Dezember

Sonntag 1ten
R. schreibt Briefe, und ich hole ihn ab, um Bilder, die ich bereits im Museum entdeckt, mit mir anzusehen, Pfeifer und Trommler von Dürer, herrlich! »Ein kompletter Shakespeare war er«, sagt R. - Darauf Besichtigung des Doms - kalter Eindruck; die Macht der Kirche, nicht die Andacht der Seelen spricht sich darin aus; wie viel lieber ist mir der Dom zu Straßburg. Die Führer süßlich widerwärtig - wir denken an die Medusa, die wir vorher im Museum gesehen, »da hat man«, sagt R., »die ganze Idealität der Welt, ein Wesen, das nirgends gesehen, gewesen, das uns so mit Schrecken erfüllt«. - Table d'hôte gespeist, nicht gerade angenehm gemacht durch die Zudringlichkeit der Leute. Ausgefahren, die Flora besichtigt und den Zoologischen Garten. Abends die »Zauberflöte«; entsetzlich. Nicht ein Talent, ein stupider Kmeister und der Stempel der Gemeinheit auf allen Wesen - der reiche Börsenmann führt hier das Wort. Wie R. darüber mit den Leuten spricht, sagen sie vom Publikum, es sei so und so: »Sprecht mir nicht vom Publikum«, erwidert R., »das ist die Welt, die man nicht kritisiert, sondern hinnimmt, wie sie ist, die Künstler sind an allem schuld, sie können das Publikum bei dem Drang, sich zu amüsieren, fassen und es erheben, es ist wenigstens bei allem lebhaft dabei, wenn ein paar Leute Purzelbäume schlagen, so lacht es doch, es ist doch besser als die Stöpsel von Dirigenten und Regisseuren, die nicht wissen, daß, wenn die Königin der Nacht erscheint, es Nacht auf der Bühne sein muß, man die Lichter einziehen soll. Gleich wie in der Kirche - wenn das Rechte da vorgeht, was freilich selten genug ist -, wenn eine Seele aus kleinlichem Drang über eigne Miseren sich flüchtet, darüber erhoben wird und das Elend der Welt erkennt, so im Theater erhebt das Publikum [sich] durch das Mittel der Genußsucht!« Von Herrn Hiller wird noch verschiedenes erzählt, unter andrem, daß er nach der ersten Aufführung des Tannhäuser in Bologna zu Herrn Lesimple gerannt kam: »Nun ist der T. ja ausgezischt worden.« - R. sagt: »Das Sonderbare an diesen Leuten ist, daß sie, bevor sie irgend etwas leisten, eine Rolle spielen wollen, während vorerst doch die Leistung da sein muß und dann der Einfluß sich ergeben.« - Brief an die Kinder.
Montag 2ten
In das Köln'sche Museum; so viel es mir möglich durchstudiert; dann die Gereons-Kirche. Während dem schreibt R. Briefe, unter andrem an Kmeister Eckert, welcher gekränkt sein soll, daß die Tristan-Partitur verweigert sei. R. geht dann in ein Bierhaus, der Wirt stellt sich ihm vor und fragt ihn, ob er ihn nicht erkenne, er sei der Wirt der Restauration bei Rolandseck, in welcher vor 10 Jahren[1] der von R. auf Rolandseck verlorene 100 Gulden-Schein ihm zurückgebracht worden sei, er habe das auf den 100 Gulden-Schein, mit welchem R. dann die Rechnung bezahlt habe, geschrieben, und ein Engländer habe ihm dafür 200 Gulden angeboten. (Wir müssen sehr über den Scherz lachen, denn auf der Fahrt hierher gedachten wir dieser kleinen Episode; ich war bei dieser Partie). - Nachmittags die seltenen Antiquitäten unsres Wirtes - Herrn Disch - besichtigt; darauf Sängerprobe, die Sänger, die wir hier in der Oper nicht gehört, tragen R. einiges vor (auch Diener). Nicht viel wird hier zu gewinnen sein. R. spricht über den jammervollen Zustand des Theaters; keine Tradition mehr, kein Beispiel, die Kmeister aus den Musikschulen her, während ein alter bewährter Sänger viel eher dazu befähigt sein würde; entsetzliches Verschleppen der Recitation.
Dienstag 3ten
R. schläft immer nicht gut und ist sehr aufgeregt, er sehnt sich nach Hause, um an der Partitur zu arbeiten. Um elf Uhr Besuch unsrer Freundin Marie Muchanoff, aus Bonn kommend; sie erzählt von der Freundin Lassalle's,[2] Gräfin Hatzfeldt, die »aus Gerechtigkeit klerikal gesinnt nun sei«, von den adeligen Frauen, die Hemden für die Jesuiten nähen u.s.w.! Um ein Uhr fährt sie ab. Wir um fünf nach Bonn, um dort die »Stumme« zu sehen; große Enttäuschung über Herrn Diener, der nur Gaumenstimme hat und unter allen Tenoristen, die wir bis jetzt gehört, uns der schlechtest mit Stimme begabte dünkt. Traurige Stimmung hierüber; was dem guten Menschen sagen, dem außerdies alle Intendanten und Theaterdirektoren nachlaufen? - Die sonstige Ausführung der »Stummen« in allem unsinniger (die Sängerin tritt auf dem Solo der Trompete und der Sänger auf dem der Oboe ein, und so in allem)! Der Kmeister dirigiert in Köln »Freischütz« und »Zauberflöte« aus den Originalpartituren von Mozart und Weber und vermeint damit, dem Meister eine Ovation darzubringen!! - Bevor wir nach Bonn fahren, sang vor Richard noch eine junge Frau (Müller Marion), eine Deutsche, jetzt in Lüttich an der fr. Oper angestellt, die aber die Ortlinde in München unter Richter schon gesungen; sie wirft den Ruf und den Triller zu R.'s Freude und zeigt sich als »gutes Kind«, so daß er sie vermutlich gebrauchen wird. R. lacht über die Sache und sagt: »Ich sehe daraus, auf welche Künstler ich eigentlich selbst für die kleinen Partien gerechnet habe. Sie müssen bei mir alles machen können.« - Wir bekamen Billette zu einem heutigen Gürzenich-Konzert, wofür eine Extra-Sitzung abgehalten wurde, wo R. zu plazieren sei, da Herr Hiller befürchtete, in der Nähe von ihm geniert zu werden!
