche Aufregung geriet, daß ich, das Schlimmste befürchtend, mein Kind schon tot sah! - Einen Akt von »Antonius und Cleopatra« mit R. gelesen; merkwürdige Unerquicklichkeit.
28ten Februar
Allerlei Zeitungen und Notizen. Ich schreibe der Marenholtz und bin mit den Kindern, es ist Sonntag, der gehört ihnen, sie speisen auch mit uns. Leider hat R. vor, nach Tisch etwas aus dem Siegfried zu spielen, Loldi war unruhig dabei, R. wurde ungeduldig; um eine Explosion zu verhüten, nahm ich sie zu mir hinauf und ließ auch Eva kommen; darüber wird R. sehr heftig und leider in Gegenwart der Kinder, was mich tief erschüttert. Ob ich etwas hätte vermeiden können, weiß ich nicht, »Beschäftigung,[25] die nie ermattet«, hilft mir, ich unterhalte die Kinder und überziehe zwei Seiten. R. scheint das ganze leicht zu nehmen, und somit ist es gut. Gute Nacht, meine Kinder.