Januar

Sonntag 1ten
R. begrüßt, den Engel meines Daseins! Und gleich tiefer Dank und tiefes Gebet der Reue über alles Gute, das ich unterlassen, alles Üble, das ich vollbracht. Die Kinder, alle fünf, kommen gratulieren, Lou-lou sagt mir ihr englisches Gedicht mit guter Aussprache und bewährt hier wieder ihre leichte Fassungsgabe, wie gestern beim Anhören der Musik sie mich durch ihre lebendige Aufmerksamkeit erfreute. Auch Boni hörte mit Andacht zu und weinte, als sie fort mußte. - Kindertisch; gegen 4 Uhr nimmt Pr. N. Abschied von uns. - R. hat linilert an seiner Partitur und so wird dieses Jahr »nulla dies sine linea« werden. - Fidi beginnt das Jahr mit »Herrr-mine«, das Wort, das bei ihm alles ausdrückt. - Wie heute der Besuch kam, hatte R. seine große Nadel (der Bauer als Millionär)[1] an einen hellgrünen Schlips geheftet; wie er mir erzählt, es habe ihn ein wenig geniert, erwidere ich ihm, er solle doch nur ruhig sein, den Fremden erscheine er ja wie eine Art Ordinär Lindhorst, R. lacht, der Name bleibt ihm, mich nennt er die Feuerlilie, und Pr. Nietzsche wird zum Studenten Anseimus. - Gestern früh brachte uns mit Aufregung Richter die Nachricht, daß Heinrich Porges nun wirklich zum Musikdirektor in München ernannt worden ist. Da es im Theater gar nicht ging, hat Bon Perfall zum beliebten Mittel gegriffen und in Zeitungen bringen lassen, daß es nun um die Freiheit des Münchner Theaters getan sei, da R. Wagner sich zum Intendanten desselben ernennen lasse. Die Anstellung Porges'sollte als ein Werk R.'s aussehen (weil P. nur als Wagnerianer bekannt ist) und zugleich die definitive Anstellung des Herrn Wüllner bewirken, was Porges außerdem als Folie dienen soll, da man weiß, daß er nicht dirigieren kann, wenigstens noch nie dirigiert hat. Wie sich dies alles immer schön gleich bleibt! Und der König?
Montag 2
Richter hat einen Brief seines Freundes Servais, der ihn im Namen meines Vaters ersucht, sogleich nach Pest zu kommen, wo seine Anstellung im guten Gang sei; ich gebe Richter den Rat, sich an meinen Vater direkt zu wenden, um Aufschluß zu erhalten. Uns macht diese Anzeige trauriger: »Was ist das für ein Leben, wo alles dem Brot geopfert werden muß!« sagt wehmütig R. - Er geht zur Stadt, ich bleibe zu Hause und schreibe Briefe (Meysenbug, Krockow, Seroff). Fidi macht seinen ersten Besuch bei Gräfin B., deren große Trauergestalt jedoch ihn erschreckt. Abends »Klein Zaches«[2] ausgelesen, ohne große Freude, abgesehen von der Erfindung des Haupttypus; wir entsinnen uns, daß Bülow öfters lächelnd »klein Zaches, genannt Zinnober« ausgerufen hat, als z. B. die Erhöhung der Gehalte, die wir für die Musiker erwirkt hatten, dem guten Bon Perfall ein Ständchen einbrachte, und als die von R. verlangte Vertiefung des Orchesters in allen Zeitungen zur Ehre Perfall's gerühmt wurde. - In Torgau singen die Soldaten aus der Walküre »Götternot, nur Knechte knete ich mir«, wie Pr. Nietzsche uns erzählte.
Dienstag 3ten
R. erschien die Nacht bei mir, mich fragend, ob ich ihn liebe, ein böser Traum hatte ihn geängstigt; am Morgen scherze ich mit ihm darüber, er sagt, ähnlich wie der Traum habe die Trennung zwischen uns immer gewütet, er habe die festeste Überzeugung, daß wir zu Grunde gegangen wären. Und wie wir uns oft gesagt hatten, wir wollten uns trennen, nie wieder sehen, habe die Unmöglichkeit dieser Vornahme in uns-ren Herzen förmlich aufgelacht. Das gäbe ihm diese Zuversicht, daß er sagen lasse, was man sagen wolle, denn »was wißt ihr von unsren Leiden und unsrer Liebe?« - Er bemerkte gestern, daß jetzt die Herrn Poeten ganz stille wären, keine Hurrahs mehr hören ließen, jetzt, wo es gerade darauf ankäme, ein Wort zu reden, das die Herzen stärke inmitten der großen Opfer und Schmerzen. - Die Freiheit besprechend, wie sie die heutigen Leute verstehen, sagt R.: »Die Freiheit ist die Heiligkeit des Journalisten, daß die alles tun und treiben können, was ihnen gefällt.« -Langer Brief von Peter Cornelius, große Klagen über seine Leiden an der Schule, und Auseinandersetzung von dem, was er ist und nicht ist; »daß er nichts gelernt hat, kein Griechisch kann, das gibt jeder zu, daß er aber kein Genie ist, nie«. - Einer von den zwei kleinen Finken ist uns gestorben, großer Kummer darüber, daß [das] Männchen nicht ohne Weibchen länger wehmütig dasitze, fahre ich mit Loulou hinein; im Wagen unterhält sich Lusch ernsthaft mit mir, fragt mich, wann ich glaube, daß Friede sein wird, und nach dem deutschen Kaiser. Ein Aufsatz des Herrn Gervinus bringt R. auf die Besprechung der Zustände und auf das Glück für Deutschland, daß es noch Fürsten habe, »nur sollten diese Fürsten selbst den Reichstag Bilden und, nachdem sie durch versammelte Korporationen ihres Landes Interessen haben kennen gelernt, dieselben vertreten, so würden sie wieder etwas lernen und tun, und der Unsinn des Monar-chentums würde verschwinden«. - Brief an Pr. Nietzsche, welcher die Berufung unsres Neffen Fritz Brockhaus[3] nach Basel erwirkt hat. - Meine Geburtstagstaube ist nun auch gestorben! Die Kälte ist groß und die Kohlen fehlen uns. - R. korrigiert an der Biographie, und ich sage ihm, daß wirFidi hiermit ein schönes Kapital hinterlassen; R. erwidert: »Wenn ich annehmen darf, daß ich einen großen Namen in der Kunstgeschichte behalte, so glaube ich auch wirklich, daß das Buch Interesse erregen wird.« Wir besprechen nochmals abends die Abhandlung von Pr. Nietzsche, und R. kann sie nicht genug loben.