Mittwoch 4ten
R. bereitet ein wenig seinen Vortrag von heute abend [vor], während dem besuche ich verschiedene Kirchen; die herrliche Apostelkirche, St. Peter, St. Ursula, St. Cunibert, St. Maria im Kapitol, alle interessant, vor allem rührt und erhebt mich St. Martin. Heimgekehrt erzähle ich R. von meinen Wanderungen, namentlich auch von der Freude, die ich an der unteren Bevölkerung von Köln gehabt, die gefällig, witzig und lebhaft ist; ich teile ihm auch meinen ungünstigen Eindruck vom Dom mit, mein Mißvergnügen an der Gotik, wenn sie einem als vollendetes Ganzes entgegen tritt, mit der Prätention der Schönheit - R. fragt mich, ob ich überhaupt von einem Gebäude den Eindruck der Schönheit und Vollendung erhalten, und ich muß dies verneinen. Trauer über das Schicksal der Kunstwerke, »selbst ein Ding, das so populär war wie die >Stumme<, wird nicht in der Gegenwart vor Verhunzung bewahrt«. - Brief von Pr. Nietzsche, der mir ein höchst merkwürdiges Schreiben von Hans an ihn - über eine Komposition unsres Freundes[3] - mitteilt, die dieser ihm mitgeteilt (eigentlich zu unsrer Verwunderung). Um 7 Uhr hält R. seinen Vortrag vor den Mitgliedern des Kölner Wagner-Vereines, er spricht zuerst frei, dann aber - wie er mir hernach sagte, kommt er sich absurd vor, so ins Blaue zu sprechen, und er liest einen Teil seines Berichtes an die W.-Vereine vor. Wie dieses vorbei ist, ziehe ich mich zurück und schreibe nach Haus und an Pr. N. - R. hat aber unten ein Bankett mit Militär-Musik, die obligate Tannhäuser-Ouvertüre, wonach R. sie dann bittet, doch noch einiges andre zu lernen. Für die Freischütz-Ouvertüre gibt er den Leuten Tempo und Nuancen an. Ein Kölner Lied, von einem der Anwesenden extemporiert (mit Refrain, R. Wagner ist ja da) und unter dem Vorwand gesungen, sich R. als Sänger vorzustellen, macht R. Spaß; er rühmt mir überhaupt die Gesellschaft, die aus »netten ernsten Menschen« bestanden zu haben scheint. Doch ist er sehr müde und abgespannt.
Donnerstag 5ten
Trotz sehr schlechter Nacht macht sich doch R. mit mir auf, um den schönen Gürzenich-Saal zu besuchen und selbst St. Maria im Kapitol. Um 4 Uhr fahren wir nach Deutz und von da nach Düsseldorf, wo uns gemeldet war, daß der »Salomo«[4] von Händel mit gastierenden Sängern gegeben würde. Leider hat der auch darin beschäftigte Tenorist Diener von R.'s Ankunft gesprochen, und so entsteht Empfang, Einladung zu Festessen u.s.w., das R. zu Verzweifelung bringt. Wir hören den ersten steifen, langweiligen Teil des Oratoriums an und eilen dann fort (Diener singt wieder »vom Magen zum Gaumen«). Nachtreise, um zwei Uhr in Hannover. Rheinischer Hof.
Freitag 6ten
Nicht sehr gute Nacht, da wir das Pfeifen der Eisenbahn hören, doch sind wir froh, hier niemanden zu sehen, und bringen den Vormittag friedlich mit Briefschreiben zu. - R. hat große Sehnsucht nach Haus und den Kindern und bricht in Klagen darüber aus, daß, während mit höchster Anspannung seine Kräfte nur hinreichen würden, seine Aufführungen zu Stande zu bringen, er sich nun persönlich darum zu bekümmern habe, wie die Mittel herbeigeschafft werden. Er sagt: »Ich bin zu absurd mit meiner Götterdämmerung, und dann mit Lesimple über meine Idee konferieren.« - Die Nachricht, daß Herr Reinecke,[5] aus Leipzig zum Pianoforte-Spielen herüber gekommen, seine Noten alle unterwegs verloren habe, worüber das Publikum sich getröstet habe, weil er das Beethoven'sche hätte spielen müssen statt des Seinigen, macht uns in Betreff der Götterdämmerung, die wir mit haben, sehr besorgt; R. sagt: »Dieses Gaudium für Hiller und Konsorten, wenn ich anzeigen wollte, daß mir dieses Manuskript unersetzlich ist; dieses Verhöhnen.« — Wir bleiben den ganzen Tag zu Haus und schreiben Briefe; R. geht nachmittags aus und kehrt heim, ganz entsetzt über ein Bierhaus beim Theater, darin er zwei ganz unanständige Dirnen als Schenkinnen gefunden; er sagt, was ihn erschrocken hätte, wäre, daß kein Mensch etwas darin gefunden, die Leute von ihren Geschäften gesprochen hätten und diese Gemeinheit als gleichsam zur Sache gehörig unbeachtet gelassen, »wie unsere Frauen Chignons u.s.w., diese Provokationsmittel, ganz unschuldig anwenden, niemand sich darüber empört, es ist trostlos! Wo soll es auch bei uns herkommen, in unsrem Klima, wie soll der Schönheitssinn sich entwickeln! — Die Griechen sind ein Ausrufungszeichen, die Lotusblume im Teich, wo nun die Frösche quaken, damit müssen wir uns begnügen. So kalt, so roh ist die Sinnlichkeit im Norden, so phantasielos. Ach! es ist ein Ekel«. - Durch den Friseur (!) hören wir, daß noch viel Klagen in Hannover herrscht, Beamtenwelt ist für Adel eingetreten, und von dem Intendanten v. Bronsart wird erzählt, er schicke immer die Hälfte der Theater-Subsidien, die er von Berlin [erhält], wieder zurück, wofür er auch einen Orden erhalten habe. Überall stehen noch die Büsten des Königs Georg. - Um 7 Uhr ins Theater, »Oberon« wird gegeben. Sehr schönes Haus; und schönes Orchester, aber schlechteste Direktion und Regie; sie streichen in dieser kleinen Partitur eine Arie und einen Marsch, und die Inscenierung ist schlimmer als beim kleinsten Theater. Orchesteraufstellung wie vor 40 Jahren, hie Blech, hie Streicher, so daß man letztere kaum hört! Dabei war der Intendant von Bronsart derjenige, den wir uns für Berlin wünschten, weil wir ihn als feinfühlenden Künstler - Schüler vom Vater - kannten. Freilich, er hat eine undeutsche und komponierende Frau und steht unter Hülsen! — R. gedenkt der Entstehung dieses Werkes, eine englische Zauberei, die Weber sich entschloß zu komponieren des Ertrages wegen, wissend, daß er bald sterben würde - »so ist es uns Deutschen immer ergangen -; wie rührend ist diese so zarte Arbeit, wie müßte man suchen, der Musik wegen alles aufzubieten, um es zu beleben, schön zu geben, dabei nicht durch Pracht [zu] erdrücken - aber so ist's, im Leben lassen sie ihn für ein englisches Possen-Theater arbeiten, und nach seinem
Tode akzeptieren sie sein Werk als Meisterwerk und verschludern es; o Deutschland! Und so wird es bleiben«. Mir macht die Musik einen unsäglichen Eindruck, edel, jungfräulich, naiv und rein; etwas vom Schiller'schen Geist weht in Weber, dazu etwas Fröhliches, Heiteres. Ich sagte
zu R., daß ich ihn wohl nicht für ein solches Genie wie Mozart hielt, doch daß er uns viel näher stünde, »oh!« sagt R., »es erklang da etwas ganz Neues, das war das Deutsche; es fiel zusammen mit der Erhebung, mit der Romantik, mit der Pflege der altdeutschen Kunst«. - Abends besucht uns der Bariton Herr Staegemann, R. fragt, wie es kommt, daß die Meistersinger hier vom Repertoire verschwunden seien, während früher Hannover ein Hauptort für seine Sachen gewesen sei; Herr H. von Bronsart erkläre, selbst die 50 Louisdor Vorschüsse auf die Tantiemen seien nicht abverdient; der Baritonist erklärt es durch Krankheit verschiedener Sänger, behauptet, sie seien 15 mal in der ersten Saison gegeben worden — Gott weiß, wer wahr spricht. - Im Theater wurde R. plötzlich abberufen; ein Telegraphist sagte ihm, er habe ihm durchaus die Depesche persönlich übergeben wollen, sei vom Hotel hierher gelaufen, nur um die Gunst zu haben, ihn zu sehen!
