Juli

1ten Juli Sonnabend
Ein schöner Tag; R. bei der Arbeit, ich bei den Kindern, lese dann das »Röschen« des Herrn Hartmann, welches viel Talent, aber noch mehr Ungeschicklichkeit verrät. Besuch des Grafen B., der eine Schandtat erzählt, welche ein Mann in Luzern gegen ein Kind verübt hat. R. sagt, dafür gehört der Tod, solch ein Mensch muß wie ein schädliches Insekt zertreten werden. - R. nachmittags unwohl und in nicht guter Stimmung, viel kleiner Ärger, der ihn sehr angreift, da er eine üble Nacht hatte und Gewitterschwüle herrscht, die sich entladet.
2ten Sonntag
An Clemens Brockhaus geschrieben, und sonst allerlei Geschäftliches. Kindertisch im Garten; R. guter Laune, hat gearbeitet. Nachdem er meinen Brief an Clemens [gelesen], sagt er: »Du verstehst mich zu sehr; sonst diese Öde, wenn ich auf mein Leben blicke, diese Spurlosigkeit, es ist mir grauenhaft.« Die Broschüre des Herrn Fuchs dünkt R. sehr gut. Wir sind den ganzen Tag im Garten; Fidi's Bestimmung? R. sagt, er denke oft daran, wenn er plötzlich stürbe, sein Werk unvollendet da wäre, wer sollte es fertig machen. Es wäre doch nicht undenkbar, daß Fidi gerade auch seine Gaben hätte und ihn fortsetze. Ich bezweifle es, glaube nicht an eine so rasche Aufeinanderfolge des Genies, da dies ohne Beispiel in der Geschichte, will froh sein, wenn unser Sohn ein fester Charakter ist und eine geweckte Intelligenz. »Ja«, sagte R., »denn er müßte gar keine Individualität besitzen, wenn er bloß auf meine Fußstapfen treten sollte. Gott weiß, was ihm bestimmt ist.« - Ich sagte, daß wir Ende Juni das 7te Jahr unsrer Liebe feierten, »nicht das«, sagte R., »auch nicht ihre Explosion, sondern die Erkenntnis, daß wir nicht mehr getrennt leben konnten. Und wäre Hans nur um ein Haar anders gewesen, leichtsinniger oder tiefer, wir würden uns nicht ganz vereint haben, denn was haben wir nicht seinetwegen versucht?« Wir wandern auf Tribschen und lagern uns auf der Höhe bei der Einsiedelei; Betrachtung der seltsamen Wolkenbildung, die ein Gewitter birgt. »Wir neueren Völker sind doch mit unsrer Phantasie sehr beschränkt, die wir die tropischen Gegenden - das Indien z. B. - nicht kennen. Wie kann ich mir den Gott Donner hinter dem Pilatus denken? Beim Himalaya sind alle diese Mythen entstanden.« Wir kommen auf die Ägypter zu sprechen, die Verehrung des Nils und der Kuh, das führt uns auf Io und das seltsame Zwiegespräch zwischen ihr und Prometheus. »Daß dir die griechischen Sagen solchen Eindruck machen, das kommt daher, weil solche ungeheueren Dichter sich ihrer bemächtigt haben.« Wir erblicken auf der Wiese eine Kuh, und R. läßt mich bemerken, daß sie sich bewegt ganz wie die Schlange, es ist dasselbe Strecken und Dehnen. Schöner Augenblick, Richard! Das Leben ist doch schön! Dieser mein Ausruf bringt mich auf Schiller's »Don Carlos«, dessen Schönheit und zarte feine Sprache, würdevollen Ton R. ganz einzig findet. »Wo fand Schiller dafür seine Muster; höchstens hätte >Heinrich VIII.< von Shak. dafür dienen können, und dieser war damals nicht bekannt.« - Ich kopiere etwas, R. korrigiert die Druckproben der Biographie, »ja«, ruft er aus, »zu dem C dur Finale der C moll Symphonie[1] war mein Leben bis jetzt nicht gekommen; alles in der Erinnerung ist mir nichtig«. Nach dem Abendessen sitzen wir auf dem Perron, schauen den Mond an, der herrlich sich abspiegelt, und lauschen einem seltsamen Sommernachtskonzert; Frösche, Grillen und Unken - letztere in der Ferne wie ein Chor der Verdammten. Der Frosch ist der Held und macht sich sehr vernehmlich; die andren sind wie die symphonische Begleitung. R. spielt dann aus »Euryanthe«, und einige Seiten aus dem immer gern gelesenen Carlyle beschließen den Tag. Während des Speisens hatte der Vogel wie neulich wieder begonnen, darauf sagt R.: »Man begreift, wie der arme einsame Siegfried im Walde auf die Vögel lauscht, und er hat nun das Glück, daß der Vogel sich um ihn bekümmert, während wir ewig dieser Welt fremd bleiben.«
Montag 3ten
Trüber Morgen, dann Regenguß; der gestrige Tag war geschenkt, nun kommt die traurige Regel des grauen Himmels. - Die Zeitungen widern uns förmlich an durch die Berichte über die Revue und die Anleihe in Paris. Nach diesem Krieg halten sie eine Revue über die Truppen und beglückwünschen sich, die Nationalgarde besiegt zu haben! Keine Scham, keine Ehr! - R. ist leidend, arbeitet aber doch. Ich schreibe meinem Notar, der mir kein Geld zuschickt. Abends lange in Carlyle gelesen.
Dienstag 4ten
Garstige Bilder der Einzugsfeierlichkeiten in Berlin, traurige Bemerkungen darüber; die Frauen in Chignons, kleinen Hüten, aufgeschürzten Kleidern, gar kein Anstandsgefühl; R. sagt: »Ich möchte die Schönkünstler fragen, habt ihr so wenig Einfluß auf das öffentliche Leben, oder seid ihr selbst von demselben infiziert?« »Aber«, fügt er hinzu, »wir tun Unrecht, diese Sachen ästhetisch zu beurteilen, wir müssen uns freuen, daß eine ganze Stadt bei einer solchen Gelegenheit auf den Füßen [stand].* (*Fehlerhaft »wand« (für ursprünglich »war«) Auf die Jugend müßte dies wirken, wie ist aber diese Jugend?« R. macht sich an sein »Unken-, Krähen- und Rabenkonzert«, arbeitet lang und scheint dann zufrieden. Er erzählt, ein kurzer Schlaf nach dem Frühstück habe ihm sehr geholfen und augenblicklich disponiert. Ich schreibe in seinem Auftrage mehrere Briefe. Sehr ärgert es mich, daß ich nichts von meinem Notar vernehme. - Nachmittags Spaziergang von zwei Stunden mit R. Alles durcheinander geplaudert; unsre Erinnerungen, die dem Leben abgerungenen Zeiten des Zusammenseins, dann Schiller Shakespeare Goethe, dieser letzte »immer zwischen Faust und Claudine von Villa Bella«.[2] - Abends Carlyle.