Mittwoch 4ten
Arbeit mit den Kindern; R. ist leider nicht wohl, seine Nächte sind nicht gut. Große Kälte, nach Tisch sitzen wir am Kamin, R. preist die Stille und sagt: »Es wird uns sonderbar vorkommen, wenn wir wieder mit der Außenwelt verkehren! Wir haben Gott nur um Gesundheit zu bitten, denn alles Glück haben wir.« Das Furchtbare des Lebens im allgemeinen besprechend sagt er: »Ja wer nicht Künstler oder Heiliger ist, der ist so recht eine Eintagsfliege, ein armseliges Geschöpf. Immer dasselbe und immer dasselbe bietet das Leben, eine langweilige monotone Geschichte, nur die Verschiedenheit der Formen kann einer finden.« Wie ich darauf das Mephistoische »man möchte rasend werden« [zitiere], sagt er: »Ja, das nenn ich das dionysische Element in Goethe, der >Faust< gehört zum Wunderbarsten, das der Mensch vollbracht hat; Faust und Mephisto, das sind Wesen wie Don Quixote und Sancho, nur sind sie heitrer, was sie dem griechischen Genius viel näher bringt, wie der Deutsche einzig diesem verwandt ist. In der blühendsten Jugend konzipiert, im höchsten Alter vollendet, welch ein Zeugnis von Lebenskraft!« R. nennt Fidi den blonden Beethoven, er findet, daß er ihm ähnlich sieht. (Brief an Pr. N. R. schreibt an Peter Cornelius, ihn ermahnend, bei der Schule auszuhalten.) Gegenüber Goethe nennt R. Schiller den Apolliner. Abends lese ich R. aus Gibbon vor.
Donnerstag 5ten
R. hatte eine gute Nacht und hat sich früh zur Arbeit begeben. Ich bei den Kindern. Das Bombardement von Paris hat ernstlich begonnen. Kindertisch; hierauf Besuch der Gräfin B., welche zu unserer herzlichen Freude uns meldet, daß das Lehn ihnen vom König bewilligt worden ist. Wir begleiten sie nach Haus; auf dem Heimgang mit R. durch die Schneewiesen in vollster Einsamkeit freuen wir uns des »verrückten« Zustandes- wie R. sagt. Ob die Kinder sich jemals ein Bild davon werden machen können? - Als wir in der Stadt vor der protestantischen Kirche vorbeigingen, begrüßte sie R. und sagte: »Wie freundlich war doch dieser Trauungsmorgen, es war, als ob man einem die Lebensnöte wegstreichle; auch sind mir alle Menschen heilig, die bei diesem Akt zugegen waren.« - Abends bringt Richter den Brief eines Herrn Langers aus Pest, der im Namen der Intendanz ihm die Kapellmeisterstelle dort anträgt; Richter wird sie annehmen müssen, uns aber wird es sehr schwer, ihn ziehn zu lassen, betrachten wir ihn doch wie unseren ältesten Sohn! - Über E. T. A. Hoffmann wieder zu reden beginnend, sagt R., das Dilettantische interessiere ihn in Deutschland immer, denn bis zu einem gewissen Grade seien alle unsre größten Dichter Dilettanten, die immer wie Versuche anstellten, im Vergleich zu den Griechen, bei denen alles vollendet und sicher erscheint. Das führt uns auf die Arbeit von Pr. N. zurück, und R. sagt: »Er ist der einzige Mitlebende mit Constantin Frantz, der mir etwas gebracht hat, eine positive Bereicherung meiner Anschauung.«
Freitag 6ten
Wir werden beim Frühstück durch Richter unterbrochen, welcher eine Depesche von meinem Vater aus Pest hat; diese ersucht ihn sogleich zu kommen. R. wünscht es nicht, daß Richter gehe, ohne einen bestimmten Antrag erhalten zu haben, und Richter handelt diesem Wunsche gemäß. Ich fürchte mich vor jeder Einmischung in eines anderen Schicksal. R. ist gedrückter Stimmung durch die bevorstehende Entfernung Richters. - (Die Geburtstagstaube lebt noch!). Die Kinder spielen Treppenmusik, Lulu dirigiert, und sie ahmen das Orchester nach. Ein Engländer (Fitzgerald) meldet sich und meint, es sei jetzt in England die Zeit da für Wagnerische Propaganda! Die Aufführungen des Holländers hätten in London einen tiefen Eindruck gemacht. Ein anderer Verleger meldet sich auch bei R. zur Bestellung eines Musikstücks; R. lacht und sagt: »Da sehe ich, wie ich auf falscher Fährte war, indem ich dachte, von der literarischen Seite her wäre meine Sache zu befördern.« Aus dem 2ten Akt von Siegfried spielt uns Richter. R. ist mit dem Arrangement von Klindworth zufrieden.
Samstag 7ten
Ich hatte eine schlaflose fieberhafte Nacht; R. kam zu mir und sagte mir: ich wisse gar nicht, wie ich ihm alles sei; was ich ihm gegeben, könne er mir nicht geben, ich habe ihm seine jetzigen Lebensjahre geschenkt. Der Föhn hat schönes Wetter gemacht, der Himmel und die sonnenbedeckte Erde glänzen, R. und ich, wir fahren zur Stadt. Bei Tisch bemerkt R., daß Richter zerstreut ist, und meint, er möchte wohl schon in Pest sein; »ich«, - sagt R., »bin gleich resigniert, ich gebe alles gleich auf; nur einen Punkt kenne ich, der darf nicht getroffen werden, sonst sagte mir einer: Hier hast du ein Lehngut, du sollst darin wohnen mit Weib und Kindern, nur sollst du es aufgeben, jemals einen Ton von deinen Sachen zu hören; augenblicklich ging ich den Pakt ein. Was habe ich von den Aufführungen doch nur Mühe und Sorge, und einzig die Befriedigung, daß nichts dazwischen kommt, aber keinen Eindruck mehr. Freude machen mir meine Sachen nur bis zu der ersten Tintenausarbeitung, wenn der nebelhafte Bleistiftgedanke plötzlich klar und deutlich vor mir steht. Die Instrumentierung gehört schon zu sehr der Welt an. Man ist zu müde geworden, z. B. dieser englische Antrag von gestern, gewiß sollte er mich freuen, denn sicher wird ein Engländer es ernst und genau damit nehmen, aber es ist mir gleichgültig. Soll ich mich freuen, daß die Sachen, die ich vor zwanzig Jahren geschrieben, jetzt beachtet werden, wo ich viel weiter bin; und so immer einen Schritt vorwärts und zwei rückwärts machen? Dazu bin ich zu sehr geschüttelt worden.« (Brief an Klindworth.)