Sonnabend 7ten
Immer Regenwetter! Wir wandern ein wenig durch die Stadt gegen Mittag und fahren um 4 Uhr fort nach Bremen, nachdem wir durch die Neugierde der Leute - die nun doch erfahren haben, daß R. anwesend - belästigt worden sind. Um 7 Uhr in Bremen. Empfang durch den Theaterdirektor, zwei Beamte u.s.w.
Sonntag 8ten
In der Stadt ein wenig spazieren gegangen, die uns außerordentlich gefällt, schöne Anlagen mit einer Mühle in der Mitte, die R. ungemein erfreut. Im Dom empfangen wir einen tiefen Eindruck; es ist Kommunion, und ein schöner ergreifender Choral wird in der alten Kirche dazu gesungen; die Orgel ertönt und »die Träne quillt«. - Das Rathaus, die Liebfrauenkirche besehen und einen sehr angenehmen Eindruck von der Stadt empfangen - von den neuen wie von den alten Teilen. - Besuch eines Herrn von Steinitz, österreichischer Offizier, der die hiesige erste Tänzerin zur Frau hat und als neuer Enthusiast und freundlicher Mann uns einen ganz angenehmen Eindruck [macht]. Diner beim Konzert-Kmeister Reinthaler;[6] 18 Personen ungefähr. Donner und Blitz zu
unsrer aller Verwunderung, R. sagt: »Das bedeutet die Gründung eines Wagner-Vereins in Bremen.« Es wird sehr hübsch gesprochen, das Ganze macht einen guten Eindruck. Um 6 Uhr Aufführung der Msinger; R. wird mit Tusch und Orchester und großer Akklamation seitens des Publikums empfangen. Das Werk hat hier, wie es scheint, einen ungeheuren Eindruck gemacht, wirklich hat der Kmeister mit seinem sehr kleinen, aber aus tüchtigen Musikern bestehenden Orchester alles Mögliche geleistet. Die Regie aber wiederum sehr erbärmlich, und das ärgste, Herr Schott hat für gut gefunden, die Mannheimer Stimmen hierher zu schicken, diejenigen, die Herr Lachner, welcher selbst im »Freischütz« streicht, hergerichtet hat, der ganze dritte Akt dadurch unkenntlich und langweilig. Wir finden hier einen sehr guten David, einen verständigen Sachs und eine wohl zu bildende Eva. Mich ergreift das Werk unsäglich; R. erinnert mich mit Tränen in den Augen an die Zeit, in welcher er dies geschrieben. Wenn künftige Generationen sich an dem einzigen Werke laben, möchten sie gedenken, unter welchen Tränen dieses Lächeln erblühte!... - Sehr müde heim, der Unsinn des letzten Aktes, in den Herr Lachner hineinkomponiert hat, hat uns erschöpft.
Montag 9ten
Der Gewerbeverein meldet sich bei R., um ihm sein Haus zu zeigen, wir besuchen das interessante Gebäude mit mehreren Meistern, die uns führen und uns ein Frühstück anbieten. Darauf Besuch der Börse, deren anständiger Ton R. sehr auffällt im Gegensatz zu den Börsen, wo die jüdischen Kaufleute herrschen. - Schöner Eindruck des Rathaussaales mit der Treppe. Table d'hôte, R. wird ein Hoch gebracht. Wir haben den Tag zugegeben, um einen Wagner-Verein zu Stande zu bringen, doch fürchte ich sehr, daß es uns mißglückt ist. Der Herr Reinthaler, der uns hier akkapariert und, wie es mir scheinen will, sequestriert hat, ist »ein Gegner«, wie die Leute sich ausdrücken, und scheint nur eine Sorge gehabt zu haben, bei einer solchen Gelegenheit umgangen zu werden; er gehört zu der musikalischen Muckerclique. Abends werden wir in den Rathauskeller geführt, und es bildet sich da ein kleiner Kreis, abermals mit Reinthalers an der Spitze. Ich trage einen sehr unangenehmen Eindruck davon und bin töricht genug, ihn R. mitzuteilen, welcher sofort seine Richtigkeit einsieht; einzig sind einige junge Leute da, die vermutlich den - sorgsam von den Hauptherrn eludierten - Gedanken des W.-Vereines aufnehmen werden. - (Viel an die Kinder gedacht, Freude schöner Götterfunken!)