Mittwoch 5ten
Wieder Regen! Brief eines Amerikaners J. Lang, den ich vor 14 Jahren in Berlin gesehen und der sich meldet (Bayreuth). C. Mendes schickt sein Buch über die Commune.[3] In Paris Wahnsinn und Nichtswürdigkeit; R. ist von dem Gedanken geängstigt, Preußen habe die Leute nicht genügend darnieder geworfen und würde wohl bald wieder anzufangen haben! - Zu Tisch Teilt mir R. mit, daß er allerlei Ärger und Not während der Arbeit gehabt. Mit unsrem Prozeß, scheint es, steht es schlecht: »Man muß dem Dämon goldne Brücken bauen; ich hätte Gott danken müssen, daß wir so davon kamen, und nicht an Recht denken; es liegt eine Art dummer Optimismus darin, Gerechtigkeit zu suchen. Ich mache mich darauf gefaßt, Prozeßkosten und ich weiß nicht was noch zu zahlen.« Unser Wirt benimmt sich auch schlecht, nachdem R. so viel in sein Haus gelegt; R. sagt: »Es ist mir, als ob man immer nur mit Ganoven zu tun hätt', man ist voller Vertrauen, und der andre ist bloß immer auf der Lauer, daß man durch sein Vertrauen sich bloßgibt.« Der Magistrat verlangt, daß wir - jetzt, wo wir nur an unseren Fortgang denken - um unsre Niederlassung eingeben! - Zu dem allem das üble Wetter; wir rechnen 10 Monate von Regen, Kälte, Nebel, Frost. — Mit den Kindern im Salon. Abends sagt mir R. von der höchsten männlichen Tugend, die dem Franzosen eben ganz abgeht, dem Gehorsam; »Fidi soll folgen, ich will mich bezwingen und dir besser beistehen als bei den Mädels, wo ich immer interveniere, was sehr unrecht ist. Ein Knabe ist verloren, der nicht gehorchen lernt. Ich bin in der wildesten Anarchie aufgewachsen; es mußte wohl so sein, da auch später keine bestehende Form für mich passen wollte, aber wie vieles hätte ich mir erspart, wäre ich an Gehorsam gewohnt gewesen. Ich war für meine Schwester ein gewisses wildes aufgegebenes Wesen, das sich nicht fügte«. Briefe von E. Ollivier, der mich um Papiere bittet, in der Annahme, der Vater hätte für mich wie für Blandine eine Mitgift stipuliert; ich erwidre, ich hätte nichts, und erinnere ihn an den Schmuck, welchen der Vater meiner Mutter, diese mir und Blandine* (* »diese mir und Blandine« nachträglich eingefügt, dadurch folgt verworrene Satzkonstruktion) geschenkt hatte, und ich Blandine überlassen hatte, und er mir unrechtlich vorenthalten hat; wahrscheinlich wird ein Stillschweigen folgen! Briefe Claire's; der Mutter geht es schlimm. Brief C. Mendes'. »Wie mit Kindern muß man mit diesen Leuten umgehen.«
Donnerstag 6ten
Wilde Nacht; es kommen mir üble Gedanken über Hans, wie es ihm wohl gehen mag; ich schrieb gestern an M. Meysenbug, um etwas zu erfahren! Wie schwer das Herz doch immer ist. R. aber hat gut geschlafen, »der Komponier-Teufel« quält ihn. Er findet nämlich, daß er zu viel beim ersten Schwur (Hagen Günther Siegfried) vergeudet hat, will die Orchesterzwischenspiele herübernehmen zum Schwur des 2ten Aktes und Neues komponieren, eine Erfahrung, die ihm ganz neu ist. - Wir sprechen von der Biographie, er sagt, er ist neugierig, wie ihm das Paris (1860-61) wieder einfällt. »Dieser Wahnsinn dort! Diese Tannhäuser-Aufführung und dazu meine Häuslichkeit; aber so ist mein ganzes Leben, ein wahnsinniger Traum bis zum Augenblick, wo es zum Bewußtsein zwischen uns kam. Jeder Umgang, jedes Geschäft, jedes Gespräch; ich sah mir immer zu wie einem Nachtwandelnden, und jeden Augenblick frug ich mich: Warum wirfst du die ganze Geschichte nicht von dir?« - Kindertisch; dann Spaziergang und abends der Erbfolge-Krieg mit vielem Interesse und Vergnügen. - Wie wir vom Spaziergang heimkehrten, sagte R.: »Ich habe etwas«, und er zog ein dickes eingewickeltes Buch aus der Tasche; es waren die »Tribschner Broschüren für Frau Cosima«, denn: »du mußt immer das haben, was kein andrer hat«, der herrliche Gütige! - Dr. Heckel schreibt, daß eine fünfte Patronatskarte beinahe gelöst ist.
Freitag 7ten
Schönes Wetter, endlich wieder! Gestern hatte der Dr., den wir für Fidi gerufen, uns über seine Knochenbildung beruhigt, zugleich auch Wetterbeobachtungen angestellt; seit einem Jahr (August) kämpfen Nord- und Südwind in unsren Regionen, und dieser Kampf gibt uns den Wolken preis. - Wie ich R. von dem Zustande der Mutter spreche (sie schlägt und tobt, und ist dann wieder sanft und gut) sagt R.: »Wie grauenhaft nimmt sich doch der Mensch aus. Kein Tier kann in der Wut sich so ausnehmen; es ist der Natur näher, sie schützt es, was aber der Mensch ist, wenn sein Intellekt zu wanken beginnt, das sehen wir jetzt an deiner Mutter, die durch ihre Intelligenz so wert und lieb war. Darum appellieren wir immer an das Volk und hoffen, daß dieses der Natur näher geblieben ist.« - Wie ich mit den Kindern im Garten arbeite, ruft er mir zu: »Ich habe einen wundervollen Gedanken, kann dir ihn aber nicht sagen.« Ich laufe hinauf, und da Teilt er mir mit, daß das Thema, das »du schon gehört, das dir gefiel«, das bei Siegfried's plötzlichem Erscheinen aus dem Busch erklingt, dasselbe ist, das die Mannen singen werden, welche über Hagen lachen; eine Art Gibichungen-Lied, das die sonderbare gemütliche Behaglichkeit von Hagen ausspricht. Wie selig ich bin, wenn er mir solches mitTeilt; es ist mir, als wäre nie Unheil gewesen, könnte es nie Unheil geben. - Spaziergang und große Müdigkeit abends.