Sonntag 8ten
Hans' Geburtstag. Die Kinder feiern ihn heiter; bei Tisch bringt R. seine Gesundheit aus: »Euer guter Vater soll leben, Kinder, eurer Mama's bester treuester Freund.« - Als R. nach der Entfernung der Kinder über Hans sprechen wollte, bat ich ihn zu schweigen, weil das Herz mir weh tat; das kränkte ihn, und so hatte ich ein großes Unrecht begangen. - Brief der Mutter, welche sich einBildet, die Franzosen seien bewundernswürdig! -Den Kindern die Laterna Magica gezeigt. Abends sprechen wir unsre Erinnerungen durch, namentlich die Münchner Unglaublichkeiten. (Ich schreibe an E. Ollivier einige Zeilen.)
Montag 9ten
Bei den Kindern; R. instrumentiert. Nachmittag Schlittenfahrt mit den zwei Kleinen. Bureau de Musique Peters[4] (so die Unterschrift) schreibt: »Ich hoffe immer noch auf die Komposition des Krönungsmarsches.« Vorgestern sagte mir R.: »Wenn alle Stricke reißen, schreibe ich noch den Marsch.« Das Bureau behauptet die Liebe von König und Königin von Preußen für R. — Bei Tisch sagte R., eine rechte Demonstration dafür, daß die Gestalten Shakespeare's geradewegs wie lebendige Wesen seien und ebenso unbegreiflich wie diese, sei der Monolog des Hamlet. »Wenn einer nach Überlegung einen Monolog des Selbstmordes machen will, da kommt so etwas wie Cato's Monolog von Addison; der Shakespeare'sche aber ist unbegreiflich wie die Natur.« - Meiner »Leibtochter« Loldi, wie R. sagt, lehr ich die WeltTeile. Brief von der Großmama an Loulou, sie erzählt, daß die Tasse Hans sehr gerührt habe. - Ich denke viel an ihn und möchte so gerne, daß er es erlebe, daß seine Kinder ihm Freude machten, und schrecke vor dem Gedanken des Todes zurück. Gott helfe uns allen Armen!
Dienstag 10ten
Die Nachrichten vom Bombardement von Paris sind gut, auch scheint es, daß die Franzosen selbst die Verzweiflung ihrer Lage einsehen, jedoch wird noch ein kombinierter Angriff auf den Vogesen bereitet. -Ankunft des Shakespeare, welchen R. mir schenkt; schöne englische Ausgabe. Besuch von Gräfin B., die mich ersucht, für sie eine Kritik des Nekrologes ihres Vaters aufzusetzen, mit welchem sie nicht zufrieden ist. Große Müdigkeit, die ich bekämpfe, um mit den Kindern Deutsche Geschichte zu treiben. Abends mit R. in Gibbon gelesen, wobei uns die kindische Ansicht über die wilden Germanen viel zu lachen aber auch nachzudenken gibt. Vorher hatte uns das in Carlyle wiedergelesene Gespräch Friedrich's II. mit Geliert wahrhaft erschüttert. Wie erhaben, besonnen und bescheiden steht der Dichter da, und wie tragisch der große deutsche König, sein deutsches Volk nicht erkennend, von der fr. Kultur eingezwängt.
Mittwoch 11ten
Ein junger Dichter (Hartmann)[6] schickt die gedruckte Geschichte seiner Erfahrungen mit Herrn v. Perfall! R. instrumentiert. Ich setze den Brief an Gräfin Bass. auf, während die Kinder arbeiten. -Bei Tisch besprechen wir die Alliance mit Österreich und begrüßen dieselbe als eine große politische deutsche Tat Bismarck's. R., der einen gedruckten Brief G. Sand's gelesen hatte (die Mutter hatte mir ihn geschickt), hat große Lust ihr zu erwidern: »Von den Philosophen, Protestanten Deutschlands, von denen Sie sprechen, wissen wir nichts, denn die sind alle von fr. Kultur infiziert; ich weiß nur von einem König, dem sein Minister es begreiflich gemacht hat, daß die Insolenz der Deutschen nicht mehr zu ertragen war, und von einer Armee, die das Volk in Waffen ist.« - Ich fahre zur Gräfin B., ihr meine kleine Arbeit zu bringen, von welcher sie befriedigt ist. (Brief von L. Bucher aus Versailles.) Abends technisches Gespräch zwischen R. und Richter, wobei mir besonders merkwürdig ist, was R. vom Hörn sagt: es habe ihm neulich so verwischt geklungen (im Idyll), so wie verschmiert, wobei ihm aufgefallen sei, wie sorgfältig dasselbe zu behandeln sei, da es nicht die Zeichnung, sondern die Farbe der Melodie bezeichne; daher auch die große Romantik dieses Instruments. - Die Joachim-Mühler'sche Affaire gibt uns zu lächeln, »das ist nun die Ironie der großen jetzigen Weltlage«, sagt R., »der Jesuit Mühler durch den Juden Joachim überwunden«. Über Beethoven, »daß er die Volksmelismen zum ersten Male wieder gehört und in die Musik eingeführt hat«. - Den Abend mit Gibbon beschlossen.
Donnerstag 12ten
Wie wir gestern über Gibbon's kindische Darstellung der wilden Germanen lachten, kommen wir auf die unvergleichlichen Verdienste J. Grimm's zu reden, und R. las mir aus der Mythologie ein paar Seiten vor, die allerdings eine ganze Welt einem eröffnen. Kindertisch heiter und freundlich; nachher Besuch von Graf. B., abends Gibbon. R. arbeitet, ist aber leider wieder erkältet.
Freitag 13ten*
(* Fälschlich »14ten« datiert) weil meine Augen sehr geschwächt sind, konsultiere ich den Augenarzt; ich soll das Auge schonen. - Freundlicher Neujahrsgruß von Frau wille, dagegen Unannehmlichkeiten mit dem Obersten Am Rhyn wegen dem Schlitten, den er uns streitig macht; wir geben gleich nach und mieten einen in der Stadt. Mit R. Loulou abgeholt (aus der Schule). Richter hat einen Brief vom Vater, »welcher unsren hohen Meister« grüßen läßt. Abends Gibbon; der Feldherr Successianus[7] macht uns viel Vergnügen, ich meine, das wäre ein guter Beiname für Fidi gewesen. Richard ist sehr beschäftigt mit einer Stelle seiner Instrumentation; er sagt, er könne den Krönungsmarsch nicht pompöser ausstatten als dieses Erkennen von Siegfried und Brünnhilde.
