April

Montag 1ten
Kleine Halsentzündung zwingt mich, zu Bett zu bleiben. R. ist auch deprimiert. Pr. Nietzsche entfernt sich; gestern hatten wir noch ohne Erfolg versucht, einen Tisch zu rücken; wir hatten zu Mittag darüber gesprochen. R. hat die Sache aus der Tätigkeit des Willens, ich aus Betrug
erklärt. R. kommt häufig an mein Bett und erzählt unter andrem, wie in der Jugend doch immer seit der frühesten Kindheit (wohl auch durch das Wort der Mutter angeregt: Der Vater habe aus ihm etwas machen wollen)* (*() Nachträglich eingefügt, dadurch fehlt »in ihm«) der Gedanke gelebt hätte, nur etwas Großes zu sein; er entsinne sich, einmal an einen Freund geschrieben zu haben, ihn zu sich eingeladen, um gemeinschaftlich die Taten des großen Napoleon's zu lesen; und wie er den Rienzi und den Fliegenden Holländer geschrieben hatte, frug er sich mit Zweifel, wirst du wirklich zu den auserwählten Großen gehören. Dieses Gefühl sei immer mehr geschwunden, er könne sich aber denken, daß bei gewissen Menschen es anhaltend bleibe und sie zu allem, selbst ohne Beruf, triebe: nur keine Null sein. - Gegen Abend stehe ich auf, bin aber sehr schwach. R. ist auch sehr angegriffen. Herr Schäfer schickt ein Programm vom Konzert Hans' in München, mit Vignette, eine Siegesgöttin, auf den Bau zeigend.
Dienstag 2ter
Namenstag des Vaters. Ich stehe wieder auf, um Trauriges von den Kindern zu erfahren, Lulu hat wiederum der Lüge sich ergeben, es schmerzt dies mich so tief, daß ich wie gelähmt bin. R. arbeitet. Zu Tisch eifert er gegen die Renaissance, von der er behauptet, daß sie der germanischen Entwicklung ungeheuer geschadet hätte, diese Zeit habe die Antike ebenso wenig wie das Christentum ernst genommen und verstanden, ungeheuer geniale Menschen seien im Dienste einer alles korrumpierenden Macht gestanden, und wie stets habe der naive Deutsche sich von der fremden Kultur so imponieren lassen, daß sein eignes Gefühl beinahe zu Grund gegangen sei. Doch merkwürdig genug, wie alles darauf ausgegangen sei, das Deutsche zu vernichten, ganz damit fertig sind sie nicht worden. - Erstes Gewitter; Frühjahr ist da; R. ist aber sehr angegriffen und alle Kinder nicht recht wohl. Er schreibt an den Stuttgarter Intendanten. Abends lesen wir den 9ten Platonischen Brief[1] und scherzen über die Analogie des Verhältnisses Platon's zu Dionysos und Richard's zum König von Bayern. Auch Menzel beschäftigt ihn immer, er sagt, man möchte der Religion ganz gram werden, wenn man den Unfug sieht, den sie angerichtet hat.
Mittwoch 3ten
Alles leidend, die Kinder heiser und verschnupft; das Klima hier bekommt R. nicht gut, und dann die Gedanken, er hat immer »Gram, Kummer, Sorge«, dabei die Angst, die Zeit mit seiner Arbeit einzuhalten«. - Ich schreibe nach Riga wegen der »Bärenfamilie«.[2] - Italien, vielleicht dereinst unser Refugium, doch R. sehr fremd. Wir erwarten auch nichts von der Zukunft, denn der nächste deutsche Kaiser, von Mutter und Frau gehetzt, beweist sich unfreundlich, nachdem er früher für R.'s Kunst geschwärmt! Es ist alles wehmütig! Von München erfahren wir, daß dort ohne weiteres Rheingold und Walküre aufgeführt werden. Auch sind die Kinder unwohl; ihre Erziehung macht mir Sorge und Kummer; Gebet, um das Richtige hier zu treffen. Abends R. meine Sorge anvertraut. (In der italienischen Rivista das erste öffentliche Wort über Pr. Nietzsche's Buch.)