Samstag 8ten
Wiederum ein schöner Tag. Beim Frühstück sagt mir R., wie er gestern den Hahn am frühen Morgen betrachtet hätte und seine Erscheinung mit seinem Schrei verglichen hätte, sei ihm der Zusammenhang zwischen Musik und Plastik eingefallen. Denn der Ton sei auch etwas sehr Individuelles. - Das Modejournal empört uns immer wieder: »Die Welt ist eben reif für das Kunstwerk der Zukunft«, sagt R., dann Teilt er mir mit, daß er gern die unteren Theater in Berlin kennen lernen möchte, welche Schiller'sche Stücke geben, »man weiß ja nicht, auf was man fußt; und die Gartenkonzerte sind es, die mir meine Popularität gemacht haben; während ich mit meinen Gelegenheits-Kompositionen von oben immer umgangen werde«. Ich lese in C. Mendes' »Commune«, und wie ich R. von gewissen erfundenen Wörtern [spreche], die mich im französischen sehr schockieren, wie l'hideur,[4] trotzdem es etwas ausdrückt als laideur und man horrible hat, sagt R.: »Ja, du hast recht, es gibt ein Gesetz für Teufel und Gespenster, so auch für die gemachte französische Sprache, sie ist die unfreie Sprache Mephisto's, die deutsche dagegen die Sprache Faust's.« - Bei Tisch war R. angegriffen und verstimmt, er sagt, er arbeite so langsam, er komme so schwer in die Stimmung, allerlei störe ihn auch, er sei wieder erkältet u.s.w. Mich macht es traurig; Fidi, unser kleiner Tischgast, macht eine freundliche Diversion, und gen Abend ruft mir R. zu, nachdem er oben sich zurückgezogen: »Ich komme schon hinein, meine Atmosphäre Bildet sich. Es ist zu wahnsinnig, wie ich arbeite, immer ein Krampf.« Die aufrührerischen Arbeiter in Schlesien alle katholisch, was die preußische Regierung wohl aufmerksam macht.
Sonntag 9ten
Große schöne Hitze; R. arbeitet; ich spiele mit den Kindern und schreibe dem Herrn Hartmann, dessen »Röschen« R. gar wenig gefallen hat. In der Zeitung steht, daß der deutsche Kaiser erklärt habe: >in seinem Alter sich nicht mit religiösen Narrheiten (deutsche Kirche) abgeben zu wollen<, was allerdings sehr schlimm ist. Kindertisch im Garten; heiterste Laune. Nachmittags wird mir aber sehr übel, ich glaube von der Gewitter-Luft. Immer große Freude an »Friedrich dem Großen«. (»Heute ist Alberich verschwunden«, sagt R.)
Montag 10ten
Mein Notar schickt mir 1000 frcs. und schmäht bei dieser Gelegenheit die Commune. Wie wir die sehr häßlichen Bilder über Einzugsfeierlichkeiten in Berlin sehen, sagt R.: »Ja, das bedenken wir gar nicht, was dieser offene Verkehr zwischen Frauen und Männern hervorbringt; dieses im Parkett des Theaters nebeneinander Sitzen, dieses auf der Straße dasselbe Anziehen, was für's Haus nur berechnet sein müßte; so daß ein jeder das Recht hat, mit dem Lorgnon die Frau anzusehen, die entschieden auch auf der Straße gefallen will; man beachtet gar nicht, welche Grobheit des sinnlichen Verkehrs eingetreten ist.« - Um Mittag kommt Peter Menzig, unser einziger Zeuge, den aber der Gemeindeammann nicht zitiert hat! Eine Gerichtsperson sagt in der Stadt zu Jakob, die Sache sei nun viel zu sehr verschleppt worden. Auch hübsch! Nun bringt Jakob Peter M. im Triumph und sagt mir: »Der wird schwören was man will«, »aber Jakob«, sage ich, »er soll ja nur die Wahrheit bezeugen«. »Hm«, meint Jakob, »man muß alles fin machen.« Peter Menzig ergibt sich als ein Schwätzer, und R. sieht noch kommen, daß man uns beschuldigen wird, einen Zeugen bestochen zu haben! Wozu wir aber unsren Advokaten haben, bleibt unklar. - Zur Stadt mit R.; er kommt aufgeregt heim, beklagt sich, daß er seine Zeit schlecht benütze, geht dann plötzlich hinauf und phantasiert. Seine Arbeit regt ihn sehr auf. - Abends »Heinrich VIII.«
Dienstag 11ten
R. erzählt mir seinen drolligen Traum; »ich sah die alte Tante Friederike,[5] plötzlich, aber sehr viel jünger geworden, und wollte sie dir bringen, denkend: >Was wird Cosima sagen, wenn ich ihr die alte Tante bringe, von der ich ihr diktiert habe<; ich gab ihr den Arm, sie war sehr schwer, da frug ich sie, ob sie müde sei, >nun, ich wäre auch lieber gefahren^ da suchte ich nach einem Wagen; plötzlich denke ich: >Aber die ist ja längst tot!< Sie sprach kaum; ich suche den Wagen, da sehe ich nichts wie so Körbe, und ich denke, mein, darin willst du sie nicht fahren, sie soll sehen, daß es bei euch hübsch hergeht<, >kein andrer Wagen da?< frage ich, da kommt einer ungefähr wie Pecht und sagt: >Keller und Brandt haben gute Wagen, man soll ihre holen<, ich: >Ach Jesus! Wir sind ja dicht am Haus<, worauf er: >Brandt ist aber sehr beschäftigt, er hat in Shepherds gemacht und schlechte Geschäfte dabei< - so verlor sich der Traum, Shepherds aber ist ein Teil der Adresse Praeger's; was das für ein Unsinn ist!« - Jakob hat die 1000 frcs. zur Sparkasse gebracht, wo ich nun 5641 fs habe; in der Dampf Schiffsgesellschaft, die bis jetzt mir nichts einbringt, 3500; 2000 frcs. bei R., der sehr böse ist, wenn ich nicht annehme, daß er sie mir zurückzahlt und mir sie indessen verzinst, 1000 in der Pariser Versicherungsgesellschaft. - R. arbeitet, ist aber durch das Wetter, das wiederum schlecht wird, sehr gehemmt. Fidi als Tischgast ringt ihm die wehmütige Bemerkung ab, daß er ihn wohl nicht in seiner Entwickelung sehen wird. - Nachmittags Kinderspiel im Salon; R. macht Korrekturen. Abends Schluß von »Heinrich VIII.« zu unaussprechlicher Ergriffenheit.
Mittwoch 12ten
(Besorgnis).[6] - Beim Frühstück dreht sich unser ganzes Gespräch um »Heinrich VIII.«; unbegreiflich erhabenes Werk. Am Morgen hieß es wieder, unser Zeuge (Peter Menzig!) reise nächste Woche ab, wenn also unsre Sache nicht bald geführt würde, müßten wir sie verlieren, meint Jakob. Ärger R.'s, welcher fragt, wozu wir denn unsren Advokaten hätten. - Er arbeitet; ich sage ihm, daß es für mich kein Zufall ist, daß die Vollendung dieses Werkes mit dem deutschen Reich zusammenfällt, wenn auch äußerlich gar kein Zusammenhang da wäre; »und beim ersten deutschen Parlament, vor 21 Jahren, habe ich das Werk entworfen«. Auf Eduard Devrient dann gekommen, dessen Schlechtigkeit; R. bedauert, daß dieser ihn dem Gr.herzog von Baden, den R. hochschätzt, entfremdet habe; »er wird mich als ein dämonisches Wesen dargestellt haben, das überall Unruhe bringt, wohin es kommt, kurz den Gr.herzog befangen gemacht haben, der mich gewiß gern hatte«. - Loldi meldet mit Tränen in den Augen, daß Grane wieder läuft und heute den Wagen gezogen hat. - Während R. in meinem Salon arbeitet, hört er mich in der Nebenstube, »was raschelt und rauscht denn da, wohl eine Ratte?« Ich schlüpfe davon, verstecke mich hinter der Portiere seiner Schlafstube; er sucht, findet mich nicht, nur wie er hinaus will, scheint ihm die Türe schwer und findet er »den Schelm«, viel Heiterkeit über den Scherz, den ich eigentlich nur vornahm, damit er sich nicht belauscht fühle. R. geht zur Stadt, kommt müde heim.
