August

Sonntag 1ten
Alle fünf Minuten jäh erwacht, zuerst Hans in Gram mir vorstellend, dann seltsame Gedanken eines Mordanschlages auf mich gehabt. Früh aufgestanden, Siegfried bewacht und die andren Kinderchen besucht. Vor dem Frühstück für Lusch in Weber's Liedern nachgesucht, ein einfaches Gedichtchen, das vor den erfüllten Wünschen warnt, erweckt eine wehmütige Stimmung. Ich muß weinen. R. sagt mir, er habe an Hallwachs geschrieben, die gerichtliche Autorisation, die ich zu geben habe, geht nicht so leicht. R. möchte gern alles allein machen, um mir die peinlichen Details zu ersparen, ich sage ihm, daß die Details und die sogenannten Widerwärtigkeiten mir nichts sind; könnte er mir das Herz frei machen von traurigen Vorstellungen, ich nähme es mit Dank an, dies ist nicht möglich, und alles übrige ist gleichgültig. Lulu das Leben vom h. Antonius [1] erzählt. Zu Tisch den Pr. Nietzsche, der sehr angenehm ist und sich auf Tribschen wohl fühlt. Nachher mit den Kindern und R. ihn nach Hergeschwyl begleitet; er besteigt den Pilatus. Wir gehen spazieren; schöner Sonntag-Abend, Bauern beim Kegelspiel. Bier und Käse unter einer Laube. Spielende Heimkehr mit den Kindern, Boni Zwerg, Lusch und Loldi Riesen. (Depesche aus Dresden: Dem deutschen MSinger R. W.: Commers deutscher Polytechniker im Eibschlößchen zu Meißen. Gesang des Steuermannsliedes aus dem Fl. Holländer. Ein begeistertes Hoch dem deutschen Komponisten Wagner.)* (*Am Rand nachgetragen)
Montag 2ten
Heftiger Regen, Hausarbeit. An Claire geschrieben, um sie zu ersuchen, an Hans nachträglich zu schreiben. Innewerden, daß Hans auf brutale Art von Siegfried's Geburt Kenntnis erlangt hat und mir die Ehescheidung gleichsam als eine Strafe für mich anbietet. R. hat mir den Brief des Dr. Hallwachs nicht zeigen wollen. Ich ersuche ihn, mir niemals etwas ersparen zu wollen, indem das Schwere für mich ganz woanders liegt als in sogenannten Plagereien. Leider trage ich Schimpf und Schande und alles, wo das Herz nicht beteiligt ist. Hans verspricht, von seinen Rechten nicht Gebrauch machen zu wollen. Am Morgen bei den Kindern, Siegfried-Partitur überzogen. Nachmittag mir R. Faust-Ouvertüre[2] und zwei Haydn'sche Symphonien gespielt, wobei wir bemerkten, daß in Bezug auf das Formelle H. ein größerer Meister sei als Mozart. Ankunft der Original-Partitur des ersten Aktes von Tristan. Abends Gespräch über des Vaters Werke; R. sehr betrübt über die Wendung, die sein Geist genommen, spricht mit Vorliebe von der Faustsymphonie, auch selbst von »Mazeppa« wegen des großen Zuges, der darin ist, beklagt die leidige Apotheosen-Marotte und die Triangelanwendung, Tam-Tam-Schläge, Kettengeklirr im »Tasso« u.s.w. Seine Kirchenmusik ginge aber in das kindischste Spielen mit gewissen Intervallen über. Beklagen, daß er nicht mit ihm wirklich vereint gelebt hätte. Bedauern des Einflusses der Fürstin W.* (Wittgenstein), die gleich einer Wilden nur den gröbsten Effekten, den Chocs in der Musik zugänglich war. Über die h. Elisabeth sagte mir Nietzsche gestern, es sei mehr Weihrauch als Rosenduft. - Heute sagte R., nun, mit fünfzig Jahren, wisse man, was Liebe sei, alles Vorhergehende seien Liebschaften. Die Nacht hatte ich Tristan und Isolde gelesen, und R., der wußte, daß ich das Buch mitgenommen, spielte mir unten einiges daraus, während ich oben im Bette las. - Catulle Mendes schickt ein Swedenborgisches Gedicht von sich; leider eine unmögliche Lektüre.