Donnerstag 4ten
Wiederum Ärger! J.J. Weber schreibt, behauptet, das Recht zu den neuen Ausgaben des Ring des Nibelungen zu haben, wiederum ein Duell des beständigen Ärgers! - Rich. macht sich eben doch an die Arbeit; nicht viel aber bringt er in dieser bösen Stimmung zu Stand. Zu Tisch sagt er: »Ich habe manches gestrichen, z.B.: glücklich in Leid und Lust u.s.w., bei der Lektüre würde ich es beibehalten, was soll aber diese Sentenz im Drama, man weiß es ja, man hat es ja alles erlebt. Es würde beinahe kindisch sein, wenn sie sich noch einmal zu den Leuten wendete, um ihnen ihre Weisheit zu künden.« - Nach Tisch mit R. in der Stadt; wir trennen uns bei der Post, R. telegraphiert an Richter, ich gehe zu Gräfin Bassenheim, welche mir den in der N.A.Z. erschienenen Aufruf der Studenten für Bayreuth [zeigt], welcher sehr schön ist. - Kein Brief von Bayreuth, mich ängstigt es auch, daß die Ankündigung der 9ten Symphonie durch unseren Verwaltungsrat noch nicht erfolgt ist, wären wir wirklich nur von Tücke umlauert. - Husten der Kinder; Fidi ist zu Bett; rührt uns sehr durch seine Freundlichkeit.
Freitag 5ten
Ich träume von einer großen Ovation für R. in Berlin. R. ist ziemlich wohl, seine Arbeit aber macht ihm keine Freude, »und wie sollte es wohl sein«, sagt er, »drei Dinge stehen mir immer bevor, der König, der nur darauf wartet, daß die Sachen fertig seien, um sie zu schänden; Schott, der das Eigentumsrecht verlangt, um sie an die Theater zu verkaufen; Weber, der nach seinem Belieben die Dichtung auflegen will, so daß ich lieber alles vernichten möchte«. Wie ich ihn bitte, doch an Bismarck zu schreiben, ist er nicht dagegen eingenommen, denkt daran, überhaupt die Arbeit zu unterbrechen. Wir gehen zusammen aus; auf der Post finden wir die vortrefflichsten Briefe von Herrn Feustel und dem Oberbürgermeister;[3] welche R. gleich an Hofrat D. schickt. In den »Bayreuther Blättern«, die den König so bedrängt haben, hat nicht ein Wort über unser Haus gestanden! Das alte Lied.    - Abends aus den Märchen des Somadewa gelesen. Viel wiederum über bildende Kunst gesprochen. - In der A.A.Z. erregt eine Lobrede des Romanes der Frau Wille durch Herrn Lübke uns großen Widerwillen; ein Zug des Buches, den wir geahnt hatten, nämlich daß sie einen tiefen Eindruck des Tannhäuser's nicht auszusprechen wagt, sondern ihn auf eine alte Kirchenmusik zurückführt, erhellt uns hier zur Gewißheit und empört R. sehr. »Von der Wesendonck wundert mich nichts«, sagt er, »die ist unzurechnungsfähig, hat nie gewußt, worum es sich handelt, von der Wille aber ist dies Verrat, ein feiger empörender Verrat, um es nicht bei der Kritik zu verderben.«
Sonnabend 6ten
Brief des Dr. Kafka und von Hans Richter; R. ist müde, er sagt, er habe zu viel sich aufgebürdet, auch sind die Erfahrungen zu betrübend! Er arbeitet dennoch. - Ich gehe zur Stadt; treffe dort R., der sehr angegriffen aussieht. Abends in den Märchen weiter gelesen; der lachende Fisch macht uns viel Freude, auch der fluchende Bär. - Als wir neulich von den Joly-Menschen[4] sprachen, sagte R., das sind alles bissige Kerle gewesen, die diese Liebe zur Stille und Bescheidenheit affektierten aus Haß gegen das Große.
Sonntag 7ten
Feustel schickt 900 Patronatsscheine zur Unterschrift; 200 hat R. schon in Bayreuth unterzeichnet gehabt. Reinhart Schäfer meldet von München aus 4 Patronatsscheine. Clemens schickt mir das Gedicht zu R.'s Geburtstag. R. aber schreibt an Banquier Feustel einen Brief, der mich ergreift und erschrickt, so wahrhaftig ist er in Bezug auf unsere Lage und den König. Die Kinder schreiben Briefe; ich an die Mutter. Kindertisch ohne Fidi, weil er es verschläft. R. hat etwas gearbeitet. - Frühlingstag, ein wenig im Garten. Abends über italienische Melodie und Musik gesprochen. >Die Italiener hätten gewußt, worauf es ankam, [wären] nur zu armselig in Erfindung und Technik gewesen. Man kann aber auch in ihrer Musik den Geist ihrer Malerei wiederfinden< Er kommt auf den Eindruck, den er von der Schröder-Devrient gehabt, zurück, »viele meiner Lebenseindrücke verdanke ich einzig ihr«.    