Samstag 14ten
Sieg des Prinzen Friedrich Karl[8] in Le Mans, die Franzosen dagegen berichten immer weiter von glänzenden Triumphen; ich sagte zu R., daß das Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen mir den Eindruck des Verhältnisses von einem besonnenen Mann zu einer törichten Frau (in einer unglücklichen Ehe) macht. Letztere immer neu in ihren Erfindungen, Heftigkeiten, Koketterien etc. etc. Indessen gehen unsre herrlichen Deutschen immer schön vorwärts, des Himmels Segen sei über ihnen. - Unser Quartett sollte heute kommen, sagte aber ab zum größten Kummer von den Kindern. - Richard rief mir gestern zu: »Die Kinder in Augsburg, du hast sie mir geschickt! Später schicktest du sie nicht mehr, kamst lieber selbst mit ihnen - wir haben doch recht rührende Erinnerungen!« - Heute sagte er: >Das Herz lache ihm, wenn er die Kinder immer auf der Treppe auf und ab fiedeln höre.< Boni sagt uns eine Gellert'sche[5] Fabel, nachher sagt R., er hätte wohl Lust, eine Geschichte des deutschen Wesens zu schreiben. - Tantiemen von Berlin; Lohengrin bewährt sich als das ergiebigste Opus (nicht Oper) Richard's. Ein unbekannter Dichter aus Dresden ersucht R. seine Friedenshymne (mit Tableaux!) zu komponieren! Nichts aus München, nichts vom König. Aus Kopenhagen 1000 frcs für die Msinger; R. sagt: Heute bin ich »Successia-nus«, nur in meinen Beziehungen zu dir bin ich »Perforianus« (er vermeinte nämlich, etwas habe mir mißfallen). Immer in Gibbon gelesen und immer mit großem Vergnügen.
Sonntag 15ten
Kinderspieltag, ich antworte Frau wille, die mir gestern geschrieben und die von der Morgenmusik in Zürich erfahren hat; sehr schwer wird es mir, diesen Punkt selbst gegen den besten Menschen zu berühren. Dann Brief an die Mutter (immer geharnischt!). Richter bringt mir das Arrangement von der »Treppenmusik«, es ist vortrefflich gemacht; wir spielen es zu drei (Richter die Geige). Bei Tisch erzählt uns R. die Geschichte von dem preußischen Soldat[en], ein[em] Schneider, der die Mitrailleuse und Puppe dazu verfertigt und die Franzosen damit erschreckt hat. Nachmittags spiele ich mit Lusch den Kleinen Theater, nachdem Richter uns durch eine improvisierte Begleitung von Lully's Armenischer Sonate[9] geradewegs entzückt hat; ernst, diskret, eingehend begleitet er das Kind, das, sich wichtig vorkommend, mit aufgeregter Feierlichkeit saß und spielte. R. sagte, Richter habe uns ein ganz vollkommenes Bild von der Kammermusik gegeben. Abends Gibbon.
Montag 16ten
Meine Augen sind schwach, ich darf nicht lesen, noch schreiben, noch nähen. Richard instrumentiert. In den Zeitungen steht immer, daß der Siegfried in München gegeben wird. Gott weiß wie das wird. - Nachricht, daß Bourbaki[10] einen Erfolg errungen; er soll 150 000 Mann haben; das regt uns immer auf. Ich kann nicht glauben, daß unsre Deutschen wirklich von diesen Banden sollen geschlagen werden, allein alles, was dazu beiträgt, die Hoffnungen der Franzosen zu beleben, ist verderblich. - Bei Tisch kommt R. wieder auf die Schröder-Devrient zu sprechen und auf ihre Darstellung des Romeo; »daran habe ich so recht empfunden, daß alles an den dramatischen Vorgang sich knüpft; die ganze
Klassizität (ja das Quartettieren erscheint immer wie Quietscherei!) fiel bei mir zusammen, bei dem Anblick dieser menschlichen Wärme. Übrigens ist der Text gar nicht schlecht gemacht, und eines Eindruckes habe ich mich erinnert, als ich beschloß, Tristan auf drei Liebesscenen zu reduzieren.« Seine beabsichtigte Arbeit »Über die Bestimmung der Oper« beschäftigt R. in Gedanken sehr, und viele seiner Gespräche führen jetzt darauf. Die Bedeutung des Orchesters, seine Stellung als antiker Chor, seinen ungeheuren Vorteil über letzteren, der mit Worten die Handlung bespricht, während das Orchester die Seele dieser Handlung uns gewährt, erklärt er uns eingehend. Jedes Wort von ihm ist mir ein Glaubenssatz. - Richard Pohl schickt eine Lebensbeschreibung seiner Frau; ein Zitat des Chorals von Bach: »Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir« rührt mich sehr, indem es mich an den Eindruck, den ich von der
Musik dereinst erhalten, [erinnert]. Ich Teile es R. mit, und er sagt; »Auf solche Empfindungen habe ich meinen ganzen Parzival aufgebaut.« Dann kamen wir auf das Abendmahl zu sprechen und die tiefe Bedeutung des Mahles der Gemeinde; während jetzt der Priester das abmacht und die Subtilität aus Brot Hostien gemacht hat usw. - Der Brief R.'s an Stade steht in der Fritzsch'schen Zeitung. - Erste Ausfahrt mit Fidi, im neuen Schlitten; der Herr Am Rhyn hat uns den seinigen entführt, wir mieten einen anderen, und R. und ich und Fidi holen Loulou ab. Außer dies meldet uns Jakob den Muni; das ist der Stier, welcher Grane Gesellschaft leisten soll, weil Herr Am R. auch seine Pferde fortgeführt hat und der Stall sehr kalt ist. Das Wort Muni macht R. viel Vergnügen, wir suchen es nach im Mittelhochdeutschen Wörterbuch, finden es aber nicht; erfahren durch Hermine, daß im Württembergischen der Stier Hagen heißt; Hagen und Muni machen uns viel Freude. - Über lyrische Tenöre und Heldentenöre, wie sie die jetzigen Theater besitzen und verstehen, sagt R.: »Der lyrische Tenor ist der, der keine Stimme hat, mit dem Gaumen singt und
ein hohes Falsett hat; Heldentenor ist ein gewisser Kerl, der nichts gelernt hat.« - Über München sagt R.: »Wie ungeschickt fangen es die Leute an, um mich zu kritisieren; sie brauchen nur meine Berufungen, wie die von Cornelius, Porges, vor allem des Gesangslehrers Schmitt anzuführen, um mich ganz kleinlaut zu machen, denn wo sollte ich ausholen, um den Leuten begreiflich zu machen, daß nur unter meiner Führung solche Menschen hätten tauglich sein können, und daß es mir zu verzeihen war, daß ich an die Möglichkeit einer solchen Führung geglaubt habe.« Abends Gibbon.