Dienstag 3ten
R. meldet, daß der junge Weißheimer ganz einfach alles Geld, was er seiner Zeit für sich gebraucht, nun von R. zurückfordre, und mit Zinsen. Alles in der Annahme, daß R. bloß in die Kasse des Königs von B. zu greifen habe, und aus Rache dafür, daß R. die Oper Weißheimer's[3] nicht in München zur Aufführung brachte. Mit den Kindern gearbeitet. R. an seine Skizzen. Spaziergang mit R. Abends Haydn'sche Symphonien vierhändig. - Bei Betrachtung einer Stelle der Faustsymphonie des Vaters sagt R., ihm wäre es unmöglich, die Begleitung so gehen zu lassen in der Annahme, daß man sie nicht höre und nur auf den Canto merke. Er habe heute lange Zeit für eine Stelle gebraucht: Es hört es kein Mensch, allein es leidet mich nicht; und in diesen Sachen besteht doch eigentlich die Freude der Arbeit. Ich: Man hört es doch wenigstens, man empfindet den Reichtum der Arbeit. R: »Bei Bach kommen auch große Härten vor, allein bei ihm entstehen sie aus der Konsequenz, mit der er die einzelnen Stimmen führt, aus der Logik des Gedankens, nicht aus einer gewissen Nachlässigkeit.« - Bei großem Weh frage ich mich heute, ob mit solchem Gram man lange leben könne. Mein Wunsch in Betreff der Kinder geht da hinaus (sag ich zu R.), daß Lusch ihrem Vater beistehen soll, Boni einen Gelehrten heiratet, Loldi, Eva und Siegfried zusammenleben. - Gott gebe nur, daß Hans so lange lebe, daß ich ihm durch Lulu noch einiges Glück erteilen kann!
4ten Mittwoch
Brief Judith's aus München. Leider abends auch ein Artikel ihres Mannes:[4] »La maison de R. Wagner à Lucerne.« R. sehr darüber verstimmt. »Das Bedeutendste, mein Verhältnis zu dir und den Kindern, können sie nicht erwähnen, nun sprechen sie von den Möbeln.« Vom König hört man nichts, selbst nicht mehr werden seine Ausflüge in der Zeitung erwähnt; sehr unheimlich. R. beendigt seine Skizze des dritten Aktes. Nach Tisch im Walde mit den Kindern. Herrliches Wetter; der schönste Sommer, dessen ich mich entsinnen kann, hat Siegfried hervorgebracht.
5ten Donnerstag
Ankunft der Zeitung la Poupée Modèle, große Freude für die Kinder. R. schreibt seine Skizze für den König ab. Die Partitur weiter überzogen. Nach Tisch vierhändig mit R. eine Haydn'sche Symphonie. Besuch des Gr. Bassenheim. Die Kinder schneiden und kleben aus dem Buche aus. - Brief des Malers Lenbach. R. kommt vom Spaziergang heim und bringt einen Brief des Dr. Hallwachs. Hans hat richtig auf offenem Wege die Geburt Siegfried's erfahren. Ich bereue, dieselbe ihm nicht persönlich mitgeteilt zu haben, R. verweist mir dieses Bereuen und sagt, es sei schicklich gewesen, daß ich dies nicht getan habe. Schwere Empfindungen, möge Hans sich nur erholen! - Abends Haydn'sche Symphonie; große Freude an der Meisterschaft; »an ihm sieht man deutlich«, sagt R. »wie das Volksgenie sich hilft. Die Form ist gedrängter als bei Mozart, dieser geht immer auf den Canto los, zu der Arbeit (mit Ausnahme der vier großen Symphonien) nahm er sich nicht die Zeit. Darum
sind diese Haydn'schen Werke auch viel interessanter.« - Ich wage es kaum, mir zu bekennen, wie todessehnsüchtig ich bin.- Eine Depesche von Richter meldete, daß man den Rechten zum Alberich nicht bekommt, und fragt, ob man den Unrechten nehmen dürfe; R. antwortet: »Kinder und Herrn, tut was ihr wollt und könnt, nur laßt mich in Ruh.«
Freitag 6ten
»Wie glücklich ich bin, ich armer Mann - wenn ich am Morgen etwas müde erwache, muß ich mir nur sagen, daß du noch lebst, um wohlauf zu sein.« Ich erzähle ihm, daß ich die Nacht noch den »Mann von 50 Jahren«[5] gelesen und mit großer Rührung Hilarien's Entschluß der Entsagung gewahrt. »Ja ja, ich weiß, du möchtest auch gern solch eine Entsagungs-Wirtschaft hier einführen, ich weiß, doch...«, er unterbrach den Scherz. Gewiß liegt es mir vor allem daran, alles Leidenschaftliche zu entfernen und in dieser Weise zu büßen, bis ich werde gut machen können. Die Partitur überzogen, R. schreibt ab, Lusch diktiert den Brief an ihren Vater. - Brief des Italiener Boito, welcher schreibt, daß Tristan ihm eine Offenbarung war, wobei wir uns erinnern, daß R. seinen Tristan für italienische Sänger sich gedacht hatte (natürlich nicht [für] die jetzigen Ignoranten). Boito sagt außerdem, daß die Zahl der Anhänger R.'s immer größer in Italien würde. (Kietz schrieb gestern, in Frankreich würde diese Musik gleich der Homöopathie und mancher andren deutschen Erfindung sich Bahn brechen!) Abends wieder zwei Haydn'sche Symphonien vierhändig gespielt. - In Sorge darüber, daß Claire mir nicht schreibt.