Montag 8ten
Brief von Feustel, Neumann hat den ganzen Winter an den Plänen nicht gearbeitet, muß also entlassen werden; R. telegraphiert an den Maschinisten Brandt, der auch nichts von sich hören läßt; R. glaubt, dieser ist von München aus abspenstig gemacht, was durch den Umstand bestätigt wird, daß der Sohn[5] telegraphiert, »Vater verreist«. Frühlingswetter, »jetzt nur noch einen Regen«, sagt R., »und es wird alles herauspludern, wie Regenschirme«. - Brief des Hofrat D., »es soll beim alten bleiben«, schade nur, daß wir hier nicht mehr wollen! R. ist sehr wehmütig in dem Gedanken an sein aufgegebenes Haus. Besorgungen meinerseits in der Stadt. (Brief an C. v. Gersdorff und an Clemens). Abends in den indischen Märchen gelesen.
Dienstag 9ten
R. steht heiter auf trotz allem und allem; er kommt früh herunter und hat die Bleistiftskizze des dritten Aktes beendigt! Gestern phantasierte er es den Kleinen vor, und die tanzten wie rasend dazu! - Brief des Musikdirektors Stern, mit Angabe der Leute, die aus Berlin nach Bayreuth zum Chorsingen kommen; Leute aller (Eisenbahn-)Klassen! R. muß sehr lachen. - Hofrat D. schreibt auch, es ärgert ihn, daß R. »so viel Wesens« aus der Sache gemacht! - Bei Tisch kommen wir auf die Sage des Grafen von Gleichen[6] zu sprechen, R. sagt: »Sie widersteht unsren modernen Empfindungen, und doch hat von je für mich der ächte deutsche Zug der Herzensbesonnenheit darin gelegen.« Wie ich R. sagte, daß ich das Benehmen der Frau durchaus verstünde, sagt er: »Dafür sind wir eben ein Herz und eine Seele, daß du alle meine Empfindungen teilst.« -    Nachmittags zur Stadt    R. sieht es nicht gern, daß ich in den hiesigen Läden Besorgungen mache. Abends in den indischen Märchen gelesen, die schöne Sage des Brahmanen, der sein Gedicht Blatt für Blatt verbrennt, indem er es den Tieren vorliest.
Mittwoch 10ten
Loldi's Geburtstag; Bescherung, Fidi übler Laune, weil keine Chocolade! R. hat für Loldchen das letzte Blatt der Skizzen aufgeschrieben. Gestern zu Mittag sagte er mir, er würde immer der protestantischen Kirche jährlich hier eine kleine Sendung machen; denn der Akt unserer Trauung sei das Wohltätigste in seinem Leben gewesen, die einzige wirkliche Gunst von außen. - Seine Stimmung ist heute aber traurig, das Bedenken wohin und wie sich niederlassen? Er ordnet seine Aufführung der 9ten Symphonie. Depesche der Agenten, Brüssel sei gerettet und der Fl. Holländer habe 50 Franken eingebracht. Abends merkwürdigste Stimmung R.'s über seine Lage. Schöner Brief des Dr. Rohde, völlig sein ganzes Herz ausschüttend zur Verherrlichung R.'s. Abends in den Märchen gelesen.