Dienstag 10ten
R. hatte eine sehr üble Nacht, die Austern, das ungeschickte langsame Service, vor allem aber meine Beobachtungen erwecken ihm Cauchemars; alle Treulosigkeiten, die ihm widerfahren, kommen ihm durch den Sinn. Gegen 11 Uhr fort; freundliche Begleitung von den jungen Leuten. Um 7 Uhr in Magdeburg; wir gehen nach dem Abendessen etwas spazieren. R. zeigt mir das Haus und den Hotel-Giebel, von wo aus er einst seinen gescheiten Pudel, Rüpel, der mehrere Tage ausgeblieben, von der Straße hergerufen, dieser sich umgeguckt, ihn plötzlich wahrgenommen und wieder zu ihm hinauf spaziert, um bei ihm zu bleiben. Wir sind in der »Stadt London«, wo das Konzert mit der Schröder-Devrient stattfand. Der Wirt hat das Incognito gewahrt, das R. telegraphisch ihm befohlen; der Theaterdirektor Asche (c'est tout dire!) hatte nämlich allerlei Unsinniges und Unverschämtes telegraphiert, und so beschloß R., das Theater gar nicht zu besuchen und nur bis morgen früh hier zu weilen. - Auf dem breiten Weg rühren uns drei arme Weiber, die in Bewunderung vor einem eleganten Kleiderladen stehen! - Das Theater ist von außen noch wie es R. gekannt; er erzählt, wie er da mit himmelblauem Frack und riesigen Manschetten sich wie im Himmel beim Dirigieren vorkam; er zeigt mir die Straße, wo Minna gewohnt, bei der >er den ganzen Tag war<; auch die »Stadt Braunschweig«, wo er seine Gläubiger besänftigen (abfinden)* (*( ) Eingefügt) mußte!
Mittwoch 11ten
R. hatte endlich wieder eine gute Nacht, dem ruhigen Abend zu verdanken. Wir wandern am Vormittag durch die Stadt, besuchen den schönen Dom mit Gedenken der Scheußlichkeiten, die hier das arme Volk zusammentrieben - das Grab Otto des Großen[7] lenkt das Gespräch auf die großen Kaiser; das Verdienst des jetzigen faßt R. dahin zusammen, daß er es einem großen Mann ermöglicht hat, bei ihm zu bleiben und ein großes Werk, das nur durch die Kraft der Legitimität durchzuführen war, zu Stande zu bringen. - Um drei Uhr Ankunft in Dessau; Empfang durch Kmeister Thiele, R.'s Vorgänger in Magdeburg. Um 6 Uhr in's Theater; sehr hübsches vornehmes Haus; der Intendant Herr von Normann empfängt uns in liebenswürdiger Weise; die Vorstellung beginnt mit dem Vorspiel zu den Msingern, zum Schluß hebt sich der Vorhang und ein lebendes Bild zeigt: »die Krönung von Hans Sachs«, es rührt uns ungemein. Der sinnige Intendant, da ein Teil seines Personals erkrankt ist, hatte zu diesem Auskunftsmittel gegriffen, und die schönste Wirkung war ihm vollständig gelungen. Die Aufführung des »Orpheus« zeigte uns aber den ganzen Wert des bedeutenden Mannes; herrlich war der erste Akt mit dem Chor, der zweite nicht minder, und fielen einige Fehler im Elysium vor, so waren sie keineswegs störend. Auf unserer ganzen Reise der erste künstlerische Eindruck! Ganz ergriffen von dieser unerwarteten Entdeckung kehren wir heim, erstaunt, daß nicht mehr von der sinnvollen Leitung dieses Theaters die Rede ist.
Donnerstag 12ten
R. hatte eine sehr schlechte Nacht und fühlt sich so unwohl, daß er den Herzog[8] um Verspätung der Audienz bitten läßt. Um 12 Uhr begibt er sich hin, er war eigentlich zur Tafel geladen, dankte aber, indem er sagte, er habe es nicht auf Ehrenbezeigungen abgesehen, er wolle dem Herzog sein Vorhaben vorlegen. Er kommt sehr entzückt sowohl vom Herzog als von der Frau Herzogin zurück, beide ernst, teilnehmend, wohlwollend. - Um 2 Uhr fahren wir fort, nachdem mich auch Herr von Normann im Schloß umhergeführt hat. Abends in Leipzig, die ganze Familie, Clemens mit seiner jungen Frau, Rektor Hermann, Ottilie und Anna; viel Gemütliches. R. aber ist müde.
Freitag 13ten
Mittag bei Brockhausens; gute Nachrichten von den Kindern. Abends Festessen im Hotel de Prusse. Richard spricht von den drei Generationen, die er hier in Leipzig erlebt, die eine gemütlich erregt, Oberon-Zeit, die zweite, seine erste Rückkehr aus dem Exil begleitend, ihm vollkommen fremd, die dritte nun ihm freundlich und ihm wieder seine Vaterstadt heimisch machend. Es antworten mehrere Leute, mehr oder minder gut. Gegen Mitternacht kehren wir heim.
Sonnabend 14ten
Clemens besucht im Johannisturm! Darauf einige Besorgungen gemacht; zu Mittag wiederum bei Brockhausens gespeist, und zwar mit Heinrich Brockhaus,[9] dem Bruder, welcher durchaus eine
»Versöhnung« mit R. gewünscht hatte — der taube blinde Mann macht mir einen grauenhaften Eindruck, ich muß an den schlechten Diener in Raimund's Stück [denken]. Hier auch hat einer unrechtes Gut sich angeeignet nur Mitleiden kann hier übrig bleiben. - Abends bei unsrem Verleger Fritzsch; Scaria und Gura - die R. nicht hatte, weder im Gewandhaus noch im »Margarethen«-Theater, sehen wollen; R. ist mit beiden zufrieden, am meisten mit Scaria, welcher [den] Riesen Fafner, Hunding und Hagen machen soll. - Wir verlassen das Fritzsch'sche Haus gegen zehn, indem R. mir sagt, er könnte wütend werden und drein schlagen, wenn er jetzt die üblichen aufgestellten Flaschen, die Brötchen und die aufgeschlagenen Servietten des Soupers sieht.
Sonntag 15ten
Um 6 1/2 morgens fort, man kann es gar nicht erwarten anzukommen; Angst vor Üblem zu Hause; endlich um 12 Uhr da, die Kinder zwar auf, doch, zumal Boni und Eva, spitz aussehend, Fidi war leidend und ist durch unsre Ankunft außerordentlich angegriffen, ergreifender Anblick, R. sagt: Er sieht ganz aus wie das Sixtinische Kind. - Freude, zu Hause zu sein. Abends aber schon Sorgen, Eva's Aussehen macht uns Kummer, auch Boni's, dazu Unannehmlichkeiten in der Kopie.