Samstag 7ten
Lusch schreibt ihrem Vater, ich überziehe, R. kopiert; arbeitsamer Regenmorgen. Mittags einen Brief der Köchin aus München, unsre Sachen werden dort verkauft. Spaziergang mit R. Er hat einen Brief seiner Schwester Cäcilie,[6] die ihn besuchen will. Wir sind leidend beide, mein Herz tut mir weh. - Nach Tisch spielten wir wiederum Haydn'sche Symphonien. - Aus dem Vorwort zu Grimm's Mythologie gelesen. »Der kluge Rechtsanwalt« von Goethe auch gelesen; sehr entzückt spreche ich mit R. davon, er sagt, daß er etwas von seinem Tschandala-Mädchen darin wiedergefunden hat. Abends an Judith geschrieben und eine Depesche an Claire aufgesetzt.
Sonntag 8ten
Richard sehr leidend! Ich demnach wie abwesend, froh darüber, daß es Sonntag ist und daß ich die Kinder bloß herumspielen lasse. Nehme Goethe's »Wanderjahre« vor. Seroffs zu Tisch; er ein guter freier Mensch, sie häßlich wie die Nacht, interessierte sich für die Frauen-Befreiung, während wir eben gestern, R. und ich, unsere Verabscheuung dieses »jetztzeitlichen« Unsinns aussprachen. R. sagt: »Daß Mill[7] sich dafür erklärt, zeigt, daß die Leute heutzutage gar keine Anschauung selbst von den einfachsten Dingen haben, daß sie gar nicht mehr wissen, was eine Mutter ist. Im Orient wissen sie es noch; da, wo die Frau angeblich niedrig gestellt ist, ist die Mutter heilig. Der Vater ist da, um Mutter und Kind zu beschützen, also das Verhältnis nach außen zu übernehmen; die Frau hat nichts mit der äußeren Welt zu tun. Freilich ist ihr Einfluß unermeßlich, doch nicht dadurch, daß sie mit wählt und zur Mannsperson sich macht, die sie doch niemals wird.« Ich kann gar nicht begreifen, wie eine Frau, die ein Kind hat, nur daran denken kann, etwas andres zu betreiben als die Erziehung dieses Kindes, auf diesem Gebiete ist sie die unersetzliche Herrscherin. Sorge darüber, daß Claire meine Depesche unbeantwortet gelassen. - Seroff erzählt mir, wie schlecht sich Berlioz über den Vater in Petersburg ausgesprochen hat. Ich muß fast über diese bodenlose und nutzlose Schlechtigkeit lachen.
Montag 9ten
Brief Claire's; sie hat an Hans geschrieben! R. etwas wohler. Kindermorgen. Nachher »Wanderjahre«. Nachmittags der Botaniker, ein armer Student, der gern Naturforscher würde, aus Mangel an Mitteln nun Theologe wird! Sein Vater wurde gezwungen, zum Sonderbund zu gehen, er war Posamentier,[8] und die maßgebenden Herrschaften sagten, sie würden ihm nicht beistehen, wenn er nicht zu ihnen sich schlüge. Viel Freude an der Kleinen Unterricht. Wenn ich reich wäre, augenblicklich würde ich dem Menschen zur Naturwissenschaft verhelfen. Die törichten Liberalen, anstatt die unw[ ]* (* Ende des Wortes unleserlich) Zeitungen zu gründen, sollten sie sich ein wenig um einzelne Seelen bekümmern; allein alles geht seinen absurden Trott.
Dienstag 10ten
Ich bin leidend, doch kann ich die Kinder hüten, da Hermine zu Bett liegt. An Claire geschrieben. Nachher in den »Wanderjahren« gelesen. Abends holt R. die mir verordnete Medizin; da auf der Flasche steht: Für Mme Wagner, sagt R.: Ja, was Staat, Kirche, Gesellschaft nicht vermögen, bringt die Apotheke in Ordnung. R. an seiner Abschrift für den König, von welchem man gar nichts erfährt und der förmlich verschwunden ist.
Mittwoch 11ten
Als ich heute früh R. sagte, daß ich mich auf die italienische Übersetzung des »Tristan« freute, und ihn frug, ob er nicht, sagte er mir: »Meine Freuden kommen jetzt von wo anders her.« Leidend besorge ich nur die mütterlichen Pflichten. Abends lese ich in der Zeitung, daß der König das Goethe-Monument, das er selber bestellt hat, vom Grafen Pocci[9] enthüllen lassen will!! Besprechung mit R., ob man am Ende dem König mit unsrer Angelegenheit Scheu gemacht hat. Gewiß zielt es jetzt auf etwas gegen den König aus. Letzte Worte R.'s: Mir liegt nur deine Genesung am Herzen. R. arbeitet angestrengt an seiner Kopie.
