Zweites Buch Kap. L bis LXIX

HIER WIRD VON DER MARKGRÄFIN GRISELDA VON SALUZZO[1]
ERZÄHLT, EINER SEHR TUGENDSAMEN FRAU.

L.
Es steht geschrieben, daß es einmal einen Markgrafen von Saluzzo namens Gualtieri gab, der ohne Familie lebte. Er war ein gutaussehender und recht kluger Mann, in seinem Verhalten jedoch etwas merkwürdig. Oft redeten seine Barone auf ihn ein und baten ihn, er möge doch heiraten, um für Nachkommenschaft zu sorgen. Davon wollte dieser sehr lange nichts hören, teilte ihnen aber schließlich mit, er wolle nun heiraten, allerdings müßten sie ihm versprechen, die Frau, die er sich selbst aussuchen werde, zu akzeptieren; seine Barone waren damit einverstanden und bekräftigten dies durch einen Eid.
Der Markgraf vergnügte sich häufig bei Jagd und Vogelbeize. In der Nähe seines Schlosses befand sich nun ein kleines Dorf und dort wohnte, inmitten der anderen armen Tagelöhner, ein sehr bedürftiger, gebrechlicher, alter Mann namens Giannucola, der zeit seines Lebens ein guter und rechtschaffener Mensch gewesen war. Dieser hatte eine achtzehnjährige Tochter namens Griselda, die sich sehr liebevoll um ihn kümmerte und ihn durch ihre Arbeit am Spinnrocken ernährte. Dem Markgrafen, der oft durch jenes Dorf ritt, waren bereits die angenehmen Umgangsformen und die Ehrbarkeit jenes Mädchens aufgefallen, das von anmutiger Gestalt war und schöne Gesichtszüge besaß; aus all diesen Gründen mochte er sie sehr.
Der Markgraf, der seinen Baronen also zugesagt hatte, eine Frau zu nehmen, teilte ihnen mit, sie sollten sich an einem bestimmten Tag versammeln, um seine Hochzeit zu feiern; alle Frauen von Adel sollten ebenfalls erscheinen. Er gab den Befehl zu sehr aufwendigen Vorbereitungen, und als am zuvor festgesetzten Tag alle, Männer wie Frauen, vor ihm versammelt waren, hieß er sie, in seiner Begleitung den langen Weg hochzureiten, um die Braut abzuholen. Er ritt geradewegs auf das Haus des Giannucola zu, wo er auf Griselda traf, die mit einem Wasserkrug auf ihrem Kopf gerade vom Brunnen kam. Er erkundigte sich, wo ihr Vater zu finden sei; Griselda kniete nieder und antwortete, er halte sich im Hause auf. >Hol ihn mir<, befahl er. Als der gute Mann vor ihm stand, teilte ihm der Markgraf mit, er begehre seine Tochter zur Frau. Giannucola antwortete, er möge tun, was ihm beliebe. Nun begaben sich die vornehmen Frauen in die kleine Kate, um die Braut reich zu kleiden und zu schmücken, wie es sich für den Stand eines Markgrafen gehört, und ihr die Gewänder und den Schmuck anzulegen, den er für diesen Zweck vorgesehen hatte. Dann nahm er sie mit und heiratete sie in seinem Pal ast. Um es abzukürzen: Griselda legte in der Folgezeit ein so vorbildliches Verhalten an den Tag, daß alle — die Adligen, Jung und Alt, das ganze Volk — sie sehr liebten; und sie verstand es, mit jedem in einer Weise umzugehen, daß sich alle glücklich schätzten. Des weiteren umsorgte und liebte sie ihren Ehemann, wie es ihre Pflicht war.
Im gleichen Jahr brachte die Markgräfin eine Tochter zur Welt, deren Geburt große Freude auslöste. Als das Kind jedoch entwöhnt war, wollte der Markgraf die Beständigkeit und die Geduld Griseldas auf die Probe stellen, und so machte er ihr weis, seinen Baronen mißfalle es, später einmal von Griseldas Nachfahren beherrscht zu werden, und aus diesem Grunde wolle er das Kind umbringen lassen. Auf diese für jede Mutter unerträgliche Eröffnung entgegnete Griselda, es sei schließlich seine Tochter und er könne mit ihr tun, was ihm beliebe. Er ließ das Kind einem seiner Knappen übergeben; dieser tat so, als hole er es, um es zu töten, brachte es jedoch heimlich ins reiche Bologna zu der Gräfin von Panago, einer Schwester des Markgrafen, damit es in ihrer Obhut aufwüchse. Griselda jedoch, die annahm, man habe ihre Tochter getötet, ließ sich nichts anmerken und zeigte keinerlei Traurigkeit. Nach Jahresfrist wurde die Markgräfin erneut schwanger und wurde von einem sehr schönen Knaben entbunden, über dessen Geburt große Freude herrschte. Der Markgraf aber wollte seine Frau in ähnlicher Weise wie zuvor auf die Probe stellen und teilte ihr mit, man müsse das Kind töten, um die Barone und sein Gefolge zufriedenzustellen. Daraufhin erwiderte die edle Frau, wenn der Tod ihres Sohnes noch nicht genüge, sei auch sie bereit zu sterben, falls er dies wünsche. Ähnlich wie bereits im Falle der Tochter übergab sie das Kind dem Knappen, ohne sich ihre Traurigkeit auch nur im geringsten anmerken zu lassen. Sie trug diesem lediglich auf, das Kind, nachdem er es getötet habe, zu begraben, damit der zarte Kinderkörper weder wilden Tieren noch Raubvögeln zum Fraß anheimfalle. Aber auch angesichts dieser Unmenschlichkeit verzog Griselda keine Miene.
Es verging jedoch nicht sehr viel Zeit, und der Markgraf wollte sie ein weiteres Mal auf die Probe stellen. Sie lebten nunmehr seit bereits zwölf Jahren miteinander, und in dieser Zeit hatte die edle Frau ein so untadeliges Verhalten an den Tag gelegt, daß es eigentlich als Beweis ihrer Tugend hätte genügen müssen. Eines Tages jedoch rief sie der Markgraf in sein Gemach und teilte ihr mit, er habe Schwierigkeiten mit seinen Untertanen und Gefolgsleuten bekommen und riskiere, um ihretwillen die Herrschaft zu verlieren, denn diese könnten sich nun einmal nicht damit abfinden, die Tochter des Giannucola zur obersten Landesherrin und Herrscherin zu haben. Um sie zu beschwichtigen, müsse Griselda zu ihrem Vater in dem Zustand, in dem sie gekommen war, zurückkehren, damit er selbst eine andere Frau edlerer Abstammung heiraten könne. Auf diese Enthüllung, die für sie äußerst schmerzvoll und bitter sein mußte, antwortete Griselda: >Mein edler Herr, ich habe schon immer gewußt und oft daran gedacht, daß zwischen deiner vornehmen Herrlichkeit und meiner Armut keine Verbindung möglich sei, und deshalb hielt ich mich niemals für würdig, deine Gemahlin zu sein, sondern höchstens deine Dienerin. Von diesem Augenblick an bin ich bereit, in das Haus meines Vaters zurückzukehren, um dort mein Alter zu verbringen. Du befiehlst, ich solle mein Heiratsgut wieder mitnehmen: du weißt sehr wohl, und auch ich habe es nicht vergessen, daß du mich damals, als du mich vor der Behausung meines Vaters erwartetest, meine alten Kleider ausziehen und mich die Gewänder anlegen hießest, in denen ich mit dir fortging; aus meinem Besitz brachte ich keine andere Mitgift mit in die Ehe als Glauben, Reife, Liebe, Ehrerbietung und Armut. Deshalb ist es nur recht und billig, wenn ich dir dein Gut zurückerstatte: hier hast du dein Gewand, das ich ablege; ich gebe dir ebenfalls den Ring zurück, mit dem du mich dir verbandest, desgleichen alle anderen Schmuckstücke, Ringe, Kleidungsstücke, Putz und alles, womit man mich in deinem Gemach schmückte und ausstattete. Nackt und bloß verließ ich meines Vaters Haus, nackt und bloß werde ich dorthin zurückkehren. Allein es dünkt mich unschicklich, daß dieser Leib, der die von dir gezeugten Kinder austrug, unbekleidet vor allen Leuten erscheint. Zum Lohn für meine Jungfernschaft, die ich in deinen Palast brachte, nun aber nicht wieder mitnehme, bitte ich dich untertänigst, mir ein einziges Hemd überlassen zu wollen, mit dem ich den Leib deiner Frau, der ehemaligen Markgräfin, verhüllen werde.< Da konnte der Markgraf die Tränen des Mitleids nicht zurückhalten; er bezwang jedoch seine Herzensregung und befahl beim Verlassen des Raumes, man möge ihr ein einziges Hemd geben.
Daraufhin entkleidete sich Griselda in Anwesenheit aller Ritter und Hofdamen, legte ihre Schuhe und all ihren Schmuck ab, bis ihr nichts anderes mehr blieb als ihr letztes Hemd. Überall hatte sich bereits die Neuigkeit verbreitet, der Markgraf wolle sich von seiner Frau trennen; alle, Männer und Frauen, kamen zum Palast gelaufen und waren aus eben diesem Grunde von tiefer Trauer erfüllt. Griselda, mit nichts anderem als ihrem Hemd bekleidet, barhäuptig und barfüßig, wurde aufs Pferd gesetzt. Alle, Barone, Ritter und Hofdamen, begleiteten sie weinend, verwünschten den Markgrafen und beklagten die Güte der edlen Frau; auf Griseldas Gesicht aber war keine einzige Träne zu sehen. Man begleitete sie bis zum Haus ihres Vaters; der alte Mann hatte stets damit gerechnet, weil er annahm, sein Herr werde eines Tages Überdruß angesichts einer so armseligen Verbindung empfinden. Als er den Lärm hörte, ging er also seiner Tochter entgegen, brachte ihr altes, zerrissenes Gewand, das er immer noch aufbewahrt hatte, und zog es ihr wieder über, ohne sich auch nur den geringsten Schmerz anmerken zu lassen. Und so lebte Griselda eine ganze Zeit in aller Bescheidenheit und Armut mit ihrem Vater und versorgte ihn wie früher, ohne eine Spur von Traurigkeit oder Bedauern. Vielmehr tröstete sie ihren Vater über den Kummer hinweg, den er haben mochte, wenn er seine Tochter betrachtete, die von einem so hohen gesellschaftlichen Rang wieder in so bittere Armut herabgesunken war.
Als es dem Markgrafen schien, er habe nun seine getreue Frau hinreichend auf die Probe gestellt, da ließ er seiner Schwester ausrichten, sie möge sich, in der vornehmen Begleitung von Edelleuten und Hofdamen, auf den Weg machen, um ihm seine beiden Kinder zuzuführen, jedoch ohne bekannt werden zu lassen, es seien die seinigen. Dann ließ er seine Barone und Untertanen wissen, er wolle eine andere Frau, ein sehr vornehmes junges Mädchen, das sich in Obhut seiner Schwester befinde, heiraten. An dem Tage der Ankunft seiner Schwester rief er in seinem Palast eine erlesene Gesellschaft von Rittern, Hofdamen und Edelleuten zusammen; zugleich ließ er Vorbereitungen für ein rauschendes Fest treffen. Er schickte nach Griselda und richtete die folgenden Worte an sie: >Griselda, morgen wird hier das junge Mädchen, das ich heiraten will, eintreffen. Nun ist es mein Wille und Wunsch, meiner Schwester und ihrem vornehmen Gefolge einen sehr prunkvollen Empfang zu bereiten. Da du meine Gepflogenheiten kennst, desgleichen die Räume und Örtlichkeiten, möchte ich dich damit betrauen, dafür zu sorgen, daß alle, vor allem aber meine zukünftige Frau, standesgemäße Aufnahme finden; alle Bediensteten werden deine Anordnungen befolgen. Nun kümmere dich darum, daß alles ordnungsgemäß ausgeführt wird.< Griselda antwortete, dies wolle sie mit großem Vergnügen tun. Am nächsten Tag, nach dem Eintreffen der Gesellschaft, fand ein großes Fest statt. Griseldas ärmliches Gewand hinderte sie nicht daran, mit fröhlichem Gesicht auf das junge Mädchen — die junge Braut, wie sie meinte — zuzugehen, um sie demütig mit den Worten zu begrüßen: >Seid willkommen, meine edle Herrin!< Ähnlich freudig begrüßte sie ihren Sohn und alle anderen Männer und Frauen der Gesellschaft, eine jede Person nach ihrem Rang. Und obwohl sie wie eine Frau aus den untersten gesellschaftlichen Ständen gekleidet war, merkte man doch ihrer ganzen Haltung die Frau von hohem Rang und erstaunlicher Klugheit an; die fremden Gäste fragten sich deshalb, wie eine solche Redegewandtheit und Würde mit einem so ärmlichen Gewand in Einklang zu bringen sei. Griselda hatte alles so vollkommen richten lassen, daß nichts daran auszusetzen war. Immer wieder jedoch näherte sie sich mit besonderem Vergnügen dem jungen Mädchen und dem Knaben und betrachtete deren Schönheit, die sie aufs höchste lobte, mit der größten Aufmerksamkeit.
Der Markgraf hatte alle Vorkehrungen treffen lassen, um glauben zu machen, er wolle das junge Mädchen heiraten. Als es Zeit für die Messe war, kam der Markgraf herbei, rief vor aller Gesellschaft Griselda und fragte sie in Gegenwart aller: >Griselda, was hältst du von meiner neuen Braut? Ist sie nicht schön und sittsam?< Sie aber entgegnete mit fester Stimme: >Gewiß, hoher Herr, eine Schönere oder Sittsamere ließe sich nicht finden. Um eins möchte ich dich aber in aller Offenheit bitten: sei so gut und quäl sie weder so sehr, noch setze ihr mit solchen Prüfungen zu, wie du es mit der anderen unerbittlich getan hast. Denn diese ist jünger und hatte eine behütete Jugend, und deshalb vermag sie vielleicht nicht so viel zu ertragen wie die andere.< Als der Markgraf diese Worte aus Griseldas Mund vernahm, wurde er ihrer großen Beständigkeit, Kraft und Treue gewahr und bewunderte ihre Tugend sehr. Mitleid ergriff ihn, weil er sie ohne jeden Grund so sehr und so lange hatte leiden lassen.
Deshalb begann er vor allen Anwesenden zu sagen: >Griselda, damit findet die Erprobung deiner Treue, des wahren Glaubens, der Verbundenheit und der großen Liebe, des Gehorsams und der Demut, die du mir entgegenbringst, ein Ende. Ich glaube, es gibt auf der ganzen Welt keinen einzigen Mann, der so zahlreiche Beweise für eheliche Liebe erhalten hat, wie ich von dir.< Dann näherte sich der Markgraf ihr, schloß sie fest in seine Arme, küßte sie und sagte: >Du allein bist meine Gemahlin, eine andere will ich nicht und werde ich nie besitzen. Dieses junge Mädchen, das du für meine Braut hältst, ist deine und meine Tochter, dieses Kind dein Sohn. Alle hier Anwesenden sollen wissen, daß alles, was ich tat, geschah, um meine treue Gemahlin auf die Probe zu stellen und nicht, um sie zu bestrafen. Meine Kinder habe ich im reichen Bologna bei meiner Schwester aufwachsen und sie keineswegs umbringen lassen: hier seht ihr sie.< Als die Markgräfin diese Worte ihres Herrn vernahm, wurde sie beinahe ohnmächtig vor Freude, und als sie sich wieder gefaßt hatte, nahm sie die Kinder in den Arm und benetzte sie mit Freudentränen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß ihr Herz voll der größten Freude war, und alle anwesenden Männer und Frauen weinten Tränen der Freude und des Mitleids. Griselda stand nun in höherem Ansehen als je zuvor und wurde mit kostbaren Gewändern und Schmuck versehen. Ein ebenso ausgedehntes wie fröhliches Fest fand statt, auf dem alle in feierlichen Reden jene edle Frau priesen. Das Ehepaar lebte danach noch zwanzig Jahre lang in Freuden und Frieden zusammen. Der Markgraf ließ Griseldas Vater Giannucola, um den er sich zuvor nicht gekümmert hatte, in den Palast kommen und ihn dort in großen Ehren leben. Seine Kinder verheiratete er standesgemäß, und nach seinem Tode wurde sein Sohn mit dem Einverständnis der Barone sein Nachfolger.