Montag 16ten
Mit den Kindern am Morgen verkehrt; schlimmes Wetter, R. geht wieder zu »Angermann« sein Bier trinken, mit Rus' Begleitung, der fast toll vor Freude war. Nachmittags aber tritt großer Ärger ein, Herr Am Rhyn findet es hübsch, nachdem R. in sein Haus 20 000 francs hinein gewendet hat, eine Rechnung von 3000 Franken aufzusetzen! R. antwortet kurz und bündig, dazu Rechnungen aus Luzern der unverschämtesten Art. Ich bin ganz trübsinnig, bedenke ich diesen beständigen finanziellen Zustand; jeder Einkauf wird mir dadurch zur Qual. Wir schreiben beide nach Luzern; um die unangenehmen Gedanken zu vertreiben, lesen wir Hermann's Rektorats-Rede, eine schöne Übersicht der Leistungen der Inder auf allen Gebieten, ich muß dabei bewundern oder mich verwundern, wie bei so tiefer Kenntnis es möglich war, den tiefen Gehalt dieser Schriften so zu umgehen.
Dienstag 17ten
Bei schlimmem Wetter Weihnachtsbesorgungen; unser Haus unter Dach gesehen. Wir besprechen Fidi's Zukunft und hoffen, daß er dieses Erbteil hoch und heilig halten wird und mit wenigem sich begnügend ein Freier sein wird. - Eva's Zustand bekümmert uns, ich lege sie zu Bett und rufe den Arzt, der jedoch unbesorgt ist. Abends liest mir R. »Peter Schlemihl«,[10] und es entspinnt sich darüber zwischen uns ein eigener Streit, mir ist diese Art der Phantastik, sowohl die Idee als die Art der Ausführung, mit Ausnahme des Schlusses, widerwärtig; R. verteidigt die Idee des Verlustes der Schatterung, Aussonderung von der Welt, tadelt aber die breite Durchführung; er meint, mein französischer Geist verhindere mich daran, das zu würdigen, ich frage, warum dann das Phantastische in Kleist, in »1001 Nacht« und den einzelnen Märchen von Hoffmann mir sympathisch sei und dies nicht, das gerade die Franzosen sehr hoch stellen und nachgeahmt hätten; wir erhitzen uns beide - bis wir schließlich über unseren literarischen Eifer sehr lachen müssen.
Mittwoch 18ten
Blandinen's Geburtstag!... R. ist nicht wohl, konsultiert den Arzt; Ruhe befohlen. Ich gehe viel mit den vier Kindern aus; Eva zu Bett, fiebernd. Alle eigentlich angegriffen, das Gespenst des neuen Hauses geht mir nicht aus dem Sinn. Herr Groß[11] kommt, teilt mit, daß der Großherzog von Baden zwei Patronatsscheine genommen!! - Wir lesen in Schlegel's Vorlesungen über das römische Lustspiel, »ja ja«, sagt R., »wir sind alle Römlinge, Shakespeare war ein Atellane!«
Donnerstag 19ten
Evchen immer unwohl, ohne daß ihre Krankheit eigentlich zu bestimmen sei; der Arzt ohne Befürchtung. Nachmittags mit Loldi zu Feustels. R. geht auch dann hin und bringt allerlei Nachrichten über Bayern mit, und zwar nicht gute; der König absolut unsichtbar, beständig Aufträge für Louis XIV.-Verzierungen seiner Alpenhütten gebend, einzig durch den Reitknecht mit den Ministern verkehrend, nur eines hassend, Preußen und das Deutsche Reich; er läßt die religiöse Frage nicht vor das Reich bringen, und in Bayern selbst ist sie nicht zu lösen. Das einzige, was ihn hält, ist, daß sein Nachfolger Prinz Luitpold's Sohn ist, und diese österreichische Linie wollen die Leute nicht - aber der ganze Staat soll in Auflösung begriffen sein. - R. schreibt an Niemann, verlangt sein Zeugnis, daß er nicht Tristan abgeschlagen hat, wie es, scheint's, die Zeitungen erzählen! Gestern abend spät kommt noch eine Depesche von Claire, die R. sehr ärgerte, am Morgen erzählte er mir, es habe sich um eine Bestellung für mich gehandelt, die nicht fertig geworden sei. Ihr Brief - in Bremen liegen geblieben - kommt endlich an, und wir müssen die Form bewundern, in welcher sie das Verhältnis von Frankreich zu Deutschland und überhaupt alles berührt.
Freitag 20ten
Evchen immer zu Bett und Fidi uns beängstigend durch seine enorme Stirn, der Arzt empfiehlt, ja ihn viel schlafen zu lassen. Brief von Marie Schleinitz, sie hat nichts über Herrn von Hülsen vermocht, er meint, R. würde alles in Berlin schlecht finden, das würde seine (Hülsen's) Autorität untergraben, so könne es nicht zugehen. Wir werden nun Berlin wohl nicht berühren. Brief von Herrn von Gersdorff, den Tod seines Bruders meldend. Besuch Feustel's; die Wiener haben noch nicht ausgezahlt!! In [der] Kasse sind jetzt nur 50 000 Gulden, mit welchen Feustel behauptet, nicht mit den Arbeitern akkordieren zu können, da man nicht weiß, was noch einläuft. Wir kommen überein, daß man mit größter Aufrichtigkeit nach allen Seiten hin verfährt und, wenn im April nicht so viel beisammen ist wie nötig, die Unternehmung um ein Jahr verzögern [muß]. - Beim Abendessen erzählt uns F. seine merkwürdige Lebensgeschichte, die uns sehr rührt, er auch ist ein Kind der Liebe.
Sonnabend 21ten
R. und ich, wir haben denselben Traum von reißenden Tieren, die mich bedrohen; so oft treffen sich unsere Gedanken, sowohl im Traum wie im Leben; unterwegs fiel uns bei der Heimkehr im selben Augenblick die Odyssee ein. - Wir beschließen, Berlin bei Seite zu lassen und die leider nötige Konzert-Aktion auf Köln, Hamburg, Prag zu werfen, wenn R. dies nur erträgt. - Er schreibt heute an den König - ein immer schwerer werdendes Tun -, dann an die Bremer und an Herrn v. Normann, ihm eindringlich die Unternehmung an das Herz zu legen. - Der Verwaltungsrat hier beschließt doch die Akkorde im Vertrauen auf die Wunder, die R. verrichten wird... Gott stehe uns bei. - R. ist nicht wohl. Wir lesen abends in Schlegel's Vorlesungen, mit großem Interesse. Den Tag über bin ich sehr fröhlich, da meine Sorge um Eva mir definitiv
genommen ist.