Donnerstag 13ten
R. hatte eine üble Nacht; er hat in der »Commune« von Mendes gelesen und sagt: »Was das für Komödianten sind, diese Franzosen, so lange sie für die Welt spielten, ging es noch an, aber wenn die Welt einmal nicht mehr hinsieht, so sind es Charenton-Bewohner,[7] die ja auch sich einbilden, dieses oder jenes zu sein.« Die Schmähungen über die Deutschen hören nicht auf. R. arbeitet nicht, schreibt an den König, sendet ihm den Huldigungsmarsch, der soeben in Orchester-Partitur erschienen ist. Nachmittags Besuch von Herrn und Frau Schott, da sie in Mainz Bürgermeister während der großen Zeit waren, berichten sie allerlei interessante Dinge mit. Sie finden meine Kinder artig und hübsch, was mich freut. - Abends überlegt R., ob er an Bismarck seine Sache mitteilt oder nicht, ich meine, es sei gut zu warten, bis die Sache materiell gesichert sei, um dann ihm eine Darlegung zu machen, die nichts von ihm verlangt.
Freitag 14ten
Ich teile R. meinen üblen Zustand mit; er ist gut und himmlisch wie immer. - Briefe von einem Dr. Kafka, [8]der in Wien die Sache organisieren will, dann des Königs, sehr freundlich wie immer. Brief Claire's, die Mutter ist immer krank. Mit Loulou zu Frau Schott, die uns abends wieder besucht. - R. spielt mir seine erste Scene vor, herrlich! (Brief Richter's, der uns nicht erfreut.)
Samstag 15ten
Selbe Tageseinteilung, jeder seinen Beruf; nach der Arbeit baden die Kinder im See. Große Schwüle, Föhnhitze. Brief von Pr. Nietzsche. Auch in dieser Lebens-Beziehung hat R. mehr Liebe verschwendet als er empfangen. Ich kaufe mir eine blaue Brille, weiß aber nicht, ob ich sie gebrauchen werde.
Sonntag 16ten
Fidi erhält heute seine neue Tracht, die er nun beständig tragen soll; eine Blouse und Hemd mit Kragen, dazu Ledergurt und Tasche, er sieht wunderschön darin aus. - Beim Frühstück Gespräch über einen Brief Luther's an den Musiker Ludwig Sennfl, [9]von welchem R. sagt, daß er ihm noch sehr dienen wird. - Gestern abend sagte mir R.: »Daß du mich geheiratet hast, kommt mir vor, als ob du in's Kloster gegangen wärst, für die Welt sind nun alle deine Eigenschaften verloren.« »Ich bin auch in's Kloster gegangen«, erwidere ich, »aber in das Kloster, das ich mir ausgesucht und das mich von der Welt erlöste und reinigte.« - Mittag auf der Terrasse mit den Kindern, schöne heitre Stimmung. Spazierfahrt mit den Kindern, ich seit unsrem Unfall von Angst erfüllt. Abends liest R. im »Liebesverbot«; sein erster Band wird zu dünn, erfragt sich, ob [er] die ersten Jugendwerke mit aufnehmen soll, doch findet er sie zu kindisch. - Herr Julian Schmidt macht in seinem neuesten Buch R. Wagner in vier oder fünf Seiten von oben herunter ab. (Bangigkeit des Herzens!).
Montag 17ten
R. ruft mir zu: »Ich weiß nicht, ob du glücklich bist, ich aber bin's!« - Loulou zum Verhör, in unsrer Fahrangelegenheit! Sie benimmt sich dort sehr gut, unbefangen und sicher. - Bei Tisch werde ich sehr schmerzlich berührt, wir sprechen über den Herrn Kunstästhetiker Lübke, der wieder ohne jeden Grund über R. geschmäht hat, und R. ruft: »Diesem Elend entgeht man doch nur durch den Tod, er einzig gibt Ruhe.« Da es mein höchster Stolz ist, wenn R. sich ein langes Leben wünscht, bin ich tief betrübt, was mir R. verweist, indem er sagt: »Er kann in 1000 Jahren kommen, aber ich sage, er kommt doch und macht den Schluß zu dieser Welt-Misere.« »Lübke wahrscheinlich Lübecker, ein Jude.« - Gestern las ich eine Broschüre des Theologen Overbeck, [10]die Pr. Nietzsche mir geschickt; sie bringt R. und mich auf Religions-Gespräche: »Die Katholiken haben ganz recht, wenn sie sagen, die h. Bücher dürfen von den Profanen nicht gelesen werden, denn Religion ist für die, die nicht lesen und schreiben können. Aber sie hatten so schändlichen Mißbrauch mit der Deutung getrieben, daß Luther einzig auf die h. Bücher sich berufen konnte. Freilich hat er auch damit der Wissenschaft und der Kritik die Türe geöffnet, Christus wird aber deshalb doch bestehen.« - »Siegfried« ist angekommen, R. korrigiert ihn am Nachmittag. - »Ach! hätten wir ein Erbgütchen und lebten darauf und ich schrieb meine Sachen und brauchte nicht daran zu denken, wie die Welt sie sich aneignet«, ruft R. aus, wie wir traulich an unsrem Mittagstisch auf der Terrasse sitzen. - Gestern auf der Fahrt erinnerte mich R. daran, wie er einen Abend in München so heftig in der Aufführung von »Preciosa« geweint hätte, er sagt: »Diese Musik erinnerte mich an den unauslöschlichen Eindruck, den sie in der Jugend auf mich gemacht: alle meine Vorstellungen von südlicher Glut und Anmut basieren auf diesem Eindruck. Wie zierlich war doch auch der Text gemacht, man kann eine Novelle nicht hübscher bearbeiten. Wie grob dagegen, was heute geliefert wird!«
Dienstag 18ten
Gestern abend hielt R. noch Eva ernst und bedeutend an, Tiere nicht zu quälen, hoffentlich macht es Eindruck. R. arbeitet; vor dem Mittag, wie ich ihn begrüße, sagt er: »Könnt ich doch Arien schreiben und Duette, wie leicht würde mir dies; jetzt muß ein jedes ein kleines Musikbild sein, dabei aber den Fluß nicht unterbrechen; ja das soll mir einer nachmachen.« Nach Tisch spielt er Siegfried's 3ten Akt durch, über alle Worte herrlich; bei der Begrüßung Siegfried's durch Brünnhilde zeigt er mir Harfenklänge, die er hinzugefügt, gleichsam wie die Harfen der Skalden, wenn sie in Walhall einen Helden empfangen. Diese Klänge werden beim Tode Siegfried's wieder erschallen. Tiefer unaussprechlicher Eindruck; schönste Liebeswerbung; Furcht Siegfried's, Furcht vor der Schuld durch die Liebe, Brünnhilde's Furcht Ahnung des Untergangs; ihre jungfräulich reine Liebe zu Siegfried acht deutsch. - Ich schaue umher nach den Menschen, die so etwas mitempfinden werden, der Vater und auch Tausig kommen mir in den Sinn. Friedrich kehrt von der Post heim, bringt mir einen Brief von der Gräfin Krockow, sie im Leipziger Hospital bei Tausig, welcher an dem Typhus sterbend liegt! - großer Schrecken. Ob er auch genese, ist er jedenfalls für unsre Unternehmung verloren; welche Lehre. Sein Tod erscheint uns metaphysisch begründet; ein armes, früh verlebtes Wesen, der keinen Glauben an sich hat, der bei allem, was ihn uns nahebringt, doch eine innere tiefe Fremdartigkeit (die jüdische) empfindet. Mit wahrer Hast hat er sich auf Bayreuth geworfen, kann ihm aber diese äußere Tätigkeit helfen?... Er ist zu begabt, um nicht lebensüberdrüssig zu sein. »Ich mag nicht mehr mit der Welt leben«, sagt R., »jetzt, daß ich dich habe, will ich für die Kinder sorgen und nur noch sehen; denn wohin man rührt, entstehen die Gespenster. Der Fl. Holländer ist ja gar nichts gegen mich.