Donnerstag 12ten
Sehr leidend, der Arzt wundert sich, daß bei der Schwäche meines Pulses ich noch so herumgehen kann. Ich liege den ganzen Vormittag, zerstreue oder besser erbaue mich mit den »Wanderjahren«. Der botanische Student wieder da. Hermine immer krank; nachmittags bin ich wieder zu Wege; Holz wird aufgefahren, R. scherzt über das schöne »Geschenk«, »auf geschenktes Holz bin ich selber stolz«. Immer nichts von München, wie eine Centnerlast liegt auf mir, wenn ich daran denke. Ich erschrak heute, als mir Loulou von einem Stich an der Seite sprach.
Freitag 13ten
Brieftag; an Franz Lenbach geschrieben; R. von Hermann Brockhaus[10] Nachrichen erhalten und von Richter, der die Zustände in München immer schauerlicher beschreibt. Nichts vorgefallen. R. an seine Kopie. Abends lese ich ihm den mit Verwunderung in den »Wanderjahren« gefundenen Passus über das Drama und das Theater, »es macht mich nicht irr«, sagt R., der es genau kennt. Wir sprechen von Memoiren, R. sagte: »Sie konnten nur Wert haben, wenn sie wahrhaftige Fakta angeben - Napoleon hat gelogen, sagt man.« Ich: »Er war ein Komödiant, darum kann ich [ihn] nicht ausstehen, ein hohler Mensch.« R.: »Wenn man bedenkt, daß unsre Höfe nichts sind als eine Nachahmung des Louis XIV.'schen Hofes, was in Frankreich damals einen Sinn hatte, und nun wiederum diese Napoleons auch nichts andres wissen, als sich mit demselben Hokuspokus abzugeben! Keine edlere Tendenz, in der Kunst nur das Allergemeinste, und dafür der Aufwand von Mitteln, ja sogar Blutvergießen.« »Dem armen deutschen Volk kann man nicht gram sein, es hat sein Blut vergossen, es ist durch dick und dünn gegangen, aber seinen Fürsten kann man gram sein, die es so schändlich verkommen lassen.« Ein Aufsatz der A.A.Z., »Aus Rom«, interessiert uns sehr, ich sage nur: »Das Artikelschreiben bringt die Leute in das Unwahre, der Autor spricht von Pius IX. gewiß ganz anders, als er es im Gespräch tun würde, er veredelt ihn, trotzdem er doch die Nichtigkeit seiner Pläne und die Grausamkeit seiner Maßregeln erwähnen muß. So du in >Kunst und Politik< auch die Könige Max und Ludwig idealisieren mußtest.« »Du hast recht« - sagt R. -, »falsche Gebilde sind's, die Gegenwart gehört uns nicht, man darf sie nicht beschreiben wollen.« Spät abends Depeschen [Unleserlich*] (* Name eventuell: Albert? Hofphotograph in München); Marie Muchanoff fragt nach Semper's Adresse. - »Wie wird Siegfried dereinst sein, wenn er den 3ten Akt sieht und erfährt, daß ich gerade diese Scene bei seiner Geburt geschrieben habe.«** (** Dieser Seite ist ein Notenblatt von der Hand Richard Wagners beigelegt mit dem zweizeiligen Auszug »Heil dem Tage...«, s. Anm.)
Samstag 14ten
Beim Frühstück erwähnten wir wiederum die Leiden, die wir durchmachten, bevor wir uns vereinigten. Diese Briefnot, dieser Heißhunger nach Nachrichten und diese Not, sobald der Brief gelesen, die Depeschen - Gott! Wer kann das ahnen, der nicht so furchtbar geliebt hat! Ankunft der Rheingold-Bilder, die Kostüme sind besser ausgefallen. Nachmittags Seroff, gute Unterhaltung mit ihm. Abends überschwengliches Gefühl des Glückes unsrer Liebe. R. behauptet, er wäre nichts ohne mich o Gott! Das Rheingold wird am 29ten aufgeführt.
Sonntag 15ten
Himmelfahrt, den Kindern die Assunta von Tizian[11] gezeigt, dann bei ihnen überzogen, Kindertisch, nachmittags spielt mir R. seinen dritten Akt, große Ergriffenheit; »der Liebes-Kuß ist die erste Empfindung des Todes, das Aufhören der Individualität, darum erschrickt der Mensch dabei so sehr«. Abends Besuch des Gr. Bassenheim, der mir die von seinem Schwieger, dem Fürst Wallerstein erlebte Anekdote erzählt: Goethe wünschte den Hubertus-Orden, König Ludwig wollte ihn geben, aber unter der Bedingung, daß Goethe seine Gedichte lobe, G. wollte nicht, und so wollte der König auch nicht und die Hubertus-Diamanten blieben im Schatz! Abends Kindertanz.