HIER WIRD VON DER RÖMERIN CRESCENTIA[1] ERZÄHLT.

LI.
Wenn Griselda, die Markgräfin von Saluzzo, über unvergleichliche Kraft und Beständigkeit verfügte, dann kommt ihr in dieser Hinsicht die edle römische Kaiserin Crescentia gleich, eine Frau, die großes Ungemach mit erstaunlicher Geduld ertrug; dies wissen die Miracles de Nostre Dame[2] von ihr zu berichten. Jene edle Frau war von unvergleichlicher Schönheit, aber noch größer waren ihre Sittsamkeit und ihre Tugend. Als ihr Mann wegen eines langen Kriegs zu einer weiten Reise aufbrechen mußte, empfahl er sein Land und seine Gemahlin seinem Bruder an. Dieser wurde nach dem Aufbruch des Kaisers vom Teufel versucht und entbrannte in sündiger Liebe zu seiner Schwägerin Crescentia. Um es abzukürzen: er bedrängte sie derartig, sie möge ihm zu Willen sein, daß sie befürchtete, er könnte es nach dem Bitten mit Gewalt versuchen; deshalb ließ sie ihn in einem Turm einsperren, und dort blieb er bis zu der Rückkehr des Kaisers. Als nun die Kunde von der Heimkehr jenes Kaisers zu ihr drang, ließ die vornehme Frau, die nie geglaubt hätte, der Schwager könnte sie verleumden, diesen frei, denn der Kaiser sollte nichts von der Falschheit seines Bruders erfahren und letzterer sollte ihm entgegengehen. Aber sobald dieser vor dem Kaiser stand, beschuldigte er die edle Frau aller erdenklichen Vergehen, und zwar übelster Art, denn im Gefängnis hatte er genügend Zeit gehabt, dies auszuhecken. Der Kaiser, der ihm Glauben schenkte, schickte seine Leute voraus, mit dem Befehl, seine Frau vor seiner Ankunft in aller Heimlichkeit zu töten, denn er wollte sie wiedersehen noch lebendig vorfinden. Sie jedoch, die angesichts dieser Neuigkeiten aufs höchste erstaunt war, bat jene, die damit beauftragt waren, so inständig, daß man sie schließlich in einem fremden Gewand ziehen ließ.
Aufgrund dieses merkwürdigen Geschicks, das ihr zugestoßen war, zog jene vornehme Frau so lange umher, bis man ihr eines Tages das Kind eines mächtigen Fürsten anvertraute. Dessen Bruder verliebte sich so sehr in sie, daß er, nachdem er sie lange mit Bitten bedrängt hatte, aus Verdruß über ihre Weigerung das kleine Kind neben ihr tötete, während sie schlief; auf diese Weise wollte er sie ins Verderben stürzen. Mit großer Geduld und einem starken, unerschütterlichen Herzen ertrug die Kaiserin diese wirklich nicht kleinen Schicksalsschläge. Als man sie zu dem Ort führte, an dem sie als vermeintliche Kindsmörderin hingerichtet werden sollte, da wurden der Grundherr und seine Frau angesichts des untadeligen Lebenswandels und der bedeutenden Tugenden jener Frau so von Mitleid ergriffen, daß sie es einfach nicht übers Herz brachten, sie töten zu lassen, sondern sie aus dem Lande jagten. Da sie in der Verbannung geduldig äußerste Armut ertrug und Gott und dessen sanftmütiger Mutter huldigte, geschah es, daß sie eines Tages in einem Obstgarten nach Verrichtung ihrer Gebete einschlief. Im Traum befahl ihr die Heilige Jungfrau, sie möge ein gewisses Kraut, das unterhalb ihres Kopfes wuchs, pflücken; dank seiner Heilkraft werde sie künftig ihren Lebensunterhalt damit verdienen, alle Krankheiten zu heilen.
Nachdem die edle Frau dank der Heilkraft jenes Krauts in der Folgezeit so viele Kranke geheilt hatte, daß sie überall deswegen gerühmt wurde, geschah es, daß Gott jenen Bruder des Fürsten, der das besagte Kind ermordet hatte, das Opfer einer über die Maßen schrecklichen Krankheit werden ließ; aus diesem Grunde schickte man nach jener Frau, die ihn heilen sollte. Als sie nun vor ihm stand, teilte sie ihm mit, er könne in aller Deutlichkeit erkennen, daß Gott ihm eine Strafe geschickt habe. Wenn er öffentlich seine Sünde gestehe, werde er geheilt werden; auf einem anderen Wege sei eine Genesung nicht möglich. Jener, den große Reue ergriff, gestand daraufhin seine abgrundtiefe Bosheit und berichtete, wie er das Kind eigenhändig ermordet und dann die rechtschaffene Frau, die es gehütet, dieser Tat bezichtigt hatte. Der Fürst war darüber sehr erbost und wollte seinem Bruder um jeden Preis den Prozeß machen lassen. Der edlen Frau jedoch gelang es durch ihre Bitten, ihn zu beschwichtigen und sie heilte den Bruder. Auf diese Weise vergalt sie nach dem Gebote Gottes Böses mit Gutem.
Ähnliches geschah kurze Zeit später, als jener Bruder des Kaisers, durch dessen Schuld Crescentia außer Landes gejagt worden war, so stark von Lepra befallen wurde, daß er beinahe lebendigen Leibes verfaulte. Da ihr bereits allerorts der Ruf vorauseilte, eine über die Maßen heilkundige Frau zu sein, ließ der Kaiser nach ihr schicken; allerdings wußte er nicht, wer sie war, denn er glaubte seit langer Zeit, seine Frau sei tot. Als sie vor dem Kranken stand, sagte sie, er müsse eine öffentliche Beichte ablegen, denn sonst könne sie ihn nicht heilen. Lange weigerte er sich, dann jedoch gestand er schließlich und in allen Einzelheiten den üblen Streich, den er ohne jeden Grund der Kaiserin gespielt hatte; er wisse sehr wohl, daß Gott ihn für diese Sünde bestrafe. Als der Kaiser dies vernommen hatte, geriet er darüber sehr in Wut, weil er glauben mußte, seine treue und von ihm sehr geliebte Gemahlin umgebracht zu haben, und er wollte daraufhin seinen Bruder ermorden lassen. Die edle Frau gab sich jedoch zu erkennen und versöhnte ihn mit seinem Bruder. Dank ihrer Geduld erlangte Crescentia auf diese Weise, zur großen Freude des Kaisers und aller Leute, erneut ihren Rang und das ihr gebührende Glück.

ÜBER DIE FRAU DES GENUESERS BERNABO[1]

LII.
Was beständige und weise Frauen anbelangt, so läßt sich W ebenfalls mit Fug und Recht jene Geschichte anführen, die Boccaccio in seinem Decameron erzählt. Eines Tages trafen sich mehrere italienische, genauer gesagt: lombardische Kaufleute in Paris zu einem gemeinsamen Mahl. Da sie in dessen Verlauf über verschiedene Themen sprachen, kam das Gespräch mit einem Male auch auf ihre Frauen. Einer von ihnen, ein Genueser namens Bernabo, schickte sich schließlich an, seine Frau über alle Maßen hinsichtlich ihrer Schönheit, Klugheit, Sittsamkeit und aller erdenklichen Tugenden zu loben. Es befand sich aber in jener Gesellschaft ein Hitzkopf namens Ambrogiuolo, der behauptete, es sei ein Zeichen größter Dummheit, die eigene Frau vornehmlich für ihre Sittsamkeit zu preisen; es gebe nämlich keine einzige, so willensstark sie auch sein möge, die nicht herumzukriegen sei, wenn man ihr nur ordentlich mit Geschenken, Versprechungen und schönen Worten zusetze. Über diesen Punkt entbrannte ein heftiger Streit zwischen den beiden, der mit einer Wette um die Summe von fünftausend Florin endete. Bernabo wettete, der andere werde nie mit seiner Frau schlafen, was immer er auch anstellen möge. Ambrogiuolo setzte dagegen, er werde es doch schaffen und Bernabo dafür eindeutige Beweise erbringen, die ihn zufriedenstellen würden. Die anderen ließen nichts unversucht, um diesem Streit ein Ende zu bereiten, doch das war vergebliche Liebesmühe.
Ambrogiuolo brach auf, sobald es ihm möglich war, und begab sich nach Genua. Dort angekommen erkundigte er sich sehr eingehend nach den Lebensgewohnheiten und Sitten von Bernabos Frau. Um es abzukürzen: er hörte so viel Gutes über sie, daß er bald jegliche Hoffnung verlor, jemals seinen Plan ausführen zu können, was ihn sehr verdroß und ihn seine Narrheit bereuen ließ. Da es ihn jedoch über die Maßen schmerzte, auf diese Weise fünftausend Florin zu verlieren, ersann er eine abgefeimte List. Nach längerem Hin und Her gelang es ihm schließlich, mit einer armen alten Frau ins Gespräch zu kommen, die im Hause jener Frau lebte, und er setzte ihr so lange mit Geschenken und Versprechungen zu, bis er, versteckt in einer Truhe, in das Schlaf gemach der erwähnten Frau getragen wurde. Letzterer hatte die Alte zu verstehen gegeben, jene Truhe enthalte äußerst kostbare Gegenstände, die man ihr anvertraut habe. Da Diebe diese bereits hätten stehlen wollen, frage sie hiermit bei der Dame an, ob jene die Truhe für kurze Zeit, bis zur Rückkehr der Eigentümer, in ihrem Schlafgemach aufstellen könne. Die edle Frau gewährte ihr dies gern. Ambrogiuolo, der sich in der Truhe versteckt hielt, beobachtete sie zu nächtlicher Stunde so lange, bis er sie ganz unbekleidet gesehen hatte; des weiteren entwendete er eine kleine Börse und einen bestickten, sehr kostbar gearbeiteten Gürtel aus dem Besitz der Frau des Bernabo. Danach schlich er sich lautlos wieder in seine Truhe zurück, ohne daß die edle Frau und ein junges Mädchen, das an ihrer Seite schlief, irgend etwas gemerkt hätten. Nachdem dies drei Tage lang so gegangen war, holte die Alte ihre Truhe wieder ab.
Ambrogiuolo war hocherfreut und meinte sehr klug gehandelt zu haben. In Anwesenheit der gesamten vornehmen Gesellschaft berichtete er dem Ehemann, wie er ganz nach seinem Belieben mit dessen Frau geschlafen habe. Als erstes beschrieb er das Aussehen des Schlafgemachs und der dort hängenden Gemälde. Dann zeigte er ihm die Börse und den Gürtel, die der Ehemann nur allzu gut kannte, und behauptete, Bernabos Frau habe sie ihm geschenkt. Schließlich und endlich, nachdem er den nackten Körper jener Frau beschrieben hatte, sagte er, sie habe unterhalb der linken Brust ein kleines rotes Muttermal. Angesichts dieser Beweise schenkte der Ehemann den Worten des Ambrogiuolo ohne weiteres Glauben; wie ihm dabei zumute war, kann man sich wohl vorstellen. Trotzdem zahlte er ihm sogleich die fünftausend Florin aus. Dann begab er sich so schnell er konnte nach Genua, ließ jedoch kurz vor seiner Ankunft in aller Eile nach einem seiner Gehilfen schicken, der sein Gut verwaltete und sein uneingeschränktes Vertrauen besaß. Diesem tat er kund, er solle, ohne Rücksicht auf seine Empfindungen, seine, des Bernabo, Ehefrau umbringen, und teilte diesem des weiteren mit, auf welche Weise dies zu geschehen habe.
Dieser Anordnung folgend hieß der Gehilfe die Gemahlin des Bernabo ein Pferd besteigen und gab vor, er wolle sie zu ihrem Mann geleiten. Die edle Frau glaubte ihm dies gern und brach voller Freude mit ihm auf. Aber als sie einen Wald erreicht hatten, teilte jener ihr mit, auf welche Weise er sie auf Geheiß ihres Gemahls töten sollte. Um es kurz zu machen: jene edle, gutherzige und schöne Frau schaffte es, nachdem sie lange auf ihn eingeredet hatte, ihn dazu zu bewegen, sie ihrer Wege ziehen zu lassen. Allerdings mußte sie ihm versprechen, das Land für immer zu meiden.
Die auf diese Weise dem Tode Entronnene begab sich in ein kleines Dorf, wo sie eine gute Frau dazu überredete, ihr Männerkleidung zu kaufen. Dann schnitt sie sich die Haare ab und verkleidete sich als Jüngling. Sie zog eine Weile umher und verdingte sich schließlich bei einem reichen Katalanen namens Sefior Ferrante, der gerade in einem Hafen sein Schiff verlassen hatte, um sich etwas zu erholen. Sie diente ihm so gut, daß er über die Maßen zufrieden mit ihr war und sagte, einen so hervorragenden Diener habe er noch nie besessen. Jene edle Frau hatte den Namen Sicuran da Finale angenommen. Sefior Ferrante kehrte in Begleitung des Sicuran auf sein Schiff zurück, um bis nach Alexandrien zu segeln, wo er Falken und sehr edle Pferde erwarb. Mit diesen suchte er den Sultan von Babylonien auf, der ihn sehr schätzte, und blieb daselbst eine geraume Zeit. Sicuran, der seinem Herrn so aufmerksam diente und den der Sultan außerdem ansehnlich und wohlerzogen fand, gefiel diesem so sehr, daß er Sefior Ferrante bat, er möge ihn ihm überlassen, denn er wolle einen großen Herrn aus ihm machen. Auch wenn Ferrante dies schmerzte, erfüllte er doch des Sultans Wunsch. Kurz und gut: Sicuran war dem Sultan mit so großem Eifer und solcher Umsicht zu Diensten, daß dieser ihn zu seinem alleinigen Vertrauten machte, und so groß wurde Sicurans Macht schließlich, daß er den Sultan und alles übrige beherrschte.
Nun geschah es aber, daß in einer der Städte des Sultans eine sehr bedeutende Handelsmesse stattfand, zu der Kaufleute aus allen Gegenden herbeieilten. Der Sultan beauftragte Sicuran damit, sich in jene Stadt zu begeben, um den Markt zu beaufsichtigen und auf die Wahrung seiner Rechte zu achten. Gott fügte es jedoch, daß sich in Begleitung anderer Italiener, die Kleinodien mit sich führten, auch jener falsche Ambrogiuolo, von dem zuvor die Rede war und der dank des Bernaboschen Geldes sehr reich geworden war, dort aufhielt. Sicuran, der in jener Stadt als Stellvertreter des Sultans fungierte, stand bei jedermann in hoher Achtung, und da er eine äußerst wichtige Persönlichkeit war, boten ihm die Kaufleute jeden Tag ausgefallene Schmuckstücke zum Verkauf an. Schließlich kam in Begleitung anderer auch jener Ambrogiuolo zu ihm. Als er nun einen kleinen Schrein voller Schmuckstücke öffnete und diese Sicuran zur Begutachtung vorlegte, lagen in jenem Schrein unter anderem die kleine Börse und der oben erwähnte Gürtel. Sicuran erblickte die Börse und erkannte sie sofort; er nahm sie in die Hand, betrachtete sie aufmerksam und fragte sich höchst verwundert, wie sie wohl dorthin gekommen sein möge. Ambrogiuolo jedoch, der die Begebenheit schon längst vergessen hatte, begann breit zu lächeln. Darauf sprach Sicuran, der ihn lachen sah, zu ihm: >Guter Freund, ich vermute, Ihr lächelt, weil ich mich so sehr für diese kleine Börse interessiere, die ja ein weibliches Accessoire ist; aber sie ist nun einmal sehr schön.< Ambrogiuolo entgegnete ihm: >Mein Herr, Ihr könnt über sie verfügen; wenn ich gelacht habe, so deshalb, weil ich mich daran erinnerte, aufweiche Weise ich sie erwarb.< Sicuran antwortete: >Dann erzähl mir doch in Gottes Namen, auf welche Weise du in ihren Besitz gekommen bist.< >Nun gut<, erwiderte Ambrogiuolo, >ich erhielt sie von einer schönen Frau, mit der ich einmal eine Nacht verbrachte; zugleich gewann ich fünftausend Florin in einer Wette mit ihrem Dummkopf von Ehemann namens Bernabo, der die Stirn hatte, mit mir zu wetten, ich würde sie niemals nackt in meinen Armen halten. Später ließ dieser Unglücksvogel seine Frau deswegen umbringen, obgleich er im Grunde eher eine Strafe verdiente als sie: denn jeder Mann muß doch wissen, daß jede Frau wankelmütig und mit Leichtigkeit herumzukriegen ist; aus diesem Grunde sollte man ihnen eben nicht so viel Vertrauen schenken!<
Da erfuhr die edle Frau endlich die Ursache für den Zorn ihres Mannes, die ihr bislang verborgen geblieben war. In ihrer übergroßen Klugheit und Willensstärke faßte sie jedoch den sehr weisen Beschluß, alles so lange geheimzuhalten, bis Ort und Stunde für sie günstiger wären. Sie tat also so, als bereite ihr diese Geschichte größtes Vergnügen. Außerdem sagte sie Ambrogiuolo, er sei ein angenehmer Geselle und solle ihr Freund werden; er solle im Lande bleiben und er werde mit großen Geldmengen versorgt, damit er in ihrer beider Auftrag lukrative Geschäfte abschlösse. Dieser Vorschlag gefiel Ambrogiuolo sehr. Sicuran ließ ihm tatsächlich eine Bleibe zuweisen, und um ihn noch besser zu täuschen, gab er ihm Geld und entwickelte eine so große Zuneigung zu ihm, daß er jeden Tag in seiner Nähe verbrachte. Außerdem ließ er ihn in Anwesenheit des Sultans seinen Streich erzählen, gleichsam in der Absicht, diesen zum Lachen zu bringen. Um die Auflösung dieser Geschichte abzukürzen: Sicuran erfuhr nach längeren Erkundungen von anderen Genuesern, die sich in jenem Land aufhielten, daß Bernabo sowohl wegen der gewaltigen Summe, die er hatte bezahlen müssen, als auch aufgrund des Kummers, an dem er litt, völlig verarmt war; daraufhin ließ er Bernabo mitteilen, er solle sich auf Geheiß des Sultans in dessen Land begeben. Als Bernabo vor dem Sultan stand, ließ Sicuran sogleich Ambrogiuolo holen; zuvor hatte er den Sultan wissen lassen, daß Ambrogiuolo lüge, wenn er sich mit der Eroberung jener Frau brüste. Ferner hatte er den Sultan darum gebeten, Ambrogiuolo in angemessener Weise zu bestrafen, falls die Wahrheit in dieser Angelegenheit an den Tag kommen sollte, und der Sultan hatte ihm dies zugesichert. Als Bernabo und Ambrogiuolo gemeinsam vor dem Sultan standen, begann Sicuran folgendermaßen zu sprechen: Ambrogiuolo, unserem hier anwesenden Herrn, dem Sultan, gefällt es, von dir in allen Einzelheiten zu erfahren, auf welche lustige Weise du den hier anwesenden Bernabo um die fünftausend Florin, von denen du erzähltest, gebracht hast und wie es dir gelungen ist, mit seiner Frau zu schlafen.< Da wurde Ambrogiuolo ganz blaß, wie jemand, dem die Wahrheit kaum noch gestattet, eine so betrügerische Täuschung aufrechtzuerhalten; für ihn, der sich in völliger Sicherheit gewiegt hatte, kam dies alles zu plötzlich. Trotzdem faßte er sich wieder ein wenig und antwortete: >Hoher Herr, es hat wenig Sinn, daß ich es erzähle, denn Bernabo weiß ja bereits alles, und seine Schande dauert mich sehr.< Voller Schmerz und Scham bat Bernabo inständig darum, ihm diese Dinge zu ersparen und ihn seiner Wege gehen zu lassen. Sicuran erwiderte jedoch mit einem feinen Lächeln, noch dürfe er nicht fortgehen, sondern müsse sich erst die Geschichte anhören. Als nun Ambrogiuolo merkte, daß an ein Entkommen nicht zu denken war, begann er zu sprechen und erzählte mit zitternder Stimme die Begebenheit, und zwar so, wie er sie früher Bernabo und später ihnen dargestellt hatte. Am Ende seiner Rede fragte Sicuran den Bernabo, ob das, was Ambrogiuolo gesagt habe, zutreffe; Bernabo antwortete, alles sei vollkommen richtig. >Wie jedoch<, gab Sicuran zu bedenken, >könnt Ihr so absolut sicher sein, daß dieser Mann mit Eurer Frau schlief? Auch wenn er Euch einige Beweise lieferte: seid Ihr wirklich zu dumm, um zu wissen, daß er durch mancherlei List erfahren haben konnte, welches Aussehen ihr Körper hat, ohne jemals mit ihr geschlafen zu haben? Und aus diesem Grunde habt Ihr sie umgebracht? Den Tod verdient auch Ihr, denn Ihr verfügtet über keinerlei stichhaltigen Beweis!<
Nun bekam Bernabo es mit der Angst zu tun. Schließlich sagte Sicuran, dem es an der Zeit schien, die Wahrheit zu enthüllen, zu Ambrogiuolo: >Du falschzüngiger, treuloser Verräter, sag die Wahrheit, sag die Wahrheit, bevor man dich durch die Folter dazu zwingt! Du mußt nun endlich die Wahrheit sagen; es ist nämlich bewiesen, daß alles, was du erzählt hast, von vorn bis hinten erlogen ist. Du sollst wissen: die Frau, mit deren Eroberung du dich brüstest, ist keineswegs tot, sondern hält sich ganz in deiner Nähe auf und kann gegen dein verbrecherisches Lügengewäsch protestieren, denn eins ist absolut sicher: niemals in deinem Leben hast du sie berührt!< In diesem Augenblick waren viele Menschen anwesend, sowohl die Barone des Sultans wie auch zahlreiche Lombarden, die dies alles staunend vernahmen. Kurz und gut, man setzte Ambrogiuolo so sehr zu, bis er vor dem Sultan und allen anderen das gesamte Betrugsmanöver enthüllte, das er angezettelt hatte, weil er um jeden Preis die fünftausend Florin gewinnen wollte. Als Bernabo dies vernahm, wurde er beinahe wahnsinnig, mußte er doch annehmen, seine Frau sei umgebracht worden. Die edelmütige Frau ging jedoch auf ihn zu und sagte: >Bernabo, was würdest du demjenigen geben, der dir deine Frau ganz lebendig und unversehrt wiedergäbe?< Bernabo antwortete, er sei bereit, dafür alles zu geben, was er aufbringen könne. Daraufhin sagte sie ihm: >Wie denn, Bernabo, Bruder und Freund, erkennst du sie tatsächlich nicht?< Und während jener immer noch so verdutzt war, daß er gar nicht wußte, wie ihm geschah, enthüllte sie ihre Brust und sprach zu ihm: >Schau her, Bernabo, ich bin deine treue Gefährtin, die du ohne jeden Grund zum Tode verurteilt hast.< Nun fielen sie sich überwältigt vor Freude in die Arme. Auch der Sultan und alle anderen waren aufs höchste erstaunt darüber und priesen die Tugend jener edelmütigen Frau. Beide erhielten große Geschenke und den gesamten Besitz des Ambrogiuolo, den der Sultan unter großen Qualen hinrichten ließ. So beschenkt kehrten die beiden in ihre Heimat zurück.«