Donnerstag 11ten*
(*Am Rand hinzugefügt über die ganze folgende Seite: »R. schrie heftig die Nacht auf, er habe geträumt, der Vater wolle ihn umbringen mit einem Tortur-Instrument, und ich entfernte mich mit kaltem Blick, indem ich vom Vater angewiesen wurde, die Türe zu hüten, in die Nebenstube!«) - Unser frühes Gespräch führt uns auf die Naturmythen; die Deutung des Elpenor als frühzeitiger zurückgedrängter Frühling, und R. sagt: »Das ist das, was der Homerischen Dichtung den Stempel des Ewigen gibt, daß jede Episode ein mythischer Zug ist, nicht wie z. B. beim Ariost[7] eine willkürliche, abenteuerliche Erfindung.« - R. ärgert sich über die schlechte Handschrift der Leute heutzutage, die für sich und nie für den andren schreiben, »dabei reden sie von Bildung« von sich sagt er: Die einzige Rettung bei unangenehmen Briefen, die man    zu schreiben hat, ist, sie sehr langsam und schön zu schreiben, so daß die Technik der Sache uns fesselt und über den Inhalt hinweg hilft. - Herrlichster Tag; R. unterzeichnet am Morgen 311 Patronatsscheine, wozu ihm Lulu hilft. Nach Tisch Kaffee im Garten, dann mit R. ausgegangen. Schiller und Lessing, die er hat neu binden lassen, machen ihm Freude; was ihn zu violett und grün für Schiller gebracht hat, ist eine Kinder-Erinnerung an eine Vorstellung der »Braut von Messina«, worin der Don Manuel - von der Schröder-Devrient's schönem Manne gegeben - in violettem Sammet und grüner Seide erschienen sei, so daß diese zwei Farben für ihn das Sinnbild Schiller's - des zarten Männlichen - geworden sind. Alle seine Eindrücke von Schiller seien Knaben-Eindrücke gewesen. -Ich nehme ein Bad, Fidi kommt gute Nacht sagen und hat Angst; R., dem ich es erzählte, sagt, wie er als Kind den Himmel in einem Becken mit Wasser gesehen, habe es ihn entsetzt und entzückt, es war für ihn wie ein Erdbeben, ein Schwanken aller Gesetze, er wußte nicht, wo er war. - Abends uns unterhalten, die Aufführung der Festklänge des Vaters und ihre freundliche Besprechung in der Zeitung bringt uns auf die Frage, wie es käme, daß der gehässige Ton gegen den Vater aufgehört habe, R. meinte, so etwas überlebe sich, ich glaube, weil der Vater jetzt niemandem mehr im Wege stehe, nicht mehr spiele, nicht mehr dirigiere, keine Anwartschaft auf irgend eine Stelle habe u.s.w. (Briefe von Marie Schl.)* (*Der Seite beigelegt ein Zettel mit Resten getrockneter Blumen und der Aufschrift: »Letzte Veilchen aus Tribschen.«)
Freitag 12ten**
(**Fälschlich »13ten« datiert; ab hier in der Handschrift irrtümliche Datierung bis einschließlich 19. April). - Brief Feustel's; Herr Neumann ganz unmöglich; die sonstigen Dinge nicht eben erfreulich. - In Darmstadt bilden sie einen Wagner-Verein. R. ordnet die Aufführung der 9ten an. In unsren persönlichen Angelegenheiten lassen wir Stillstand eintreten. Mit Trauer bedenkt R., daß er - wohl die Familie, doch keine Heimat habe, seine alte Sehnsucht, soll sie nie befriedigt werden? Brief der Agenten, die viel wirken. Mit R. spazieren, herrlichstes Wetter. Abends die Märchen.
Sonnabend 13ten
R. sagt mir am Morgen, daß alles so durcheinander ist in der Welt. Gutes, Schlechtes, Edles, Niederträchtiges, hebt eigentlich Zeit und Raum auf; wenn man sich das Verschiedenartige als Ketten nebeneinander denkt, so wäre alles in der Ordnung, aber das Durcheinander des Tempos macht die Sache so verrückt wie ein Bauspiel, wovon ein Kind die Steine durcheinander geworfen hätte. Die Kette ist ewig, ihre durcheinander geworfenen Glieder geben einem die Ewigkeit auf ein Mal. R. schreibt Briefe nach allen Seiten, der Aufführung wegen. Am Nachmittag kommt er zu der Tanzstunde und führt die Kleinen zum Conditor.
Sonntag 14ten
R. immer mit der Aufführung beschäftigt; ich telegraphiere an H. v. Gersdorff wegen dem Planetarium. Schönstes Wetter. Wir wandern nachmittags zum freundlichen Bauern in der Nähe; R. spricht von Musik, vom »Freischütz«, dann von der Pastorale, »da sieht man den Deutschen«, sagt R., »was haben die Franzosen mit ihren Schäfereien gesagt, welch süßliches Zeug, Beethoven schreibt auch eine Pastorale und zeigt uns darin die ganze Natur«. Abends in Menzel's Buch, das R. sehr interessiert, gelesen (Brief Claire's[8] - Mama ist wieder krank).