Montag 16ten
Am Morgen R. immer heiter und wohlauf, er ist glücklich und ist voller Trost und Hoffnung, sagt er mir. Wir sprechen über den Vater, R. sagt: >Er habe durch ihn erst erfahren, was Bach sei. Es sei wirklich der Welt nicht zu verdenken, daß sie nicht gern annahm, diese Begabung der Virtuosität sei bei ihm nur eine nebensächliche. Er war dafür geboren - und was ist denn Zeit und Dauer?< - »Die Hauptsache ist, daß man außerordentlich sei. Bei mir ist der Akzent auf die Vereinigung des Dichters und des Musikers zu legen, als bloßer Musiker hätte ich nicht viel zu bedeuten. Ach!« fügt er hinzu, »die Welt hat doch nur die Austerschalen, wie kann sie jemals die Freuden der Konzeption nachempfinden?« - Nachmittags ein Zettel von Judith, woraus ich ersehe, daß ein Brief verloren gegangen ist. Zu Seroffs mit R. hinausgefahren, abends den Kindern Grimmsche Märchen gelesen.
Dienstag 17ten
Kindermorgen und »Wanderjahre«. R. angegriffen von seiner Arbeit. Nachmittags Kinderarbeit. Abends Richter. Immer Münchnereien, er muß bei seiner Entlassung bleiben. Hans ist in Kochel. Zu Bette fällt mir seine Unfähigkeit [ein], auf dem Lande zu leben (die schrecklichen Ferien in Klampenborg!), dazu das üble Wetter. Möge nur seine Gesundheit sich stärken.
Mittwoch 18ten
Frühauf; Sängerprobe. Ich mit Seroffs in der Nebenstube. Große überwältigende Wehmut. Tiefes Empfinden, daß ich nichts von dieser Welt mehr betrachten darf. Schwere Gedanken an Hans - R. abends im Falstaff'schen Zustand, wie er sagt, heiser vom Chorsingen. In den »Wanderjahren« gelesen. - Unter andre Einfälle des Münchner Intendanten gehört auch die Bestellung eines Prologs zur Wiedereröffnung des Theaters. Ein Prolog wegen eines neuen Podiums!! Deswegen schlägt er den zahlreichen Freunden die Aufführung des Lohengrin ab und gibt »Jessonda«![12] - R. telegraphiert an den König und bittet um Lohengrin oder Meistersinger.* (* Ende von Heft I der Tagebücher. Das zweite auf der ersten Seite überschrieben »August - 1869«)
Donnerstag 19ten
Wie ich mit den Kindern arbeite, kommt eine Sendung des Professor Nietzsche: der Vortrag Semper's über die Baustile.[13] Mit großem Interesse dasselbe gelesen, bei Tisch R. darüber gesprochen,
beiderseitiges Bedauern, daß wir mit Semper keinen Verkehr mehr haben. »Ja, wenn einer schlechtes Gewissen hat, dann gibt es keine Schlechtigkeit, die nicht noch von ihm zu erwarten sei.« Erwähnung des doppelten Spieles, das der Sohn Semper's in München  gespielt. Abends Depesche des Königs, er will »wenn möglich« die Aufführung des Lohengrin zu seinem Geburtstag bewerkstelligen und grüßt Will und Vorstel - Abends lese ich R. die Broschüre Semper's vor. Er ist sehr müde von seiner Kopie. Nach Tisch besprachen wir das jetzige vollständige Schreiben von Hans. Er meint, der Vater müsse ihm von der Scheidung abgeraten haben. Ich will alles ertragen und geduldig alles erwarten, wenn nur Hans nicht gequält wird, dennoch bitte ich auch R. zu schweigen.
Freitag 20ten
Brief Judith's, lauter Begeisterung, ich antworte und ersuche sie bei Gelegenheit des Rheingoldes die Daten anzuführen, welche R. von München fern halten. Nachmittags kommt R.'s Schwester, Frau Avenarius,[14] welche er seit 21 Jahren nicht gesehen, an. Wie ich mich um R.'s willen freue und ihn frage, ob sie ihm Liebe bezeigt habe, sagt er lächelnd: »Wir brauchen keine Liebe, wir brauchen nur Rechtschaffenheit.« Ich lese abends Herwegh's Vorwort zu der Übersetzung des »König Lear«; und R. bedauert den witzelnden Ton, der jetzt überall sich breit macht und dem selbst Semper bei seinen großartigen Gedanken, durch die Notwendigkeit der Verhältnisse (einen Vortrag vor gemischtem Züricher Publikum über Dinge, die ein ganzes Buch erforderten) gezwungen nachgibt. R. hört auch nicht gern von »Menschtum« reden, und im ganzen bleibt es ein Jammer, daß anstatt zu bauen Semper nun schreibt.