« Ich sage ihm, wie glücklich wir in der Abgeschiedenheit sind, da ich z. B. das Leben in der Welt gar nicht mehr würde ertragen können. »Ja«, sagt R., »das war mein Geniezug, daß ich dir von hier aus telegraphierte, >Vor Anker alle sieben Jahre, hier werde ich mit dir vereinigt sein<. Nein, mit der Welt gehen, ihr Interesse teilen u.s.w., das kann ich nicht mehr.« - In der dunklen Schwüle wandern wir noch zur Stadt, um meinen Brief an G. Krockow noch auf die Post zu bringen. Wird er Tausig noch am Leben treffen; R. meint, physisch habe er eine Katzennatur, würde sich vielleicht erholen. - Spät in »Friedrich dem Großen« gelesen, dessen Wesen uns durch Freud und Leid fesselt. (Vor einem Jahr die Kriegserklärung!)
Mittwoch 19ten
R. hatte fünf Stunden guten Schlafes. Er arbeitet. Grenzenlose Schwüle; wir leiden darunter, abends bin ich sehr traurig; ich weiß nicht, ob in Folge eines Zwischenfalles zwischen R. und mir (in welchem er vielleicht zu leidenschaftlich, ich vielleicht zu zurückhaltend war) oder in Folge der gestrigen Nachricht, an die ich unaufhörlich denke, namentlich da diese Hitze mir tödlich für einen Typhuskranken erscheint. - Am Nachmittag bearbeitet R. seine Biographie, ich lese in Semper's Broschüre von Industrie, Kunst und Wissenschaft,[11] die mich sehr fesselt. Abends in »Friedrich dem Großen«. -
Donnerstag 20ten
Fürchterlich stürmische Nacht; ich schließe kein Auge. Am Morgen bringt mir ein Brief Elisabeth's die Nachricht, daß Tausig nun tot ist; in der Nacht vom Sonntag zum Montag ist er verschieden; wie wir die Nachricht seiner Erkrankung erhielten, war er schon tot. Vollständige Betäubung, dann Rückschau - wieviele Freunde schon dahin, Uhlig, [12]Schnorr, Seroff, wieviele! In T. verlieren wir sicher einen großen Stützpunkt unserer Unternehmung, allein das läßt uns gleichgültig, R. sagt: »Ich sehe dem zu wie einer Wolkenbildung, die Nebel erheben sich, werden sie zerstreut werden oder sammeln sie sich zur befruchtenden Wolke - Gott weiß; ich sehe nur zu, mein Leben erscheint mir göttlich, denn selbst die Sorge jetzt darin ist schön, ich habe sie um die Kinder.« - Betrachtung über Tausig's trauriges Leben; so frühreif, mit 16 Jahren bereits Schopenhauer durchgearbeitet; Fluch des Judentums von ihm empfunden; keine Freude an seiner ungeheueren Virtuosität, der Vater doch größer, und er zu bedeutend, um sich als Schüler zu empfinden, die Ehe mit einer Jüdin, gleich aber abgetan, mit 29 Jahren vollständig fertig, und doch kein Mann; »wie müssen die schlaflosen Nächte eines solchen Menschen sein? Was erfüllt ihn?« fragt R., der die Stupidität des Schicksals mit Achselzucken bemerkt, welches Tausig dahinrafft, im Augenblick, wo eine große Tätigkeit ihm eine innere Freude und Genugtuung gewähren sollte! — Ein trauriger Tag sollte dieser sein, in jeder Beziehung; um Mittag kam Vreneli und erklärte, Kos sei nun nicht mehr zu retten, er habe keinen Augenblick Ruhe mehr, weder bei Tag noch bei Nacht, Jakob würde ihn heute zum Apotheker führen. Ich sagte, bevor man ihn fortführe, mir ihn noch zu zeigen, daß ich Abschied nehme, sie taten es nicht, und es schmerzte mich sehr. Das arme Tierchen hat die schlimmsten Tage meines Lebens miterlebt; 66 brachte ihn Hans nach Zürich, »um mir wenigstens eine kleine Freude zu machen« in schwülen schweren Zeiten. Seit 3 Jahren war er krank; nun ist er verschwunden und hier auf Tribschen begraben. - R. konnte am Morgen nicht arbeiten, er schrieb an Dr. Gille, seinen Nichtbeitritt dem Autoren-Verein erklärend, dann an Herrn Tappert in Berlin für Dr. Fuchs, dessen Broschüre ihm gut dünkt. Dr. Fuchs hatte um eine Unterstützung des Königs von Bayern gebeten, R. schreibt darauf, daß der König nur seine Person, nicht seine Tendenz beschütze, und daß der Umstand, daß R. sein Nibelungenwerk auf eigene Hand aufführen müsse, die Leute wohl hätte belehren können, wie es stünde. Erschrocken, daß R. derlei an zwei völlig Unbekannte schreibt, bitte ich ihn, eine andere Form zu finden; das bringt ihn außer sich, er wolle keine Banalitäten einem Manne schreiben, dessen Buch ihm gut schien, er schriebe keine Phrasen, er sei wahrhaftig. Er zerreißt seinen Brief; mich betrübt es unsäglich, ihn in gewiß der schönsten Naturanlage verletzt zu haben; mich aber kränkt es, wenn zu allen und jedem vom König gesprochen wird. R. bereut es dann, so heftig geworden zu sein, und bricht in Tränen über den König aus, der alles gewußt, alles mitempfunden und ihn so preisgegeben. Nach allen Seiten hin habe er Wahrhaftigkeit sich erobert, einfach stehe er da, und mit dieser einen Lüge würde er zu Grabe gehen; er weint heftig. Ich bleibe bei ihm, verlasse ihn dann, um Kos' Grube zu beaufsichtigen. Wie ich wieder zu ihm komme, las er in »Faust« (1ten Teil); er liest mir vor (5ten Akt); dieses Erhabenste beruhigt, besänftigt, ergreift und erheitert uns; jedes Wort ein Juwel! R. sagt, er möchte sich den »Faust« auf schönem Velinpapier herrlich drucken lassen, als symbolisches heiliges Buch. Das deutsche Monument, das deutsche Meisterwerk. - In München hat der jüdische Komödiant Possart im Theater König und Kronprinz begrüßt, und wie er den Bund der zwei Herrn gepriesen hat, haben sie sich, die Hände reichend, bedankt!! - Noch von Tausig viel gesprochen. Ich erhielt den Besuch eines Amerikaners, Mr. Lang, den ich vor 14 Jahren in Berlin gesehen und der, sich sehr freundlich jeder Einzelheit erinnernd, mich hier aufsucht.