IM ANSCHLUSS AN FRAU RECHTSCHAFFENHEITS AUSFÜHRUNGEN ZU DEN WILLENSSTARKEN FRAUEN FRAGT CHRISTINE, WESHALB DENN ALL DIESE GROSSARTIGEN FRAUEN, DIE ES GEGEBEN HAT, NICHT DEN BÜCHERN UND DEN MÄNNERN, DIE SIE VERLEUMDETEN, WIDERSPROCHEN HABEN; UND DIE ANTWORT, DIE FRAU RECHTSCHAFFENHEIT DARAUF GIBT.

LIII.
Dies alles erzählte mir Frau Rechtschaffenheit und noch einiges andere, das ich hier um der gebotenen Kürze willen auslasse: so etwa den Fall der Griechin Leonis, die noch nicht einmal durch Folterqualen dazu bewogen werden konnte, zwei mit ihr befreundete Männer zu verraten. Sie zog es vor, sich ihre Zunge mit ihren eigenen Zähnen in Anwesenheit ihres Richters abzubeißen, um diesem jede Hoffnung zu nehmen, durch Folter etwas aus ihr herauszupressen. Des weiteren berichtete sie mir von zahlreichen anderen Frauen, die so standhaft waren, daß sie es vorzogen, Gift zu trinken und zu sterben als gegen das Gebot von Recht und Wahrheit zu verstoßen. Im Anschluß an all diese Dinge sagte ich zu ihr: »Hohe Frau, Ihr habt mir zahlreiche Beispiele für die große Beständigkeit des weiblichen Herzens und für alle anderen Tugenden geliefert; von keinem Mann ließe sich Bedeutenderes berichten. Eins kann ich aber trotzdem nicht verstehen: wie konnten es all diese großartigen Frauen, die es gegeben hat und die so weise und so gebildet, die des weiteren des Schreibens mächtig und sogar in der Lage waren, schöne Bücher zu verfassen, wie konnten diese Frauen es so lange widerspruchslos hinnehmen, daß alle möglichen Männer so viele Scheußlichkeiten über sie verbreiteten — schließlich wußten sie nur allzu gut, daß man ihnen damit ein gewaltiges Unrecht zufügte?«
Antwort: »Teure Freundin, die Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand. Dem zuvor Gesagten kannst du entnehmen, daß jede der edlen Frauen, von deren hervorragenden Eigenschaften ich dir erzählt habe, isoliert, für sich allein war und auf ganz verschiedenen Gebieten ihren Verstand einsetzte, daß sie sich jedoch niemals gemeinsam einer einzigen Sache widmeten: dies war dir und nicht ihnen vorbehalten; bislang wurden höchstens von klugen und gerecht urteilenden Menschen die Werke der Frauen in angemessener Weise gelobt, ohne daß die Frauen selbst ein Buch über diese Dinge verfaßt hätten. Und was die Länge der Zeit angeht, die verstrichen ist, ohne daß die Frauen ihren Anklägern und Verleumdern widersprochen haben, so sage ich dir: nimmt man als Zeiteinheit die gesamte Dauer des irdischen Lebens, so geschehen alle Dinge letzten Endes doch im rechten Augenblick. Denn wie lange duldete Gott nicht die Existenz der Ketzerglauben auf der Welt, die sich gegen Seine heilige Religion richteten, die nur unter gewaltigen    Anstrengungen ausgerottet werden konnten und die immer noch andauerten, wenn man ihnen nicht widersprochen und ihnen den Garaus bereitet hätte? Ähnliches gilt für viele andere Dinge, die zunächst eine lange Zeit geduldet, dann jedoch aufs schärfste bekämpft und zurückgedrängt wurden.«                                                                                                                         Erneut richtete ich, Christine, das Wort an sie: »Hohe Frau, Ihr habt völlig recht, aber ich weiß schon jetzt, daß dieses vorliegende Werk den Verleumdern Anlaß zu allerhand Protestgemurmel geben wird. Selbst wenn es in der Vergangenheit und der Gegenwart einige rechtschaffene Frauen geben sollte, werden sie einwenden, so seien dies doch keineswegs alle Frauen, ja, noch nicht einmal ihr größter Teil.«
Antwort: »Es ist falsch zu behaupten, die meisten Frauen seien schlecht. Hinreichend bewiesen durch das zuvor Gesagte und durch die Alltagserfahrung ist ferner, daß die Frauen gottesfürchtig sind und sich durch zahlreiche Akte der Nächstenliebe auszeichnen, daß außerdem die gewaltigen Schandtaten und all die Schlechtigkeiten, die ohne Unterlaß auf der Welt geschehen, nicht das Werk von Frauen sind. Aber wen verwundert es schon, wenn nicht alle Frauen rechtschaffen sind! In ganz Ninive, einer großen Stadt mit vielen Einwohnern, ließ sich kein einziger Rechtschaffener finden, als der Prophet Jona sich auf Befehl Unseres Herrn dorthin begab, um die Stadt der Zerstörung preiszugeben, falls sie sich nicht von Grund auf änderte; das gleiche gilt für die Stadt Sodom, die Lot verließ, als das Feuer des Himmels sie verbrannte. Bedenke auch — und dies ist noch gravierender — daß sich selbst unter den Jüngern Jesu Christi, deren Zahl sich auf nur zwölf belief, bereits wieder ein schlechter Mensch befand. Und ausgerechnet die Männer sollten wirklich die Dreistigkeit besitzen, von allen Frauen, ohne Ausnahme, moralische Vollkommenheit zu verlangen und außerdem noch zu behaupten, all jene, die diese Vollkommenheit nicht besäßen, müßten gesteinigt werden? Aber die Männer sollen sich doch zuerst einmal selbst betrachten — und nur derjenige, der ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein! Und sie selbst, wie sollten sie denn sein? Wahrlich, ich sage dir: sobald die Männer selbst vollkommene Wesen sein werden, wollen die Frauen ihrem Beispiel gern folgen.«

CHRISTINE FRAGT FRAU RECHTSCHAFFENHEIT, OB ES DER WAHRHEIT ENTSPRECHE,
DASS ES IN LIEBESDINGEN KAUM TREUE FRAUEN GIBT, WIE ZAHLREICHE MÄNNER BEHAUPTEN;
DIE ANTWORT DER FRAU RECHTSCHAFFENHEIT.