Dienstag* 17ten
(* Fälschlich »Donnerstag«)
Sehr hübscher Brief von Malwida M. an R. »Die weiß, daß wir glücklich sind«, sagt R., »ach! wir leben hier im Paradies, wie werden wir daran zurückdenken, uns danach sehnen, wenn wir einst fort sind.« Homer nur möglich vor der Erfindung der Schrift, und Fidi, der seine äußerst lebhafte Physiognomie verlieren wird, wenn er wird sprechen können, Bilden das Thema eines Gespräches am Morgen! Im übrigen muß ich der Augen wegen die Zeit verlieren. Der Tag vergeht freundlich friedlich wie immer, ich spiele mit den Kindern, Fidi der Bibliothekar stöbert in den Büchern seines Papas, und R. instrumentiert. Ich sage ihm, daß er gewiß nie in seinem Leben so gestört gearbeitet hat. Abends Gibbon (Diokletian).[11]
Mittwoch 18ten
Brief von E. Ollivier, der in der Einsamkeit bei Turin lebt. R. sagt: »Ein guter und intelligenter Mensch ist er, doch Teilhaftig der nationalen Insolenz, die hat ihn unklug gemacht und ihn in den Krieg gestürzt.« Unser Knecht Friedrich wird uns genommen, er soll an die Grenze als Soldat, dort schlägt man sich seit zwei Tagen (Werder und Bourbaki).[12] - Glatteis, doch gehe ich mit Richter Richard entgegen; dieser bringt mir einen Brief von Musikdir. Weitzmann, welcher meldet, daß ein Amerikaner den »Beethoven« ins Englische übersetzen will, und zugleich versichert, daß die ganze Jugend für R. begeistert ist. R. empfängt von Leipzig eine anonyme Gratulationskarte mit der Versicherung, daß Leipzig stolz auf R. sei, zugleich anerkennende Zeitungsartikel über die Msin-ger. R. sagt, er verdanke gewiß dies seinem Passus über Leipzig in der Juden-Broschüre. Abends die »Königsbraut« von Hoffmann mit vielem Vergnügen gelesen. (Meine Augen prüfen mich sehr.)
Donnerstag 19ten
Wiederum Schnee, der Winter beginnt von neuem. R. instrumentiert, ich bei den Kindern. Dann Kindertisch, Fidi zum ersten Mal dabeisitzend, große Freude und Heiterkeit. Nach Tisch Spiel mit den Kindern und Lektüre. R. freut sich, wie er mich inmitten der sechs (willi Stocker ist auch dabei) sieht. Brief von Pr. Niet., er führt sehr schöne Worte seines Freundes Rohde[13] über den Beethoven an. Abends in Gibbon. Seiner kindischen BeurTeilung der Deutschen gedenkend sagt R.: »Ja, Jakob Grimm ist eine Art Mutter gewesen.« - Wie wir uns spät abends trennen, ruft mir R. zu: »Du bist der einzige Mensch, vor welchem ich Respekt habe.« - Gott im Himmel, und was wäre ich ohne seine Liebe?
Freitag 20ten
Bourbaki ist doch zurückgeworfen worden. Große Freude machte uns gestern die Erwiderung Bismarck's auf die Note des Grafen Chaudordy;[14] man faßt Mut und Vertrauen für die deutsche Sache; gewahrt man eine solche Festigkeit. R. freut sich, daß durch ihn die Diplomatenseligkeit beendigt worden ist. Ich sagte R., daß ich meinte, der Hauptgrund, weshalb die Elsässer sich so scheuen, Deutsche wieder zu werden, liege in dem in Deutschland bestehenden Unterschied der Stände, während in Frankreich wirklich bürgerliche Freiheit wäre. R. sagt, es sei dies auch ein Übelstand, er hoffe aber, daß mit dem Kaiserthron auch ganz andere Verhältnisse entstehen werden. - Mich heute wohler sehendsagt R., »du mein Alles'chen, du bist mein Barometer, geht es dir wohl, so bin ich vergnügt. Aber bist du leidend, so vergeht mir alle Fassung«. Die Kinder begrüßen uns: »Was das für ein Glück ist, die Kinder zu haben! Man wird mit der Zeit stumpf und schwermütig, und was von außen kommt, läßt einen immer gleichgültiger, es ist eine Art Vorbereitung zum Tod; da kommen die Kinder, die so lebhafte Eindrücke von allem haben, bei denen alles lebt, und verknüpfen uns wieder mit der Welt. - Daß du alles das für mich getan« - fügt er hinzu -, »jetzt erst muß ich der Welt etwas Rechtes dünken, da du für mich alles verließest und mir alles gabst!« — Boni entwickelt sich jetzt zu unsrer Freude. Zur Stadt mit R., um Lusch abzuholen. Beim Bier am Abend erzählt R. von der Geburt Fidi's. Nach dem Abendessen in Gibbon gelesen. (An Pr. Weitzmann und E. O. geschr.)
Samstag 21ten
Die Armee Chancy's[15] verstärkt sich aus Cherbourg -wann nimmt das ein Ende? — Sonnenstrahl von außen und innen. Mir träumte freilich, daß, indem ich mit R. flöge, ein wilder Vogel mich packte, allein ich lachte darüber. Bei Tisch setzt R. Richter wundervoll den Plan der »Wanderjahre« auseinander, indem er aber hinzufügt: »Alles das jedoch ist erst im >Faust< vollkommen dargestellt worden.« - Wir versuchen einen Spaziergang, doch die Schneebahn ermüdet uns zu sehr. Abends Gibbon, nachdem der Nachmittag mit den Kindern verspielt wird, wobei R. sich wundert über meine Gabe, sie zu beschwichtigen und zu Gehorsam zu bringen; Fidi schon gehorcht froh.