Sonntag 22ten
R. frühstückt an meinem Bett und sagt mir, wie er nachts darüber noch nachgedacht hätte, wie wir schon dadurch wie mit einer Kluft von den Griechen getrennt, daß die Frauen bei uns an allem Teil nehmen; daß dadurch in der Literatur der Ton der Galanterien entstanden sei und eigentlich die Wahrhaftigkeit in ihrer Naivität aufhöre. Es sei schlimm, daß das, was man der ausgezeichneten Frau als Huldigung darbringen möchte, indem man sie in den Kreis der männlichen intellektualen Beschäftigungen zieht, nun zur Regel für jede Gans geworden sei! Und nun auch jede Gans ein Urteil abgäbe. - R. hatte einen seltsamen wehmütigen Traum, seine Vergangenheit mit mir war ein verschwundenes Glück, auf welches Resignation eingetreten sei; er frug sich, wie erträgt Cosima das Leben? und wachte darüber auf. - R. hat ein Frühstück bei Herrn Karl Kolb und kommt recht befriedigt von der sehr gefürchteten Unterhaltung heim; er sagte, daß die Reden, scherzhaft im Ton bei ernsthaftem Inhalt, viel Wehmut gehabt hätten, und daß keinerlei Rohheit bei dieser Männergeselligkeit vorgefallen wäre, wohl aber viel Witziges. Er erzählt unter anderem, daß Georg Kolb[12] einen Toast ausgebracht hätte: dem eigentlichen Genius der Musik, dem Wohltäter Bayreuths, dem Mann, von dem eigentlich die Zukunft Bayreuths abhinge. - Dieser Beginn hat alle erschrocken; daß der Witzling Bayreuths gerade R. und in fast persiflierender Weise leben ließ, fühlte ein jeder als Taktlosigkeit, nun schloß aber der Redner mit den Worten: Es lebe der Direktor des Dilettanten-Vereins, Herr Mattenheimer, worauf die Gesellschaft förmlich erlöst in ein schallendes Gelächter ausbrach, das aber wiederum in eine sehr peinliche Stimmung sich verwandelte, da der Betoastete beschämt und in äußerster Verlegenheit verblieb, bis R. sich erhob und mit Ernst und Würde die Verdienste der Dilettanten um die Kunst hervorhob, worauf H. Mattenheimer sehr gerührt und ergriffen nun R. leben ließ. - Die Kinder, Daniella und Blandine, sind zur Armenbescherung gegangen - ich schreibe mittlerweile M. Schl (R. hat an Herrn Niemann geschrieben, um wenigstens die Berichtigung der bei Gelegenheit des Tristan-Projektes in die Zeitungen gelangten Lügenhaftigkeiten [zu verlangen] - keine Antwort) und schlage ihr eine Vorlesung der Götterdämmerung in ihrem Saale durch R. vor. Von Graz aus schreiben sie von der Bildung eines W.-Vereines - Gott weiß -, nach neuen Nachrichten aus New York soll der dortige ganz illusorisch sein. Sehr ernste Stimmung.
Montag 23ten
R. arbeitet für die Fritzsch'sche Zeitung an dem Bericht über unsere Reise;[13] ich bin so ziemlich vom Morgen bis zum Abend beim Christbaum tätig, vergolden, behängen, treiben. - Gestern abend noch hatte R. Rus' wegen Kummer, was mich sehr betrübt; er will ihn nicht im Hofe einsam haben, und ich hatte eigentlich den Befehl gegeben, ihn im Hof zu lassen, da er sehr groß und nicht sehr sauber ist - das kränkt R., und ich nehme mir wiederum stillschweigend vor, nur in nichts ihm zuwidersein und besser zu erraten, was sein Wunsch - da er so viel der Not, der schweren Not hat. - Wie ich beim Baum bin, kommt der vortreffliche Dekan und bringt einen Teil des Abends mit uns zu, er erzählt mir, wie schön R. am vorigen Tage gesprochen habe, wie er alles ohne Erregtheit, aber mit größter ruhiger Wärme hervorgebracht hätte, was die Stimmung heben konnte; er sagt: »Ich wollte sprechen, dem armen Mattenheimer zu Hilfe kommen, es fiel mir aber nichts ein, er hat alles gerettet.« R. sagt mir, er könne keine scherzhaften Reden halten, Witze machen, scherzen, im Gespräch gut; aber mit Absicht eine längere scherzhafte Rede halten könne er nicht, er müßte ernst dann sein. - Nachdem der Dekan sich entfernt hat, baue ich noch auf und bin bis auf Kleinigkeiten bis elf Uhr fertig.
Dienstag 24ten
Mit den Kindern auf dem Jahrmarkt, während R. seinen Aufsatz beendigt; wie ich kleinmütig ihn frage, ob er alles bei Namen nennen wollte, jetzt, wo er vom deutschen Reich manches erwartet, wird er aufgebracht, das sei das einzige, woran ihm noch liege, über alles Schlechte unumwunden seine Empörung kundzugeben, und nur wer mit ihm sich empöre, mit dem wolle er zu tun haben; ich muß erkennen, daß er recht hat. »Ich bin in der Kohlhaasischen Stimmung«, sagte er: »Gestern abend habe ich, während du aufbautest, diese Novelle wieder gelesen - ach! wie ergreifend ist sie.« - Neulich sagte er mir: »Wenn ich eine Anfrage an die Zukunft hätte, würde ich fragen: Ob aus den Deutschen noch etwas werden wird! Ob sie ihre Form finden! Diese Frage interessiert mich grenzenlos. Denn alles ist so verkommen, verdorben, je hochmütiger es sich gebärdet, um so schlimmer.« R. geht zum Theaterplatz, kommt sehr ergriffen davon heim, erhaben nehme sich die Anlage aus, nun sei er verpflichtet, nun sei er nicht mehr frei, gebunden sei er, seine Phantasie und der Glaube einzelner habe dies hervorgebracht, er könne nun nicht mehr zurück. Er ist sehr ernst. Um 5 1/2 Uhr zünden wir den Baum an. - Die Kopie ist auch dabei, ein wenig beschwerlich, weil die guten Menschen so wenig sprechen, doch macht ihnen R. einen förmlichen Kursus mit Beispielen über Vortrag; beginnt mit der Vittoria von Beethoven;[14] das eigentümlich Populäre des Themas davon hervorhebend - »in welche seichte Conversation hat dann Mendelssohn die Musik zurückgeführt, nachdem Beethoven sie so herrlich volkstümlich gemacht«. Darauf »Egmont«, dann »Zauberflöte«, »Euryanthe«; die »Egmont«-Musik rührt mich unsäglich. Die Leute gehen, die Kinder danken für die Freude, die sie gehabt, R. und ich, wir bleiben allein. Er spielt, ich weine! - Meine Geburt. O könnte ich sie löschen und damit alle Leiden beenden, die sie gebracht. »Aus Vaters Not und Mutters Weh« »die alte Weise« - was klingt in mir nicht zur Träne! Richard weint auch, er denkt an seine »Pflicht«, an die Kohlhaasische Stimmung, »ich bin so müde«! Mitternacht kommt, mein Geburtstag ist da; tränenreiche Umarmung, wie gerne stürben wir?... Die Wehmut wendet sich zur Heiterkeit, als R. aufsteht und mir geheimnisvoll einen Fächer, den ich in Straßburg beachtet hatte, schenkt, und eine Kassette zur Aufbewahrung von Manuskripten. Er klagt, seine übrige Bescherung sei nicht bereit. Wir lachen sehr, und die Tränen beginnen für mich nur wieder vom Bette an.