LIV.
Im Weitergehen richtete ich, Christine, die folgenden Worte an sie: »Hohe Frau, wir wollen damit diese Fragen auf sich beruhen lassen. Vorausgesetzt, es wäre möglich, die bislang respektierten Orientierungsmarken ein ganz klein wenig zu überschreiten, so würde ich Euch liebend gern ganz bestimmte Fragen stellen — wenn ich nur sicher sein könnte, Euch nicht zu verärgern! Denn der Bereich, den ich ansprechen möchte, hat zwar seinen Ursprung in einem Naturgesetz, aber er liegt doch etwas außerhalb des Geltungsbereichs der Vernunft.« Jene aber antwortete mir: »Teure Freundin, sag, was du möchtest, denn den Schüler, der etwas lernen soll, darf man auch dann nicht tadeln, wenn er den Lehrer alles mögliche fragt.«
»Edle Frau, ein Naturgesetz bestimmt auf der Welt die Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Dieses Gesetz ist nun keineswegs auf menschlichen Urteilsschluß, sondern auf körperliche Anziehungskraft gegründet, und es bewirkt, daß Männer und Frauen einander um eines nichtigen Vergnügens willen heiß und leidenschaftlich lieben. Die Gründe und Ursachen jener Liebe, die sich ihrer plötzlich bemächtigt, sind ihnen unbekannt. Hinsichtlich jener Art von Liebe, die ziemlich verbreitet ist und die man als »Liebesleben« bezeichnet, behaupten nun die Männer, die Frauen seien, ungeachtet ihrer Beteuerungen, nur in den seltensten Fällen beständig, sie seien vielmehr lieblos, durch und durch falsch und von gewaltiger Verstellungskunst; dies alles hänge mit ihrer Unbeständigkeit zusammen. Neben anderen Autoren, die die Frauen dieser Dinge bezichtigen, greift Ovid sie in seinem Liebeskunst genannten Buch deswegen scharf an. Wenn nun jener Ovid und andere Autoren in seinem Gefolge die Frauen dessen heftig anklagen, dann behaupten sie, alles, was sie über weibliche Täuschungsmanöver und Gemeinheiten in ihren Büchern niederschrieben, diene dem gemeinen Nutzen. Es geschehe nämlich in der Absicht, die Männer vor den weiblichen Schlichen zu warnen, wie vor der Schlange, die sich unter dem Gras verbirgt, damit jene sich davor besser in acht nehmen könnten. Hohe Frau, nun seid so gut und klärt mich über den Wahrheitsgehalt dieser Angelegenheit auf.«
Antwort: »Liebe Freundin, hinsichtlich der Verlogenheit, die die Männer den Frauen unterstellen, weiß ich nicht, was ich dir noch sagen soll: schließlich hast du dich selbst ja sehr ausführlich zu eben diesen Themen geäußert, und zwar sowohl in deiner Epistre au Dieu d'Amours als auch in den Epistres sur le Roman de la Rose. Was jedoch die von dir erwähnte Rechtfertigung der Männer angeht, sie täten es im Hinblick auf den gemeinen Nutzen, so werde ich dir beweisen, daß dies nicht der wahre Grund ist, und zwar deshalb: als gemeiner oder öffentlicher Nutzen gilt in einer Stadt, einer Region oder in einer menschlichen Gesellschaft allein das, was allen nutzt und zugutekommt, und an dem ein jeder, ob Frau oder Mann, teilhat. Alles jedoch, was im Hinblick auf den Nutzen einzelner und zum Nachteil der anderen unternommen wird, muß als privater oder eigener Nutzen bezeichnet werden und verdient keineswegs die Bezeichnung »gemeiner Nutzen«. Dies gilt in noch viel stärkerem Maße für ein Gut, das man den einen nimmt, um es den anderen zu geben; so etwas muß nicht nur als eigener oder privater Nutzen bezeichnet werden, sondern schlicht und einfach als Beraubung der einen Partei zugunsten einer anderen, als Leid, das man der einen zufügt, um die andere zu unterstützen. Denn diese Männer richten sich niemals an die Frauen, um sie vor den Hinterhältigkeiten der Männer zu warnen, obwohl doch kein Zweifel daran bestehen kann, daß sie mit ihren Schlichen und Betrugsmanövern die Frauen sehr oft auf raffinierte Weise täuschen.
Des weiteren kann nicht der geringste Zweifel daran bestehen, daß die Frauen ebenso zum Volke Gottes und zu den menschlichen Wesen gehören wie die Männer, daß sie keineswegs zu einer anderen Art oder zu einem verschiedenartigen Stamm gehören und aus diesem Grunde von moralischen Lehren ausgeschlossen werden dürften. Daraus folgere ich also: hätten diese Männer es wirklich zum Nutzen der Gemeinschaft, und das heißt: für beide Parteien, getan, dann hätten sie sich in gleichem Maße an die Frauen gewandt, um sie vor männlichen Hinterhältigkeiten zu warnen, wie sie es für die Männer getan haben, damit diese sich vor den Frauen hüteten.
Aber lassen wir diese Frage und wenden wir uns der anderen zu, will sagen: daß Frauen, wenn sie einmal lieben, weder so kalt noch so unbeständig sind, wie jene Männer es behaupten. Sollte dir als Beweis hierfür nicht das beispielhafte Zeugnis jener Frauen genügen, die treu bis in den Tod waren? Zuallererst will ich dir, obwohl du selbst früher in deinen Schriften bereits über sie gesprochen hast, von der edlen Dido, der Königin von Karthago, erzählen; von der außerordentlichen Bedeutung dieser Frau war bereits weiter oben die Rede.

ÜBER DIDO[1] DIE KÖNIGIN VON KARTHAGO,
ALS BEWEIS FÜR DIE BESTÄNDIGKEIT WEIBLICHER LIEBE.

LV.
Wie bereits weiter oben berichtet wurde, regierte die karthagische Königin Dido in Freuden, Frieden und in großen Ehren über ihre Stadt, als zufällig Aeneas dorthin gelangte. Nach der Zerstörung Trojas hatte er diese Stadt als Herzog und Anführer einer großen Schar Trojaner verlassen; schlimme Unwetter hatten ihm zugesetzt und seine Schiffe zerstört. Seine Vorräte waren knapp geworden und die meisten seiner Leute umgekommen. Aeneas sehnte sich nach Ruhe und besaß kein Geld mehr; er war es überdrüssig, über das Meer zu irren, brauchte dringend eine Herberge und erreichte also in diesem Zustand den Hafen von Karthago. Da er nicht riskieren wollte, fremden Boden ohne Erlaubnis zu betreten, schickte er Boten zur Königin mit der Anfrage, ob ihr seine Landung genehm sei. Die edle, hochherzige und rechtschaffene Frau, die sehr wohl wußte, daß die Trojaner in jener Zeit das angesehenste Volk waren und daß jener Herzog Aeneas vom trojanischen Königshaus abstammte, erteilte ihm nicht nur die Landeerlaubnis, sondern kam ihm in Begleitung sehr vornehmer Edelfrauen und Jungfrauen bis ans Ufer entgegen, um ihn und sein gesamtes Gefolge in großen Ehren zu empfangen. Sie geleitete ihn in ihre Stadt, ließ ihm alle Ehrungen zuteil werden, veranstaltete Feste und sorgte für sein Wohlbefinden. Was soll ich dir sonst noch erzählen? Aeneas verbrachte dort so angenehme und geruhsame Tage, daß er all seine frühere Not beinahe vergaß. Dido und Aeneas sahen sich so häufig, daß Amor, der die Herzen unbemerkt zu stehlen versteht, die beiden sich ineinander verlieben ließ.
In der Wirklichkeit erwies sich jedoch Didos Liebe zu Aeneas als bedeutend stärker als seine Gefühle für sie; denn obwohl er ihr gelobt hatte, niemals eine andere Frau zu nehmen und für immer ihr zu gehören, verließ er sie, nachdem sie ihn wieder aufgerichtet, ihn mit Geld und allem Lebensnotwendigen versehen hatte, nachdem seine Schiffe repariert, instandgesetzt und mit Schätzen und Gütern versehen worden waren; Dido hatte, da es um den geliebten Mann ging, an nichts gespart. Ohne von ihr Abschied zu nehmen, schlich er sich des Nachts heimlich und ohne ihr Wissen davon: auf diese Weise belohnte er seine Gastgeberin. Diese Trennung schmerzte die arme Dido, deren Liebe grenzenlos war, so sehr, daß sie beschloß, von nun an auf jegliche Freude und überhaupt auf das Leben zu verzichten. Und tatsächlich stürzte sie sich, nachdem sie zuvor herzzerreißend geklagt hatte, in ein großes Feuer, das sie hatte anzünden lassen. Andere Quellen berichten, sie habe sich mit dem Schwert des Aeneas umgebracht. Ein überaus jammervolles Ende nahm also die edle Königin Dido, die zuvor in so hoher Ehre gestanden hatte wie keine andere Frau ihrer Zeit.

ÜBER DIE LIEBENDE MEDEA[1]

LVI.
Medea, die Tochter des Königs von Kolchis, die über ein überwältigendes Wissen verfügte, empfand für Jason eine maßlose und allzu beständige Liebe. Jener Jason, ein griechischer Ritter und äußerst tapferer Krieger, erfuhr, daß es auf der Insel Kolchis, deren Herrscher der Vater Medeas war, ein wundersames goldenes Schaf gab, das durch allerlei Zaubermittel bewacht wurde; er erfuhr ferner, es sei, obgleich das Vlies jenes Schafes im Grunde gar nicht errungen werden könne, einem Ritter bestimmt, dieses zu erobern. Als Jason, der sehr begierig darauf war, seinen Ruhm zu vergrößern, dies vernahm, verließ er mit einem großen Gefolge Griechenland, um sich dieser Herausforderung zu stellen. Als er aber auf der besagten Insel Kolchis eintraf, teilte ihm der dortige König mit, das Goldene Vlies könne weder durch menschliche Tapferkeit noch durch Waffengewalt errungen werden, denn es sei verzaubert. Schon viele Ritter, die sich darin versucht hätten, seien dabei zugrundegegangen und er, Jason, wolle doch sicher nicht sein Leben aufs Spiel setzen und riskieren, es im Nu zu verlieren. Jason entgegnete, er habe sich nun einmal auf dieses Abenteuer eingelassen und wolle nicht mehr zurück, selbst wenn er dabei sein Leben verlöre. Medea, die Tochter des Königs, sah, daß Jason sehr schön, von königlicher Abstammung und großem Ruhm war, und es schien ihr, er sei der geeignete Ehemann für sie und niemand auf der Welt ihrer Liebe würdiger als er. Aus diesem Grunde beschloß sie, sein Leben zu retten, denn es jammerte sie sehr, daß ein solcher Ritter auf diese Weise zugrundegehen sollte. Sie unterhielt sich lange und in aller Ruhe mit ihm. Um es abzukürzen: da sie sehr erfahren in dieser Materie war, versah sie ihn mit allen möglichen Zauberkräften und zeigte ihm in allen Einzelheiten, wie und auf welchem Wege er das Goldene Vlies erobern konnte; zur Belohnung versprach Jason ihr, sie ohne eine andere Mitgift zur Frau zu nehmen und ihr für immer in unverbrüchlicher Liebe verbunden zu sein. Dieses Versprechen hielt Jason jedoch nicht, denn nachdem er bekommen hatte, was er begehrt, verließ er sie um einer anderen Frau willen. Sie aber, die sich eher hätte foltern lassen, als ihn auf diese Weise zu hintergehen, war darüber so verzweifelt, daß ihr Herz von dieser Stunde an weder Glück noch Freude kannte.

ÜBER THISBE[1]

LVII.
Wie du weißt, erzählt Ovid in seinen Metamorphosen von zwei reichen und vornehmen Bewohnern der Stadt Babylon, die in so enger Nachbarschaft zueinander lebten, daß sich die Mauern der von ihnen bewohnten Paläste berührten. Jene besaßen zwei über die Maßen schöne und anmutige Kinder, der eine einen Sohn namens Pyramus, der andere eine Tochter namens Thisbe. Diese beiden Kinder, die, wie es im Alter von sieben Jahren zu sein pflegt, an nichts Böses dachten, empfanden bereits eine so tiefe Zuneigung zueinander, daß eins nicht ohne das andere sein mochte. Jeden Tag konnten sie gar nicht früh genug aufstehen und in ihren jeweiligen Häusern ihre Mahlzeit einnehmen, um dann so schnell wie möglich mit den anderen Kindern zu spielen und dort einander zu begegnen; bei all ihren Spielen waren diese beiden Kinder stets unzertrennlich. Dies ging nun eine ganze Weile so, und beide wuchsen allmählich heran; und je älter sie wurden, desto stärker wurde die Flamme der Liebe in ihrem Herzen. Da sie jedoch immer zusammensteckten und dies allmählich auffiel, schöpfte man schließlich Verdacht. Thisbes Mutter wurde alles hinterbracht; diese sperrte daraufhin ihre Tochter in ihren Gemächern ein und verkündete zornentbrannt, sie werde Thisbe schon vor den Nachstellungen des Pyramus zu schützen wissen. Dieses Eingesperrtsein bereitete den Kindern so großen Kummer, daß sie herzzerreißend weinten und klagten; die Unmöglichkeit, einander zu sehen, schmerzte sie über die Maßen. Dieser beklagenswerte Zustand währte lange Zeit, ohne ihre Liebe auch nur im geringsten zu mindern oder sie erkalten zu lassen. Obgleich sie einander nicht sahen, wuchs die Liebe mit den Jahren, und auf diese Weise erreichten sie beide das Alter von fünfzehn Jahren.
Eines Tages wollte Fortuna es, daß Thisbe, die an nichts anderes denken konnte, weinend und allein in ihrem Zimmer saß, die Wand betrachtete, die ihre beiden Häuser trennte, und dabei hochbetrübt sagte: >Ach, Mauer aus hartem Stein, die du die Trennwand zwischen meinem Geliebten und mir bist, wenn du auch nur ein Fünkchen Mitleid besäßest, dann bekämst du einen Sprung, damit ich den, nach dem ich mich so sehr sehne, sehen könnte!< Und als sie diese Worte sprach, sah sie auf einmal, daß die Mauer in einem kleinen Winkel einen Riß hatte und sie den Lichtschimmer der anderen Seite wahrnehmen konnte. Sie näherte sich diesem Riß und vergrößerte, da ihr kein anderes Werkzeug zur Verfügung stand, mit ihrer Gürtelschnalle das Loch so gut es ging und so lange, bis Pyrarnus darauf aufmerksam würde: so geschah es denn auch.
An dieser Stelle trafen sich die Liebenden sehr oft, um durch die besagte Öffnung miteinander zu sprechen und sich herzzerreißend zu beklagen. So übermächtig war ihre Liebe, daß sie schließlich den Plan schmiedeten, sich des Nachts heimlich von ihren Eltern fortzuschleichen, um sich dann außerhalb der Stadt bei einer Quelle unter einem Maulbeerbaum wiederzufinden; an diesem Ort hatten sie in ihrer Kindheit oft gespielt. Thisbe, deren Liebe stärker war, erreichte die Quelle als erste. Während sie auf ihren Geliebten wartete, hörte sie voller Schrecken, wie laut brüllend ein Löwe ankam, um aus der Quelle zu trinken, worauf sie davonlief, um sich im nahegelegenen Buschwerk zu verbergen; dabei ließ sie ihr weißes Kopftuch fallen. Der Löwe fand es und erbrach darauf die Eingeweide der Tiere, die er zuvor verschlungen hatte. Bevor Thisbe sich aus ihrem Busch hervorwagte, traf Pyramus ein. Weil er Thisbes Kopftuch und auf diesem im Lichte des Mondes die Eingeweide ausgebreitet sah, war er fest überzeugt, die Geliebte sei verschlungen worden. Sein Schmerz darüber war so groß, daß er sich mit seinem eigenen Schwert umbrachte. Während er starb, kam Thisbe herbei und fand ihn in diesem Zustand; das Kopftuch, das sie ihn umschlungen halten sah, kündete ihr von der Ursache dieses Unglücks. Sie war darüber so verzweifelt, daß sie ebenfalls nicht länger leben wollte, und als sie sah, daß alles Leben aus ihrem Geliebten gewichen war, brach sie in lange, bewegende Klagen aus und tötete sich dann mit dem gleichen Schwert.

HIER IST VON HERO[1] DIE REDE.