Samstag 21ten
R. mit seiner Kopie fertig; ich um Lusch's Gesundheit besorgt, lasse sie herumlaufen und überziehe meine Partitur-Seite. Zu Tisch Seroffs und Herr und Frau Avenarius, letztere beide wenig angenehm, er namentlich ist furchtbar roh. Seroff zeigt mir einen Aufsatz von Mme Mendès,[15] welcher mich entsetzt. Ich glaube nicht, daß wir werden viel mit diesen Menschen mehr zu tun haben können, R. ist auf das äußerste verletzt. Abends Besuch des Professor Nietzsche, immer sehr angenehm. Der König reist nach Landshut und ist in der Ausstellung gewesen.
Sonntag 22ten
Am Morgen Frühstück mit dem Professor, dann mit den Kindern nach der für ein Sängerfest geschmückten Stadt. Um zwei große Tafel mit den armen Studenten. Nachher Musik, der dritte Akt vom Siegfried. Konfusion wegen dem Fortgang des Professors. Der bleibt bis zum andren Morgen. Abends sehr guter Brief der Gr. Krockow, ich beantworte ihn bei Nacht, was mich sehr angreift. Sie wünschte von mir selbst zu erfahren, wie es mit mir stehe, was eingehend zu sagen mich um die Nachtruhe bringt. Wie ich dem Pr. Nietzsche von unseren Münchener Erlebnissen sprach, sagte er, es sei wahrhaftig grauenerregend. (Am Morgen schrieb R. ein schönes Gedicht dem König.)[16]
Montag 23ten
Sehr angestrengt von dem nächtlichen Schreiben, mit Trauer aufgestanden, bald durch R.'s Gegenwart erheitert. R. schreibt Briefe und unterrichtet die Kinder, die mir jetzt ganz allein überlassen sind, da ich Hermine nach München geschickt habe, um einiges dort zu ordnen. Bei Tisch sprach mir R. von Timoleon,[17] erzählte davon, daß am Ursprung seines glänzenden Lebenslaufs der Tod seines Bruders, an welchem er schwer trug, stünde; da hatte ich dann wiederum das Glück als Sinnbild; inmitten der Ehren, die ihm in Folge eines langen glorreich wohltätigen Lebens zu Teil wurden, muß des Bruders Tod wie der Wurm gewesen sein, der alles dies genagt hat. Nachmittag mit den Kindern Spazierfahrt. Sehr müde heimgekommen. Um 8 Uhr zu Bette; unten schlief R. schon ein, beim Erwachen sagte er mir: »Ich war weit, sehr weit, doch überall mit dir, im Schlafe wie im Wachen.« - Hübscher Brief von Lenbach.
24ten Dienstag
Brief Marie Muchanoff's, sie geht nach München, wo sie den Vater trifft, sie fragt mich, ob ich nicht mit dem Vater zusammenkommen würde. Diese Frage veranstaltet ein Gespräch mit R., aus welchem ich erfahre, daß die Zusendung einer Zeitung neulich ihn belehrt hat, daß der Vater Hans von seiner Absicht, sich von mir scheiden zu lassen, dissuadiert[18] hat! Er schreibt nun an die Muchanoff und legt ihr die ganze Lage der Dinge vor, in der Hoffnung, daß sie dies dem Vater zeigen wird und ihn vielleicht von seinem unseligen Abhalten zurückbringen wird. Ich schreibe ihr auch ein paar Zeilen und schicke Hans' letzten Brief an mich. Nachmittags Besuch des Gr. Bassenheim; Prinz Georg von Preußen hat er oben auf dem Rigi gesehen, dieser hat viel von mir gesprochen - sonderbar, daß mich ein jedes freundliche Wort verwundert, das über mich gesagt wird. Abends, nachdem ich den Kindern Grimm'sche Märchen vorgelesen habe, empfange ich eine Depesche von Hermine: »Alte Frau zu Haus, schmählicher Empfang, Haus verwiesen.« So hat sich denn die gute Frau gerächt für 10 Jahre, wo ich sie so behandelt habe, daß R. fest überzeugt war, daß sie mich liebte und lieben müßte, und ganz starr war, als ich ihm einst sagte: »Ach! Die Frau wartet bloß auf die Gelegenheit, mir Böses zu tun.« Daß sie aber die arme Hermine so schlecht behandelt hat! Ich schreibe der Anna, damit sie meine Zeilen Hans zeige, dem vielleicht seine Mutter Gott weiß was erzählen wird, und Hermine tröste ich mit einigen Worten.