Freitag 21
R. träumt von Tausig. In der vorigen Woche hatte er von Zähnen geträumt, die ihm in großer Anzahl aus dem Munde gefallen, ich träumte auch von einem zerbrochenen Zahn und sagte ihm, welch Übel uns wohl angekündigt sei? Da kommt Tausig's Tod gleich einer Warnung, nichts nach außen zu unternehmen. Mir ist dieser Fall sehr ernst. - Gegen Mittag erzählt mir R.: »Ich habe mich zur Arbeit gezwungen, doch wenig Freude davon gehabt.« - Wir kommen auf sogenannte Kulturgedanken, und R. stimmt mir bei, als ich ihm sage, daß ich keine Spur von Sympathie für die Oktroyierung des Christentums habe (Karl der Große und die Sachsen) und daß ich das ganze entdeckte Amerika darum gebe, daß die armen Urbewohner nicht wären verbrannt und verfolgt worden. Er erzählt von Radbod[13] dem Friesenfürst, der, bereits mit einem Bein im Taufbecken, zurücksprang, als er erfuhr, daß er seinen heidnischen Vater nicht im Himmel treffen würde (Siegmund!); er habe deshalb seine Ortrud aus Radbods Geschlecht stammen lassen, eine schlecht bekehrte Heidin. Die römische Eroberung der Länder viel humaner, sie haben keine Religion aufoktroyiert. - Wie ich mich nach Tisch zur Ruhe begebe, tritt R. zu mir herein, er hat soeben durch Loldi erfahren, daß Kos tot und begraben, er weint. Wie ich hinunterkomme, ist er ganz ergriffen noch. Abends geht er sein ganzes Verhältnis zu Kos durch und weint bitterlich, »so ein gutes, freundliches, von einem abhängiges Wesen!« - Der Amerikaner mit seiner Frau besuchen uns; sehr gutartige Leute; Fidi und die vier Mädchen werden vorgestellt, ersterer hat großen Erfolg. (Heute erstes Seebad Fidi's, der nun auch das Wort Seebad zur Bereicherung seines sehr kleinen Repertoires hat). Wir sprechen dann viel, R. und ich, über das Englische, das ich gern spreche, gegen welches R. aber eine unüberwindliche Antipathie hat; er sagt, der Deutsche könne es nur als einen Dialekt, nicht als eine ernste Sprache ansehen. Wir bemerken, daß einzig der Deutsche sich so viel Objektivität bewahrt hat, um griechische und lateinische Namen, ohne sie nach sich umzumodeln, auszusprechen; daß der Deutsche einzig eine Aussprache nach der Schrift habe. Sehr bedeutsames Faktum. Shakespeare der Triumph des bedrückten, endlich erhobenen angelsächsischen Geistes, dichtet sozusagen den Untergang der Normannen, der schlauen, wilden mächtigen Abenteurer. Im Protestantismus kulminiert dieser Geist; wie die Normannen auch immer mit der katholischen Kirche zusammenhingen. - Der Name Cromwell macht in »Heinrich dem VIII.« auf R. einen seltsamen Eindruck, »unwillkürlich denkt man an eine Anspielung, da Cromwell als einziger Beschützer des Cranmer auftritt, und sagt sich dann, das kann gar nicht sein, und empfindet hier wie eine poetische Ahnung«. So wechseln die Gegenstände des Gespräches, und immer kommen wir auf Kos zurück. R. hätte nicht Abschied nehmen können, sonst würde er es nie zugegeben haben, und doch war sein beschlossener Tod eine Notwendigkeit.
Samstag 22ten
R. erzählt: Ich träumte die zwei Kleinen (Eva und Loldi), sie gingen auf einen winzigen unsicheren Kahn, und da hatte ich doch Kraft des Schreckens genug, um aufzuwachen und den Traum zu brechen. »Dann von der Schröder-Devrient, ich hatte Beziehungen zu ihr.« »Welcher Art«, frage ich. »Wie immer, gar nicht zärtlicher Art; nein, sie hätte mir nie Liebes-Sehnsucht erwecken können, da war nicht genug Verschämtheit mehr da, kein Mysterium, in das man zu dringen gehabt hätte.« - Ohne von Kos zu sprechen, sagt er plötzlich: Ich glaube, daß, weil der Mund und die Muskeln desselben beim Hund gar nicht zum Ausdruck dienen, die ganze Ausdruckskraft im Auge liegt. Wie blickt so ein Hundeauge einen an; das Auge der meisten Menschen hat diese Kraft des Blickes nicht, schon deshalb, weil es zu sehr durch die Gewohnheit der Verstellung geschwächt wird. - Sehr schönes Wetter; die Mondsichel machte neulich R. eine ungemeine Freude, er sagte, er begreife, daß man sie als ein heiliges Zeichen aufgenommen habe. - »Heimskringla«[14] neu angeschafft, macht R. auch viel Freude; wenig dagegen das Festspiel des Herrn Rodenberg (in Dresden beim Einzug), welcher ganz gemütlich vom Rheingold spricht, vom Reif des Siegfried, als ob dies ganz landläufige Dinge wären, R. sagt: »Mir ist, als hätte ich ein Vomitiv genommen.« »Rodenberg und Redwitz sind nun die Helden des Tages; nach den Befreiungskriegen waren es Houwald und Müllner, jedoch waren letztere sauberer.« Ein Graf Amadei macht einen Besuch an R., ein unterrichteter Wagnerianer, der jedoch ihm von nicht vieler Annehmlichkeit ist. Im Kahn zur Stadt, die Amerikaner zu besuchen. Schöne Heimfahrt, trotz meiner großen Angst, von der R. sagt, ich solle sie bezwingen. - Abends in Carlyle; das Wiedersehen Wilhelminen's und Friedrich's sehr ergreifend; Friedrich plötzlich (durch Katte's Hinrichtung) Mann geworden, »er hat erkannt, daß das Leben kein Spaß ist, will auch König werden, küßt die Füße seines aus tiefem Instinkt handelnden Vaters!« -
Sonntag 23ten