LVIII.
Die edle Jungfrau Hero liebte Leander nicht weniger als Thisbe ihren Pyramus. Jener Leander setzte sich, um den Ruf seiner Geliebten zu schützen und ihr Liebesverhältnis geheim zu halten, lieber großen Gefahren aus, als sie ganz offen und vor aller Augen zu besuchen. Um die Dame seines Herzens zu sehen, hatte er sich deshalb folgendes ausgedacht: des Nachts erhob er sich oft geschwind und in aller Heimlichkeit, damit niemand es bemerke, von seinem Lager und ging allein zu einem ziemlich breiten Meeresarm namens Hellespont; er durchschwamm diesen und gelangte zu einem Schloß namens Abydos, das am anderen Ufer lag. Dort stand Hero an einem Fenster und wartete auf ihn. In dunklen und langen Winternächten stellte sie sich mit einer Fackel hinter das Fenster, um ihm den richtigen Weg zu weisen. Über mehrere Jahre hinweg praktizierten die beiden Liebenden dieses Verfahren, und es ging so lange gut, bis Fortuna ihnen ihr vergnügliches Leben neidete und beschloß, ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen. In jener winterlichen Jahreszeit war eines Tages aufgrund eines Unwetters das Meer sehr gefährlich, sturmgepeitscht, und es herrschte starker Seegang. Dieses Unwetter tobte viele Tage lang ohne Unterlaß, so daß den beiden Liebenden die lange Wartezeit bis zum nächsten Stelldichein großen Verdruß bereitete. So lange klagten beide über den Wind und das nicht nachlassende Unwetter, bis schließlich die Sehnsucht Leander keine Ruhe mehr finden ließ. Er erblickte nämlich eines Nachts die von Hero gehaltene Fackel am Fenster, und es schien ihm, als riefe sie ihn durch dieses Zeichen herbei, und er meinte, ihm könne Feigheit vorgeworfen werden, wenn er nicht jede Gefahr auf sich nähme, um dorthin zu gelangen. Aber ach! die unglückliche Frau, die voller Furcht war und die es ihm, hätte sie es vermocht, am liebsten verboten hätte, solche Gefahren auf sich zu nehmen, um sie zu sehen, hielt die Fackel auf gut Glück; sie wollte ihm damit, für den Fall, daß er unterwegs wäre, lediglich die Orientierung ermöglichen. Nun wollte es jedoch das Unglück, daß Leander, sobald er zu schwimmen begonnen hatte, von den Wellen des Meeres überwältigt und so weit herausgetrieben wurde, daß er ertrank. Währenddessen weinte die arme Hero, deren Herz sie das Geschehene ahnen ließ, ohne Unterlaß. Sie fand weder Schlaf noch Ruhe und stellte sich bei Tagesanbruch erneut ans Fenster, an dem sie bereits die ganze Nacht verharrt hatte, und als sie auf einmal den Leichnam ihres Geliebten auf dem Meer treiben sah, wollte sie nicht länger leben, stürzte sich in die Fluten und schwamm so lange, bis sie ihn in den Armen hielt. Auf diese Weise wurde ihr ihre übergroße Liebe zum Verhängnis.

ÜBER GHISMONDA[1] DIE TOCHTER DES FÜRSTEN VON SALERNO

LIX.
Boccaccio erzählt im Decameron, es habe einmal einen Fürsten von Salerno namens Tancredi gegeben. Dieser besaß ei ne sehr schöne, edle, kluge und wohlerzogene Tochter, die Ghismonda hieß und von ihrem Vater so sehr geliebt wurde, daß dieser nicht leben konnte, ohne sie zu sehen, und obwohl von vielen Seiten Druck auf ihn ausgeübt wurde, konnte er sich nur unter gewaltigen Schmerzen dazu durchringen, ihrer Verheiratung zuzustimmen. Schließlich wurde sie dem Herzog von Capua zur Frau gegeben, aber da der Herzog bald starb und sie also nicht lange verheiratet blieb, nahm der Vater sie wieder bei sich auf und beschloß, sie nie wieder zu verheiraten. Die edle Frau, die die ganze Freude ihres alten Vaters war, wurde sehr liebevoll umsorgt. Sie war sich jedoch auch ihrer Schönheit und Jugend bewußt, und es ist anzunehmen, daß es sie nicht sehr glücklich machte, auf diese Weise und unverheiratet ihre Jugend zu vergeuden; andererseits wagte sie es jedoch auch nicht, sich dem väterlichen Willen zu widersetzen. Jene edle Frau saß häufig im Rittersaal neben ihrem Vater, und als sie die Edelleute des Hofes betrachtete, fiel ihr Auge auf einen Knappen, der ihr über die Maßen gefiel und in jeder Hinsicht ihrer Liebe würdig schien, obwohl sich dort zahlreiche Ritter und Edelleute aufhielten. Kurz und gut, sein Auftreten zog so sehr ihre Aufmerksamkeit auf sich, daß sie beschloß, ihre Sinnlichkeit mit ihm auszuleben, um ihre Jugend in größerer Freude zu verbringen und dem Übermut ihres Herzens Genüge zu tun. Bevor sie ihm jedoch dies offenbarte, beobachtete sie sehr genau jeden Tag, während sie ihren Platz an der Tafel ihres Vaters einnahm, die Verhaltensweisen und die Haltung jenes Guiscardo; je mehr und je länger sie ihn jedoch beobachtete, desto vollkommener in jeder Hinsicht dünkte er ihr.
Nachdem sie ihn also eine ganze Weile beobachtet hatte, ließ sie ihn eines Tages zu sich holen und richtete die folgenden Worte an ihn: >Teurer Freund Guiscardo, das Vertrauen, das ich in Eure Güte, Treue und Rechtschaffenheit setze, bewegt und ermutigt mich dazu, Euch Dinge anzuvertrauen, die mein Innerstes berühren und die ich niemandem sonst mitteilen würde; bevor ich sie Euch anvertraue, bitte ich Euch jedoch zu schwören, sie niemals jemandem zu enthüllen oder mitzuteilen.< Guiscardo antwortete: >Herrin, seid unbesorgt, ich werde nie etwas, was Ihr mir anvertraut, publik machen, und Ihr könnt Euch vollkommen auf meine Ergebenheit verlassen.< Daraufhin sagte Ghismonda zu ihm: >Guiscardo, Ihr sollt wissen, daß sich mein Begehren auf einen Edelmann richtet, den ich liebe und lieben will. Weil ich jedoch weder offen mit ihm sprechen, noch ihm durch einen Boten meine Absichten kundtun kann, will ich dich zu unserem Liebesboten bestimmen. Und nun denk einmal nach, ob ich dir nicht mehr als jedem anderen vertraue, wenn ich dir meine Ehre ohne jede Einschränkung anvertraue.< Daraufhin kniete jener nieder und sprach: >Edle Herrin, ich weiß, wie weise und rechtschaffen Ihr seid und wie fern es Euch hegt, Euch auf etwas Unschickliches einzulassen. Deshalb danke ich Euch sehr unterwürfig dafür, daß Ihr mir, vor allen anderen, so viel Vertrauen schenkt und mir Eure geheimsten Gedanken eröffnen wollt. Deshalb, teuerste Herrin, enthüllt mir nur ohne jedes Zögern Eure geheimsten Wünsche, wie jemandem, der sich mit Leib und Seele anbietet, so gut er kann, all Huren Befehlen zu folgen. Zugleich biete ich mich als überaus ergebener Diener desjenigen Mannes an, der sich der Liebe einer so hochgestellten Frau erfreut, denn eins ist gewiß: er hat seine Liebe einer hochgeborenen und sehr edlen Person geschenkt.< Als Ghismonda, die ihn auf die Probe stellen wollte, ihn so weise sprechen hörte, ergriff sie seine Hand und sagte zu ihm: >Teurer Freund Guiscardo, wisse, daß du derjenige bist, den ich mir zum alleinigen Geliebten auserkoren habe und an dem allein ich meine Freude zu haben gedenke, weil dich nach meiner Meinung deine edle Gesinnung und dein dir eigenes untadeliges Verhalten einer solch hochgestellten Liebe würdig macht.< Der Jüngling zeigte sich höchst entzückt angesichts dieser Eröffnung und dankte ihr demütig dafür.
Kurz und gut, über eine lange Zeit hinweg huldigten sie diesem Liebesverhältnis, ohne daß irgend jemand etwas davon gemerkt hätte. Fortuna jedoch, die ihnen ihr Glück neidete, ertrug es nicht länger, die beiden Liebenden in Freude leben zu sehen, und verwandelte deshalb ihr Vergnügen in die allerbitterste Traurigkeit. Durch einen sehr merkwürdigen Zufall ergab es sich an einem Sommertag, als sich Ghismonda in einem Garten mit ihren jungen Mädchen vergnügte, daß ihr Vater, der nur in ihrer Gegenwart glücklich war, sich zu eben jener Stunde allein in ihr Gemach begab, um sich dort zu unterhalten und zu vergnügen. Als er jedoch die Fenster geschlossen, die Bettvorhänge zugezogen und niemanden dort sah, nahm er an, sie hielte ihren Nachmittagsschlaf; da er sie nicht wecken wollte, legte er sich auf ein Lager und versank dort in tiefen Schlaf. Nachdem Ghismonda der Meinung war, sie habe sich nun lange genug im Garten aufgehalten, begab sie sich in ihr Zimmer, legte sich nieder, als wollte sie der Ruhe pflegen, schickte alle ihre Frauen fort und ließ die Tür hinter sich schließen, ohne daß ihr die Anwesenheit ihres Vaters oder etwas anderes aufgefallen wäre. Als sie sich aller Gesellschaft ledig sah, erhob sie sich von ihrem Lager und befreite Guiscardo aus einem ihrer Kleiderschränke, um ihn in ihr Gemach zu geleiten. Während sie sich jedoch, verborgen von den Bettvorhängen, unterhielten, wie es diejenigen tun, die ganz allein zu sein glauben, erwachte der Fürst und vernahm, daß sich ein Mann in Gegenwart seiner Tochter befand. Dies schmerzte ihn so sehr, daß ihn der Gedanke daran, dem Ruf seiner Tochter zu schaden, nur mit großer Mühe davor zurückhalten konnte, sich auf diesen Mann zu stürzen; immerhin gelang es ihm, sich zu beherrschen, und er erfuhr, wer jener Liebhaber war. Dann brachte er es fertig, das Zimmer zu verlassen, ohne von den Liebenden bemerkt zu werden; Guiscardo machte sich davon, nachdem die beiden eine geraume Zeit zusammen verbracht hatten. Der Fürst jedoch, der ihm hatte nachspionieren lassen, ließ ihn sogleich festnehmen und ins Gefängnis werfen; dann ging er zu seiner Tochter, um ihr unter vier Augen, mit Tränen im Blick und mit einem traurigen Gesicht die folgenden Worte zu sagen: >Ghismonda, ich glaubte in dir eine Tochter zu besitzen, die alle Frauen an Schönheit, Keuschheit und Klugheit übertrifft, aber nun werde ich, wenn auch schweren Herzens und in großer Wut, eines besseren belehrt — denn wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, hätte ich es nie für möglich gehalten, dich der Liebe zu einem Mann, der nicht dein Ehemann ist, zu überführen. Da dies jedoch eingetroffen ist, bin ich sicher, daß die Trauer darüber mir mein Alter und die wenige Zeit, die es mir vergönnt ist zu leben, vergällen wird. Wenn ich daran denke, daß ich meinte, du überträfest alle Frauen an edler Gesinnung, dann bringt mich das nur noch mehr in Rage, denn ich stelle genau das Gegenteil fest: du hast dein Auge auf einen der Geringsten meines Hofes geworfen. Wenn du schon so etwas vorhattest, dann hättest du in meinem Gefolge sehr viel edlere Männer als Guiscardo finden können, den ich den mir zugefügten Schmerz teuer bezahlen lassen will. Denn du sollst wissen, daß ich ihn umbringen lassen werde; mit dir würde ich ähnlich verfahren, wenn ich nur mein Herz von der närrischen Liebe, die ich für dich empfinde, befreien könnte, einer Liebe, die größer ist als alles, was je ein Vater für eine Tochter empfand, und die allein mich davon abhält.<
Als Ghismonda vernahm, daß ihr Vater um das, was sie um jeden Preis verheimlichen wollte, wußte, schmerzte sie das natürlich sehr; mehr als alles andere betrübte es sie jedoch, daß er den Mann, den sie so sehr liebte, zu töten drohte. Deshalb wollte sie am liebsten auf der Stelle sterben. Sie bezwang jedoch ihr Herz, verzog keine Miene, vergoß keine Träne, obwohl sie sich bereits darauf einstellte, nicht länger am Leben zu bleiben, und antwortete folgendermaßen: >Vater, da es Fortuna gefallen hat, Euch das zu enthüllen, was ich um jeden Preis geheimhalten wollte, erübrigt es sich für mich, Euch um irgend etwas zu bitten, außer um eines: wenn es möglich sein sollte, von Euch Gnade für den zu erbitten, auf dessen Leben Ihr es so sehr abgesehen habt, indem ich mich selbst anbiete, dann flehe ich Euch an, mir mein Leben zu nehmen und ihm das seinige zu lassen. Denn falls Ihr ihm das antun werdet, was Ihr ankündigt, dann begehre ich auch keine Vergebung von Euch, denn ich will in diesem Falle nicht länger leben, und ich versichere Euch, daß Ihr mit seinem Tod meinem Leben ebenfalls ein Ende setzt. Die Sache jedoch, die Euch so sehr gegen uns aufbringt, habt Ihr niemand anderem als Euch selbst zuzuschreiben: denn Ihr, der Ihr ein Mann aus Fleisch und Blut seid, habt Ihr niemals daran gedacht, daß Ihr eine Tochter aus Fleisch und Blut und nicht aus Stein oder Eisen gezeugt habt? Auch wenn Ihr schon ein alter Mann seid, hättet Ihr doch daran denken müssen, wie sehr in einem angenehmen und bequemen Leben die Jugend zur Qual werden kann, wie viele Regungen dabei zu überwinden si nd. Als ich Euch nun entschlossen sah, mich nie wieder zu verheiraten und zugleich spürte, wie jung ich war und wie sehr mir meine Schönheit zu schaffen machte, da verliebte ich mich in jenen Mann. Aber aus gutem Grunde und erst nach reiflicher Überlegung beugte sich mein Herz seinen Wünschen: dies geschah erst, nachdem ich sein Verhalten genau geprüft und erkannt hatte, daß er jeden anderen Mann an Eurem Hofe an moralischer Vollkommenheit übertraf. Ihr selbst, der Ihr ihn erzogen habt, wißt dies nur allzu gut. Und worauf sonst gründet sich letzten Endes Adel als auf die Tugenden? Keineswegs jedoch hat er etwas mit Geblüt und Fleisch zu tun! Deshalb habt Ihr keinen Grund zu behaupten, ich hätte mich mit dem niedrigsten Eurer Höflinge eingelassen, und angesichts Eurer eigenen Schuld ist es auch nicht gerechtfertigt, sich so sehr gegen uns zu erzürnen, wie Ihr es eben getan habt. Wenn Ihr jedoch letztendlich zu so rigiden Strafaktionen schreiten wollt, dann geht es nicht an, damit seine Person zu treffen, denn dies wäre ein gewaltiges Unrecht und eine Sünde; vielmehr habe ich dies in sehr viel stärkerem Maße verdient, weil ich jenen, dem so etwas nie in den Sinn gekommen wäre, dazu ermutigte. Und was sollte er in dieser Situation schon machen? Wenn er eine so hochgestellte Dame abgewiesen hätte, dann wäre das ein Zeichen für eine niedrige Gesinnung gewesen. Aus diesem Grunde müßt Ihr bei diesem Vergehen ihm, keineswegs jedoch mir mildernde Umstände gewähren.<
Daraufhin verließ der Fürst Ghismonda, allerdings ohne hinsichtlich Guiscardos sanfter gestimmt zu sein; vielmehr ließ er ihn am nächsten Tag umbringen und ordnete an, man möge ihm das Herz aus dem Leibe reißen. Der Vater legte das Herz in ein Gefäß aus Gold und ließ es durch einen geheimen Boten seiner Tochter bringen, mit der Botschaft, er schicke ihr dieses Geschenk, um ihr mit dem eine Freude zu machen, was sie am meisten liebe; sie ihrerseits habe ihn mit dem erfreut, was er, der Vater, am meisten liebe. Der Bote trat vor Ghismonda, übergab sein Geschenk und sagte, was man ihm aufgetragen hatte. Sie ergriff das Gefäß, öffnete es und wußte sofort, was geschehen war. Aber obwohl sie ein unbezwingbarer Schmerz ergriff, änderte dies nichts an ihrer stolzen Gesinnung, und sie entgegnete deshalb, ohne die Miene zu verziehen: >Teurer Freund, richtet dem Fürsten folgendes aus: wenn er jemals in irgendeiner Hinsicht weise gehandelt hat, dann auf jeden Fall darin, einem so edlen Herzen wie diesem eine angemessene Grabstätte gegeben zu haben, denn allein Gold und Edelsteine sind seiner würdig.< Daraufhin senkte sie ihr Antlitz auf das Gefäß, küßte das Herz und sprach währenddessen die mitleidheischenden Worte: Ach, süßestes aller Herzen, Hort aller meiner Vergnügen, verflucht sei die Grausamkeit des Mannes, der dich vor meine Augen bringt, warst du doch vor den Augen meiner Gedanken bereits hinreichend gegenwärtig! Nun hat ein unglückliches Geschick dem Verlauf deines edlen Lebens ein Ende bereitet, aber den Umtrieben der falschen Fortuna zum Trotz, erhieltest du gerade von deinem Widersacher die Begräbnisstätte, die dir aufgrund deiner Vortrefflichkeit gebührt. Und nun steht dir, mein süßes Herz, der letzte Liebesdienst zu, der dir nicht verweigert werden wird: gebadet und benetzt werden sollst du von den Tränen jener Frau, die du so sehr liebtest. Ferner soll deine Seele nicht ohne die Gesellschaft der ihrigen bleiben, denn dies ginge nicht an; schon bald wird diese der deinen Gesellschaft leisten. Immerhin geschah dir, wiederum gegen den Willen der treulosen Fortuna, die dir so übel mitspielte, eine große Wohltat, denn mein grausamer Vater sandte dich zu mir: auf diese Weise werden dir größere Ehren zuteil, und ich kann noch einmal mit dir sprechen, bevor ich diese Welt verlasse und sich meine Seele mit deiner, nach deren Gesellschaft ich mich sehne, ergötzt, weiß ich doch nur allzu gut, daß dein Geist mit aller Macht nach dem meinen verlangt.< Diese und zahlreiche andere Worte sprach Ghismonda, und sie waren so mitleiderregend, daß niemand sie hören konnte, ohne selbst in Tränen auszubrechen. Ghismonda weinte so sehr, daß es den Anschein hatte, in ihrem Haupte befänden sich zwei Brunnen, die sich ohne Unterlaß in jenes Gefäß ergossen. Dies alles geschah ohne lautes Geschrei; sie sprach vielmehr mit leiser Stimme und küßte dabei das Herz.
Die Hofdamen und Edelfräulein in Ghismondas Gesellschaft zeigten sich sehr verwundert angesichts dieses Vorgangs, denn sie wußten nichts von der ganzen Angelegenheit und ahnten folglich auch nicht, welches die Ursache für Ghismondas übergroßen Schmerz sein konnte. Dennoch weinten sie alle aus Mitleid mit ihrer Herrin und bemühten sich, diese zu trösten, aber alles half nichts, und vergebens fragten sie ihre engsten Vertrauten nach dem Grund für ihre Trauer. Sie aber, die von ihrem schrecklichen Schmerz überwältigt wurde, sprach, nachdem sie genug Tränen vergossen hatte: >Oh du so sehr geliebtes Herz, ich habe alle meine Pflichten gegen dich erfüllt, und nun bleibt mir nur noch, dir meine Seele zu senden, auf daß sie der deinigen Gesellschaft leiste.< Nach diesen Worten erhob sie sich, öffnete einen Schrank und holte ein Fläschchen heraus, in dem sie zuvor giftige Kräuter in Wasser aufgelöst hatte und das sie für den Notfall bereithielt. Sie goß jene Flüssigkeit in das Gefäß, in dem das Herz lag, und trank sie furchtlos aus. Dann warf sie sich auf ihr Lager, um den Tod zu erwarten und hielt dabei das Gefäß immer noch eng an sich gepreßt. Als die Edelfräulein sahen, daß ihr Körper Merkmale des Todes zu zeigen begann, schickten sie in großer Trauer nach dem Vater, der versucht hatte, sich durch Zerstreuungen von seiner Schwermut etwas abzulenken. Er kam in dem Augenblick hinzu, als sich das Gift bereits in den Adern ausbreitete. Tiefer Schmerz erfüllte ihn angesichts des Geschehenen, und er bereute seine Tat. Mit sanften Worten und voller Traurigkeit begann er zu ihr zu sprechen und meinte sie zu trösten. Seine Tochter jedoch antwortete ihm, solange sie noch sprechen konnte: >Tancredi, spar dir deine Tränen für einen anderen Anlaß, hier sind sie überflüssig, denn ich will und wünsche sie nicht. Einer Schlange gleichst du, die zuerst einen Menschen tötet, um ihn dann zu beweinen. Wäre es nicht besser für dich gewesen, deine unglückliche Tochter ihrem Vergnügen nachgehen und sie heimlich einen rechtschaffenen Mann lieben zu lassen, als nun, aufgrund deiner Grausamkeit, voller Trauer ihrem schweren Tod beizuwohnen, der zudem Dinge, die in aller Heimlichkeit geschahen, ans Licht der Öffentlichkeit bringt?< Dann konnte sie nicht mehr sprechen, und das Herz brach ihr, während sie immer noch das Gefäß in der Hand hielt. Der unglückselige alte Vater starb daraufhin vor Kummer. Auf diese Weise endete Ghismonda, die Tochter des Fürsten von Salerno.