25ten Mittwoch
Nachts in einiger Aufregung, nicht der Schmach, welche mir durch Frau v. B. angetan wurde, wegen, sondern in Gedanken an den Vater und meine Lage, die er mir so verschlimmert. Am Morgen hüb scher Brief von Judith Mendes; sie ist außer sich, der Intendant läßt sie nicht zu den Proben des Rheingoldes. Wiederum das alte Spiel R hatte ihm telegraphiert (sehr schroff), er liest mir die Depesche vor, ich ersuche ihn, nur durch Richter die Sache vermitteln zu lassen, was er tut  Ich schreibe dann an Judith und sage ihr, was der Vater mir angetan da sie mich fragt, ob sie ihn sehen soll. Auch an Franz Lenbach geschrieben welcher mir mit einfacher Teilnahme auf meine Darstellung meiner Lage erwidert hatte. Während dem beginnt R. die Instrumentierung des III Aktes. Nach Tisch mit den Kindern zu Lulu's Klavierstunde, dann mit ih nen botanisiert, endlich R. entgegengegangen. Abends Mozart'sche Sym phonie und Beethoven'sches Quartett vierhändig. R. sagt zu mir, wir hat ten die Zeit für uns, wir müßten nur lange leben. Neulich sagte ich ihm indem wir auf den Luzerner Kirchhof gingen, »ich möchte nicht sterben«' Mir ist vom Schicksal ein Schmerz, ein Glück, eine Tätigkeit angewiesen worden, Hans, Richard, die Kinder. Der Schmerz kann nicht vergehen wie das Glück nie verdunkeln und die Tätigkeit nie aufhören.
26ten Donnerstag
Sehr freundlicher Brief des Professor Nietzsche welcher uns einen Vortrag über Homer[19] zuschickt. Wiederum Kindertag mit Partitur-Überziehung, R. instrumentierend. Nichts von außen Gott sei Dank, als einige Aufsätze von Judith Mendes über die Ausstellung über einen Brief G. Herwegh's, welcher R. deshalb frappiert, weil [er] in diesen Tagen daran gedacht hatte, diesem armen Verkommenen ein Lebenszeichen [zu] geben. - Herwegh ist in München des Rheingoldes wegen - (Richard meint, alle interessieren nur die Maschinerien), und R. wollte ihn in der Antwort bitten, hierher zu kommen, hätte ihn ein Wort in H.'s Brief nicht unangenehm berührt, das Wort »drähtlich«. - Beim letzten Schimmer des Abendrots sagt mir R., wie wohl und glücklich er sich fühle, wie seine Gesundheit hergestellt und sein ganzes Wesen wie gestählt sei, daß ich dies alles vollbracht. Auf die Kniee möchte ich sinken vor Dankbarkeit gegen die Gottheit, und damit der Übermut meine Seele nicht verderbe, rufe ich mir das Gedenken des einen zurück, dem ich Leiden bringen mußte, und klage von der Ferne in der Stille mit ihm um dieses schreckliche Erdenlos. Je glücklicher ich bin, um so tiefer empfinde ich es, daß einer nicht glücklich ist, und alle vernünftigen Gründe und alle Erklärungen und alles Wissen, daß ich nicht anders konnte, helfen nicht dagegen, oder vielmehr ich rufe diese Hilfe nicht an und leide mit zu jeder Stunde. Den Aufsatz von J. Mendes wieder gelesen, er ist viel besser, als ich ihn, in der ersten Aufregung und Empörung über R.'s Persönlichkeit gedruckt gelesen, mir vorstellte. Nietzsche's Vortrag dagegen vortrefflich. - Die Hebamme kam heute, und da sagte R., er könne sie nie sehen ohne Rührung, sie wäre für ihn heilig, weil sie mir beigestanden habe. - An Pr. Nietzsche noch geschrieben.
27ten Freitag
Wüste Träume von Verfolgungen. R. kommt und sagt, er wird mich keineswegs zum Vater gehen lassen, die Leute wären im Stande, mich in ein Kloster zu werfen wie Barbara Ubri (!!!).[20] Der Vater ist nun zum Rheingold gekommen, weil er offiziell dazu eingeladen wurde; damals beim Tristan, wo wir ihn baten zu kommen und noch alles sich zur Hoffnung einließ, wollte er nicht. Kindertag wie immer, Vormittag Arbeit, Nachmittag Spazierfahrt mit ihnen nach Hergeschwyl; dort Ziegenfütterung. R. trifft seine Schwester Brockhaus plötzlich an, die Familie begab sich nach Luzern und wollte ihn besuchen, er ladet sie zu Tische für morgen ein. - Bei Tisch sagte R. zu mir: »Der Liebeskuß und die Entstehung eines Kindes ist eine Kalpa«; dann auch: »An dem neugeborenen Kind, das gar nicht bleibt, was es im Mutterleib ist, kann man mit Deutlichkeit die Idee wahrnehmen, alles Werdende und Sein ist nichts, die im Mutterschoß entsprungene Idee ist alles.« Wie ich zu Tisch komme, liest er mir den indischen Spruch: »Du kannst das Ende der Welt erreichen und die Gipfel der Berge, aber der Gedanke eines Königs war nie erreichbar, keinem je.« - Im Conversationslexikon las ich einige Jahreszahlen nach über Fr. den Großen, und da erfuhr ich denn, daß auf seines Vaters Zumutung, dem Thron zu entsagen, er erwiderte, »sofort, wenn mein Vater sagt, daß ich nicht sein leibhaftiger Sohn bin«, wie groß, wie acht! Ich bin in Sorge, Hermine schweigt, Claire schweigt. Hans schreibt seiner Tochter nicht, doch begrabe ich alles, damit ja dieses Leben hier rein und frei sei, meine Kinder wohl, Richard tätig und zufrieden, den Gram will ich still tragen bis an mein Ende.