Brief von E. Krockow, in seinen letzten Tagen hat uns (Wagner und mich) Tausig noch als »zwei große Naturkräfte« bezeichnet! Hermann Brockhaus schickt die Papiere, die ihm für R. von der Muchanoff anvertraut worden sind; sie scheint den Kopf gänzlich verloren zu haben. Wie es mit unserer Sache zu stehen kommt, weiß Gott! - Am Morgen die zwei Großen zur Kirche, die zwei Kleinen bei uns, sehr hübsch spielend. Indem ich dies schreibe, ruft mir R. vom oberen Salon zu, wo er arbeitet: »Cosima, wo bist du?« »Hier unten, ich schreibe mein Tagebuch.« »Schreibst du Gutes?« »Sicher, aber wie denkst du denn jetzt an mich?« »Törin! Was denke ich denn sonst? Woher sollte denn die Ausdauer in der Arbeit kommen außer in diesem Gedanken? Ich möchte wissen, was aus mir geworden, wenn ich dich nicht gefunden hätte? Verkommen, nachdem ich eine Torheit über die andre begangen. Elend dahingesiecht.« Dann wendet er sich zur Arbeit. Leider ist er nicht wohl, er klagt über Schwere und Mattigkeit. - Nachmittag Besuch der Gräfin Bassenheim; soeben von München heimgekehrt, erzählt sie uns die schauderhaftesten Dinge vom König, wie ungezogen neidisch er sich gegen den Kronprinzen benommen (beim Einzüge), wie ihn die Bauern verhöhnen, daß er seine Jagdhütten vergolden läßt und alles Louis XIV. einrichten etc. etc.; R. sehr trübgemut hierüber; ach! Diese Abhängigkeit! Unsere Amerikaner (das Ehepaar Lang) sind sehr artig und gut musikalisch. Wie er aber ein schweres Stück vom Vater spielt, bemerkt R.: Daß hier zur Regel etwas erhoben worden ist, was mit des Vaters Persönlichkeit zusammenhing, die Magie, die er spielend ausübte und die mit der äußeren Buntheit seines Lebens paßte; nun eignen sich seine Schüler die ungeheure Technik an, müssen aber eine ungeheure Zeit darauf verwenden, welche R. mit Recht vergeudet erscheint, da ihnen die Individualität fehlt, aus der so etwas entsprungen ist.
Montag 24ten
Trübe Stimmung R.'s; der König, der König! Auch läßt man zirkulieren, um die vornehmen Leute von Bayreuth abzuhalten, daß der König die Unternehmung nicht gerne sieht! - R. beschließt die zweite Scene seines Aktes, befindet sich aber gar nicht wohl. Wir gehen aus, er empfindet das Bedürfnis, weit zu gehen, kommt aber sehr elend heim; er klagt über Diätfehler, die Erdbeeren verträgt er nicht etc. Er legt sich hin, und ich lese ihm aus Carlyle vor, was ihn zerstreut. - Unsre Amerikaner fort, nachdem R. festgesetzt, daß Musik nun die neue Religion sei, »wir konnten miteinander nicht verkehren, da haben wir musiziert, und gleich haben wir uns verstanden«. »Unser Leben würde himmlisch sein, nur müßte nichts von außen kommen.«
Dienstag 25ten
Bei Gelegenheit seines Traumes kommen wir auf die Liebe zu sprechen, R. erzählte nämlich, wir seien entzweit gewesen, Hans habe sich darüber gefreut, R. habe fort gewollt, ich ihn auch ziehen lassen, es sei die unglückselige Zeit in München gewesen; da fügt er hinzu, »ja die Liebe bis zur vollständigen Vereinigung ist nur ein Leiden, ein Drängen«. Ich: »Und die vollständige Vereinigung erst im Tode - der ganze Tristan drückt das aus -, und ich empfinde es stets, ich empfinde mich selbst als Schranke, die ich bersten möchte. Und doch will ich mit dir individuell vereinigt sein im Tod, wie soll man dies reimen.« R.: »Alles, was ist, bleibt, was man schon hat, besteht ganz losgelöst von den Bedingungen der Erscheinung.« Ich: »An den Sternen hat man ein gutes Bild für den Schein aller Dinge, wie unser Auge uns da täuscht, so täuschen uns unsre Sinne über das ganze Daseinssystem.« R.: »Sehr schön ist das Wort ewig, denn es bedeutet eigentlich heilig, ein großes Gefühl ist ewig, denn es ist befreit von den Wechselbedingungen, denen alles unterliegt; es hat nichts zu tun mit gestern, heut und morgen. Mit der Arithmetik beginnt die Hölle.« »Gott weiß aber, was noch alles sich an dich gesellt?« R.: »Nichts, denn ich habe an nichts außer dir tief geglaubt.« - Von Gräfin B. brachte ich gestern für Fidi eine Pickelhaube und einen Säbel, er kommt damit zu uns herein: »Achilles, Max Piccolomini.« Es steht ihm sehr gut und macht uns Freude. - Herr Davidsohn[15] aus Berlin schickt einen Aufsatz über Tausig, sehr seicht und platt; »wir können aber hier nichts sagen, denn unsre Ansicht würde kein Mensch verstehen«, sagt R. »Es ist eine durchaus bedauerliche interessante Erscheinung gewesen.« - R. arbeitet heut nicht, er ist zu angegriffen, er spielt mir seine zwei Scenen vor und legt sich dann zur Ruhe und liest. Er sagt, er habe Lust, einige Tage sich zu unterbrechen und einen Nekrolog über Auber zu schreiben. - (Gestern früh schrieb ich sieben Briefe in Bayreuther Angelegenheit). Loldi von dem Amerikaner, der kahl ist: »Er hat was Nacktes auf dem Kopf.« - Melancholie in der Natur und in mir, seit Tausig's Tod vermag ich nichts außer Geschäftliches und den Kinderunterricht; es will mir nicht gelingen, Briefe zu schreiben. - Abends lese ich R. wieder vor; die Auswanderung der Salzburger unter Friedr. Wil. il. ergreift uns unsäglich und bestärkt mich in dem willen, Protestantin zu werden. R. beklagt es, daß Bismarck nicht in Bezug auf Katholizismus die nötige derbe Sprache führt.
Mittwoch 26ten
Das Portrait des armen Seroff wird uns zugeschickt. R. erhält einen Brief des Dr. Kafka aus Wien, der sich anheischig macht, aus Wien 100 000 Gulden zu schaffen. Diese Nacht war mir bang zu Mute, traurig bis in den Tod, bang um R., bang um die Kinder (ihre Zukunft), bang um Hans selbst, Hilfe nur in der unbedingten Ergebenheit in allem und dem festen willen, zu jeder Stunde meine Pflicht zu erfüllen. - R. ist immer leidend und dadurch herabgestimmt, doch immer himmlisch gütig gegen mich. Abends in Carlyle, von welchem R. sagt, man muß es
lesen wie das Buch »Die Memoiren eines Großvaters«, die man als Manuskript hätte. - Ich ordne R.'s Papiere - und finde mancherlei, unter andrem Briefe von Schwester Rosalie an R., die R. sehr überraschen, er sagt, er habe gar nicht gewußt, daß man so herzlich gegen ihn gewesen sei. Er erzählt dann von der Trostlosigkeit - der lächerlichen - seiner Ehe.