HIER IST VON LISABETTA[1] UND VON ANDEREN LIEBENDEN DIE REDE.

LX.
Im bereits erwähnten Decameron erzählt Boccaccio ebenfalls, daß in der italienischen Stadt Messina ein junges Mädchen namens Lisabetta lebte, deren drei Brüder aus Geiz ihre Verheiratung hinauszögerten. Jene besaßen einen Handlungsgehilfen, der sich um alle ihre Geschäfte kümmerte; es handelte sich um einen sehr gut aussehenden und wohlerzogenen jungen Mann, den ihr Vater schon als Kind bei sich aufgenommen und aufgezogen hatte. Da er und Lisabetta einander ständig sahen, verliebten sie sich schließlich ineinander, und an dieser Liebe erfreuten sie sich eine ganze Zeit lang. Schließlich jedoch kamen die Brüder dahinter. In ihren Augen war das Ganze zwar eine große Schande, aber sie vermieden einen Eklat, um den Ruf ihrer Schwester nicht zu ruinieren. Sie faßten den Entschluß, jenen jungen Mann, der Lorenzo hieß, umzubringen, und nahmen ihn deshalb eines Tages mit in eines ihrer Landhäuser. Dort töteten sie ihn in ihrem Garten und begruben ihn unter Bäumen. Bei ihrer Rückkehr nach Messina verbreiteten sie unter ihren Leuten, Lorenzo sei in ihrem Auftrag in entfernte Gegenden geschickt worden.
Lisabetta, die dem Jüngling in inniger Liebe verbunden war, gefiel es nicht, die Gegenwart ihres Geliebten verloren zu haben. Ihr Herz ließ sie Böses ahnen und setzte ihr so zu, daß sie eines Tages, getrieben von ihrer übergroßen Liebe, nicht umhin konnte, einen ihrer Brüder zu fragen, wohin sie denn Lorenzo geschickt hätten. Darauf antwortete ihr der Bruder mit großer Überheblichkeit: >Was geht dich das an? Wenn du jemals wieder von ihm sprichst, wird das böse Folgen für dich haben!< In diesem Augenblick wurde es Lisabetta klar, daß ihre Brüder Kenntnis von der Sache bekommen hatten, und sie war felsenfest davon überzeugt, daß sie Lorenzo umgebracht hatten. Als sie wieder allein war, verfiel sie deshalb in tiefe Trauer; des Nachts schlief sie nicht, sondern weinte sich die Augen aus und sehnte sich so sehr nach ihrem Geliebten, daß sie krank wurde. Während ihrer Krankheit bat sie ihre Brüder um Erlaubnis, sie für kurze Zeit zur Erholung auf ihr Erbgut außerhalb der Stadt ziehen zu lassen, was sie ihr gestatteten. Lisabetta, deren Herz sie das Geschehene ahnen ließ, hielt sich nun ganz allein in jenem Garten auf, in dem Lorenzo begraben lag, und als sie um sich blickte, sah sie, daß die Erde an einer Stelle vor kurzem umgegraben worden war, und zwar dort, wo sich der Leichnam befand. Da begann sie mit einer Hacke, die sie bei sich trug, so lange in der Erde herum zu graben, bis sie den Leichnam fand. Sie umschlang ihn in großer Verzweiflung und verfiel in grenzenlose Trauer. Da sie jedoch nur all zu gut wußte, daß sie sich dort nicht lange aufhalten konnte und sie Angst hatte, beobachtet zu werden, bedeckte sie den Körper wieder mit Erde und ergriff den Kopf ihres Geliebten, den ihre Brüder abgetrennt hatten. Nachdem sie ihn mit vielen Küssen bedeckt hatte, hüllte sie ihn in ein schönes Tuch und begrub ihn in einem ihrer großen Töpfe, in denen man Levkojen pflanzt. Sie jedoch pflanzte darin eine große Anzahl von Pflanzen jenes schönen und wohlriechenden Krautes, das sich »Basilikum« nennt, und kehrte mit diesem Topf in die Stadt zurück. Er war ihr so teuer, daß sie sich weder am Tage noch des Nachts von dem Fenster entfernte, an das sie ihn gestellt hatte, und ihn mit keiner anderen Flüssigkeit als ihren Tränen benetzte. Dies ging über sehr lange Zeit so; die Männer behaupten zwar, Frauen vergäßen mühelos, aber in ihrem Fall schien ihr Kummer jeden Tag zu wachsen. Das Basilikum gedieh in der fetten Erde prächtig und wuchs und wuchs. Kurz und gut, sie ging so lange auf diese Weise mit dem Pflanzentopf um, bis Nachbarinnen sie dabei beobachteten, wie sie ohne Unterlaß am Fenster über jenem Topf weinte. Sie hinterbrachten es den Brüdern, die ihr nachspionierten und Zeugen ihres wunderlichen Kummers wurden. Sie waren sehr überrascht und fragten sich, was wohl dahinterstecken mochte; des Nachts stahlen sie ihr den Topf, und als Lisabetta ihn des Morgens nicht fand, erwuchs ihr daraus neuer Kummer. Sie bat inständig darum, sie möchten ihn ihr zurückgeben: wenn sie ihn wiederbekäme, überließe sie ihnen ihren Anteil an allen anderen Gütern. Unter herzzerreißenden Klagen sprach sie die folgenden Worte: >Ach, zu welcher Stunde setzte mich meine Mutter zusammen mit so grausamen Brüdern auf die Welt, Brüdern, denen selbst mein bescheidenes Vergnügen so verhaßt ist, daß sie mir einen armseligen Basilikumtopf, der sie nichts kostet, weder lassen noch ihn mir zurückgeben wollen, und das, obwohl ich sie als einziges Erbteil um diesen Topf bitte! Ach, sie bereiten mir damit großen Kummer!< So klagte die Unglückliche ohne Unterlaß, bis sie schließlich sich auf ihr Lager legte und schwer krank wurde. Was immer man ihr auch während dieser Krankheit schenkte und zeigte, sie verlangte nur nach ihrer einzigen Freude, dem Basilikumtopf und starb seinetwegen einen jämmerlichen Tod. Du mußt nun nicht meinen, dies sei erlogen, denn man machte ein Lied, das auch heute noch gesungen wird, auf die Klagen dieser Frau und auf ihren Topf.
Was soll ich dir noch zu diesem Thema sagen? Ich könnte noch lange fortfahren und dir von Frauen erzählen, die eine solch törichte Liebe überwältigt hat und die, ohne je zu wanken, einer maßlosen Liebe gehuldigt haben. Boccaccio erzählt von einer anderen Frau, deren Ehemann sie das Herz ihres Geliebten essen ließ[2] worauf sie niemals in i hrem Leben wieder Nahrung anrührte. Ähnlich handelte die edle Frau des Fayel[3] die den Schloßherrn von Coucy liebte. An übergroßer Liebe ging die Schloßherrin von Vergy[4] zugrunde, und Isolde,[5] die Tristan zu sehr liebte, teilte ihr Schicksal. Deianeira[6] die den Herakles liebte, nahm sich nach seinem Tode das Leben. Es kann also gar keinen Zweifel daran geben, daß eine charakterstarke Frau zu einer sehr tiefen Liebe fähig ist, wenn sie einmal wirklich liebt; daneben gibt es natürlich auch einige flatterhafte Frauen.
Aber diese traurigen Beispiele, denen ich noch zahlreiche andere hinzufügen könnte, dürfen auf gar keinen Fall die Herzen der Frauen dahingehend beeinflussen, daß sie sich auf jenes so überaus gefährliche und verdammungswürdige Meer der maßlosen Liebe hinauswagen: denn letzten Endes gereicht ihnen dies in allen Fällen zum Nachteil, und sie tragen schweren Schaden sowohl in materieller Hinsicht als auch bezüglich ihrer Ehre, an ihrem Körper und, was schwerer wiegt, an ihrer Seele davon. Deshalb handeln all jene klug, die diese Liebe aus Vorsicht meiden und jenen kein Gehör schenken, die alles in Bewegung setzen, um sie auf diese Weise ins Unglück zu stürzen.

HIER IST VON JUNO[1] UND EINIGEN
ANDEREN BERÜHMTEN FRAUEN DIE REDE

LXI.
Du hast also gehört, von wie vielen Frauen die Überlieferung berichtet. Aber ich habe nicht vor, von allen zu erzählen, denn das wäre wirklich eine endlose Geschichte; ich will es deshalb genug sein lassen und darauf verzichten, noch weiteres Beweismaterial zur Widerlegung dessen vorzuführen, was nach deinen Worten einige Männer behaupten. Zum Schluß will ich dir von einigen Frauen erzählen, die in der Welt sehr große Berühmtheit erlangten, und zwar weniger aufgrund großer Tugend als vielmehr aufgrund dessen, was ihnen zustieß.
Juno, die Tochter des Saturn und der Ops, nach den Aussagen der Dichter und dem heidnischen Irrglauben, übertraf alle anderen Frauen ihres Glaubens an Ruhm, der mehr mit ihrem glücklichen Geschick als mit irgendeiner anderen hervorstechenden Eigenschaft zu tun hatte. Sie war die Schwester des Jupiter und mit ihm, den man den höchsten Gott nannte, verheiratet. Da sie und ihr Gemahl in Reichtum, Glück und Überfluß lebten, machte man sie zur Göttin des Besitzes, und die Bewohner von Samos meinten, sie seien vom Glück begünstigt, weil sie nach dem Tode dieser Göttin in den Besitz ihres Abbildes gelangt waren. Des "weiteren führten sie auf Juno die Vorteile der ehelichen Rechte zurück; die Frauen baten sie in ihren Gebeten um Beistand, und überall wurden ihr zu Ehren Tempel errichtet, Altäre aufgestellt, Spiele veranstaltet und Opfer dargebracht. Lange Zeit wurde sie auf diese Weise von den Griechen und den Karthagern verehrt. Später wurde ihr Bildnis nach Rom gebracht und im Kapitol in einem dem Jupiter geweihten Raum an der Seite ihres Gemahls aufgestellt, wo sie von den Römern, den Herren der Welt, lange durch Feierlichkeiten verschiedener Art geehrt wurde.
Ähnliches gilt für Europa, die Tochter des Phöniziers Agenor; sie erlangte Berühmtheit, weil Jupiter sie liebte, und sie verlieh einem Drittel der Erde ihren Namen. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu wissen, daß verschiedene Länder, Staaten und Städte ihren Namen Frauen verdanken, wie etwa der Name England auf eine Frau namens Angela zurückgeht; gleiches trifft für andere Länder zu.
In diesem Zusammenhang soll ebenfalls die Königin Jokaste[2] von Theben erwähnt werden, die aufgrund ihres großen Unglücks berühmt wurde, denn sie hatte durch eine unglückselige Verstrickung ihren eigenen Sohn geheiratet, nachdem dieser seinen Vater umgebracht hatte. Davon wußte jedoch weder sie noch ihr Sohn etwas. Sie erlebte seine Verzweiflung, als er davon erfuhr, und dann sah sie mit eigenen Augen, wie die beiden Söhne, die aus dieser Ehe hervorgegangen waren, sich gegenseitig umbrachten.
Berühmt war gleichfalls Medusa oder Gorgo[3] denn sie war über die Maßen schön und die Tochter des unermeßlich reichen Königs Phorcis, dessen gewaltiges Königreich vom Meer umschlossen wurde. Von dieser Medusa berichten die alten Geschichten, sie sei so unvorstellbar schön gewesen, daß sie nicht nur alle anderen Frauen an Schönheit übertroffen habe, sondern — was sehr erstaunlich und übernatürlich ist — sie habe neben der Schönheit ihres Körpers, ihres Antlitzes und ihres goldblonden, langen und lockigen Haars noch einen so anziehenden Blick besessen, daß sie jedes sterbliche Wesen, das sie anblickte, in ihren Bann schlug. Sie ließ die Menschen beinahe bewegungslos verharren, und aus diesem Grunde heißt es in der Sage, sie seien versteinert worden.
Helena, die Gemahlin des Königs Menelaos von Lakedaimon und Tochter des Königs Tyndareos von Ebalien und seiner Frau Leda, war aufgrund ihrer großen Schönheit sehr berühmt. Da sie von Paris geraubt wurde und dies die Ursache für die Zerstörung Trojas war, sagen die Geschichtswerke, sie sei, so schön auch einige andere Frauen gewesen sein mochten, die schönste aller Frauen gewesen, die jemals von einer Frau geboren worden seien. Aus diesem Grunde verkündeten die Dichter, der Gott Jupiter habe sie gezeugt.
Ähnliches trifft für Polyxene[4] zu, die jüngere Tochter des Königs Priamos; sie war die anmutigste Jungfrau, von der jemals in einer Geschichte die Rede war. Gleichzeitig war sie sehr beständig und charakterfest, was sie bewies, als man ihr über dem Grab des Achilleus den Kopf abschlug, nachdem sie gesagt hatte, es sei ihr lieber zu sterben, als in die Knechtschaft geführt zu werden. Ich könnte dir noch eine Menge ähnlicher Fälle nennen, verzichte jedoch aus Zeitgründen darauf.«