Sonntag 22ten
»Wir leben wie die Götter und damit punktum«, ruft mir R. am Morgen zu und singt dann aus der »Straniera«[16] einen Canto, der uns wieder auf die Wirkung dieser Sachen bringt; » die lebendige Darstellung dazu - die interessante Sängerin - und adieu alle Klassizität. Darum muß das Drama eintreten; ich bin kein Dichter, und ist es mir ganz gleich, ob man meiner Diktion Vorwürfe macht, bei mir ist alles Aktion; es ist mir bis zu einem gewissen Grad gleichgültig, ob man die Verse versteht, meine Handlung wird man schon begreifen. Der Dichter ist neben Musiker, Maler, Plastiker ein Unding, nur der Dramatiker kann da aufkommen. Der größte Vorzug der Franzosen ist, daß sie Theaterstückmacher sind, daß sie ihrem Leben die Bühne abgewonnen haben; es ist eine Bühne wie im Leben, nur kommt es darauf an, ob die Deutschen fähig sind, ihrer wilden Natur gemäß auch ein Theater sich zu schaffen.« - Beim Geschrei der Presse (»das abstrakte Wort möchte ich verbieten und immer sagen lassen: die Zeitungsschreiber«) gegen das Bombardement von P. sagt R.: »Jetzt erst verstehe ich die Preußen und das zugeknöpfte straffe Wesen; früher hat es mich empört, den König von Preußen in dieser Uniform, bis am Hals zugeknöpft, bis in seinem Arbeitskabinett zu sehen; jetzt verstehe ich es; wäre das nicht gewesen, wir wären verloren. Bei den Franzosen schlottert alles viel zu sehr; die Unsrigen sind wie unbeugsame Maschinen.« - Auf die Musiker und die Vielkomponiererei kommend, sagt er gestern: »Improvisieren soll ein jeder, in der Improvisation kann jeder gute Musiker etwas Interessantes leisten; aufschreiben aber ist ein ganz andrer Prozeß, da muß es Sonate werden, Suite etc., und um eine alte bestimmte Form beleben zu können, dazu gehört viel.« »Beethoven ist der erste, der Musik geschaffen hat, die man als Musik anhörte, die früheren Sachen gehörten zur Belebung der Gesellschaft oder zur Begleitung des Vorgangs in der Kirche oder auf der Bühne.« Kindertisch und später die Musiker; Es dur Quartett, von R. gelehrt, eine Wonne. Klage der Unschuld über die Sünde sind diese Töne; wer die Empfindungen, die dabei in ihm sich regen, zu Handlungen verwandeln, wer danach leben könnte! Die Kinder glücklich, selbst unsre Leute sehr ergriffen, Hermine sagt, sie müsse immer auf das Bild von Beethoven blicken und sich denken, wenn er es sähe, wie Herr Wagner ihn versteht. Nur in der Intimität und im Studium werden diese Sachen erkannt, die Symphonie dagegen ist für das Publikum zugeschnitten, und das Drama will das Volk.
Montag 23ten
Die bayerischen Kammern haben die Verträge angenommen; also doch!! Unsre herrlichen Truppen haben auf den drei Punkten die Franzosen in [die] Flucht geschlagen, aber das tut den Guten nichts, immer »bis auf's Messer«. - Ich bin sehr unwohl, meine Augen werden sehr schwach und schmerzen mich, auch war selbst die große gestrige Freude für mich zuviel, ich muß sie heute büßen. R. ist auch nicht ganz wohl, arbeitet aber doch. Er meldet mir, daß er nun bald an Die Bestimmung der Oper gehen werde und erst später den zweiten Akt der Götterdämmerung beginnen werde, verspricht mir (!) aber, dann ununterbrochen die zwei Akte zu komponieren. An Rat Düffl. geschrieben (wegen Kostümen). Freude über unsre Siege, die sehr groß zu sein scheinen, jetzt ist es aus mit dem schönen europäischen Court, das so viel als Schmähung Deutschlands hieß; das ist Bismarck's unsterbliches Verdienst; Nap. III., schlauer als alle Diplomaten, hat die Diplomatie benötigt, Bismarck hat erkannt, daß hinter dieser List nichts steckt. Abends Gibbon. Der Name von Lady Milford[17] erhebt einen Streit, ich behaupte,    daß sie Johanna, R., daß sie Emilie heißt, das bringt uns wieder zur Lektüre einzelner Scenen, »augenblicklich könnte ich das ganze von A bis Z wieder lesen, weil der Dichter einen so interessiert, so wie mich jedes wahre Wort, das ich von Beethoven erfahre, daß er da und dort gestanden, dies und jenes angesehen, unglaublich fesselt. - Ja, Schiller war ein Stückemacher, er verstand's, ewig wird sich >Kabale und Liebe< halten, denn was sind das für Rollen, der alte Miller, die Lady, Luise,Ferdinand, Wurm etc.«
Dienstag 24ten
Bismarck (Gal Lieutenant!) refüsiert Jules Favre den Geleitschein zur Konferenz; herrlich! Alles, was von den Unsrigen berichtet wird, ist groß, desto mehr erhebt die Welt Geschrei. Den Kindern das Neue Testament gelehrt. Nach Tisch Schlittenfahrt mit R.; wir finden auf der Post einen Feldpost-Brief aus Blois; ein Vizefeldwebel Rudolph
Nolte schreibt mit rührender Begeisterung an R. und schickt Briefe eines seiner Freunde (Koch, Student der Philologie), der vom Nationaldrama schwärmt. Das bringt R. abends auf einen früher ausgesprochenen Wunsch, ich solle Gräfin Bismarck »Kunst und Politik« zuschicken. Ich weiß nicht, warum mir dies so schwer fällt, ich, die ich so leicht für ihn zum Tod gehen würde. Aber jedes Hervorheben meiner Person ist mir beinahe unmöglich. - Abends Gibbon. (Brief der Mutter.)