Mittwoch 25ten
Kinder-Gratulation, mit Kränzen und Gesang. Ich sende sie ab, dem »Patron« Herrn Koch für hübsche Spielsachen zu danken, unter welchen ein Puppenknabe Fidi sehr glücklich macht. - Nicht-schöne Briefe kommen an für R. - Bitten um den Walküren-Ritt, und ich weiß nicht was alles    dazu ist R. unwohl. Neulich träumte er von einem Zahn, den er sich ausriß, mir zeigte, und der zum flammenden Schwert wurde — ich denke, all das Üble kommt nun, zuerst angezeigt! — Hans schreibt einen schönen Brief an Blandine und schickt seine Konzertprogramme und schöne Bilderbücher. Kindertisch, wo Fidi uns sehr erheitert. Nachmittag Gratulationsbriefe von Pr. Nietzsche, Rohde, Carl Gersdorff, Marie Schl, Brockhausens. - R. erzählt mir am Abend, indem
er bedauert, keine Geschenke für mich zu haben, daß er daran gedacht habe, das Idyll zu verlegen und mir 100 Imperialen davon zu erobern - wie traurig hätte mich das gemacht - mein »süß Geheimnis« also preisgegeben! — Ich zeige der Kindergesellschaft unsere Laterna Magica;
abends fühlt sich R. nicht wohl; nachdem ich ihm aus der Einleitung von Freytag[15] (ich glaube zu den »Bildern aus der Vorzeit«) etwas gelesen, legt er sich zu Bett, und ich schreibe an den Vater. Wie ich gestern den Baum schmückte, konnte ich wieder die Bemerkung machen, daß das Wollen das Sehen behindert; die leeren Stellen des Baumes sah ich genau, wenn ich keine Glaskugel oder Kette in der Hand hatte, nahm ich diese in die Hand, so fand ich die Stellen nicht mehr!
Donnerstag 26ten
Die Kinder an mein Bett kommen lassen, sie sehen alle wohl aus, und Fidi erheitert R.'s trübste Stunden durch seinen Witz - und seine Güte: »Er wird viel mehr als ich«, sagt R., »nur eins kann ich ihm wahrsagen, er bekommt keine solche Frau wie ich.« Fidi hat mit seinem Jungen die Nacht zugebracht, und wie am Morgen das Bett naß war, erklärt er: »Nicht ich, der Junge hat naß gemacht.« Allerlei an[ge]kommen; von der Mutter die »Geschichte Frankreichs, meinen Enkeln erzählt«, von Guizot.[16] »Der Ursprung des Christentums« von Havet; neue Einblicke in das fr. Wesen, R. sagt, er habe einen förmlichen Ekel davor. - Marie Much. schickt einen Rheingold-Briefbeschwerer, und verschiedene Sachen kommen von verschiedenen Seiten an. Leider ist R. nicht wohl, erkältet und matt; er geht ein wenig aus. Das Wetter ist schön, ich schreibe an die Mutter und habe Hausnöte mit dem »Wachtmeister«. - Abends liegt ein Haufen Bücher vor, und wir blättern in allerlei - J. Grimm's Einleitung zu seiner Grammatik, Mone's Vorrede zu den deutschen Schauspielen und zwei Scenen aus dem »Alexander« vom Pfaffen
Lamprecht, die Rast im Walde und das Gespräch mit dem König Occidsatis - beides herrlich, letzteres höchst merkwürdig, bei der Antwort Alexanders: »Dieses Wesen ist also uns erlesen, von dem der hat die höchste Macht. Was uns von dort wird zugedacht, das müssen wir alles üben«, muß ich R.'s gedenken, der nun auch bis zu seinem Ende ruhelos wird sein müssen. - »Diese Nibelungenaufführungen«, sagt R. zu mir, »werden mein Siebenjähriger Krieg sein, ich werde dann sehr alt sein.« — Von dem fr. Buch sagt R., wie kann man über Religion sprechen, sie muß sein, man muß sie empfinden, mit Beweisen und Untersuchungen ist ihr nicht nahe zu kommen.
Freitag 27ten
R. hatte eine üble Nacht, auch ist es kalt in unserer Wohnung. Er erzählt mir seinen Traum, der unbestimmt auf seiner und auf der Münchner Bühne spielt, er sah lauter Reiter hin und her trappen, er frug, was das wäre, das sei die Eskorte von Hunding, die auch ihre Pferde in den Stall brachte. Darauf sei Niemann gekommen und habe ihm unsicher die Hand gedrückt, R. habe sich in einer Tür-Klinke eingeklemmt, und in dieser lächerlichen Lage sei die Einladung des Königs angelangt, in seine Loge zu kommen; ich kann ja nicht, habe R. gesagt, ich liege zu Bett; darauf Vorstellung über die Kränkung, R. bemüht sich den Brief zu lesen, kann es in der Türklinke nicht (das war seine Lage ganz auf der Seite im Bett) und erwacht! - Brief des Freundes Bücher aus Berlin mit einer Schale, er meldet zugleich, daß Herr Lang nicht mehr im Ministerium arbeitet, was mir leid tut. Meine drei Bilder sind aus Berlin angekommen, ich hänge dieselben im Salon auf; leider ist R. mit dem seinigen nicht zufrieden, er findet, es ist zu schroff. Besuch Feustel's am Abend - (R. immer nicht wohl), es wird der Rücktritt Bismarck's aus dem pr. Ministerium besprochen, es heißt, er habe den Kaiser nicht zu den Maßregeln gebracht, die er für nötig hielt, und widme sich nun ausschließlich den Reichsangelegenheiten. R. legt sich früh zu Bett, und ich lese die Deposition Thiers', seine Berichte über die Lage vor und während des Krieges, er ist der erste, der die Wahrheit in Frankreich über diese Dinge gesagt hat, auch sagt er von Bismarck: er heuchle nicht — was man auch sage; doch ist die Sache so voll gespickt von französischem Zeug, daß ich öfters laut darüber auflachen muß!