HIER ERGREIFT CHRISTINE DAS WORT, UND FRAU RECHTSCHAFFENHEIT
WIDERLEGT ALL JENE, DIE BEHAUPTEN, FRAUEN LOCKTEN DIE
MÄNNER DURCH KOKETTERIE IN IHRE NETZE.

LXII.
Ich, Christine, sagte folgendes: »Hohe Frau, wenn ich noch einmal auf das zuvor Gesagte zurückkommen darf: nach allem, was ich so sehe, tun kluge Frauen gut daran, auf die so gefährlichen Freuden der Liebe zu verzichten, denn diese gereichen ihnen nur zum Nachteil. Andererseits werden jedoch all jene scharf getadelt, denen es Freude macht, sich hübsch anzuziehen und sich herauszuputzen; gegen sie wird vorgebracht, sie täten es, um die Männer auf diese Weise in die Netze ihrer Liebe zu locken.«
Antwort: »Liebe Freundin, es ist nicht meine Sache, jene Frauen in Schutz zu nehmen, die sich zu ausgefallen und zu elegant kleiden, denn dies ist ohne Zweifel ein Laster, und zwar kein kleines: jede Form von übertriebener Aufmachung, die dem widerspricht, was einer jeden durch ihre Standeszugehörigkeit vorgeschrieben ist, verdient Tadel. Diese Schwäche soll hier also keineswegs entschuldigt werden, sondern es geht lediglich darum zu verhindern, daß jene koketten Frauen unverhältnismäßig scharf verurteilt werden. Deshalb versichere ich dir, daß es nicht unbedingt die Liebe ist, die manche Menschen, Männer wie Frauen, zu solchem Tun veranlaßt, sondern vielmehr ihr Wesen und ihre natürliche Neigung. Diese bewegen sie dazu, sich an Nichtigkeiten oder an schöner und teurer Kleidung, am Gepflegtsein oder an Luxusgegenständen zu ergötzen. Da die Natur ihnen dies eingibt, können sie nur wenig dagegen tun, auch wenn dies ein Zeichen großer Tugend wäre. Und wird nicht von dem Apostel Bartholomäus, der ein Edelmann war, überliefert, er habe sich, obwohl Unser Herr Armut predigte, in seidenes Tuch mit Fransen und einer Borte aus Edelsteinen gekleidet? Es lag einfach in seiner Natur, sich kostbar zu kleiden; dies ist zwar im Grunde merkwürdig und auffällig, aber eine Sünde beging er deswegen nicht. Manche behaupten nun, der Herr habe es aus diesem Grunde geduldet, daß man Bartholomäus in seinen Marterqualen die Haut abzog. Jedenfalls erzähle ich dir dies alles, um dir zu zeigen, daß niemand von Putz und Kleidung auf das Innere eines Menschen schließen soll, denn Gott allein steht es zu, über die Geschöpfe zu urteilen. Dies will ich dir an einigen Beispielen erläutern.

VON DER RÖMERIN CLAUDIA[1]

LXIII.
Boccaccio berichtet (und ähnliches findet sich bei Valerius), daß die edle Römerin Claudia großes Vergnügen an schöner Kleidung und ausgefallenen, hübschen Accessoires hatte. Da sie in dieser Hinsicht sehr viel anspruchsvoller als die anderen Römerinnen war, dachten manche Leute schlecht von ihr und ihrer Sittsamkeit, was ihrem Ruf schadete. Nun geschah es im fünfzehnten Jahr des zweiten Punischen Krieges, daß Pesimunte, die damals als die Mutter der Götter betrachtet wurde, nach Rom gebracht wurde. Alle vornehmen Römerinnen versammelten sich daraufhin, um ihr entgegenzugehen. Ihr Bildnis wurde in ein Boot auf den Tiber gesetzt, aber die Seeleute schafften es trotz aller Anstrengungen nicht, den Hafen zu erreichen. Claudia, die sehr wohl wußte, in welchem Ruf sie aufgrund ihrer Koketterie stand, kniete daraufhin vor dem Bildnis nieder und betete mit lauter Stimme zur Göttin. Sie sagte ihr, sie möge ihr, da sie um die Reinheit ihres Lebenswandels wisse, die Gnade gewahren, sie allein das Boot in den Hafen ziehen zu lassen. In vollem Vertrauen auf ihre eigene Unbescholtenheit nahm sie daraufhin ihren Gürtel, befestigte ihn am Boot und zog es gerade so mühelos ans Ufer, als wenn ihr alle Seeleute der Welt dabei geholfen hätten, was alle Leute aufs höchste verwunderte.
Wenn ich dir diese Geschichte erzählt habe, so nicht deshalb, weil ich glaube, jenes von ihnen in ihrem Irrglauben als Göttin verehrte Bildnis habe die Macht gehabt, die Bitte der Claudia zu erfüllen; vielmehr geht es mir darum zu zeigen, daß jene so anziehende Frau deshalb nicht weniger untadelig in ihrer Lebensführung zu sein brauchte. Das bewies sie, indem sie auf die Wahrheit ihrer Sittsamkeit vertraute, und dies (und nicht die Göttin!) half ihr.

FRAU RECHTSCHAFFENHEIT SAGT, ZAHLREICHE FRAUEN WÜRDEN
AUFGRUND IHRER TUGENDEN MEHR GELIEBT ALS ANDERE
AUFGRUND IHRER ÄUSSEREN VORZÜGE.

LXIV.
Selbst wenn wir einmal davon ausgehen, daß Frauen, eben weil sie geliebt werden wollen, sich Mühe geben, hübsch, heiter, anmutig und gepflegt zu sein, so werde ich dir doch beweisen, daß dies für kluge und rechtschaffene Männer nicht ausschlaggebend ist und sie solche Frauen deshalb nicht sogleich lieben. Vielmehr lieben Männer, die etwas auf Ehre geben, viel eher und ungleich mehr tugendhafte, ehrsame und einfache Frauen (wenn wir einmal annehmen, diese seien weniger schön) als solche, die sehr viel Wert auf ihr Äußeres legen. Nun könnte man mir entgegenhalten, es sei besser, die Frauen wären weniger tugendsam, da die Frauen den Männern aufgrund ihrer Tugend und ihrer Ehrsamkeit gefielen und dies generell von Übel sei. Aber dieses Argument zieht überhaupt nicht: denn auch wenn einige Narren Mißbrauch damit treiben, so darf man deswegen doch nicht aufhören, gute und nützliche Dinge zu pflegen und zu fördern. Alle müssen ihre Pflicht erfüllen und das Gute tun, was immer auch kommen mag. Nun werde ich dir aber den Beweis dafür antreten, daß viele Frauen um ihrer Tugend und ihrer Ehrsamkeit willen geliebt wurden. Zuallererst könnte ich dir von zahlreichen Heiligen im Paradies erzählen, die von Männern um ihrer Ehrsamkeit willen begehrt wurden.
Das gilt auch für Lucretia, von der ich dir bereits weiter oben erzählt habe; wenn sich Tarquinius in sie verliebte, so war dies noch mehr auf ihre große Ehrsamkeit als auf ihre Schönheit zurückzuführen. Eines Tages nahm nämlich ihr Mann in Gesellschaft jenes Tarquinius, der sie später vergewaltigte, und zahlreicher anderer Edelleute an einem Essen teil. Dort entspann sich ein Gespräch über ihre Ehefrauen, und ein jeder behauptete, die seinige sei die beste. Um jedoch der Sache auf den Grund zu gehen und um herauszubekommen, welche von ihren Frauen das höchste Lob verdiente, stiegen sie auf ihre Pferde und ritten nach Hause zurück. Der Frau, die sie bei der ehrsamsten Beschäftigung anträfen, sollte der höchste Ruhm und die größte Ehre zustehen. Es traf sich, daß man Lucretia, diese über die Maßen kluge und rechtschaffene Frau, bei der ehrsamsten Tätigkeit überraschte: sie hielt sich, gekleidet in ein sehr einfaches Gewand, zu Hause in Gesellschaft ihrer Frauen auf, beschäftigte sich mit Handarbeiten und sprach über erbauliche Themen. Jener Königssohn Tarquinius kam in Begleitung ihres Gemahls in ihr Haus und sah mit eigenen Augen ihre große Ehrbarkeit, ihr einfaches und anmutiges Auftreten und ihre angenehmen Umgangsformen. Daraufhin verliebte er sich so sehr in sie, daß er den Plan zu jener wahnsinnigen Tat faßte, den er dann auch ausführte.

HIER IST VON DER KÖNIGIN BLANCA,[1]
DER MUTTER DES HEILIGEN LUDWIG, UND VON RECHTSCHAFFENEN
UND KLUGEN FRAUEN DIE REDE, DIE UM IHRER TUGEND WILLEN
GELIEBT WURDEN.

LXV.
In ähnlicher Weise wurde aufgrund ihres großen Wissens, ihrer Umsicht, ihrer Tugenden und ihrer Güte auch die edle Königin Bianca von Frankreich, die Mutter des heiligen Ludwig, vom Herzog der Champagne geliebt, obwohl sie wirklich nicht mehr die allerjüngste war. Jener edle Herzog hatte einen Krieg gegen den besagten König Ludwig den Heiligen angezettelt. Als er jedoch der klugen und guten Königin lauschte, wie sie wohlgesetzte Worte an ihn richtete, ihn sanft tadelte und ihm bedeutete, er dürfe dies auf keinen Fall tun angesichts der Wohltaten, die ihr Sohn ihm gewährt habe, da betrachtete der Herzog sie auf einmal mit größter Aufmerksamkeit. Er staunte über ihre Vollkommenheit und ihre Tugend und wurde von so großer Liebe zu ihr überwältigt, daß er weder ein noch aus wußte. Ein Geständnis wollte er auf keinen Fall wagen, denn er wußte nur all zu gut, daß sie sich, unnahbar wie sie war, niemals zu so etwas hergeben würde. Deshalb ertrug er von dieser Stunde an Qualen schlimmster Art, verursacht durch das ihn peinigende, unsinnige Begehren. Immerhin schaffte er es noch, ihr zu antworten, sie brauche nicht zu befürchten, daß er jemals Krieg gegen den König führen würde — vielmehr wolle er ihr Gefolgsmann, ihr mit Leib und Seele ergeben sein und sich voll und ganz unter ihre Befehlsgewalt stellen. Von nun an liebte er sie, sein ganzes Leben lang, und selbst die geringe Aussicht auf Erfolg vermochte ihn nicht davon abzubringen. Er beklagte sich in seinen Gedichten darüber bei Amor und pries seine Herrin in den höchsten Tönen. Aus diesen über die Maßen schönen Gedichten entstanden sehr reizvolle Lieder, die er in seinem Schreibsaal in Provins und in Troyes aufzeichnen ließ, wo sie auch heute noch zu finden sind. — Ich könnte dir noch zahlreiche Geschichten dieser Art erzählen.«
Da erwiderte ich, Christine: »Hohe Frau, was das eben Gesagte betrifft, so kenne ich aus eigener Erfahrung mehrere ähnliche Fälle. In meinem Bekanntenkreis gibt es tugendhafte, kluge Frauen, die mir gestanden haben (und mir gleichzeitig von ihrem Unbehagen darüber erzählten), daß sie jetzt, da die Zeit ihrer größten Schönheit und Jugend hinter ihnen liege, mehr umworben würden als in ihren Glanzzeiten. Sie kommentierten dies so: >Um Gottes Willen, was hat das zu bedeuten? Habe ich mir etwa in den Augen dieser Männer irgendeine schlimme Unschicklichkeit erlaubt und ihnen damit Anlaß zu der Vermutung gegeben, ich könnte eine so gewaltige Torheit begehen?< Aber nach dem, was Ihr sagt, wird mir klar, daß allein ihre große Rechtschaffenheit die Ursache für diese Liebe ist. Dies wiederum widerlegt die von vielen geteilte Auffassung, eine kluge und auf ihren guten Ruf bedachte Frau werde weder begehrt noch umworben — es sei denn, sie selbst lege Wert darauf.«

CHRISTINE SPRICHT, UND FRAU RECHTSCHAFFENHEIT WIDERLEGT ALL JENE,
DIE BEHAUPTEN, FRAUEN SEIEN VON NATUR AUS KNAUSERIG.