Mittwoch 25ten
Wir hatten beide eine üble Nacht; bei mir war sie durch die Schreckensnachricht, die Jakob gestern aus der Stadt gebracht, verursacht; es heißt, die schwarzen Pocken herrschen in Luzern. Der Himmel beschütze uns! R. war unwohl und machte Gedichte an die deutschen Truppen; [18]wie er es mir anvertraute, sprach ich ihm zu, er aber erwiderte: »Ja aber wie nur? Soll ich es ohne meinen Namen an die N. A. Z. schicken, da wird es kaum beachtet; soll ich es unterzeichnen; mit einem Namen, welcher als der eines Opernkomponisten von jedem Judenjungen kann bespottet werden, kann man sich nicht als Patriot zeigen.« - Am Morgen sind ihm die Gedanken verflogen. Gal Moltke hat Jules Favre den Geleitschein gegeben. - Kmeister Eckert aus Berlin fragt telegraphisch an, ob er den Walkürenritt dem Gewandhaus zuschicken darf; R. erwidert: »Aufführung des Rittes für unerhörte Indiskretion erachtend, ergreife ich endlich dargebotene Gelegenheit, derlei zu verbieten.« - Wie ich am Morgen zu ihm komme, bemerke ich, daß er zerstreut ist, und will mich entfernen, da ruft er mich und sagt, er habe soeben die Papiere versteckt, auf welchen er sein Gedicht an das deutsche Volk denn doch niedergeschrieben habe; er habe sich vor mir geschämt! Zu Mittag liest er es mir, mich dünkt, es müßte ausgeführter* (* Ursprünglich »länger«) sein, und er will noch eine Strophe hinzudichten. Immer Schnee und Nebel, keine Sonne. Wir kommen nicht aus; R. kommt auf die Arie der Königin der Nacht, und wir müssen über die Absurdität lachen, die hieraus eine Blume der Charakteristik und Klassizität gemacht hat, während es entschieden eine Virtuosenarie für eine bestimmte Sängerin ist. - Richter studiert den Kindern den Kilian ein. Abends singt R. mehreres aus der »Entführung«; Betrachtung, wie schade, daß solch reizende Worte in gewöhnlichem Opernhause förmlich verloren sind, weil das Publikum an viel gröbere Kunst sich gewöhnt hat. Diese Sachen gehören zur Schule und müssen vorgenommen werden wie unsre Quartette, dann vor eingeladenem Publikum, das mitstudiert hat, aufgeführt. Bayreuth! - Nach Mozart Gibbon. (An Bucher geschrieben.)
Donnerstag 26ten
R. meldet, daß Trochu das Kommando niedergelegt hat und keiner nun das Kriegsministerium übernehmen will! So muß es sich auflösen. Garibaldi's Erfolg bei Dijon bestätigt sich leider; im übrigen will immer alles siegen oder sterben! - R. fügt seinem Gedicht zwei Strophen zu, liest es uns beim Kindertisch vor, und da ich ihm rate, es nicht in einer Zeitung drucken zu lassen und lieber an Graf Bismarck zu senden, ersucht er mich, es durch Legationsrat Bucher zu vermitteln. Das führt das Gespräch auf die Menschen, welche diese Taten vollbrachten, und R. sagt: »Es gibt einzelne Menschen, die über dem Schicksal stehen und es förmlich machen, das sind die grenzenlos seltenen Genies wie Friedrich der Große, und dann welche, die, wenig begabt, doch besondere Eigenschaften haben, die der Weltgeist gebraucht, um Großes hervorzubringen; so der König Wilhelm, dessen Rechtschaffenheit und Biederkeit gerade dazu dienten, um den französischen Untergang herbeizuführen. Wo Lebensfähigkeit noch da ist, da klammert sich die Natur förmlich an uns, bringt Wunder hervor, wo aber organische Schäden da sind, da gibt sie alles preis; so gibt es jetzt in Frankreich keine Männer. Ich erwarte mir viel von dem neuen Kaiserreich; es ist doch wunderbar, daß eine aus der Natur der Dinge entsprungene Form wie die deutsche Kaiserwürde, die an ihrer Milde, nicht an ihrer Macht zu Grunde ging (alle Politik der fremden Mächte ging nur darauf hin, den Kaiser lahm zu legen), daß diese wieder ersteht, von selbst, und in der Legitimität in heutiger Zeit ihre Stütze und zugleich den Damm gegen den Einheitsstaat findet.« - Besuch des Grafen B. Jules Favre hat Friedensvorschläge gebracht, jedoch nicht angenommen. - Abends Gibbon.
Freitag 27ten
»Mein gutes liebes Weib«, ruft mir R. zu, am frühen Morgen, »die Natur wollte, daß ich einen Sohn zur Welt brächte, und du Einzige konntest mir diesen Sohn gebären; alles übrige wäre Unsinn und Unding geworden. Dies hat mir die Kraft gegeben, das Unerhörte zu vollbringen und zu ertragen, um uns zu vereinigen. Das muß unser Trost sein, denn der Zweck der Natur geht weit über alles hinaus.« R. hat einen Brief von dem Eichstätter Domkapellmeister,[19] welcher die Broschüre über das Dirigieren der Kirchenmusik geschrieben. Dieser klagt über den üblen Zustand der Dinge; er sagt, wie in München Bülow da war, da konnte er noch hoffen, jetzt aber siege der Schlendrian überall. Wir gedenken dabei unsrer für München beabsichtigten Berufung des Vaters für die Kirchenmusik; »ja, wir hätten Bayern zu einem musikalischen Paradies machen können; aber es sollte nicht sein! Wir hätten uns zum Opfer gebracht, in der Exaltation wollten wir uns trennen, deshalb wie der erste Schlag kam, das Verbot der Aufsätze >Kunst und Politik<, war ich im Innersten doch froh. Wir hätten zu Heiligen werden müssen, wäre unsre Sache geglückt, und Fidi wäre aus der Welt geblieben«. - »Ich habe aber einen unbegrenzten Glauben an mich, seitdem du zu mir gekommen bist, und will noch 100 Jahre mit dir leben.« - Ich schicke sein schönes Gedicht an L. Bucher für Bismarck, wie letzterer es wohl verstehen wird?? - Besuch bei Gräfin B., welche Garibaldi den alten Leierkasten nennt. Es scheint, daß die Friedensverhandlungen doch ernst werden. Bismarck hat wenigstens seine Bedingungen gestellt. - Wie R. an einem Bilderladen vorbeigeht, worin die Portraits der preußischen Generale hängen, hört er einen Jungen schimpfen und sagen: »Die Donnerkerle, die müßte man alle spießen und hängen.« Diese ganze Schweiz ist wie von fr. Sympathien zerfressen. Abends lesen wir »Menschenfeind und Alpenkönig« von Raimund (R. hat soeben dessen Werke erhalten); viel viel Freude an dem originellen Stück; es ging ihm mit seiner Dichtung wie mit seinem Darstellertalent, am liebsten hätte er große heroische Rollen gegeben, aber die Natur versagte es ihm; die hätte er auch lieber im großen gedichtet, wie Shakespeare, allein er war gebannt in den Schranken des Wiener Volkstheaters, darin aber ist er genial über alle Maßen.