Montag 15ten
R. erzählt mir seinen Traum: Er sei in sonderbarem Aufputz mit Perücke auf dem Kopf und Dr.-Anzug ausgegangen, hinter ihm seien Bekannte gegangen, etwa Heims, die sagten, er sei ein Sonderling, das sei nun einmal seine Art, da habe er sich umgedreht und gerufen: »Nein, ich will meine Frau heiraten, und man verlangt das in Berlin von mir.« - Nachmittags Maler Zeiger, der unsere überflüssigen Rahmen uns abkauft. R. nimmt sich vor, den Sommer hier zu bleiben und die Götterdämmerung zu vollenden. Wir spazieren bei herrlichstem Wetter in die Stadt; auf dem Heimweg aber treffen wir auf Gräfin B., und R. wird verstimmt, weil ich seinen Arm verlasse und neben ihr gehe, er sagt, er gehöre nicht zur Welt und wolle ihr nicht seinen Frieden opfern.
Dienstag 16ten
Gestern kam eine Depesche von Marie Schl., die Berliner geben ein Konzert für Bayreuth und wollen dazu, zu R.'s Ärger, den Feuerzauber und Siegmund's Liebesgesang. Brief des Wirtes in der Fantaisie,[9] R. kann sich dort nicht gut frei machen, und da das Klima ihm hier nicht gut bekommt, er in Bayreuth auch zu einer Konferenz verlangt wird, beschließt er unseren Sommeraufenthalt auf der Fantaisie. Wehmütige Stimmung. Brief von Herrn Feustel; dem Regierungs-Baurat ist vom bayrischen Ministerium des Innern untersagt worden, sich mit dem Bau unsres Theaters zu befassen! Herr Neumann unmöglich, durch Unzuverlässigkeit und Leichtsinn. Zur Stadt mit R. - Grane böses Pferd, hat Joseph geschlagen; der Herr Oberstallmeister hat gewußt, was er tat, indem er das Pferd schickte! - Abends in Menzel gelesen. R. nicht wohl, einzig erheiterte ihn der Traum, den er diese Nacht hatte, aus welchem er durch einen Hochschrei erwachte, er hieß den »Bruder des Königs, dereinstigen Kaiser« aus voller Brust leben, da er fand, daß der Enthusiasmus zu gering war. - Mir fällt die Trennung von ihm mit Centnerschwere auf die Seele, er wird Sonnabend gehen, und ich mit den Kindern folge am ersten Mai.
Mittwoch 17ten
Traurige Stimmung bei trübem Wetter; R. ordnet die Angelegenheiten der Abreise, ich helfe wie ich kann; unser Sinn ist gedrückt, wohin ziehen wir, was steht uns bevor, wo unsere Heimat? R. sagt: »Dadurch, daß ich dich habe, kann das Ärgste mich nicht mehr treffen, jetzt trennen wir uns nicht mehr, wir bereiten nur das Wiedersehen vor.« Am Nachmittag machen wir einen kleinen Spaziergang, alle Bäume sind in Blüte, oder wollen es sein, »die Natur hat Poudre de riz,[10] grünen und weißen, gestreut«. R. hört den Kuckuck. - Kummer über Lulu, von welcher wir glauben, daß sie nochmals unwahr war. Abends in den Märchen. Fidi mit zwei Ruten, besonnen eine Rache gegen Bernhard vorbereitend; macht uns viel Spaß.
Donnerstag 18ten
R. ist nicht wohl. Er sieht seine Bleistiftskizzen durch, die herrlichen! Wann kommt Ruhe zur Vollendung?... Nachmittags geht er zu Herrn Am Rhyn und ist froh, denselben gentlemanlike zu finden, so daß der Fortgang ohne unangenehme Auseinandersetzungen vor sich gehen wird. Abends geplaudert, Wehmütiges, Schönes und Süßes. (Kindertisch ohne Fidi, der zu viel schläft.) R. sang aus Lohengrin, Elsa's Beginn des Duetts im 3ten Akt; »das ist deutsch«, sagt er, »ohne Leidenschaft, doch innig und warm - er kommt von dort her, wo sie hinstrebt, über die Begegnung müssen aber die Herzen brechen«.