LXVI.
Teure Herrin, ich weiß gar nicht mehr, was ich Euch noch erwidern soll: alle meine Fragen sind beantwortet. Nun ist, so scheint es mir, hinreichend bewiesen, daß die üblen Dinge, die so zahlreiche Männer über die Frauen verbreiten, ganz und gar erlogen sind. Es sieht noch nicht einmal so aus, als treffe das zu, was sie allesamt bezeugen, daß nämlich unter den weiblichen Lastern der Geiz eine natürliche Eigenschaft aller Frauen sei.«
Antwort: »Liebe Freundin, ich versichere dir, daß Geiz den Frauen nicht natürlicher ist als den Männern, eher sogar wohl weniger. Dies weiß Gott, und du selbst siehst es mit eigenen Augen: auf der Erde werden weit mehr Übeltaten begangen, die auf den übergroßen Geiz verschiedener Männer als auf den von Frauen zurückzuführen sind. Aber wie dir bereits zuvor gesagt wurde — der Narr erkennt in aller Deutlichkeit den Splitter im Auge seines Bruders, ohne jedoch den Balken im eigenen Auge wahrzunehmen.
Weil man allerorts Frauen daran Gefallen finden sieht, Stoffslücke, Gewebefetzen und andere für den Haushalt nützliche Kleinigkeiten aufzulesen, heißt es, sie seien geizig. Aber ich versichere dir, es gibt zahlreiche Frauen, die, vorausgesetzt, sie verfügten über die entsprechenden Mittel, weder knauserig noch geizig wären bei der Bewirtung von Gästen oder der großzügigen Verteilung von Almosen an jene, die es verdienen; da jedoch eine mittellose Person dies wirklich nicht kann, ist sie eben knauserig. Gewöhnlich werden die Frauen mit Geld tierartig knapp gehalten, daß sie das wenige, über das sie verfügen, zusammenhalten, denn sie wissen nur all zu gut, wie schwierig es für sie ist, wieder an Geld zu kommen. Manch einer bezeichnet die Frauen auch deshalb als knauserig, weil einige von ihnen mit verrückten, verschwenderischen und gefräßigen Ehemännern geschlagen sind und diese Frauen nicht umhin können, ihren Männern Vorhaltungen zu machen und sie zu größerer Sparsamkeit anzuhalten, denn solche Frauen wissen nur all zu gut, daß die gesamte Hausgemeinschaft Hunger leidet und sie und ihre unglücklichen Kinder für diese unsinnige Verschwendung büßen müssen. Aber so etwas kann jawohl kaum als Geiz oder als Knauserigkeit bezeichnet werden, sondern zeugt vielmehr von großer Lebensklugheit! Ich denke dabei allerdings an jene Frauen, die dies taktvoll tun. In der Ehe kommt es oft zu Auseinandersetzungen dieser Art, weil den Männern solche Ermahnungen nicht behagen, und so tadeln sie die Frauen für etwas, für das sie sie eigentlich loben müßten. Daß die Frauen in Wirklichkeit keineswegs so sehr von jenem Laster des Geizes heimgesucht werden, wie manche es glauben machen wollen, zeigt sich bei der Verteilung von Almosen: dies tun die Frauen von Herzen gern. Und Gott weiß, wie viele Gefangene (selbst solche im Lande der Sarazenen), wie viele Hungerleidende, wie viele in Not geratene Edelleute und andere es gegeben hat und auch heute noch gibt, die seit dem Bestehen der Welt alle Tage Trost und Hilfe durch Frauen und deren Geld und Gut erfahren.«
Darauf entgegnete ich, Christine: »Dies entspricht der Wahrheit, hohe Frau, denn ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an Frauen, die sich, sofern es ihre Mittel erlaubten, durch eine sehr umsichtige Großzügigkeit auszeichneten; des weiteren kenne ich heute Frauen, deren Freude, wenn sie sagen können: >Da, nimm!< und ihre Gabe sinnvolle Verwendung findet, ungleich größer ist als die eines Geizhalses, wenn er Geld empfängt, um es im Geldschrank zu verwahren. Ich frage mich wirklich, weshalb gerade die Männer so häufig behaupten, Frauen seien knauserig. Zwar ist die Großzügigkeit Alexanders des Großen überliefert, aber sonst kann ich Euch versichern, daß ich selbst keine großzügigen Männer gesehen habe.« Daraufhin begann Frau Rechtschaffenheit zu lachen und sprach: »Du hast völlig recht, liebe Freundin, und ganz gewiß waren die edlen Römerinnen nicht geizig, als die Stadt sehr unter dem Kriegszustand litt und man deshalb die städtischen Geldmittel für den Unterhalt von Soldaten ausgegeben hatte. Den Römern, die unbedingt Geld auftreiben mußten, um ein großes Heer aufzustellen, bereitete diese Situation viel Kummer und Verdruß. Die Frauen jedoch, ja selbst die Witwen, bewiesen ohne jeden Zwang ihre Großzügigkeit, indem sie ihren gesamten Schmuck und Besitz zusammentrugen, ohne irgend etwas zurückzubehalten, dies den römischen Edelleuten brachten und ihnen freiwillig übergaben. Dafür wurde jenen Frauen höchstes Lob zuteil; später gab man ihnen ihren Schmuck zurück, was völlig rechtens war, hatten sie doch die Rettung Roms bewirkt.

HIER IST VON DER REICHEN UND GROSSZUGIGEN BUSA*[1] DIE REDE.

LXVII.
Auch die Faits des Romains wissen von weiblicher Großzügigkeit zu berichten und erzählen von der hochherzigen, reichen Edelfrau namens Busa oder Paulina. Sie lebte in Apulien, zur gleichen Zeit als Hannibal den Römern mit Feuer und Schwert so sehr zusetzte, daß er beinahe ganz Italien entvölkert und seiner Güter beraubt hatte. Nach der großen Niederlage bei Cannae, die für Hannibal einen gewaltigen Sieg bedeutete, ergriffen zahlreiche Römer, die verwundet aus der Schlacht hatten entkommen können, die Flucht. Die rechtschaffene Busa jedoch nahm all jene bei sich auf, beherbergte rund zehntausend Mann auf ihren Besitzungen und ließ sie, da sie über gewaltige Reichtümer verfügte, auf ihre Kosten pflegen. Da sie allen auf diese Weise ihre Mittel zur Verfügung stellte und ihnen ferner Hilfe und Trost gewährte, waren die Männer in der Lage, nach Rom zurückzukehren und erneut zu den Waffen zu greifen; für diese ihre Taten wurde Busa hoch gepriesen. Sei also ganz unbesorgt, liebe Freundin: ich könnte dir sehr viel über großzügige, höfische und freigiebige Gesten, die von Frauen vollbracht wurden, erzählen.
Und selbst wenn man darauf verzichtet, andere Geschichten aus fernen Zeiten anzuführen, so könnte ich dir doch zahlreiche weitere Beispiele weiblicher Großzügigkeit nennen, die deiner eigenen Zeit entstammen: bewies nicht die noch unter den Lebenden weilende edle Marguerite de la Riviere[2] ehedem die Gemahlin des Burel de la Riviere, des Großkämmerers des weisen Königs Karl, große Freigiebigkeit? Eines Tages fügte es sich nämlich, daß jene vornehme Frau, die stets weise, besonnen und von untadeligen Sitten war, an einem prunkvollen Fest des Herzogs von Anjou und späteren sizilianischen Königs in Paris teilnahm; dort befanden sich zahlreiche sehr aufwendig gekleidete Edel-Frauen, Ritter und Edelleute. Als jene Frau, die damals noch jung und schön war, die dort weilende edle Ritterschaft betrachtete, bemerkte sie das Fehlen eines ebenso bedeutenden wie berühmten Ritters jener Zeit, des Herrn Emenion von Poumiers. Obwohl dieser damals schon recht betagt war, hatte sie ihn keineswegs vergessen, sondern erinnerte sich aufgrund seiner Güte und Tapferkeit sehr wohl an ihn und meinte, seine Anwesenheit müsse trotz seines Alters einer solchen Versammlung
bedeutender und berühmter Männer zur höchsten Zierde gereichen. Sie erkundigte sich also allerorts, wo denn jener Ritter sei und weshalb er nicht unter ihnen weile. Man teilte ihr daraufhin mit, man halte ihn im Kastell zu Paris gefangen, weil er wegen seiner häufigen Feldzüge Schulden in Höhe von fünfhundert Franken gemacht hatte. Da sprach die vornehme Frau: >Welch gewaltige Schande ist es für dieses Königreich, es auch nur eine einzige Stunde lang zu dulden, daß ein solcher Mann um seiner Schulden willen im Gefängnis sitzt!< Sie ergriff sogleich den äußerst kostbaren und eleganten goldenen Haarschmuck, der ihr Haupt zierte, und setzte an seiner Statt einen Kranz aus Immergrün auf ihr blondes Haar. Dann übergab sie den Haarschmuck zuverlässigen Boten und trug ihnen auf: >Geht und hinterlaßt diesen Schmuck als Pfand für seine Schulden, damit er sofort freigelassen wird und sich hierher begibt!< Dies geschah, und sie wurde sehr für diese Tat gepriesen.«

HIER IST VON DEN FÜRSTINNEN UND DEN
ERSTEN DAMEN FRANKREICHS DIE REDE.

LXVIII.
Daraufhin ergriff ich, Christine, erneut das Wort: »Hohe Frau, da Ihr nun einmal an jene edle Frau, meine Zeitgenossin, erinnert und Euch den ersten Damen Frankreichs und jenen unter ihnen, die noch unter den Lebenden weilen, zugewendet habt, wüßte ich gern, ob Ihr der Auffassung seid, es sei sinnvoll, einige von ihnen in unserer Stadt aufzunehmen. Denn warum sollten sie und die Frauen fremder Länder übergangen werden?« Antwort: »Du hast völlig recht, Christine: ich kann dir bestätigen, daß es unter ihnen sehr tugendhafte Frauen gibt, die ich mit Freuden in unserer Stadt aufnehme.
Und zuallererst werden wir Isabella von Bayern[1] die edle französische Königin und gegenwärtige Herrscherin von Gottes Gnaden, nicht abweisen, denn Grausamkeit, Gewalttätigkeit oder Laster sind ihr fremd und sie ist voller Liebe und Wohlwollen für ihre Untertanen.
Verdient die schöne, junge, hochherzige und weise Herzogin von Berry[2] die Gemahlin von Herzog Johann, des Sohnes des französischen Königs Johann und des Bruders des weisen Königs Karl, nicht ebenfalls höchstes Lob? Jene edle Herzogin, die noch in der Blüte ihrer
zarten Jugend steht, legt in ihrem Verhalten soviel Sittsamkeit und eine so erstaunliche Klugheit an den Tag, daß ein jeder sie preist und ihr der Ruf großer Tugendhaftigkeit vorauseilt.
Und was soll ich dir über die Herzogin von Orleans[3] die Gemahlin des Herzogs Ludwig, des Sohnes des weisen französischen Königs Karl, und ehedem Tochter des Herzogs von Mailand, erzählen? Welche Edelfrau könnte sich einer größeren Lebensklugheit, als jene sie besaß, rühmen?
Jene vornehme Frau besitzt ein festes und beständiges Herz, ist ihrem Gemahl in großer Liebe zugetan, ihren Kindern eine gute Erzieherin, eine kluge Herrscherin, die gegen alle Gerechtigkeit übt, in ihrem Verhalten Weisheit an den Tag legt und in jeder Hinsicht sehr tugendhaft ist: dies alles ist hinreichend bekannt.
Und was ließe sich am Verhalten der Herzogin von Burgund[4] aussetzen, der Gemahlin des Herzogs Johann, des Sohns von Philipp, der seinerseits der Sohn des früheren französischen Königs Johann ist? Ist sie nicht über die Maßen tugendhaft, ihrem Gemahl in Treue verbunden, sanftmütig in ihrem Empfinden und Verhalten, von untadeligen Sitten und bar jedes Lasters?
Ferner: die Herzogin von Clermont[5] die Tochter aus der ersten Ehe jenes Herzogs von Berry, verheiratet mit dem Herzog Johann von Clermont, dem Sohn und Nachfolger des Herzogs von Bourbon — entspricht sie nicht in jeder Hinsicht den Erwartungen an eine hohe Fürstin hinsichtlich ihrer großen Liebe zu ihrem Gemahl, ihrem untadeligen Verhalten in allen Angelegenheiten, ihrer Schönheit, Weisheit und Herzensgüte? Kurz und gut: ihre edle Haltung und ihr ehrsames Betragen sind Spiegel ihrer Tugenden.
Und jene, die du vor allen anderen und ganz besonders zu lieben Anlaß hast, sowohl um ihrer moralischen Vortrefflichkeit als auch um der Barmherzigkeit und der aufrichtigen Zuneigung willen, die sie dir durch ihre Wohltaten bezeugte: die edle Herzogin der Niederlande und Baronin des Hennegau,[6] die Tochter jenes verstorbenen Herzogs Philipp von Burgund und Schwester des jetzigen burgundischen Herrschers: muß diese edle Frau nicht zu den vornehmsten Vertreterinnen ihres Geschlechts gerechnet werden? Ist sie nicht ohne Falsch, sehr umsichtig und weise als Herrscherin, barmherzig und von höchster Demut gegen Gott und, mit einem Wort, vollkommen?
Sollte eine so ehrenwerte und in jeder Hinsicht preiswürdige Frau wie die Herzogin von Bourbon[7] nicht in die Reihe der ruhmreichen Fürstinnen aufgenommen werden?
Was soll ich dir noch über diese Frauen erzählen? Sehr viel Zeit würde es mich kosten, wollte ich von den bedeutenden Wohltaten all dieser Frauen Zeugnis ablegen.
Die hochherzige, schöne, edle und rechtschaffene Baronin von Saint-Pol[8] die Tochter des Herzogs von Bar und die Cousine ersten Grades des französischen Königs, verdient es gleichfalls, in diese Reihe vorbildlicher Frauen aufgenommen zu werden.
Ebensowenig verunziert jene von dir geliebte Anne[9] die Tochter des Barons de la Marche und die Schwester des jetzigen Herrschers, die nun mit Ludwig von Bayern, dem Bruder der französischen Königin, verheiratet ist, die Gesellschaft jener begnadeten und preiswürdigen Frauengestalten, denn ihre guten Eigenschaften sind Gott und der Welt genehm.
Allen männlichen Schandmäulern zum Trotz gibt es so viele andere gutherzige und schöne Frauen — Gräfinnen, Baronessen, Edelfrauen, Edelfräulein, Bürgerinnen und Frauen aller Stände —, daß Gott, der sie in diesem Zustand erhalten möge, höchstes Lob dafür gebührt; zugleich möge er jenen, die schwanken, den rechten Weg weisen. Laß dir also in dieser Hinsicht nichts einreden, denn ich versichere dir, dies alles ist wahr, auch wenn manche Leute, die Verleumder und Neider, das Gegenteil behaupten.« Und ich, Christine, entgegnete sogleich: »Hohe Frau, es bereitet mir große Freude, dies aus Eurem Munde zu vernehmen.«
Daraufhin sie: »Liebe Freundin, mir scheint, ich habe nun hinreichend meines Amtes in der Stadt der Frauen gewaltet: ich habe dort prächtige Paläste und manch stattliches Wohnhaus und Gebäude errichtet, sie mit edlen Frauen bevölkert und mit breiten Straßen jeder Art versehen, so daß sie nun schon voller Leben ist. Nun möge meine Schwester, Frau Gerechtigkeit, kommen, um die Dinge zu einem Abschluß zu bringen, und das soll dir dann genügen.«

HIER WENDET SICH CHRISTINE AN DIE
FÜRSTINNEN UND AN ALLE ÜBRIGEN FRAUEN.

LXIX.
Ihr über die Maßen ehrfurchtgebietenden, vortrefflichen und verehrungswürdigen Fürstinnen Frankreichs und aller anderen Länder, Ihr Edelfräulein, Edelfrauen, Ihr Frauen jeglichen Standes aus Geschichte, Gegenwart und Zukunft, die Ihr Tugend und sittsames Verhalten liebtet, liebt und lieben werdet: seid fröhlich und freut Euch an unserer neuen Stadt, die nunmehr mit Gottes Hilfe beinahe vollständig erbaut und mit Bewohnerinnen bevölkert ist! Dankt und preist Gott, der mich durch große Mühen und beharrliches Streben dazu befähigt hat, Euch innerhalb der Umfriedung dieser Stadt bis ans Ende aller Zeiten eine angemessene Wohnstätte und dauerhafte Bleibe zu verschaffen. Bis hierhin bin ich also gekommen und hoffe nun, mein Werk mit der Hilfe und dem Beistand von Frau Gerechtigkeit zu vollenden, die versprochen hat, mir unermüdlich und so lange zur Seite zu stehen, bis der Bau der Stadt abgeschlossen und vollendet sein wird. Nun betet für mich, Ihr hochverehrten Frauen.«

HIER ENDET DER ZWEITE TEIL DES BUCHES VON DER STADT DER FRAUEN