Sonnabend 28ten
Arbeit und Kinder, alle sind wohl und Fidi sehr leuchtend. Nach Tisch lege ich mich hin und will ruhen, da kommt R. durch die Stille, und in der Ungewißheit, ob ich schlafe oder nicht, sagt er mit sächsischem Dialekt: »Ich zünde mir eine Friedenscigarre an, Paris hat kapituliert.« Elektrisiert springe ich auf und frage, ob es denn wahr sei? Wirklich ist es wahr, Jakob hat die Nachricht aus der Stadt gebracht, ganz gemächlich nach Schweizer Art. Erwartet wurde es und [kommt] mir doch so überraschend, so hinreißend plötzlich. Wir ziehen nicht in Paris ein,[20] und das ist herrlich. Abends in großer Aufregung, aber doch mit Aufmerksamkeit Gibbon vorgenommen.
Sonntag 29ten
Ohne Schlaf, in tiefer religiöser Stimmung an die Toten gedacht, an die Lebendigen, an mich, meinen Unwert, das namenlose Glück, für R. zu leben in der hoffnungsreichen Zeit. - (Minna fünf Thaler geschickt, der Mutter und Hedwig geschrieben.) Indem er mich anblickt, sagt mir R., das habe ihn so gerührt in Starnberg, daß er meine ganze Familie, den Vater, Blandine und Daniel, in meinem Gesicht wiederfand, alles Freundliche, das von dieser Seite ihm gekommen, konzentrierte sich um mich. - Die fünf Kinder in Sonntagskleidern an mein Bett, »diese Würde um dich«, sagt R. lachend, »und du bist selbst ein Kind. Alle diese Wesen hängen von dir ab, du bist die Achse, um die sich dies alles dreht«. Er habe gestern Frau wille telegraphisch zu Tisch eingeladen, was mich freut; ich drücke ihm aber dabei meine Scheu vor der Welt aus und wie mir bang ist, und wie ich einzig an ihn mich schmiegen kann, »wie geht es mir denn?« fragt er; »o du hast die Welt, du wirkst für sie und sie liebt dich«. »Das sind alles Flausen, das weißt du recht wohl.« - Gestern kam die Nachricht über Porges' mißlungenen Direktionsversuch. »Das ist doch hübsch«, sagt R., »wie die unheimlichen Mißverständnisse in München nie aufhören; könnte ich doch den Leuten die Versicherung geben, daß ich niemals mit einem Fuß den öden Ort betreten würde.« Zu Mittag die Musiker und eine Salatschüssel auf mein liebstes Kleid! Das cis moll Quartett und »Es muß sein«[21] studiert, große Freude wieder auf Tribschen. - Keine weiteren Nachrichten von der Kapitulation.
Montag 30ten
Es ging mir gestern nicht wohl, heute bin ich besser, R. freut sich darüber und sagt, das Quartett habe mich kuriert. »Du bist meine Kaiserkrone«, sagt er mir scherzend. Wir stellen uns die Unterredung zwischen Bismarck und den Französchen vor; »wo seid ihr denn Kinderchen?« wird Bismarck sagen, die Männchen suchend wie Polyphem. - R. sagte gestern den Musikern, daß der Unterschied der letzten Quartette mit den früheren in der ungeheuren Konzision bestehe, da läge auch die Schwierigkeit des Vortrages dieser Sachen; weil alles darin Kern sei, gar keine Floskel mehr vorkäme, müßte jede Note mit Bewußtsein gespielt werden, sonst entstände Unklarheit, daher der Ruf der Unver-ständlichkeit dieser Sachen, die gut gespielt durchaus melodisch und eigentlich populär sind. - Es heißt, Gambetta habe seine Demission eingereicht, das wäre sehr gut. - Nach Tisch spielten uns die Musiker ein Arrangement von Richter, das Idyll; große Rührung! R. sagte, wie merkwürdig es ihm sei, in der Absicht habe er nur das Thema, das in Starnberg[22] ihm gekommen sei (bei unsrem dortigen Zusammenleben) und das er mir als Quartett versprochen hatte, zur Morgenmusik verarbeitet, und nun habe er unbewußt unser ganzes Leben darin verwoben, Fidi's Geburt, meine Genesung, Fidi's Vogel u.s.w. So schaffe der Musiker, wie Schopenhauer sagt, er drückt das Leben aus in einer Sprache, die die Vernunft nicht versteht. - »Wenn ich ein junger Kerl wäre«, sagte R., »wie wollte ich jetzt meinen Barbarossa, meinen Bernhard von Weimar vollenden. Friedrich der Gr. beschäftigt mich immer, sein Zustand ist eigentlich das Bild des unsrigen bis jetzt; die Imagination französisch und das An sich des Wesens durchaus deutsch; dieser Zwiespalt müßte dem Werk eine äußerst interessante Physiognomie geben.« - Wir gehen immer nicht aus, Nebel und Schnee sind zu dicht. Hübscher Brief einer alten Freundin (Alwina Frommann), auch Freundin der Königin von Preußen; es freut uns sehr, von der 70jährigen ein Lebenszeichen zu erhalten. - Immer große Freude über Fidi: »Wenn aus diesem nichts wird, dann hol der Teufel das Menschenmachen; dann muß man es versuchen wie Wagner mit dem Homunculus.« —
Dienstag 31
Schönes Telegramm des deutschen Kaisers; R. und ich, wir sind von Hoffnung durchglüht, der Himmel gebe seinen Segen! — Ein Tenorist (Schleich) bittet um ein Zeugnis, daß man mit einem Katarrh Lohengrin nicht singen könne; welches R. ihm auch gibt. - R. hat nachts Krönungsmärsche komponiert, er denkt daran auch ein wenig des Geldes wegen. Er antwortet seiner Freundin und bezeichnet sein Leben mit mir in solcher Weise, daß ich gar nicht weiß, wie ich das mir verdient habe. Wie könnte ich dem Leben grollen, das mir so viel mehr Glück gebracht, als ich je verdienen könnte. Wären alle Leiden über mich gestürmt, ich hätte nicht klagen dürfen, und nun sehe ich R. froh und die Kinder wohl, den ganzen Tag möchte ich beten, büßen, danken!