Donnerstag 27ten
R. sagt mir gegen Mittag: Weißt du, was ich heute getan habe, alles Gestrige umgeworfen. Hagen's Ruf war mir zu komponiert, gefiel mir nicht, mußte umgeändert werden. Kindertisch; R. erzählt, in den Zeitungen munkelt die ungezogene Aufführung des Königs von Bayern gegen den Kronprinzen, was wird das geben. Spaziergang mit R., wir reden von allerlei, plötzlich unterbricht R., mir geht es wie Kohlhaas,[16] ich trage schwere Gedanken, ich werde nicht mehr froh und wohl. Diese Schmach, von diesem König abhängig zu sein, es ist unerhört und unerträglich; wäre er nur etwas nach einer Seite hin, hätte er meine Sache beschützt, man dürfte sich und ihn rechtfertigen, aber so. Die schöne Landschaft zieht uns ein wenig von den trüben Gedanken ab. Abends ordne ich weiter und lese in den Briefen R. vor. Viel Wehmütiges in diesem Blick auf die Vergangenheit. - An Fontaine de Soif vorbei, über Melusine gesprochen, »das Christentum hat diesen Naturgeistern etwas ungemein Rührendes gegeben, und es bringt dies ein ganz neues Moment in der Poesie; sie sind immer gut, aber unerlöst, was sie so wehmütig ergreifend macht. Wie dieser Nix, zu dem die Pfarrerskinder kommen und ihm melden, er könne doch noch erlöst werden«. - (Der König hat dem Prinzen    Albert geantwortet, welcher ihn bat, doch ja zum Bankett zu kommen,    das die Stadt dem Kronprinzen gebe: »Er kann sich seine Vivats allein holen«!!
Freitag 28ten
Freund Nuitter schickt die Aufsätze R.'s aus der Gazette musicale, [17]ich freue mich, sie nun wieder in das Deutsche zu übertragen. - Bei Tisch, wie Fidi eben mit uns seine Erdbeeren wie gewöhnlich gegessen hat - ruft R. aus: »Ich verfluche dieses Musizieren, diesen Krampf, in den ich versetzt bin, der mich mein Glück gar nicht genießen läßt; da ist mein eigner Sohn da gewesen, und es geht an mir vorüber wie ein Traum; dieses Nibelungen-Komponieren sollte längst vorüber sein, es ist ein Wahnsinn, oder ich müßte gemacht sein, wild wie Beethoven; es ist nicht wahr, wie ihr euch einbildet, daß dies mein Element ist; meiner eignen Bildung zu leben, meines Glückes mich zu erfreuen, das wäre mein    Trieb; früher war es anders. Ach! Und es ist mir, als ob ich auf der Blüte solch einer Catalpa ein Haus bauen wollte; ich sollte zuerst die Tausende von Klüften füllen, die mich und meine Kunst von der jetzigen Menschheit trennen; woher meinen Hagen nehmen mit dieser hallenden protzigen Stimme; die Kerle, die solche Stimme haben, sind dann Dummköpfe. Ach, es ist ein Unsinn. Idylle, Quartette, das möchte ich gern noch machen. Und dazu diese ein Thaler Agitation zur Aufführung der Nibelungen!« - Viel Ärgernis darüber, daß Manteuffel, der seine Soldaten förmlich aufgeopfert hat, auch eine Dotation erhalten soll, weil König Wilhelm ihn besonders mag. Sorge mit Loulou, weil sie gar wenig Ordnung hat. Spaziergang mit den Kindern, denen wir Eis geben; späte Heimkehr, zu Hause Schotts, mit welchen wir den Abend verbringen.
Sonnabend 29ten
Ich beginne die Übersetzung von R.'s Aufsätzen, abwechselnd damit und dem Kinder-Unterricht. R. arbeitet, ist aber immer nicht wohl, ich glaube, das Klima hier bekommt ihm nicht. Aus Leipzig meldet sich auch der Wagner-Verein. Wie ich nachmittags an der Übersetzung auf der Terrasse arbeite, kommt ein Fremder, und bald erkenne ich R.'s alten Freund Herrn Praeger, [18]den wir herzlich empfangen, mit welchem wir aber nicht gar viel zu reden haben. - R. ärgerte sich heute darüber, daß der Bischof von München mit lateinischen Auszügen aus den Bullen irgend einen reprimandiert hatte; »wenn ich denke, daß ein deutscher Mann sich das gefallen lassen muß, könnte ich aus der Haut fahren«. (Fidi besucht Gräfin Bassenheim).
Sonntag 30ten
In Bayern steht es schlimm, der Erzbischof handelt, als ob er der König wäre, und der König bleibt, was er ist! Fürst Hohenlohe soll zornig München verlassen haben. Gott weiß, wohin dies noch kommt. - Beim Frühstück fragt mich R., ob ich das Lied von Walther und Huldigunde[19] kenne, ich bejahe, und er fährt fort: »Ich finde darin die Züge, die ich die acht deutschen nenne, die Gelassenheit, die zum Humor aboutiert, wie der Kampf von Walther gegen die Gibichungen und dann mit Hagen, dem er das Auge, der ihm die Hand abhaut, worauf sie miteinander ihre Späße darüber machen. Ich denke mir, daß diese Züge sich in der preußischen Armee vorfinden.« - Gestern abend sprachen wir wieder über Berlioz, »der die optischen Dinge wunderbar gehört und diese seinen Erfindungsgeist geweckt. Sonst dürftig armselig, in der Form eingeschränkt«. - Gestern auch, wie ich zum Spaziergang R. erreichte, sagte er mir: »Gott, wie hat mich Fidi eben angelächelt, so schön und süß und anhaltend, ich bin ganz ergriffen.« Heute sagte er: »Was werden wir noch durch unsre Kinder glücklich sein, du wirst sehen.« - R. ist unwohl, kann nicht arbeiten, dadurch sehr verstimmt. Nach Tisch besucht uns Herr von Gersdorff, Freund des Pr. Nietzsche, der den ganzen Krieg mitgemacht und das vortreffliche ernste norddeutsche Wesen an sich hat. Natürlich dreht sich das Gespräch um den Krieg. (Brief von Frau Lucca, sie wollen den Lohengrin in Bologna geben).
Montag 31ten
Gestern führte Gräfin Bassenheim Loulou zu einer Gymnasium-Vorstellung, da deklamierten wirklich die Studenten über Ziethen und Friedrich den Großen, wie dieser am Karfreitag Ziethen zu Tisch haben wollte, dieser aber zum Abendmahl ging und Friedrich vor dem verstummen mußte. Hübsche Jesuitengeschichte! - R. sehr unwohl, erregt mir Besorgnisse. Zu Tisch Herr v. Gersdorff, Pr. Nietzsche, Pr. Brockhaus, alle gleich angenehm. Wir verbringen die Zeit hübsch plaudernd auf Tribschen.