Sonnabend 28ten
Viel bessere Nacht für R., er bleibt aber traurig, schwer gestimmt - ich schreibe an Marie M. Nachmittags Spaziergang mit Lusch und R.; das Wetter ist schön. Abends lesen wir von J. Grimm »Einleitung zur Mythologie«, Widmung der Grammatik an Savigny[17] »Über Germanen und Deutsche«, alles mit größtem Entzücken.
Sonntag 29ten
In die Kirche gegangen - die Predigt ist immer das schwer zu Ertragende! Zu Hause schreibe ich an Freund Weitzmann, um ihm von dem neu von R. projektierten Konzert für Berlin zu sprechen. Mit R. spazieren gegangen, schöner Tag und schöner Blick auf Bayreuth, R. aber ist leidend und schwergemut. Mittagessen mit den Kindern. Fidi unterhält uns durch sein Spielen mit dem Hampelmann. Nachmittags geht R. wieder zum Bürgermeister und teilt mir mit, daß der vortreffliche Mann ihm versichert hätte, er habe einen unbedingten Glauben in diese Sache (die unsrige), die [ihn]* *([ ] Irrtümlich »er«) sofort gewonnen hätte, wie R. zum ersten Male seine Gedanken über sie ausgesprochen hätte; und wenn es noch Jahre dauerte, er wisse doch, es käme zu Stande. - Wir fahren in der Mythologie von Grimm fort mit höchstem Interesse. - Wir kommen auf Fidi zu sprechen zurück, und R. sagt, ja: »Er oder ich« - wie ich ihn frage, was das bedeutet, sagt er: »Entweder ich sterbe bald oder er stirbt bald« - erschrocken über den düsteren Ton, in welchem er dieses ausspricht, frage ich ihn, was er denn meint, er sagt: »Der Junge ist zu schön und zu begabt - ich kann nicht glauben, daß mir das Glück gewährt sein sollte, dieser Entwicklung beizuwohnen.« Namenlos traurig geh ich zur Ruhe.
Montag 30ten
R. arbeitet an seinem Reisebericht, Herr Feustel bringt einen Brief des Bon Loen, welcher meldet, daß die Fürsten ihm verschiebend geantwortet hätten (in Bezug auf die Bayreuther Unternehmung). Viel Schwäche und Erbärmlichkeit überall, am schlimmsten unbegreiflich ist der Großherzog von Weimar, Bon Loen ist gewiß gutgesinnt, doch wagt er nicht sie** (**Gemeint: die Gesinnung) zu zeigen, und die Disposition von oben unterstützt alle seine schlechten Eigenschaften, wie Trägheit, Schwäche etc. - Nach Tisch, wie wir den Kaffee in R.'s Arbeitsstube nehmen, fällt sein Blick auf den Globus: »Da sieht man, was für ein Ding unser Planet ist, ein klein wenig Erde und dieses Ungeheuer von Meer, gegen dessen sich verschlingende Einwohner unsre Heere wie ein Spaß sind, und auf diesem Stückchen Erde wie viele Teile, die so ungeheuerlich wie das Meer selbst - wie zart ist da, was wir Idealität nennen!« - Wie R. vom Nachmittag-Gang heimkehrt, sieht er mich mit all den Kindern und begrüßt mich: »Mater Gloriosa«, »Mater Amorosa«. - Am Morgen bei Angermann hatte ihm die Anrede eines Landsmannes: »Sind Sie von hier, guter Freund«, viel Freude gemacht. - Freude und Sorge um Fidi, wie ich Eva, die ungeschickt jemand suchte, zurufe: »Nun, sie wird nicht in den Himmel gefahren sein«, ruft er: »Oder ich glaube in die Hölle!« — R. sagt mir, es zu vermeiden, ihn viel zu sprechen; wenn er mich sieht, will er etwas hervorbringen, das mich freut, und das strengt ihn an. - Boni macht mir Kummer durch beständige Unzufriedenheit und sonst Leblosigkeit. - Lusch freute mich durch ihre Bemerkungen über Parzival und Dietrich von Bern. - Abends Grimm's Einleitung zur Grammatik und eingehend aus der Grammatik gelesen.
Dienstag 31ten
R. nicht wohl, macht seine Einpackung - ein trüber Geist weht über uns-, gestern kroch eine große Spinne aus seinem Bette; am Morgen! Nun, sie kann uns nichts bringen, alle Sorge ist schon da; seltsam hängt aber die Spinne mit R.'s Schicksal zusammen, sie erschien ihm mehrmals, wie es schlimm mit ihm und dem König ging! - Gegen elf Uhr steht R. auf, ich schreibe an Malwida M. und gehe zu den Kindern, Fidi kauft mit Babett Lichter für den Baum ein. Freund Feustel schickt mir Bericht über meine Fonds, wovon ich nichts verstehe. Depesche von Wien, daß Dr. Kafka an den Blattern krank läge, weshalb man nichts übermitteln könne!!! Dazu Absurditäten des Löser'schen Vereins für Berlin und Bayreuth. - Marie M. schreibt mißmutig und traurig, Marie Schl freundlich wie immer. An Herrn Dannreuther schreibe ich, daß wir nach London kommen wollen, falls eine große Einnahme bevorstünde. Meldungen aus Graz. - R. sehr unwohl, geht früh zu Bett; ich sehe noch die Hausbücher durch, beklage die großen Ausgaben! Kinderkleidungen bereitet und ausgesucht. R. steht wieder auf - Klagen! Der Kummer mache ihn krank. Ach ich glaube es; was liegt vor ihm, und wie wird er dazu ermutigt?... (Gestern schrieb er an Frau Lucca, um zu versuchen, von der Mailänder Sache abzukommen). - Es ist nun bald zwölf, indem ich dieses schreibe; schwer endet dieses Jahr, schwer liegt es vor uns; R. ist lebensmüde, und ich kann ihm nur folgen, mit ihm leiden, nicht helfen! Nur Glauben habe ich; Hoffnung aber kaum - die Welt ist nicht unser, sie gehört anderen Mächten. Gern aber will ich leiden bis an mein Lebens-Ende, und ich bin lieber traurig als froh - könnte ich es nur für mich allein sein. Wir haben aber nichts zu wählen und sollten nichts wünschen, nur hinnehmen, was kommt. So sei denn um diese Mitternacht vom kommenden Jahre ergeben hingenommen, alles, auch das Schwerste, als eine Gerechtigkeit. Gnade mir Gott, Gutes zu tun!