Freitag 19ten
Brief des Kapellmeisters Seifriz[11] aus Stuttgart, »er klagt wohl wie ein Hamlet, über Mangel an Beförderung«, sagt R., dieser Scherz veranlaßt uns, das Werk Shakespeare's wieder vorzunehmen, der Eindruck und die Freude daran ist, als ob wir es noch gar nicht gekannt hätten. Nur keine Geschichte - ruft R. aus -, nur mit den einzelnen großen Geistern verkehren und den einzelnen großen Menschen in der Geschichte, welche diese gezwungen haben, einen andren Lauf zu nehmen durch ihre Persönlichkeit, wie Friedrich der Große, die großen deutschen Kaiser, Luther; ich bemerke, daß einzig die deutsche Geschichte solche Charaktere aufgewiesen hat; (außer in England, Cromwell). - Wie gestern R. in seine Arbeitsstube ging, um ein Buch zu holen und sich Feuer zu machen, sprach er über diese größte Eroberung des Menschen, die ihn auf einmal den Göttern gleichstellt, die Nacht bezwingt; und wie richtig und schön die Griechen alles im Prometheus-Mythus - in der Feuerbringung - konzentrierten. - Er geht in die Stadt. Depesche des Bürgermeisters von Bayreuth, daß die Konferenz mit Brandt stattgefunden und namhafte Reductionen hervorgebracht hat. R. stellt seine Abreise auf nächsten Montag fest. - Abends in »Hamlet« gelesen. - Von seiner Stube aus ruft mir R. zu: Du bist mir die einzig Vertraute, die einzige, mit der ich ganz wahrhaft sein kann.
Samstag 20ten
Der Violinspieler Singer[12] sagt für Bayreuth zu. Beim Frühstück sagt R., er bedauere, daß nicht Goethe oder Schiller ein Stück über Friedrich den Großen gemacht hätten, von Katte's Hinrichtung an, das Leben in Rheinsberg bis zum Tode seines Vaters und der großen letzten Unterredung zwischen beiden. »Es hätte ein Pendant zum Hamlet werden können, und es wäre interessant gewesen zu sehen, ob eine uns so nahe Zeit in einem Kunstwerk zu bearbeiten sei. Heinrich Kleist hätte das Zeug dazu gehabt.« - R. ist mit seinen Bleistift-Skizzen zufrieden, nur, sagt er, brauche er viel Ruhe und Zeit - mindestens zwei Monate -, um sie in Tinte auszuführen. Abends »Hamlet«. Nachmittag, Briefe geordnet. »Mein edles Weib«, nannte mich R. heute, o wie könnte ich dieses Ausrufes wert sein, wie könnt' ich ihm dienen, wie ihm zeigen, wie ich ihn liebe. Depesche von Herrn Feustel, R. möchte nach Darmstadt, zu Herrn Brandt!
Sonntag 21ten
Mehrere Briefe geschrieben, R. entwirft seine Grundsteinsrede, die mich zu Tränen rührt; Ankunft eines sehr schönen Manifestes des Akademischen Vereins. Kindertisch. Wir erwarten Pr. Nietzsche, der nicht kommt. Herr Am Rhyn nimmt Abschied und ist sichtlich ergriffen. In der Zeitung von Fritzsch steht ein Auszug aus dem ultramontanen Volksboten, worin das Konzert von Hans für den Wagner-Verein und die ganze Unternehmung mit Schmutz beworfen wird, da sieht man, woher der Wind bläst. Hübscher Brief von El. Kr.* (*Elisabeth Krockow) und Fr. Lenbach. - R. hat viel Ärger, weil die Berliner Tantiemen nicht eintreffen, eine regelmäßige Malice des Herrn von Hülsen, der sich jetzt besonders ärgert, daß der Kaiser das Opernhaus in Berlin für den Wagner-Verein bewilligt hat. - Abends meldet sich plötzlich Herr Josef Rubinstein aus Charkow seltsame Erscheinung und Erfahrung; zugleich mit ihm ein Dr. Cohen, sein Begleiter, der, in der Schiffshütte versteckt ohne Kenntnis des jungen Mannes, uns sagen will, daß er großer Schonung bedürftig sei! R. ist unendlich gütig gegen den jungen Mann und rät ihm zur Ruhe, bietet seinen Umgang in Bayreuth an.