28ten Samstag
Wie ich gestern dieses geschrieben, brachte mir Hans* (* Sic! Gemeint ist Richard) einen Brief von der Köchin aus München, welcher sagte, daß Hans trüb und traurig fort sei, ohne zu sagen wohin. Ein furchtbarer Jammer bemächtigt sich meiner oder vielmehr kommt zum Ausbruch. Ich schluchze, und der Gedanke, daß meine wahre Pflicht zu sterben sei, bemächtigt sich meiner mit Allgewalt. Ich erinnere mich, daß der Botaniker mir gesagt hat, daß eine Pflanze (Wolfsmilch) den Menschen umbrächte, wenn er das Gift derselben in eine offene Wunde brächte. Anhaltendes Sinnen — o Kinder, meine Kinder, gedenkt des Wortes der Mutter, daß kein Leiden so schwer zu tragen ist als das Übel, das wir antun, gedenkt dieses Wortes, in schmerzlichster Stunde aus dem Schmerze gerungen. Den ganzen Morgen geschluchzt, unaufhaltsam. R. sehr betrübt. Zu Mittag Brockhausens und Pr. Nietzsche, alle sehr gut. Ich abwesend; nachmittags Brief von Judith, sie meldet mir, daß der Vater meine Angelegenheit ordnen will, daß er mich liebt, daß Hans fort ist, um die Sache zu beschleunigen. Mir tat der Brief unendlich wohl, ich atmete wieder auf. Dann kamen Depeschen auf Depeschen und Briefe auf Briefe, alle meldend, daß die Generalprobe des Rheingoldes abscheulich gewesen sei, lächerlich im höchsten Grade, und daß Dummheit und Bosheit sich die Hand gegeben hätten, um hier alles zu verderben. R. telegraphiert an den König und bittet um Verspätung. - Spät abends schreibe ich an Judith und Hermine (die mir auch geschrieben hatte).
29ten Sonntag
R. krank vor Gram über das Rheingold. Die Depeschen fahren fort: 1. Der König - dankt für das Geburtstagsgeschenk, sonst nichts! 2. Richter meldet seinen Entschluß, nicht zu dirigieren. 3. Intendant Loen[21] aus Weimar, jetzt in München, fragt, ob sein Kapellmeister Lassen dirigieren darf, Perfall verlange es. R. an Richter bravo, an Düfflipp Mahnung zur Nachholung des Versäumten, an Loen abschlägig telegraphiert. Abends Nachricht von Richter, er ist wirklich suspendiert! Zwischen all dies Pr. Nietzsche; immer angenehm. Düstrer Tag, was wird aus dieser Sache werden? Des Königs Benehmen rätselhaft. Wenig heute und gestern mit den Kindern, was mir weh tut.
30ten Montag
R. schreibt an den König, stellt ihm die Lage dar und schlägt seine Reise nach München vor, um eine gute Aufführung bis Sonntag zu ermöglichen. Nachmittags Depesche Düffl. (siehe die Aktenstücke).[22] Richard entschließt sich zur Reise. Große Angst über diesen Entschluß; R. sagt, er weiß, er wird wohl heimkehren; daß er nach den Msingern damals so krank wurde, lag nicht an dem Ärger, sondern an unsrer Trennung.
31ter Dienstag
R. spottet meiner freundlich, weil ich trotz des Abreise-Morgens Loulou ihre Klavierstunde gebe, »in der Jugend geht die Liebe unter!« Vormittag Besuch seiner Schwester Avenarius; zu Mittag Brief des Regisseur Hallwachs, der alles trostlos schildert. Wir denken an die Möglichkeit eines Bruches mit dem König, wenn er auf der Aufführung Donnerstag besteht. Um 4 Uhr Depesche des Königs, er erwartet die Aufführung Sonntag. Abschied von R., große Schwermut, allein Freude, daß der König auf ihn gehört hat. Heimfahrt allein, R. ist fort. Ich schreibe an Claire, dann »Wanderjahre«, endlich an R. geschrieben.