Montag 22ten
Letzter gemeinschaftlicher Morgen auf Tribschen; wehmütige Geschäftigkeit! Die Post bringt den Brief aus Berlin, und R. muß lachen, daß dieses Vierteljahr sie so viel beträgt (1000 Thaler) ; es müssen die Vorstellungen immer gepfropft voll gewesen sein. Abschied! Um ein Uhr R. fort. Ich hatte eine bange Nacht. Gott helfe uns Armen. Heimgekehrt mit Vreneli, herzliche Unterredung gehabt; dann an die Papiere mich gemacht, geräumt, R.'s Briefe an Minna!! - Abends
Depesche aus Basel, R. 9 Stunden dort gewandert. (Pr. N. schrieb heute aus Genf.)
Dienstag 23ten
An R. geschrieben und Niemann's eben erhaltene Zusage zur 9ten Symphonie telegraphiert. Am Tage Papiere geordnet,    abends Depesche aus Darmstadt. An R. wieder geschrieben, weil Stuttgarter Intendant Mitglieder der Kapelle zusagt.
Mittwoch 24ten
Immer Papiere  geordnet, von früh bis  abends. Abends Depesche R.'s aus Bayreuth, er ist glücklich angekommen! Briefe von Standhartners, Levi (der den Fall des Direktor Kaiser[13] meldet und dadurch die Beteiligung der Karlsruher Kapelle an der Aufführung). Ich melde alles R. - herrlicher Sonnenuntergang; Bergleuchten, Baumesblüte, der Kuckuck ruft, die Kühe läuten, eine Amsel schlägt, wehmütiger Abschied! Wundervoller Mondschein über das Wasser, strahlende Stille um mich herum - wie anders wird es werden!
Donnerstag 25ten
Früh auf, weiter geräumt; Gräfin B. kommt Abschied nehmen. Gegen 6 Uhr plötzlich Pr. Nietzsche, aus Montreux kommend. - Heute bin ich mit allen Papieren fertig; sehr wehmütiger Überblick des Lebens. - R. telegraphiert aus Bayreuth; Angelegenheit vortrefflich, er ist aber müde.
Freitag 26ten
Heute keine Depesche! - In die Stadt gewandert, letzte Kahnfahrt. Nachmittags zu Fontaine de Soif, dazwischen gepackt. Abends etwas Musik, Pr. N. spielt mir vor.
Sonnabend 27ten
Schöne Depesche R.'s, dann Brief, er ist zufrieden mit allem. - Besorgungen. Spaziergang nach Winkel. Pr. Nietzsche fort. Große Mattigkeit!
Sonntag 28ten
(Diese sind die ersten Worte aus Fantaisie geschrieben.) - Depesche R.'s, es bekümmert ihn, daß ich noch nicht von der Abreise gesprochen; ich entschließe mich also, morgen mich aufzumachen. Viel Arbeit in Folge dessen und Briefe dazu. Von Gräfin Bassenheim Abschied genommen. Dann zu Vreneli's Kindchen beim Bauern gegangen; letzte Kahnfahrt heim. Idyllischer Eindruck. Abends langes Durchwandern von ganz Tribschen. Mit Dank gegen die Gottheit erfüllt, die mir ein solches Glück hier gewährt; alles war hier schön, selbst das Schwere.
Montag 29ten
Eingepackt, an R. telegraphiert, Abschied von Vreneli, die sehr leidet, Depesche von R., um 1 Uhr 20 ab; meine fünf Kinder mit Anna, Käthchen mit Kindchen, Jakob mit Rus. Erster Halt in Zürich; Sorge um Lulu, die mit Husten behaftet. Furchtbarer Sturm, Übergang nachts in das Dampfschiff, Loldi in eine Pfütze gefallen, Dunkelheit, endloses Handgepäck, Regenströme, Visitation, endlich in Lindau eingestiegen, Abschied von Jakob, ich Rus zu besorgen, bis Augsburg geht es, dann ist der Gepäck-Wagen zu voll, und im Hunde-Wagen geht es nicht, mit im Waggon mit uns; zu der Leute Staunen führe ich ihn hinaus, gebe ihm zu trinken, endlich endlich...
Dienstag 30ten
um 4.30 Ankunft in Bayreuth, die Kinder munter, Rus gut auf, und R. zum Empfang! Abends gleich auf Fantaisie spazieren, herrlicher Park, noch vollständigere Abgeschiedenheit als auf Tribschen. R. glücklich, daß wir angekommen, nennt mich seine Lebenskraft. Bis 10 Uhr geplaudert mit R., dann zu Bett.